Festnahme von Angehörigen der Fluchthilfeorganisation Dawid
20. Januar 1976
Information Nr. 53/76 über die Festnahme von vier Angehörigen der kriminellen Menschenhändlerbande Dawid am 18. Januar 1976 an der Grenzübergangsstelle Staaken
Am 18. Januar 1976, gegen 23.00 Uhr wurden an der Grenzübergangsstelle Staaken die in dem vom Transitabkommen erfassten Transitverkehr reisenden Einwohner von Berlin (West), [Person 1], geboren am [Tag] 1956; ohne Beruf, zuletzt arbeitslos, wohnhaft in Berlin (West)-[Bezirk], [Adresse] mit dem Pkw, Typ […], amtliches Kennzeichen […], [Person 2], geboren am [Tag] 1941; ohne Beruf, zuletzt Hoteldiener im Hotel […] in Berlin (West), wohnhaft in Berlin (West)-[Bezirk und Adresse] mit dem Pkw, Typ […], amtliches Kennzeichen […], sowie die [Person 3], geboren am [Tag] 1952; ohne Beruf, zuletzt Hausfrau, wohnhaft in Berlin (West)-[Bezirk und Adresse] und der [Person 4], geboren am [Tag] 1957; ohne Beruf, zuletzt arbeitslos, wohnhaft in Berlin (West)-[Stadtteil und Adresse] auf frischer Tat wegen des dringenden Verdachts des staatsfeindlichen Menschenhandels festgenommen.
Gegen die vier Einwohner von Berlin (West) wurden gemäß § 105 StGB – Staatsfeindlicher Menschenhandel – Ermittlungsverfahren eingeleitet und auf der gleichen Rechtsgrundlage Haftbefehle erwirkt.
Die bisherigen Untersuchungen des Ministeriums für Staatssicherheit haben ergeben:
Die vorgenannten vier Einwohner von Berlin (West) ließen sich im Dezember 1975 bzw. Anfang Januar 1976 von dem leitenden Agenten der Westberliner kriminellen Menschenhändlerbande Dawid,1 dem Berufsverbrecher [Person 5], geboren am [Tag] 1947, wohnhaft in Berlin (West) zur Zusammenarbeit anwerben. Dabei nutzte [Person 5] die Tatsache aus, dass alle vier Personen über keine regelmäßigen Einkünfte verfügen und teilweise verschuldet sind. [Person 5] sicherte ihnen für durchgeführte Personenschleusungen eine Bezahlung von 500 bis 2 000 DM/DBB zu.
Am 18. Januar 1976, gegen 8.00 Uhr führte [Person 5] mit allen vier Personen in der Wohnung des [Person 1] eine Zusammenkunft durch, wobei er sie anwies, am gleichen Tage gegen 16.00 Uhr zu zwei Bürgern der DDR an der Raststätte Michendorf Kontakt aufzunehmen und diesen die Personal- und Grenzübertrittsdokumente sowie Perücken und Brillen zur Maskierung auszuhändigen.
Entsprechend dem Plan der kriminellen Menschenhändlerbande sollten die DDR-Bürger im Pkw des [Person 2] Platz nehmen und mit den Dokumenten des [Person 4] und der [Person 3] unter Missbrauch des Transitabkommens über die Grenzübergangsstelle Marienborn nach der BRD ausgeschleust werden. Der [Person 4] und die [Person 3] erhielten die Weisung, sich im Kofferraum des Pkw von [Person 1] versteckt über die gleiche Grenzübergangsstelle ausschleusen zu lassen.
Zum Zwecke der Durchführung dieses Verbrechens reisten die vier Einwohner von Berlin (West) am 18. Januar 1976 über die Grenzübergangsstelle Drewitz als Transitreisende nach der BRD in das Staatsgebiet der DDR ein. Da sie sich verfahren hatten, konnten sie die Kontaktierung der DDR-Bürger an der Raststätte Michendorf zur festgelegten Zeit nicht vornehmen.
Bei dem Versuch, nach erfolgter Abweichung von der vorgeschriebenen Transitstrecke über die Grenzübergangsstelle Staaken nach Westberlin zurückzukehren, erfolgte ihre Festnahme.
Im engen Zusammenhang mit diesem erneuten Verbrechen der kriminellen Menschenhändlerbande Dawid ist festzustellen, dass sie – ungeachtet der erst in der vergangenen Woche durchgeführten gerichtlichen Hauptverhandlung gegen die von der kriminellen Menschenhändlerbande Dawid zur Durchführung von Verbrechen gegen die DDR erpressten und missbrauchten Einwohner von Westberlin, [Person 6] und [Person 7], und der vorliegenden Erkenntnisse über die in den Westberliner Presseorganen erfolgten Reaktionen zu diesem Verfahren – ihre verbrecherische Tätigkeit nach wie vor ungehindert fortsetzen kann. Damit wird zugleich offenkundig, dass auch die gerichtliche Hauptverhandlung gegen [Personen 6 und 7] seitens des Senats von Westberlin und seiner zuständigen Behörden nicht zum Anlass genommen wurde, um gegen die Existenz und die verbrecherischen Machenschaften der kriminellen Menschenhändlerbande Dawid einzuschreiten.
Es wird vorgeschlagen zu prüfen, inwieweit in einer geeigneten offiziellen Form der Senat von Westberlin und seine zuständigen Behörden nachdrücklich zur konsequenten und wirksamen Einleitung von Maßnahmen gegen die Existenz und die verbrecherischen Aktivitäten der von Westberlin aus wirkenden kriminellen Menschenhändlerbanden veranlasst werden können.
Auf der Grundlage der dem Ministerium für Staatssicherheit vorliegenden Erkenntnisse und Dokumentationen wurde ein entsprechendes Material zusammengestellt, das in der Anlage zu dieser Information beigefügt wird und gegebenenfalls als Grundlagenmaterial für diesbezügliche Maßnahmen Verwendung finden könnte.
Anlage zur Information 53/76
[Entwurf der ZAIG für eine Beschwerde der DDR-Regierung beim Senat von Berlin (West) wegen der Aktivitäten von Fluchthilfeorganisationen vom 20. Januar 1976]
Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik sieht sich erneut veranlasst, beim Senat von Berlin (West) gegen die Existenz, die fortgesetzte Aktivierung und die insbesondere in den letzten Wochen und Monaten festzustellende Ausweitung der gegen die DDR gerichteten verbrecherischen Machenschaften der in Berlin (West) ansässigen und von dort aus wirkenden kriminellen Menschenhändlerbanden zum Zwecke der organisierten Abwerbung, Ausschleusung und Verschleppung von Bürgern der DDR schärfstens zu protestieren.
Der Senat von Berlin (West) wird erneut nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass durch die völkerrechtswidrigen Aktivitäten und die damit verbundenen, die Rechtsordnung in der DDR und auch in Berlin (West) skrupellos missachtenden Handlungen krimineller Vereinigungen in Berlin (West) der vertraglich vereinbarte Reise- und Besucherverkehr von Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin (West) und auch der Transitverkehr von zivilen Personen und Gütern zwischen Berlin (West) und der BRD erheblich belastet, ernsthaft beeinträchtigt und gestört und darüber hinaus unmittelbar Leben und Gesundheit von Menschen, darunter auch von Kindern, gefährdet werden.
Seitens der Regierung der DDR wurde der Senat von Berlin (West) in den zurückliegenden drei Jahren wiederholt im Rahmen der Gespräche durch den Beauftragten der Regierung der DDR und in bislang 25 Sitzungen der Kommission gemäß Artikel 19 des Transitabkommens, in welcher ein Vertreter des Senats von Berlin (West) anwesend ist, konkret, mit Name und Adresse, und beweiskräftig, auch durch Unterbreitung entsprechender Materialien und Dokumentationen, über die Existenz und das verbrecherische Treiben der kriminellen Menschenhändlerbanden, die von Einwohnern von Berlin (West) geleitet werden, informiert und aufgefordert, konsequent gegen diese entspannungsfeindlichen und die weitere Normalisierung der Beziehungen erheblich belastenden und beeinträchtigenden verbrecherischen Machenschaften einzuschreiten.
Heute muss – auch aus mehreren gegebenen aktuellen Anlässen heraus – erneut und mit äußerstem Befremden festgestellt werden, dass der Senat von Berlin (West) offenbar nicht gewillt ist, den Ernst der entstandenen Situation und die daraus resultierenden Gefahren zu erkennen, jegliche ernsthaften Bemühungen zur Unterbindung der Existenz und der Verbrechen der kriminellen Menschenhändlerbanden vermissen lässt und das Treiben dieser kriminellen Vereinigungen in einer Art und Weise duldet, deckt und unterstützt, die einer offiziellen Protektion sehr nahe kommt.
Völlig ungehindert können sich die in Berlin (West) etablierten kriminellen Menschenhändlerbanden ständig ausweiten, wobei diese kriminellen, aus Gewinnsucht handelnden Elemente, die »Leiter« der Banden und ihre Helfershelfer, immer neue, skrupellosere, Leben und Gesundheit aufs Äußerste gefährdende Mittel, Methoden und Manipulationen ersinnen, um ihre Verbrechen zu organisieren und zu realisieren.
In jüngster Zeit wurden durch die kriminellen Menschenhändlerbanden eine ganze Reihe neuer, gemeingefährlicher, krimineller Mittel und Methoden angewandt, die nicht nur zutiefst verwerflich, sondern geradezu antihuman sind. Dieses verbrecherische Vorgehen der kriminellen Menschenhändlerbanden äußert sich beispielsweise darin,
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dass auf Weisung der Bandenchefs Kinder und selbst Kleinkinder – darunter kranke, geistig und körperlich unterentwickelte Kinder – von Einwohnern von Berlin (West) vorsätzlich zum Zwecke der Abwerbung, Ausschleusung und Verschleppung von Bürgern der DDR missbraucht werden, dass sie skrupel- und gewissenlos Profitinteressen geopfert, ihr Leben und ihre Gesundheit aufs Spiel gesetzt werden,
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dass in Plänen und Handlungen krimineller Menschenhändlerbanden die Tötung von Kindern und sogar der Mord an Kindern einkalkuliert und alle Vorkehrungen zur Realisierung getroffen werden,
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dass schwangere und sogar hochschwangere Einwohnerinnen von Berlin (West) durch kriminelle Menschenhändlerbanden unter bewusster Ausnutzung ihres Zustandes zur verbrecherischen Tätigkeit für diese Banden gezwungen werden,
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dass – unter vorsätzlicher Negierung ihrer akuten Gefährdung für Leben und Gesundheit – derartige schwangere und hochschwangere Frauen unter Ausnutzung sozialer Notlagen, unter Versprechungen und unter Vortäuschung falscher Tatsachen erpresst und zur Begehung von Verbrechen gegen die DDR veranlasst werden,
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dass zunehmend weitere kriminelle gemeingefährliche Methoden, z. B. die Ausübung von Druck, die Androhung von Gewalt, arglistige Täuschung, Drohung mit empfindlichen Nachteilen und sogar Verhaftungen angewandt werden, um das Einverständnis dieser Personen zu erzwingen und sie auf diese Art und Weise in das verbrecherische Treiben der kriminellen Menschenhändlerbanden umfassend zu integrieren.
Darüber hinaus werden von den kriminellen Menschenhändlerbanden mit Duldung und Unterstützung von Behörden in Berlin (West), beispielsweise durch Maßnahmen der künstlichen Veränderung der äußeren Erscheinung von Einwohnern von Berlin (West), Manipulationen mit Personaldokumenten aus Berlin (West) durchgeführt, um immer weitere Verbrechen der Banden zu ermöglichen und abzudecken.
Diese fortgesetzte Steigerung des verbrecherischen Treibens der kriminellen Menschenhändlerbanden wird u. a. durch folgende gerichtsnotorische Fakten belegt: Am 27. Dezember 1975 wurden die Einwohner von Berlin (West), [Person 6], geboren am [Tag] 1936; ohne Beruf und zuletzt ohne Beschäftigung, wohnhaft: Berlin (West), [Adresse], und [Person 7], geboren am [Tag] 1957; ohne Beruf und zuletzt ohne Beschäftigung, wohnhaft: Berlin (West), [Adresse], auf frischer Tat wegen staatsfeindlichen Menschenhandels festgenommen.
Im Ergebnis des am 15. Januar 1976 vor dem Stadtgericht von Groß-Berlin durchgeführten Prozesses ist festzustellen: Der »leitende« Angehörige der kriminellen Menschenhändlerbande Dawid, [Person 5], geboren am [Tag] 1947, wohnhaft: Berlin (West), suchte in Kenntnis erheblicher Kreditschulden und der finanziellen Notlage der [Person 6] dieselbe am 10. und am 17. Dezember 1975 in ihrer Wohnung auf, gab sich in erpresserischer Absicht als Vertreter eines Kreditinstitutes aus und forderte die sofortige Zahlung einer Kreditrate in Höhe von 555 DM. Für den Fall der Nichtzahlung drohte er mit der Erwirkung eines Haftbefehls gegen ihre Mutter, auf deren Namen der Kredit lief. Da [Person 6] auch am 17. Dezember 1975 nicht über den verlangten Geldbetrag verfügte, forderte sie [Person 5] auf, sich gegen Bezahlung von 2 000 DM an der widerrechtlichen Ausschleusung von Bürgern der DDR zu beteiligen.
Aufgrund dieses erpresserischen Vorgehens erklärte [Person 6] am 17. Dezember 1975 die Bereitschaft zur Mitwirkung an der Ausschleusung von Bürgern der DDR.
Ebenfalls unter Ausnutzung ihrer Verschuldung und ihrer finanziellen Notlage hatte [Person 5], zusammen mit dem »leitenden« Angehörigen der kriminellen Menschenhändlerbande Dawid, dem Einwohner von Berlin (West), [Person 8], geboren am [Tag] 1941, wohnhaft: Berlin (West), [Adresse], Anfang Dezember 1975 neben weiteren Personen die Einwohnerin von Berlin (West), [Person 7], trotz Kenntnis ihrer Schwangerschaft – sie befindet sich gegenwärtig im 7. Monat der Schwangerschaft – zur Bandentätigkeit angeworben.
Nach ihrer Anwerbung musste [Person 6] zum Zwecke der Ausschleusung von Bürgern der DDR, ebenso wie weitere Bandenangehörige, den Verlust ihres Behelfsmäßigen Personalausweises von Berlin (West) gegenüber den dortigen Polizeibehörden vortäuschen und die Ausstellung eines neuen Personaldokumentes beantragen.
Dazu hatte [Person 6] durch von der Bande erhaltene Perücke und Brille ihr Aussehen zu verändern, sich in dieser Maskerade fotografieren zu lassen und unter Vorlage des entsprechenden Passfotos bei der Polizeibehörde wegen der Ausstellung eines neuen Behelfsmäßigen Personalausweises von Berlin (West) vorzusprechen.
[Person 5] forderte die [Person 6] auf, am 27. Dezember 1975 zusammen mit weiteren Bandenangehörigen in der genannten Maskerade und unter Benutzung des neu ausgestellten Behelfsmäßigen Personalausweises von Berlin (West) mit dem entsprechenden Passfoto in einem Pkw als Transitreisende von Berlin (West) in Richtung BRD zu reisen. Im Gebiet der DDR sollte dieser Behelfsmäßige Personalausweis von Berlin (West) und das dazu erhaltene Transitvisum zusammen mit Perücke und Brille an eine zur Ausschleusung vorgesehene Bürgerin der DDR übergeben werden. Die [Person 6] sollte danach, im Kofferraum eines weiteren von der Bande im Transitverkehr von Berlin (West) in die BRD eingesetzten Fahrzeuges versteckt, in die BRD verbracht werden.
Da Bemühungen der kriminellen Menschenhändlerbande zum Raub eines Kindes und zur anderweitigen Beschaffung eines Kindes aus Berlin (West) fehlgeschlagen waren, forderte [Person 5] von der [Person 6] die Mitführung ihres dreijährigen Sohnes [Name] zum Zwecke eines Austausches mit einem zur Ausschleusung vorgesehenen Kind aus der DDR. Da [Person 5] auf die zunächst erfolgte Ablehnung von [Person 6] mit erneuten Drohungen der Erwirkung eines Haftbefehls gegen ihre Mutter reagierte, gab sie der Forderung der Bande nach und führte ihren dreijährigen Sohn [Name] bei der Ausschleusungsaktion mit.
Bei der am 27. Dezember 1975 durch die kriminelle Menschenhändlerbande vorgenommenen verbrecherischen Aktion kamen mehrere Bandenangehörige sowohl unter Ausnutzung der Möglichkeiten des Reise- und Besucherverkehrs von Personen mit ständigem Wohnsitz in Berlin (West) wie auch unter Missbrauch des Transitverkehrs zwischen Berlin (West) und der BRD mit mehreren Kraftfahrzeugen zum Einsatz.
Die [Person 6] reiste am 27. Dezember 1975 auftragsgemäß zusammen mit dem Angehörigen der kriminellen Menschenhändlerbande Dawid, [Person 9], geboren am [Tag] 1949, wohnhaft: Berlin (West) 28, [Adresse], der gleichfalls mit Perücke und Brille maskiert war und sich einen mit einem entsprechenden Passfoto versehenen neuen Behelfsmäßigen Personalausweis von Berlin (West) hatte ausstellen lassen, in einem von weiteren Bandenangehörigen geführten Pkw im Transitverkehr von Berlin (West) über die Grenzübergangsstelle Drewitz bis zur Raststätte Michendorf.
Nach Übergabe der zur Transitreise verwendeten Personaldokumente, der dazu ausgestellten Transitvisa und der benutzten Perücken und Brillen an weitere Angehörige dieser kriminellen Menschenhändlerbande zum Zwecke der Ausschleusung von zwei Erwachsenen und einem Kind stiegen [Person 9] und die [Person 6] mit ihrem dreijährigen Kind in das im Transitverkehr von Berlin (West) nach der BRD eingesetzte Schleusungsfahrzeug [Typ] amtliches Kennzeichen […], um.
In diesem, von dem Angehörigen der kriminellen Menschenhändlerbande, [Person 10], geboren am [Tag] 1952, wohnhaft: Berlin (West), [Adresse], geführten Fahrzeug befand sich auch dessen hochschwangere Ehefrau [Person 7]. Unter Mitwirkung der [Person 7] stiegen [Person 9] und die [Person 6] in der Nähe des Schkeuditzer Kreuzes, etwa 130 km vor der Grenzübergangsstelle Hirschberg, während der Fahrt durch Herunterklappen der dazu präparierten Rücksitzlehne in den Kofferraum um, und auch das dreijährige Kind der [Person 6] wurde bereits zu diesem Zeitpunkt im Kofferraum eingeschlossen.
Für das in eine solche Zwangslage gebrachte Kleinkind entstand nachweislich, insbesondere infolge unzureichender Sauerstoffzufuhr, eine akute Lebensgefahr durch Erstickung. Schwere schädliche Folgen für das Leben und die Gesundheit dieses Kindes konnten nur durch die noch rechtzeitige Entdeckung dieses Verbrechens und die sofortige Befreiung des Kindes durch die zuständigen Organe der DDR aus seiner Zwangslage abgewendet werden.
Aufgrund des vorliegenden Sachverhaltes wurden die Einwohner von Berlin (West),
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[Person 6] wegen staatsfeindlichen Menschenhandels, versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts im schweren Fall und Verletzung von Erziehungspflichten durch Misshandlung ihres Kindes zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, sechs Monaten und
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[Person 7] wegen staatsfeindlichen Menschenhandels, Beihilfe zum ungesetzlichen Grenzübertritt im schweren Fall und Beihilfe zur Verletzung von Erziehungspflichten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, drei Monaten
verurteilt.
Unter Berücksichtigung der Besonderheiten in den persönlichen und familiären Bedingungen der Verurteilten, die zielgerichtet in skrupelloser und menschenverachtender Art und Weise durch die kriminelle Menschenhändlerbande Dawid zur Einbeziehung der beiden Frauen [Personen 6 und 7] in die verbrecherische Tätigkeit ausgenutzt wurden, wurde auch in diesem Fall von den zuständigen Organen der DDR aus humanitären Erwägungen auf Strafaussetzung auf Bewährung entschieden. Die beiden verurteilten Frauen wurden am 19. Januar 1976 aus der Haft entlassen und konnten nach Berlin (West) zurückkehren.
Mit äußerstem Befremden ist festzustellen, dass der Senat von Berlin (West) auch diese neuerlichen Tatsachen über die skrupellosen, kriminellen und gemeingefährlichen Verbrechen der kriminellen Vereinigung des Menschenhändlers Dawid, über die im Zusammenhang mit der gerichtlichen Hauptverhandlung gegen [Personen 6 und 7] auch die Öffentlichkeit in Berlin (West) informiert wurde und auf die darüber hinaus der Senat von Berlin (West) in Verbindung mit der Rückführung des Kindes [Name] ausdrücklich aufmerksam gemacht wurde, bisher nicht zum Anlass genommen hat, die erforderlichen Maßnahmen zur Unterbindung des verbrecherischen Treibens dieser kriminellen Vereinigung einzuleiten. Das ist daraus ersichtlich, dass Dawid und die »leitenden« Angehörigen seiner Bande, [Personen 5 und 8], ihre völkerrechtswidrigen Anschläge mit den bekannten kriminellen Methoden ungehindert fortsetzen können.
So wurden am 18. Januar 1976 auf frischer Tat die Angehörigen der Menschenhändlerbande Dawid, [Person 1], geboren am [Tag] 1956, wohnhaft: Berlin (West), [Adresse], [Person 2], geboren am [Tag] 1941, wohnhaft: Berlin (West), [Adresse], [Person 4], geboren am [Tag] 1957, wohnhaft: Berlin (West), [Adresse], [Person 3], geboren am [Tag] 1952, wohnhaft: Berlin (West), [Adresse], festgenommen. Sie waren am 18. Januar 1976 von [Person 5] angewiesen worden, mit zwei Pkw sowie teilweise in der bekannten Weise mit Perücken und Brillen maskiert und mit entsprechenden manipulierten Behelfsmäßigen Personalausweisen von Berlin (West) ausgerüstet, unter Missbrauch des Transitabkommens von Berlin (West) aus Transitreisen in die BRD anzutreten und unter Verwendung der für die Transitreise benutzten Personaldokumente und der dazu passenden Perücken und Brillen mehrere Bürger der DDR in die BRD auszuschleusen.
Die in den dargelegten Verbrechen zum Ausdruck kommende kriminelle Verworfenheit, Menschenfeindlichkeit und Brutalität ist symptomatisch für das Vorgehen der Bande des kriminellen Menschenhändlers Dawid, als auch für die Praktiken der anderen in Berlin (West) ansässigen, mit der Abwerbung, Ausschleusung und Verschleppung von DDR-Bürgern gewerbsmäßig befassten kriminellen Vereinigungen, die dem Senat von Berlin (West) bereits wiederholt – u. a. am 29. Juni 1973, am 9. Oktober 1973, am 18. Februar 1974 und am 10. Oktober 1974 – mit Name und Adresse konkret genannt wurden.
Bereits in zurückliegender Zeit wurden von der kriminellen Menschenhändlerbande Dawid Kinder aus Berlin (West) bei der Organisierung von Verbrechen missbraucht. So hat der bereits genannte »leitende« Angehörige dieser kriminellen Vereinigung, [Person 8], u. a. den zur Bandentätigkeit verpflichteten Einwohner von Berlin (West), [Person 11], geboren am [Tag] 1944, wohnhaft: Berlin (West), [Adresse], seit April 1974 angewiesen, zur Tarnung bei Ausschleusungsaktionen unter Missbrauch des Transitabkommens jeweils seine körperlich und geistig unterentwickelte Tochter, [Name], geboren am [Tag] 1969, mitzuführen und zu diesem Zwecke auch seine Ehefrau [Name] in die Bandentätigkeit einzubeziehen. Das genannte Kind befand sich auch am 8. November 1974, als die Eheleute [Name] auf frischer Tat beim Transitmissbrauch festgenommen wurden, im Schleusungsfahrzeug. Es wurde in Obhut genommen und bekanntlich anschließend nach Berlin (West) zurückgeführt.
Der kriminelle Menschenhändler [Person 12] beauftragte im September 1974 ein Mitglied seiner Bande, mittels eines Pkw »Mercedes 220 SE B« eine Fahrt von Berlin (West) nach der BRD zu unternehmen und dabei auf dem Gebiet der DDR drei weibliche Personen aufzunehmen, um sie – unter Missbrauch des Transitabkommens im Kofferraum versteckt – nach der BRD zu verbringen. Unter Bezugnahme darauf, dass eine dieser drei weiblichen Personen hochschwanger sei, erklärte [Person 12]: »Wenn die drei nicht reingehen, dann trample nach und knalle die Kofferraumklappe zu«, und für den Fall, dass die hochschwangere Frau unterwegs entbindet, wurde festgelegt: »dann wird das Kind eben abgemurkst, damit es nicht schreien kann.«
Der ebenfalls hinlänglich bekannte kriminelle Menschenhändler [Person 13], der entsprechend den in der kriminellen Menschenhändlerbande Mierendorff2 geltenden Gepflogenheiten wiederholt Bandenangehörige zur rücksichtslosen Gewaltanwendung instruierte, legte unter anderem auch fest, dass Personen, die bei Aktionen auf dem Gebiet der DDR durch Unfall, Ersticken im Kraftfahrzeug oder infolge Gewaltanwendung zur Erzwingung der Grenzpassage getötet wurden, unbedingt nach Berlin (West) zu verbringen und dort unerkannt zu verscharren seien.
Des Weiteren teilte [Person 13] anderen Mitgliedern seiner Bande mit, dass Mitte 1974 bei einer von ihm organisierten Ausschleusungsaktion ein Kleinkind aus der DDR im Kofferraum des Schleusungsfahrzeuges erstickt sei. [Person 13] rühmte sich in diesem Zusammenhang, dass es ihm gelungen sei, das Bekanntwerden des Todes dieses Kindes bei der Ausschleusung in die BRD zu verhindern. [Person 13] erklärte dazu weiter, dass die Eltern froh sein könnten, dass er sie aus der DDR geholt habe; ob da nun ein Kind tot sei oder nicht, sie hätten ja noch eins.
In Anbetracht dieser menschenverachtenden Einstellung gegenüber dem Leben, insbesondere auch dem Leben wehrloser Kinder, ist es auch bezeichnend, dass nach vorliegenden Informationen der [Person 14], geboren am [Tag] 1932, der dem Senat von Berlin (West) als langjährig tätiger Menschenhändler bekannt ist, in einem gegen ihn laufenden Strafverfahren in Berlin (West) beschuldigt wird, bei einem Raubüberfall am 5. Juni 1974 ein achtjähriges Mädchen als Geisel genommen, mit einer Schusswaffe bedroht und so die Eltern zur Herausgabe von Rohdiamanten, Bargeld und Schmuck im Wert von etwa 550 000 DM gezwungen zu haben.
Es wird auch daran erinnert, dass die kriminelle Menschenhändlerbande Mierendorff am 20. Juli 1975 die im 8. Monat der Schwangerschaft befindliche [Person 15], geboren am [Tag] 1952, wohnhaft: Berlin (West), [Adresse], zur Durchführung einer Ausschleusung von DDR-Bürgern unter Missbrauch des Transitabkommens einsetzte. Die [Person 15] war durch den Einwohner von Berlin (West), [Person 16], wohnhaft: Berlin (West)-[Bezirk und Adresse], unter Ausnutzung ihrer sozialen Notlage angeworben und wiederholt zu Straftaten beauftragt worden.
Die aus humanitären Gründen unmittelbar nach ihrer Verurteilung zu drei Jahren Freiheitsentzug erfolgte Strafaussetzung auf Bewährung und Rückführung der [Person 15] nach Berlin (West) geschah bereits seinerzeit in der Erwartung, dass der Senat von Berlin (West) wirksame Maßnahmen treffen werde, um Wiederholungen solcher unmenschlichen Verbrechen der kriminellen Menschenhändlerbanden auszuschließen. Die unterbreiteten Tatsachen beweisen, dass das noch immer nicht geschehen ist.
Es bedarf keiner weiteren Erklärung, um festzustellen,
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dass das, was sich hier zeigt, im Wesen der Existenz und verbrecherischen Tätigkeit der kriminellen Menschenhändlerbanden begründet liegt und deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tatsache steht, dass der Senat von Berlin (West) trotz wiederholter nachdrücklicher Aufforderung und entgegen seinen Verpflichtungen bisher keine wirksamen Maßnahmen zur Unterbindung der Existenz und Tätigkeit dieser kriminellen Vereinigungen und ihrer Verbrechen getroffen hat,
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dass die Existenz und die ständige Ausweitung der Verbrechen der kriminellen Menschenhändlerbanden
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den Reise- und Besucherverkehr sowie den Transitverkehr – an deren reibungslosen und großzügigen Abwicklung der Senat von Berlin (West) stets außerordentliches Interesse bekundet – beeinträchtigt,
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Leben und Gesundheit sowohl von Bürgern der DDR als auch einreisender oder transitierender Einwohner von Berlin (West) außerordentlich gefährden,
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die Beziehungen zwischen der DDR und Berlin (West) unnötigerweise belasten und Maßnahmen zur weiteren Normalisierung des Verhältnisses erschweren.
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Die Regierung der DDR fordert den Senat von Berlin (West) erneut und mit allem Nachdruck auf, nunmehr endlich entsprechend seinen Verpflichtungen die erforderlichen konkreten Maßnahmen zur wirksamen Unterbindung der völkerrechtswidrigen, in hohem Maße auch gegen die Interessen der DDR und ihrer Bürger gerichteten Existenz und verbrecherischen Tätigkeit der hinlänglich bekannten kriminellen Vereinigungen zu treffen.
Es wird erwartet, dass der Senat von Berlin (West) über die diesbezüglichen Maßnahmen alsbald die Regierung der DDR informiert.3