Flucht eines Arztes über die Ostsee im Raum Boltenhagen
15. Oktober 1976
Information Nr. 719/76 über das am 9. Oktober 1976 erfolgte ungesetzliche Verlassen der DDR durch den Arzt [Name] im Raum Boltenhagen, Kreis Grevesmühlen, Bezirk Rostock
Die durch das Ministerium für Staatssicherheit im Zusammenhang mit dem ungesetzlichen Verlassen der DDR durch den [Name des Arztes], geboren am: [Tag] 1947, ledig; wohnhaft gewesen: Schönberg, Kreis Grevesmühlen, [Adresse], tätig gewesen als Arzt im Krankenhaus Boltenhagen, bisher durchgeführten Überprüfungen ergaben:
[Der Arzt] verließ in den Nachtstunden vom 9. Oktober zum 10. Oktober 1976 im Raum Boltenhagen über die Ostsee schwimmend die DDR.1
Am Strand wurden dem [Arzt] gehörende Bekleidungsstücke sowie ein Beutel mit Resten von Schweineschmalz aufgefunden, mit dem er sich vor der Ablandung offensichtlich präparierte.
[Der Arzt] war vom 1. November 1966 bis 26. April 1968 Angehöriger der NVA und wurde als Unteroffizier der Reserve entlassen. Anschließend studierte er bis 1974 an der Universität Rostock und promovierte nach bestandenem Staatsexamen am [Datum] 1975 auf dem Gebiet der Pharmakologie.
Während des Studiums, im Frühjahr 1973, hatte [der Arzt] beim Kaderleiter des Medizinischen Dienstes des Verkehrswesens in Rostock vorgesprochen und Erkundigungen über Möglichkeiten seines Einsatzes als Bordarzt nach Beendigung seines Studiums eingezogen. Da sich [der Arzt] zu diesem Zeitpunkt für eine Facharztausbildung auf dem Gebiet der Inneren Medizin entschieden hatte, wurde ihm erklärt, dass für Bordärzte keine Internisten, sondern Fachärzte für Allgemeinmedizin benötigt werden. In der Folgezeit hat sich [der Arzt] weder offiziell für den Einsatz als Bordarzt beworben noch anderweitig diesbezügliche Aktivitäten unternommen.
Vor Abschluss des Studiums an der Universität Rostock entschied sich [der Arzt] – entgegen seinem früheren Entschluss – für die Ausbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin und wurde daraufhin ab 1. September 1974 als Assistenzarzt im Krankenhaus Schönberg, Kreis Grevesmühlen, zur weiteren Ausbildung auf diesem Fachgebiet eingesetzt. Mit Wirkung vom 15. Januar 1976 erfolgte dann sein Einsatz im Krankenhaus Boltenhagen in der ambulanten Station.
Aufgrund seines persönlichen Wunsches wurde Ende September dieses Jahres die bisherige Facharztausbildungsrichtung Allgemeinmedizin geändert und als neue Ausbildungsrichtung Chirurgie festgelegt.
Damit im Zusammenhang wurde durch die ärztliche Direktorin des medizinischen Zentrums Grevesmühlen entschieden, dass [der Arzt] mit Wirkung vom 15. Oktober 1976 zum Krankenhaus Schönberg zurückversetzt wird.
Wie die weiteren Überprüfungen ergaben, war [der Arzt] seit 1962 Mitglied des sozialistischen Jugendverbandes. Er ist weder aus der FDJ ausgeschlossen worden, noch trat er selbst aus.2 Während seiner Studienzeit übte er die Funktion eines FDJ-Sekretärs einer Studiengruppe aus. Er gehört seit 1968 dem FDGB an und war seit 1971 Mitglied der DSF, des DTSB und des DRK.
Der 68-jährige Vater des [Arztes] ist in [Ort], Kreis Ribnitz-Damgarten, als Arzt tätig. Er befindet sich zurzeit zu einem Besuchsaufenthalt in der BRD (8.10.–18.10.1976). Die beiden Schwestern des [Arztes] sind ebenfalls als Ärztinnen in der DDR tätig.
Die Untersuchungen werden durch das MfS fortgesetzt.