Fallschirmsportunfall bei der GST in Neuhausen (Cottbus)
12. Juni 1976
Information Nr. 437/76 über die Ergebnisse der Untersuchung von Vorkommnissen mit tödlichem Ausgang im Fallschirmsport der GST
Am 29. April 1976 verunglückte die Fallschirmsprungschülerin der GST [Name], geboren am [Tag] 1957, wohnhaft gewesen: Hoyerswerda, [Adresse], tätig gewesen als Kindergärtnerin, bei einem Überprüfungssprung aus 800 m Höhe auf dem GST-Flugplatz Neuhausen, Bezirk Cottbus, tödlich.
Am 1. Mai 1976 ereignete sich auf dem GST-Flugplatz Magdeburg bei einem DDR-offenen Fallschirmsprungwettkampf ein weiteres Vorkommnis, bei dem der GST-Fallschirmsportler [Name], geboren am [Tag] 1951, wohnhaft gewesen: Berlin, [Adresse], tätig gewesen als Baufacharbeiter, so schwer verletzt wurde, dass er später an den Folgen der Verletzungen im Krankenhaus verstarb.
Die vom MfS im Zusammenwirken mit der Staatlichen Luftfahrtinspektion und dem Zentralvorstand der GST durchgeführten Untersuchungen ergaben, dass die Ursache der genannten Vorkommnisse in einer fehlerhaften Packweise der Fallschirme begründet ist. Bei einer Kontrolle nach dem Vorkommnis am 1. Mai 1976 auf dem Flugplatz Magdeburg mussten von zwölf gepackten Hauptgeräten 6 und von 22 Rettungsgeräten 14 in der Packweise beanstandet werden.
Im Ergebnis der weiteren Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Vorkommnisse im Bereich Fallschirmsport der GST auf Mängel in der Ausbildungsmethodik der Fallschirmspringer zurückzuführen sind.
Die unzureichende hauptamtliche Besetzung auf zentraler und bezirklicher Ebene sowie auch entscheidende Mängel in der Qualifizierung dieser Funktionäre gewährleisten nicht die erforderliche einheitliche und systematische Durchsetzung der Methodik in der Ausbildung der Fallschirmspringer.
So ist zum Beispiel nur ein Mitarbeiter im Zentralvorstand der GST eingesetzt, um solche Fragen, wie Vorschriftenwerk, Ausbildungsmethodik, Auswertung von Vorkommnissen sowie Anleitung und Kontrolle im Bereich Fallschirmsport für alle Bezirke der DDR zu bearbeiten. Gleiches trifft auf den Bereich Fallschirmtechnik zu.
In den Bezirksausbildungszentren Berlin und Erfurt gibt es keine hauptamtlichen Oberinstrukteure für Fallschirmsport. Bedingt durch diese Situation kam es in der Vergangenheit zu Mängeln und Versäumnissen bei der Kontrolle und Anleitung in den Bezirksausbildungszentren und als Folge davon zu Erscheinungen, die die Sicherheit und Ordnung beeinträchtigten. Das drückte sich insbesondere aus, durch
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Verletzung gültiger Vorschriften und Nichteinhaltung der Ausbildungsprogramme,
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ungenügende Einweisung der Fallschirmspringer in die Handhabung und das Packen der Fallschirmtechnik, insbesondere bei Sport- und Rettungsfallschirmen,
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unzureichende Kontrollmaßnahmen für das Packen der Fallschirme bei Erlaubnisinhabern für Fallschirmsport,
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Nichtbeherrschung des Handlungsablaufes oder Unklarheiten bei auftretenden Havariefällen am Hauptgerät,
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unzureichende Auswertung von Vorkommnissen im Fallschirmsport.
In Auswertung der Vorkommnisse mit tödlichem Ausgang wurde der Fallschirmsprungbetrieb für die Bezirksausbildungszentren vom Zentralvorstand der GST gesperrt.
Es ist vorgesehen, den Sprungbetrieb erst dann wieder freizugeben, wenn die vom Zentralvorstand der GST inzwischen angewiesenen Maßnahmen realisiert sind. Das betrifft unter anderem
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die Überprüfung aller Fallschirmsprunglehrer, ehrenamtlichen Fallschirmwarte und Erlaubnisinhaber bezüglich des ordnungsgemäßen Packens der einzelnen Fallschirmbaumuster,
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den Einsatz eines verantwortlichen Lehrers oder Fallschirmwarts in der Packzone,
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Kontrollmaßnahmen zur Einhaltung bestehender Weisungen und Vorschriften im Fallschirmsport durch verantwortliche Funktionäre.
Um weitere Vorkommnisse zu verhindern und die bestehenden begünstigenden Bedingungen für die Beeinträchtigung von Sicherheit und Ordnung im Fallschirmsport der GST zu beseitigen, wird vom MfS empfohlen, folgende Maßnahmen einzuleiten:
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Die durch die Untersuchung festgestellte Notwendigkeit eines straffen Systems der Kontrolle und Anleitung der Bezirksausbildungszentren der GST sollte durch den Zentralvorstand der GST kadermäßig abgesichert werden.
- 2.
Die Planstellen der Oberinstrukteure Fallschirmsport der Bezirke Berlin und Erfurt sollten mit befähigten Mitarbeitern besetzt werden. Gleichzeitig sollte der Einsatz hauptamtlicher Fallschirmwarte in allen Bezirken angestrebt werden.
- 3.
Durch den Zentralvorstand der GST müssten in Auswertung der Vorkommnisse zentrale, qualifizierte Einweisungen und Schulungen zur Durchsetzung der Einheitlichkeit der Lehrmethodik und der Vorschriftenkenntnisse für alle haupt- und ehrenamtlichen Funktionäre geplant und durchgeführt werden.
- 4.
In Zusammenarbeit mit der Staatlichen Luftfahrtinspektion sollte geprüft werden, inwieweit eine zeitliche Beschränkung der Packberechtigung für die Fallschirmtechnik vorgeschrieben werden müsste.
- 5.
Es sollte weiter geprüft werden, inwieweit die vorgeschriebene Packfrist von 90 Tagen für den Rettungsfallschirm den Sicherheitserfordernissen des Sprungbetriebes entspricht und durch welche Maßnahmen das Sicherheitsrisiko aufgrund der zugelassenen Austauschbarkeit des Rettungsgerätes in gepacktem Zustand reduziert werden kann.