Fund von selbst gefertigten »Hetzschriften« in Quedlinburg
23. August 1976
Information Nr. 582/76 über den Fund von selbst gefertigten Hetzschriften in Quedlinburg/Halle
In den Morgenstunden des 20. August 1976 wurden an mehreren Stellen der Stadt Quedlinburg/Halle insgesamt 13 selbst gefertigte Hetzschriften gefunden, deren Texte mit blauem Kugelschreiber in ausgeschriebener Handschrift auf weiße Briefumschläge geschrieben waren.
Die Texte hatten folgenden Wortlaut:
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»Die Menschenrechte werden in der DDR in den Dreck gezogen.« – (1 Exemplar)
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»Der Sozialismus hat 20 Milliarden Schulden an den Kapitalismus. Der Sozialismus braucht zehn Weißmacher, um sich reinzuwaschen.« – (1 Exemplar)
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»Ein Leben in Freiheit – nur in der BRD.« – (3 Exemplare)
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»Hoch lebe Kohl, Strauß, Biedenkopf – die Humanisten der ersten Stunde. Auch Schmidt, Genscher und die gesamte SPD/FDP wird sich ihrer Macht bewusst werden.« – (1 Exemplar)
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»Hoch lebe die BRD, die einzige Regierung, die die Menschenrechte achtet.« – (3 Exemplare)
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»Man kann das Unrecht nicht zählen – die UNO muss her.« – (1 Exemplar)
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»Ich will die Freiheit, die die DDR nicht meint. Nieder mit dem Pseudosozialismus.« – (1 Exemplar)
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»Ein sozialistischer Staat – VP, Kampfgruppe, Volksarmee, Staatssicherheitsdienst, ABV, Luftschutzdienst, Verkehrspolizei, Polizeihelfer, Transportpolizei, Zoll, Armee, Grenze, Spitzel, Feuerwehr, Seepolizei – bei 17 Mio. Menschen.« – (1 Exemplar)
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»Aschersleben, Magdeburg, Dresden, Thale, Waldheim, Volkstedt, Bitterfeld, Rummelsburg, Saßnitz, die ganze Ostseeküste ein Strafgefangenenlager.« – (1 Exemplar)
Die durch das MfS eingeleiteten Ermittlungen führten noch am 20. August 1976 zur Festnahme des [Name des Verfassers], geboren am [Tag] 1943, wohnhaft Quedlinburg, [Adresse], beschäftigt als Produktionsarbeiter im VEB [Name des Betriebes] (Arbeitsplatzbindung), Familienstand: geschieden, Mitglied des FDGB, der geständig ist, die Hetzschriften mit dem Ziel der Schädigung der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung hergestellt und verteilt zu haben.
Gegen den [Verfasser] wurde gemäß § 106 StGB – Staatsfeindliche Hetze – ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und auf gleicher Rechtsgrundlage Haftbefehl erlassen.
Die bisherigen Untersuchungen ergaben Folgendes:
Am 20. August 1976, gegen 1.00 Uhr fasste [der Verfasser] den Entschluss, in Form von staatsfeindlicher Hetze gegen die DDR tätig zu werden. Inspiriert dazu wurde [der Verfasser], der zu diesem Zeitpunkt unter Alkoholeinfluss stand, nach eigenen Angaben durch einen Artikel der Zeitung »Freiheit«,1 der sich mit der BRD befasste.2
In der Zeit zwischen 1.00 bis 3.30 Uhr beschriftete der [Verfasser] daraufhin ca. 30 Briefumschläge mit den vorgenannten Hetzlosungen. Im Anschluss daran verließ [der Verfasser] seine Wohnung und legte die Hetzschriften an öffentlichen Stellen des Stadtgebietes von Quedlinburg ab. Er handelte dabei insbesondere mit der Zielstellung, dadurch bei den Lesern dieser Hetzschriften die gleiche feindliche Einstellung zur DDR, die er selbst besitzt, hervorzurufen und ähnliche Aktivitäten durch diese auszulösen.
Der [Verfasser] lehnt die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR grundsätzlich ab und steht ihr feindlich gegenüber. Zu dieser feindlichen Einstellung sei er nach seinen Angaben insbesondere aufgrund der ihm wiederholt auferlegten Freiheitsstrafen und durch negative Beeinflussung seitens anderer Strafgefangener im Strafvollzug gelangt.
Der [Verfasser] ist seit 1961 bereits zehnmal vorbestraft und verbüßte u. a. wegen Verstößen gegen das Passgesetz, Staatsverleumdung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Rowdytum und Körperverletzung mehrere Freiheitsstrafen (insgesamt fünf Jahre und neun Monate).
Aufgrund dessen und der gegen ihn gemäß § 48 StGB durch die DVP eingeleiteten Kontrollmaßnahmen zur Verhütung erneuter Straffälligkeit (wöchentliches Vorstellen bei der zuständigen Abteilung Kriminalpolizei) habe er sich in der DDR »unfrei« gefühlt.
Während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe im Jahre 1975 stellte [der Verfasser] beim Rat des Kreises Quedlinburg einen Antrag auf Übersiedlung in die BRD. Nach der Entlassung aus dem Strafvollzug zog er diesen Antrag jedoch wieder zurück, da er eine Lebensgefährtin kennen gelernt hatte. Ein neuer Antrag liegt nicht vor.
Die Untersuchungen werden fortgesetzt.