Grenzverletzung Bundesrepublik–DDR, Willi Bubbers
28. Juli 1976
Information Nr. 531/76 über von BRD-Seite aus erfolgte Verletzungen der Staatsgrenze der DDR am 24. Juli 1976
Am 24. Juli 1976, gegen 15.30 Uhr wurde nach ungesetzlichem Eindringen in das Gebiet der DDR im Abschnitt Dechow, Ortsteil Groß-Thurow, Kreis Gadebusch, Bezirk Schwerin, durch Angehörige der Grenztruppen der DDR unter Anwendung der Schusswaffe ein Grenzverletzer festgenommen.1 Er trug keine Personaldokumente bei sich und machte folgende Angaben zu seiner Person:
Bubbers, Willi, Heinrich, Eduard, geboren am [Tag] 1925, wohnhaft in: Hamburg-74, [Adresse], Beruf: Dreher [weitere persönliche Angabe].
Die im Zusammenhang mit der Festnahme erfolgten Überprüfungen zu den näheren Umständen des Eindringens in die DDR ergaben:
Gegen 15.15 Uhr stellten die in diesem Abschnitt eingesetzten zwei Angehörigen der Grenztruppen auf dem Beobachtungsturm 11 (BT) einen aus der BRD auf der ehemaligen Fernverkehrsstraße 208 kommenden Pkw vom Typ »Audi« fest, der ca. 200 m vor der Staatsgrenze anhielt. Dem Pkw entstieg eine männliche Person, bekleidet mit einem blauen Turnhemd, weißen Shorts und Sandaletten. Die Person trug ein Fernglas bei sich und begab sich 72 m auf das Territorium der DDR bis 0,50 m an den pioniertechnisch gesicherten Grenzsicherungszaun (Streckmetallzaun). Unabhängig von der Beobachtung der Grenzsicherungskräfte auf dem BT 11 bemerkte eine aus zwei Angehörigen der Grenztruppen bestehende Kontrollstreife, nachdem sie während ihres Kontrollganges aus einer im Geländerelief vorhandenen Senke herauskamen, diesen Grenzverletzer.
Die Kontrollstreife wurde durch den Grenzverletzer mit den Worten: »Mit eurer Gesellschaftsordnung bin ich ja einverstanden, aber der Zaun gefällt mir nicht« angesprochen. Als die Kontrollstreife darauf nicht reagierte, äußerte der Grenzverletzer: »He Boys, ihr dürft wohl nicht mit mir sprechen, ich habe zwar etwas getrunken, aber trotzdem bin ich ganz lustig.«
Der Postenführer der Kontrollstreife begab sich – ohne auf die Bemerkungen des Grenzverletzers zu reagieren – ca. 6 m weiter, um bei einem möglichen Schusswaffengebrauch im Zusammenhang mit der Festnahme des Grenzverletzers nicht in Richtung der schon erwähnten, auf BRD-Gebiet verlaufenden ehemaligen Fernverkehrsstraße 208 schießen zu müssen.
Danach forderte der Postenführer der Grenztruppen den Grenzverletzer – der während des Standortwechsels am Grenzsicherungszaun in gleicher Höhe mitgelaufen war – mit den Worten: »Halt, Grenzposten, stehen bleiben oder ich schieße« zum Stehenbleiben auf, wobei er die Maschinenpistole durchlud.
Der Grenzverletzer äußerte darauf: »Das könnt ihr doch nicht machen, ich bin bloß aus Blödsinn hergekommen« und begab sich nach diesen Worten in Richtung BRD zurück.
Durch die anderen Angehörigen der Kontrollstreife erfolgte gegenüber dem Grenzverletzer eine nochmalige Aufforderung, stehen zu bleiben, worauf dieser abermals nicht reagierte. Daraufhin gaben die Angehörigen der Kontrollstreife jeweils einen Warnschuss ab. Der Grenzverletzer, der sich zu diesem Zeitpunkt ca. 3 bis 5 m vom Grenzsicherungszaun in Richtung BRD entfernt hatte, ließ sich sofort zu Boden fallen, blieb ca. 30 Sekunden liegen, sprang wieder auf und lief weiter in Richtung BRD-Gebiet. Nachdem er ca. 5 m gelaufen war, gaben die Angehörigen der Kontrollstreife gezieltes Feuer ab. Nach dem ersten Feuerstoss fiel der Grenzverletzer zu Boden und versuchte kriechend die Staatsgrenze zu erreichen. Daraufhin wurden durch die Angehörigen der Kontrollstreife weitere Feuerstöße abgegeben.
Nachdem um 15.33 Uhr die in diesem Grenzabschnitt installierten pioniertechnischen Sicherungsanlagen außer Betrieb gesetzt waren, wurde der Grenzverletzer gegen 15.35 Uhr geborgen. Er befand sich zu diesem Zeitpunkt noch 19 m auf dem Territorium der DDR.
In der Zeit von 16.15 Uhr bis 20.38 Uhr führten Angehörige des Bundesgrenzschutzes, des Zollgrenzdienstes und der Polizei in diesem Abschnitt umfangreiche Beobachtungs- und Aufklärungsmaßnahmen durch.
Weiterhin hielten sich mehrere Gruppen von Zivilpersonen gegenüber dem Ereignisort auf BRD-Territorium auf. Dabei erfolgten durch die gegnerischen Kräfte Film- und Fotoaufnahmen.
Um 20.15 Uhr richtete der Grenzinformationspunkt 1 Lübeck-Schlutup folgende Anfrage an den Grenzinformationspunkt Selmsdorf/DDR: »Am 24. Juli 1976, um 15.20 Uhr wurde eine männliche Person von der BRD an der Straße 208 schwer verletzt und von ihren Soldaten in die DDR abtransportiert. Um Angaben zur Person werden sie gebeten.«
Die Anfrage wurde durch den Diensthabenden der Grenzübergangsstelle Selmsdorf wie folgt beantwortet: »Ich habe die Information verstanden, ich werde sie weiterleiten.« Eine andere Antwort erfolgte nicht.
Am 25. Juli 1976, in der Zeit von 18.30 bis 19.30 Uhr wurden auf BRD-Territorium, Fernverkehrsstraße 208, ca. 60 m von der Staatsgrenze zur DDR entfernt eine Fahne der BRD und fünf Transparente, Größe 100 cm mal 50 cm, mit folgenden Hetzlosungen aufgestellt:
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»Kommunismus – Diktatur«
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»Weg mit den Todesautomaten und Schießbefehl«
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»Freiheit für alle Deutschen«
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»Deutschland – Einigkeit«
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»Aus Liebe zu Deutschland – Freiheit statt Sozialismus«.
In der Zeit von 20.30 bis 20.58 Uhr des gleichen Tages wurde unter Teilnahme von 140 Zivilpersonen – abgesichert durch 16 Angehörige des Bundesgrenzschutzes und sechs Polizisten – am gleichen Ort eine Hetzveranstaltung, organisiert durch die »Junge Union« aus Lauenburg, durchgeführt.
Auf dieser Hetzveranstaltung ergriffen die Revanchisten Alexander von Bismarck, Dr. Uwe Barschel und Olaf von Wrangel das Wort.
Der wesentliche Inhalt ihrer Hetzreden richtete sich gegen die Sicherung der Staatsgrenze und die führenden Repräsentanten der DDR.
Durch den Leiter der BRD-Abteilung im MfAA der DDR, Seidel, wurde am 25. Juli 1976 gegenüber dem Leiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Gaus, gegen die Grenzprovokation des Bubbers Protest erhoben. Eine durch Gaus am 26. Juli 1976 im Auftrage der BRD-Regierung an den Stellvertreter des Außenministers der DDR, Nier, übergebene Note der Bundesregierung, in der im Zusammenhang mit diesem Vorfall »scharfer Protest« erhoben wurde, wurde zurückgewiesen. Gen[osse] Nier protestierte erneut gegen die in letzter Zeit zunehmenden provokatorischen Verletzungen der Staatsgrenze der DDR vom Territorium der BRD aus.
In seiner ersten Vernehmung vom 26. Juli 1976 bestätigte Bubbers im Wesentlichen den eingangs dargestellten Sachverhalt, erklärte aber, dass er Einzelheiten des Geschehens hinsichtlich der Reihenfolge nicht mehr genau sagen könne, da er sehr aufgeregt gewesen und in Panik geraten sei. Er sagte weiter, dass er leichtsinnig gehandelt habe und bezeichnete sich sinngemäß als neugierig. Zu seiner Person führte er u. a. aus, dass er seit 1950 Mitglied des DGB sei und sich politisch nicht anderweitig betätigt habe. [Streichung eines Satzes zur Wahrung überwiegender schutzwürdiger Interessen gemäß StUG.]
Entsprechend einem Gutachten des Direktors des Instituts für Gerichtliche Medizin des Bezirkes Schwerin wurden zu den Verletzungen und dem derzeitigen Gesundheitszustand folgende Feststellungen getroffen:
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ein Steckschuss am linken Oberarm wurde chirurgisch entfernt,
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ein glatter Durchschuss am rechten Oberschenkel verursachte keine Knochen-, Nerven- und größere Gefäßverletzungen,
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ein Streifschuss am Rücken, dicht neben dem rechten Rand des linken Schulterblattes in einer Länge von ca. 10 cm, verletzte das Unterhautgewebe, ohne weitere Komplikationen hervorzurufen.2
Da es infolge der Schussverletzungen nicht zur Durchtrennung größere Blutgefäße oder Knochen kam, sind die Heilungsaussichten primär als günstig anzusehen, was durch den bisherigen klinischen Verlauf vollauf bestätigt wird. Es besteht keine akute Lebensgefahr, und es ist auch nicht mehr mit einer derartigen Situation zu rechnen. Bubbers ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unter ärztlicher Aufsicht liegend transportfähig. Es ist nicht anzunehmen, dass bei Bubbers Nachfolgeschäden eintreten werden.
Am 28. Juli 1976 erhielt die Ehefrau des Bubbers die Genehmigung zum Besuch ihres Mannes, der sie davon telegrafisch in Kenntnis setzte und ihr mitteilte, dass ihre Einreisedokumente an der GÜST Schwanheide hinterlegt worden sind.
Am 24. Juli 1976, 13.10 Uhr, drangen im Grenzabschnitt am Essenberg bei Schnellmannshausen, Kreis Eisenach, Bezirk Erfurt, die Bürger der BRD [1. BRD-Bürger], geboren am [Tag] 1939, wohnhaft: Bochum, [Adresse], Hotelangestellter im Hotel [Name und Adresse], [2. BRD-Bürger], geboren am [Tag] 1969, Schüler (Sohn des [1. BRD-Bürgers]) und [ein Bürger der Niederlande], geboren am [Tag] 1938, wohnhaft: Bochum, [Adresse], selbstständiger Reisevertreter, in das Gebiet der DDR ein.
Der Aufforderung durch einen Offizier der Grenztruppen – der sich in diesem Abschnitt mit zwei weiteren Soldaten freundwärts der Grenzsicherungsanlagen zum Holzeinschlag aufhielt –, stehen zu bleiben, folgten die Grenzverletzer widerspruchslos.
Durch eine auf Veranlassung des Offiziers der Grenztruppen zwischenzeitlich eingetroffene Alarmgruppe des Grenzbataillons Schnellmannshausen wurden die Grenzverletzer zunächst zum Grenzbataillon und von dort aus um 16.00 Uhr zum Volkspolizeikreisamt Eisenach überführt. Vor der Überführung von der Staatsgrenze zum Grenzbataillon waren den Grenzverletzern die Augen verbunden worden. (Eine entsprechende Weisung zur Erhöhung der Sicherheit im Zusammenhang mit der Festnahme von Grenzverletzern und deren zeitweiligen Aufenthalt an den Grenzsicherungsanlagen und in Objekten der Grenztruppen war durch den Kommandeur des Grenzregiments Mühlhausen am 7. Juli 1976 für den Bereich seines Regiments erlassen worden.)
Die geführten Untersuchungen zu den näheren Umständen des Grenzübertritts ergaben:
Der [1.] BRD-Bürger hält sich seit dem 19. Juli 1976 mit seiner Familie in der Wohnung seiner Schwiegereltern [Name], Weißenborn, Ortsteil Rambach, [Adresse], auf. Am 23. Juli 1976 kam der niederländische Bürger [Name] mit seiner Ehefrau zu Besuch nach Rambach. Die festgenommenen Personen unternahmen am 24. Juli 1976 einen Spaziergang zum Aussichtspunkt Dreiherrenstein und hatten die Absicht, über den Heldrastein zurück nach Rambach zu laufen. Dazu benutzten sie einen Weg entlang der Staatsgrenze der DDR und verletzten dabei aus Unkenntnis unbeabsichtigt das Territorium der DDR. Die Grenzverletzer wurden am 24. Juli 1976, 20.25 Uhr, über die Grenzübergangsstelle Wartha in die BRD ausgewiesen.
Am 24. Juli 1976, 18.17 Uhr, drang eine unbekannte männliche Person, ca. 24 bis 25 Jahre alt, im Abschnitt Bonese, Kreis Salzwedel, Bezirk Magdeburg, zwischen den Grenzsäulen 471 und 472, mit einem Pkw vom Typ »Mercedes«, Kennzeichen […], ca. 15 m in das Gebiet der DDR ein. Beim Versuch, das Fahrzeug zu wenden und wieder auf BRD-Gebiet zurückzufahren, blieb es stecken.
Durch Angehörige der Grenztruppen wurde die Person aufgefordert, unverzüglich das Territorium der DDR zu verlassen, worauf diese äußerte, »in die DDR kommen zu wollen«. Die Person leistete der Aufforderung jedoch unverzüglich Folge und verließ das Territorium der DDR. Auf BRD-Seite bestieg die unbekannte männliche Person einen hinzugekommenen, mit zwei weiblichen Personen besetzten Pkw und fuhr mit diesem ins Hinterland zurück. Der Pkw »Mercedes« verblieb an seinem Standort auf DDR-Gebiet.
Der Pkw wurde durch Kräfte der Grenztruppen geborgen. Zum Zeitpunkt der Bergung befanden sich auf westlichem Gebiet ein Zollkommissar, drei Angehörige des Bundesgrenzschutzes und vier Zivilpersonen, darunter der Grenzverletzer. Irgendwelche Reaktionen erfolgten nicht. In der Zwischenzeit ist der BRD-Seite angeboten worden, den Pkw abzuholen.
Nach dem MfS intern vorliegenden Informationen wurden durch Grenzüberwachungsorgane der BRD, insbesondere des Bundesgrenzschutzes, am 26. Juli 1976 auf BRD-Gebiet – unmittelbar gegenüber den Grenzabschnitten Dechow und Bonese – mit der Überprüfung, ob die Anzahl der Hinweisschilder ausreicht, die auf den Verlauf der Grenze hinweisen, begonnen.
Weiterhin wurden durch Kräfte des Bundesgrenzschutzes die am 24. Juli 1976 in die BRD ausgewiesenen Personen [1. BRD-Bürger] und [Bürger der Niederlande], die zuvor widerrechtlich in das Gebiet der DDR eingedrungen waren, einer ausführlichen Befragung unterzogen. Wie weiter intern bekannt wurde, stellten Angehörige des BRD-Grenzzolldienstes am 25. Juli 1976 fest, dass in der Nähe des Ortes Dippach (BRD) ein Grenzstein von unbekannten Personen ausgegraben und entfernt worden war. Der zuständige Sicherheitsoffizier des Bundesgrenzschutzes veranlasste am folgenden Tag Nachforschungen zur Ermittlung der Täter.
Staatssekretär Bölling teilte während einer Pressekonferenz am 26. Juli 1976 mit, wie der Grenzverlauf gekennzeichnet sei und erklärte, jeder Besucher an der Grenze zur DDR sollte sich im eigenen Interesse vergewissern, wo die Grenze genau verläuft. Die Grenzsicherungsanlagen der DDR würden nicht den Verlauf der Grenze kennzeichnen, sondern befänden sich auf dem Territorium der DDR.
Am 28. Juli 1976 verlas Staatssekretär Bölling eine Erklärung des BRD-Bundeskanzlers, die nach einer Kabinettssitzung mit Zustimmung der Kabinettsmitglieder abgegeben wurde.3
Beater [Unterschrift handschriftlich]