Jahrestagung des Ökumen. Arbeitskreises für Information in Eisenach
10. Mai 1976
Information Nr. 352/76 über die Jahrestagung des Ökumenischen Arbeitskreises für Information (ÖAI) in Europa vom 27. bis 30. April 1976 in Eisenach
Vom 27. bis 30. April 1976 tagte im Objekt der Lutherischen Landeskirche Thüringen »Hainstein« in Eisenach der Ökumenische Arbeitskreis für Information in Europa.
(Der Ökumenische Arbeitskreis versteht sich als Arbeitsgemeinschaft kirchlicher und mit kirchlich-ökumenischen Fragen befasster Journalisten und Publizisten. In Eisenach führte der ÖAI seine Jahrestagung für 1976 durch. Die Jahrestagungen werden vorbereitet und einberufen durch ein Exekutivkomitee, das auch zwischen den Jahrestagungen mehrmals zusammentritt. Die Jahrestagungen finden jeweils in einem anderen europäischen Land statt, bisher vorwiegend in nichtsozialistischen, 1976 erstmalig in der DDR. Der ÖAI ist selbstständig und keiner klerikalen Institution unterstellt; er verfolgt das Ziel, klerikale Nachrichten stärker in der Presse zu verbreiten. Im Allgemeinen war im ÖAI bisher eine starke prowestliche Prägung zu erkennen.)
Insgesamt nahmen an der Jahrestagung in Eisenach 70 Personen aus zwölf europäischen Ländern teil. Darunter befanden sich 60 Journalisten, und zwar 25 aus nichtsozialistischen Ländern und 35 aus sozialistischen Ländern. Aus der DDR nahmen 28 Journalisten und Theologen an der Jahrestagung teil.
Die Tagung arbeitete unter dem zentralen Thema: »Kirche im Sozialismus – christliche Gemeinde in nachvolkskirchlicher Zeit.« In zwei Arbeitsgruppen wurden die Themen
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die Welt in der kirchlichen Presse,
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die Kirche in der weltlichen Presse
behandelt.
Zum Verlauf der Jahrestagung wurde Folgendes bekannt:
Zur Begrüßung sprach der Verantwortliche des Vorbereitungskomitees, Günter Lorenz, Evangelischer Nachrichtendienst, Berlin/DDR. Die Eröffnung der Jahrestagung erfolgte durch den Vorsitzenden des ÖAI, Hans-Wolfgang Hessler, Frankfurt/M./BRD. H. betonte den Wert der Arbeit der Publizisten, der vor allem daran zu messen sei, wenn Ost und West zusammenarbeiten. Das Gespräch müsste unter diesem Aspekt mit großer Offenheit in der Kommunikation weitergeführt werden, um die Ergebnisse von Helsinki tatsächlich zu verwirklichen.1 Es ginge auf der Tagung darum, den Informationsaustausch in Zukunft zu verbessern und zu erörtern, wie die gesamte Arbeit weiter intensiviert werden könne.
Bischof Braecklein begrüßte die Gäste im Auftrage des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und als Gastgeber im Auftrage der Landeskirche Thüringen. Er hob hervor, dass sich die Gäste im »Mutterland der Reformation« befänden und die Gelegenheit wahrnehmen sollten, Land und Leute tatsächlich kennenzulernen. Er hob hervor, die Kirche in der DDR lebe nicht gegen, nicht neben, sondern im Sozialismus, und er sei von diesem gemeinsamen Weg überzeugt. In seiner 40-jährigen Tätigkeit als Pfarrer habe er noch nie so deutlich wie in der DDR gespürt, welche Möglichkeiten die Christen hätten.
Den Grundsatzvortrag hielt Kirchenpräsident Dr. Appel, Straßburg/Frankreich, zum Thema »Die Kirche in einem um Zusammenarbeit und Verständigung bemühten Europa«. Er führte u. a. aus, dass das Verhältnis zwischen Staat und Kirche oft unsicher sei, aber diese Unsicherheit treffe nach seinen Kenntnissen viel mehr auf kapitalistische Staaten, besonders auf Lateinamerika, zu. Er forderte die Journalisten auf zu prüfen, ob Europa ernsthaft um Zusammenarbeit bemüht sei und wie die Situation nach der KSZE zu beurteilen ist. Appel schätzte ein, nach der KSZE habe sich vieles verbessert, jedoch müsste das Ost-West-Problem auf die Nord-Süd-Fragestellung ausgedehnt werden. Die Notwendigkeit einer Verständigung begründete er wie folgt:
- 1.
Es müssten neue Auseinandersetzungen vermieden werden; die Gefahr eines Atomkrieges sei zu bannen.
- 2.
Die wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit bringt Frieden und Sicherheit, dadurch werde die Entwicklung der Lebensbedingungen gefördert. Es müsse aber geprüft werden, ob damit auch humanistische Bedingungen gegeben sind.
Beides erfordere, christlicherseits mehr in die Tiefe zu gehen und Versöhnung im kirchlichen Sinne zu erreichen. Im weiteren Verlauf gab Appel eine allgemeine Darstellung, wie der Weltkirchenrat und die KEK (Konferenz Europäischer Kirchen) auf die KSZE reagiert haben. Unter anderem erwähnte er, die Fragen der Menschenrechte und der Religionsfreiheit müssten besonders betont werden. Diese Probleme sollten ausdiskutiert werden.
Er forderte die Journalisten auf, folgende Fragen zu behandeln:
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Wie sind die Ergebnisse der KSZE bekannt?
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Wie wird der Geist der KSZE bewertet, positiv oder negativ?
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Wie werden die Gedanken der Religionsfreiheit gewertet?
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Welche Rechte haben die Kirchen?
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Was haben die Kirchen nach der KSZE bisher unternommen?
Zu diesen Fragen werde auch der Weltkirchenrat in seiner Zentralausschusssitzung im Juli 1976 in Genf Stellung nehmen.
Am 28. April 1976 fand eine Begegnung der Tagungsteilnehmer mit Bischof Schönherr, Vorsitzender des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR, statt. In einer Informations- und Fragestunde wurden u. a. folgende Probleme und Fragen erörtert:
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Schönherr informierte umfassend zur »Zeugnis- und Dienstgemeinschaft« in der DDR. In sachlicher Information stellte er die Situation in der DDR dar. Schönherr wertete die Vorbereitung des IX. Parteitages2 positiv. Er sagte: »Die Kirche will Partner sein, sie will im Sozialismus anwesend sein.«
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Buchala, VR Polen, fragte: »Was werden die DDR-Kirchen tun, wenn sie nicht im Parteiprogramm genannt werden?«
Schönherr antwortete darauf: »Wir würden es zwar gern sehen, wenn dem aber nicht so ist, geht das Leben auch so weiter.«
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Schaedel, Publizist aus Österreich, fragte: »Hat die DDR schon auf den Brief des Generalsekretärs Potter zu Menschenrechtsproblemen geantwortet?«3
Schönherr hierzu: »Nein«.
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Dr. König, Lutherischer Weltbund, Journalist, fragte: »Gibt es in der DDR Öffentlichkeitsarbeit der Kirche?«
Schönherr erklärte die Zusammenhänge der Öffentlichkeitsarbeit in der DDR und gab eine positive Wertung.
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Henkys, epd Westberlin, Journalist, wollte im Zusammenhang mit den von Schönherr genannten Zahlen zur Christenlehre wissen, ob 11 Prozent aller Kinder in der DDR oder 11 Prozent der getauften Kinder in der DDR die Christenlehre besuchen.
Schönherr antwortete: »11 Prozent aller Kinder in der DDR.«
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Roepke, EKD Hannover, Oberkirchenrat für Öffentlichkeitsarbeit, fragte: »Was geschieht mit den alten Kirchen in der DDR?« Schönherr antwortete: »Außer an historischen Bauten gibt es an diesen Kirchen kein Interesse. Der Staat ist vorsichtig, er reißt keine Kirchen ab, übernimmt aber auch keine Gebäude, bis auf wenige Ausnahmen, so z. B. in Frankfurt/O., wo eine Kirche als Konzerthalle genutzt wird.« Roepke wollte weiter wissen: »Wird die Kirche im Sozialismus von dessen weltanschaulicher Position aus überhaupt akzeptiert?«
Schönherr antwortete: »Über weltanschauliche Fragen debattieren wir nicht, wir klären praktische Probleme.«
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Nagy, VR Ungarn, fragte: »Warum wird von Kirche im Sozialismus und nicht von Kirche für den Sozialismus gesprochen?«
Schönherr antwortete: »Ich sehe es so, wie ich es gesagt habe.«
Am 28. April 1976 fand um 19.00 Uhr der Empfang beim Staatssekretär für Kirchenfragen, Seigewasser, in Eisenach statt. An diesem Empfang nahmen alle Teilnehmer der Jahrestagung des ÖAI teil. Die Begrüßung und der Toast des Genossen Seigewasser und des Bürgermeisters von Eisenach wurden durch die Teilnehmer positiv bewertet.
Bischof Braecklein gab auf diesem Empfang eine positive Einschätzung der Entwicklung der Kirchen in der DDR einschließlich seiner persönlichen Entwicklung und bewertete das Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der DDR positiv.
Die Beratung zur Jahrestagung wurde in zwei Arbeitsgruppen fortgesetzt, wobei weitere Vorträge gehalten wurden.
Die Arbeitsgruppe »Kirche in der weltlichen Presse« hob hervor, dass in der gesamten Presse zu wenig über die Kirche und das kirchliche Leben publiziert werde.
Die Arbeitsgruppe stellte die Forderung, hierzu Anstrengungen zu unternehmen und den derzeitigen Zustand zu verbessern. Hessler, Frankfurt/M., versuchte die Aufgaben der kirchlichen Publizisten dahingehend zu formulieren, dass diese in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Ordnung so zur geistigen Auseinandersetzung beitragen, dass diese Ordnungen im Interesse von mehr Gerechtigkeit verändert würden. Dies sei die Aufgabe der Kirche in der weltlichen Presse.
Die Arbeitsgruppe »Welt in der kirchlichen Presse« betonte die Notwendigkeit, sich noch intensiver und ausführlicher solchen politischen Problemen, wie Frieden, Abrüstung usw. zuzuwenden. Hier unterbreiteten besonders die Vertreter der sozialistischen Länder entsprechende Vorschläge. Es wurde die Aufgabe konzipiert, in der kirchlichen Presse die weltlichen Probleme mehr zu berücksichtigen und besser zu informieren.
Pfarrer Ziemer, Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR, sprach zum Thema: »Christliche Gemeinde in nachvolkskirchlicher Zeit.« Er beschrieb Erscheinungen, die das Ende der Volkskirche signalisieren:
- 1.
Die Gemeinden werden kleiner.
- 2.
Die Gemeinden erreichen nicht mehr das Volk.
- 3.
Die Gemeinden finden sich von einer gesellschaftlichen Schlüsselposition in eine Randposition verdrängt.
Daher müsse die Frage des Auftrages der Gemeinde im Hinblick auf die Gesellschaft neu gestellt werden. Dies müsse im Komplex zur realen gesellschaftlichen Situation in der DDR geschehen.
Das Verhältnis von Religion und Kirche zur Gesellschaft sei verändert. Die Religion werde von einer öffentlichen zu einer privaten Angelegenheit. Er ging dann auf die Typen des Gemeindeaufbaues ein. Das Referat enthielt keine Angriffe gegen die DDR.
Dr. König, Erfurt, Architekt, sprach zum Thema »Leben und Bewährung als Christ in der sozialistischen Gesellschaft«. Er entwickelte anhand zentraler Dokumente und der Entwürfe des IX. Parteitages der SED ein Bild von der realen sozialistischen Gesellschaft in der DDR. Er ging auf die Entwicklung und die Haltung der evangelischen Kirchen in der DDR nach ihrem Zusammenschluss zum Bund der Evangelischen Kirchen in der DDR ein. In diesem Zusammenhang sprach er von eigenen Erfahrungen und beschrieb Leben und Bewährung eines Christen im beruflichen, politischen, sozialen und kulturellen Leben der sozialistischen Gesellschaft. Diese Ausführungen hatten eine reale bis positive Aussage. In einigen Aussagen kamen jedoch gewisse Vorbehalte zur Geltung. Dabei nannte er Erziehungsfragen, Charakterisierung unserer Gesellschaft als Leistungsgesellschaft und den Begriff von der ideologischen Diaspora (geprägt durch Bischof Krusche). Des Weiteren hob König die Bedeutung von Informationen hervor. Er wandte sich einerseits gegen eine »verniedlichende« Berichterstattung der kirchlichen Presse, betonte zum anderen, dass die Bürger der DDR bestens informiert seien und es nicht nötig hätten, gefilterte Informationen zu erhalten.
Im Zusammenhang mit den von Dr. König in seinem Referat genannten Vorbehalten hatte Henkys, epd Westberlin, die Absicht, entgegen der vorher getroffenen Abmachung über dieses Referat eine Meldung für epd weiterzuleiten. Dies wurde von den Verantwortlichen der Jahrestagung mit dem Hinweis auf getroffene Vereinbarungen verhindert. Henkys zog die bereits formulierte Meldung zurück.
Zum Abschluss der Beratungen fand am Abend des 29. April 1976 eine Mitgliederversammlung der Jahrestagung des ÖAI statt. Der Vorsitzende des ÖAI, Hessler, forderte alle anwesenden Mitglieder auf, ihre positiven und kritischen Erfahrungen von dieser Tagung zu nennen.
In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass vor allem die BRD-Teilnehmer Roepke, Jezierowski, Mierau und der Österreicher Schlieben die Behauptung aufstellten, dass es sich bei der Tagung, insbesondere bei den Referaten, um »Pflichtübungen« und um »Agitation« gehandelt habe, nicht aber um Informationen. Die »Vereinigung des Kirchenmannes Ziemer mit dem Parteimann König« (CDU) sei zu kritisieren. Es wäre »unerträglich«, solche »Lippenbekenntnisse« zu einem Staat als Vortrag zum Thema Informationsaustausch zu betrachten. Die wirklichen Informationen hätte man nicht aus den Referaten und öffentlichen Diskussionen, sondern in den Pausengesprächen erhalten. Roepke stellte an die Leitung des ÖAI die Frage, warum einige Teilnehmer aus der BRD keine Einreise erhalten hätten. (Vertreter der »Welt«, der »Frankfurter Rundschau«, u. a.) Hierzu wurde von Lorenz/DDR und von Hessler/BRD festgestellt, dass es sich um eine Tagung von Mitgliedern des Arbeitskreises gehandelt habe und keine Gäste eingeladen waren. Damit seien somit automatisch alle offiziellen publizistischen Einrichtungen ausgeschlossen.
Am 30. April 1976 führten die Teilnehmer der Jahrestagung eine Exkursion zum »Marienstift« in Arnstadt, zur erneuerten Stadtkirche in Weimar, zum Goethehaus in Weimar, zur Mahn- und Gedenkstätte in Buchenwald, zum Augustiner-Kloster in Erfurt und zum Dom in Erfurt durch. Die Exkursion wurde von den Teilnehmern positiv bewertet.
Der offizielle Abschluss der Jahrestagung 1976 des ÖAI erfolgte am 30. April 1976, 22.00 Uhr. Ein Abschlusskommuniqué wurde nicht verfasst.
Zum Tagungsverlauf ist insgesamt einzuschätzen:
Auf dieser Jahrestagung wurden den ausländischen Teilnehmern eine Reihe von Informationen über die Kirche in der sozialistischen Gesellschaft, besonders in der DDR, vermittelt. Die Teilnehmer wurden durch das einheitliche und geschlossene Auftreten der Tagungsteilnehmer aus den sozialistischen Ländern, durch den Empfang beim Staatssekretär für Kirchenfragen in der DDR sowie die durchgeführten Exkursionen und [die] vorbildliche Regelung von Organisationsfragen offensichtlich positiv beeinflusst.
Es gab auf dieser Jahrestagung keine offiziellen Angriffe gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR und keine antisowjetischen Angriffe.
Die offiziellen Vertreter von Kirchen in der DDR, besonders die Bischöfe Schönherr und Braecklein, sowie die eingesetzten Referenten traten positiv auf.
Es ist als politisch wertvoll und richtig einzuschätzen, die Jahrestagung des ÖAI in der DDR durchzuführen. Dadurch konnte entsprechend der Politik unserer Partei Einfluss auf Journalisten und Publizisten aus kapitalistischen Ländern Europas genommen werden. Die in Vorbereitung und Durchführung der Tagung erfolgte Zusammenarbeit mit den sozialistischen Ländern (einheitliches, abgestimmtes Vorgehen) und den staatlichen Organen in der DDR hat sich bewährt.
Diese Information ist intern zu behandeln und nur zur persönlichen Auswertung bestimmt.