Hinweise im Zusammenhang mit dem Ausreiseantrag eines Pfarrers
7. Dezember 1976
Information Nr. 860/76 über Hinweise, die im Zusammenhang mit der Antragstellung des Pfarrers [Name] aus [Ort], Kreis Sangerhausen, Bezirk Halle auf Übersiedlung in die BRD bekannt wurden
Dem MfS wurde zuverlässig bekannt, dass der evangelische Pfarrer [Name], geboren am [Tag] 1939, wohnhaft in [Adresse], tätig als Pfarrer in der Gemeinde [Ort], Kreis Sangerhausen, Bezirk Halle, am 30. September 1976 beim Rat des Kreises […], Abteilung Inneres, einen Antrag auf Übersiedlung in die BRD für sich, seine Ehefrau [Name], geboren am [Tag] 1940, tätig als Verkaufsstellenleiterin der [Betrieb] sowie den drei aus dieser Ehe hervorgegangenen Kindern [Name] (16) Schüler, [Name] (11) Schülerin und [Name] (3) stellte.
Dem MfS wurde zur Person des Pfarrers [Name] in diesem Zusammenhang vertraulich bekannt, dass er in einem Schreiben an Bischof Krusche den Antrag auf Freigabe für einen pfarramtlichen Dienst in der BRD stellte. Er begründete diesen Antrag damit, angeblich »seit den Vorfällen um Pfarrer Brüsewitz unter ständiger Beobachtung zu stehen, einem laufenden Druck durch staatliche Stellen ausgesetzt zu sein und dadurch in der DDR nicht mehr leben zu können«. Gleichfalls brachte [der Pfarrer] in diesem Schreiben Selbsttötungsabsichten zum Ausdruck. (Im Zusammenhang mit der Selbsttötung von Pfarrer Brüsewitz äußerte sich [der Pfarrer] offen gegen die Haltung der Kirchenleitung der evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und beabsichtigte, anlässlich der Bestattung von Brüsewitz aus Protest demonstrativ seinen Talar zu verbrennen. Seine negative Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung kommt weiterhin in seiner solidarischen Haltung zu dem provokatorischen Auftreten des zwischenzeitlich in die BRD übergesiedelten Pfarrers Latk zum Ausdruck. Auf der Basis dieser Haltung beeinflusste [der Pfarrer] in der Vergangenheit auch Personen aus seiner Kirchengemeinde negativ.)
Der schriftliche Antrag des Pfarrers [Name] wurde internen Informationen zufolge durch den Freigabeausschuss des evangelischen Konsistoriums Magdeburg behandelt. Insbesondere wurde geprüft, inwieweit die von [dem Pfarrer] erhobenen Verdächtigungen den Tatsachen entsprechen. Im Ergebnis dieser Prüfung wurde der Antrag auf einer am 26. November 1976 unter Teilnahme von Bischof Krusche stattgefundenen Sitzung der Kirchenleitung abgelehnt und die von [dem Pfarrer] ausgesprochenen Verdächtigungen als unreal zurückgewiesen.
[Angaben zur Person des Pfarrers]. Gleichzeitig wurde als Ablehnungsgrund des Antrages die Tatsache gewertet, dass [der Pfarrer] wegen seiner theologisch weniger guten Ausbildung [Name der Ausbildungsstätte] und Kenntnisse, seiner teilweise in Widerspruch zur Leitung der Landeskirche stehenden Einstellung sowie seiner offen gezeigten negativen Haltung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung weder für einen Dienst in einem Pfarramt in der DDR noch in einem der BRD besonders gut geeignet sei. Der ablehnende Bescheid wurde Pfarrer [Name] mitgeteilt. Durch das Konsistorium wird derzeit geprüft, welche Tätigkeit er in Zukunft ausüben könnte.
Dem durch Pfarrer [Name] eingereichten Antrag auf Übersiedlung in die BRD wurde durch die Abteilung Inneres des Rates des Kreises Sangerhausen zugestimmt ([der Pfarrer] hat davon noch keine Kenntnis).
Es wird vorgeschlagen, im Interesse der Gewährleistung der Öffentlichen Sicherheit und Ordnung und der Vorbeugung eventueller Kurzschlusshandlungen seitens der Person [des Pfarrers] den bereits vom Rat des Kreises Sangerhausen befürworteten Ausreiseantrag vom Ministerium des Innern zu bestätigen.
Weiter wird vorgeschlagen, seitens der zuständigen staatlichen Organe der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in der DDR und der Kirchenleitung der Kirchenprovinz Sachsen mitzuteilen, dass gegen eine Übersiedlung des Pfarrers [Name] in die BRD staatlicherseits keine Einwände erhoben werden und es nun in der Verantwortung der Kirchenleitungen liege, dieses Problem schnellstens zu klären.
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