Kapazitätsausnutzung im Gütertransport der DR
25. August 1976
Information Nr. 585/76 über die derzeitige Situation bei der rationellen Ausnutzung vorhandener Kapazitäten im Gütertransportprozess der Deutschen Reichsbahn
In der Information Nr. 24/76 des MfS vom 20. Januar 1976 wurde über einige Probleme der unrationellen Ausnutzung des Güterwagenparkes der Deutschen Reichsbahn berichtet.
Die darin getroffenen Aussagen veranlassten den Minister für Verkehrswesen, umfangreiche Maßnahmen einzuleiten, deren Ziel es war, eine wesentliche Verringerung von Wagenfehlleitungen im Gütertransportprozess der Deutschen Reichsbahn durchzusetzen und der Forderung nach Intensivierung des Transportprozesses, der Erhöhung der Qualität der Arbeit, der Verbesserung von Disziplin, Ordnung und Sicherheit, besser gerecht zu werden.
Die in der Zwischenzeit durch Experten des Ministeriums für Verkehrswesen gemeinsam mit dem MfS durchgeführten weitergehenden Untersuchungen zum Problem beinhalteten im Wesentlichen, festzustellen, wie die Forderungen nach
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Sicherung einer hohen Qualitätsarbeit bei gleichzeitiger Erfüllung der Planaufgaben,
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verstärkter politisch-ideologischer Arbeit zur Mobilisierung aller Eisenbahner unter Nutzung des sozialistischen Wettbewerbs und persönlicher Aussprachen und
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gründlicher Analyse der begünstigenden Bedingungen für Qualitätsmängel bei gleichzeitiger Überprüfung bestehender Vorschriften und Weisungen und Durchsetzung einer exakten Kontrolle auf allen Leitungsebenen,
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praxiswirksam wurden und Veränderungen in der rationellen Ausnutzung der Gütertransportkapazitäten eingetreten sind.
Die Untersuchungen ergaben übereinstimmend, dass in der Zwischenzeit positive Ergebnisse bei der rationelleren Ausnutzung des Güterwagenparkes der Deutschen Reichsbahn erzielt wurden. Die besten Ergebnisse sind insbesondere dort zu verzeichnen, wo die Führungs- und Leitungstätigkeit auf die Durchsetzung einer hohen Qualität in der Arbeit orientiert und den Eisenbahnern das Anliegen der Verbesserung der Zugbildungsarbeit politisch-ideologisch eingehend erläutert wurde.
So kann z. B. eingeschätzt werden, dass sich das auf dem Bahnhof Saalfeld im Ergebnis der vom Minister für Verkehrswesen eingeleiteten Maßnahmen geschaffene Beispiel eines »Systems der fehlerfreien Arbeit« u. a. durch »Arbeit mit Qualitätspässen« bei der Güterzugbildung in der Praxis bewährt hat.
Die bewusste und exakte Arbeit nach den vorhandenen Vorschriften und Weisungen führte auf dieser Reichsbahndienststelle zu einer steigenden Leistung bei nachgewiesener höherer Qualität in der Arbeit.
Das in diesem Zusammenhang entwickelte »Qualitätskontroll- und -bewertungssystem« erwies sich als geeignet, die Initiative der Eisenbahner zu erhöhen und die Verbesserung der Qualität der Arbeit im Eisenbahntransport auf Zugbildungsbahnhöfen durchzusetzen. Gleichzeitig wird in diesem Zusammenhang ein neues Bahnhofsprämiensystem auf dem Bahnhof Saalfeld erprobt. Es ist vorgesehen, dessen Wirksamkeit im IV. Quartal 1976 einzuschätzen und eine umfassende Anwendung im Bereich Eisenbahntransport zu prüfen.
Darüber hinaus wurden im Juni 1976 durch das Ministerium für Verkehrswesen alle Reichsbahndirektionen mit der »Saalfelder Methode«1 vertraut gemacht, und es wurde vorgesehen, in jeder Reichsbahndirektion vorerst drei Initiativbahnhöfe für die Anwendung dieser Methode bis Ende 1976 zu benennen.
Auch andere Beispiele zeigen, dass das Anliegen, die Verringerung von Wagenfehlleitungen in erster Linie durch Verbesserung der Qualität der Arbeit der am Zugbildungs- und -auflösungsprozess beteiligten Eisenbahner zu erreichen, vom überwiegenden Teil der Beteiligten richtig verstanden wird.
So führte die Realisierung des »Saalfelder Aufrufs« bei Bahnhöfen des Reichsbahndirektionsbezirkes Cottbus zur Überarbeitung bisheriger Technologien, und die Eisenbahner des Bahnhofs Leinefelde der Reichsbahndirektion Erfurt nahmen solchen Einfluss auf eine günstigere Fahrplangestaltung, sodass seit Beginn des Sommerfahrplanabschnittes 1976 keine Verstöße gegen Güterzugbildungsvorschriften (GZV) auf diesem Bahnhof mehr auftreten.
Auf dem Güterbahnhof Halle/Saale gingen die Wagenfehlleitungen gegenüber dem Vergleichszeitraum 1975 um ca. 90 Prozent zurück. (Ähnlich ist auch die Situation auf dem Bahnhof Naumburg/Saale.)
Im Ergebnis einer Beratung verantwortlicher Funktionäre der Reichsbahndirektion Erfurt mit Mitarbeitern des Zementwerkes Karsdorf erfolgt seit April 1976 eine ordnungsgemäße Zugbildung.
Wie von den Experten weiter übereinstimmend eingeschätzt wird, sind die vom Minister für Verkehrswesen auf der Grundlage der Information Nr. 24/76 des MfS eingeleiteten Maßnahmen jedoch mit unterschiedlichem Ergebnis in der Praxis wirksam geworden.
Die »Saalfelder Methode« hat sich noch nicht überall durchgesetzt. Sie ist bisher nur von einigen Bahnhöfen der acht Reichsbahndirektionsbezirke – dort wie bereits dargelegt allerdings mit gutem Erfolg – übernommen worden.
Widersprüchlich ist z. B. die Situation auf dem Bahnhof Karl-Marx-Stadt/Hilbersdorf. (Dieser Bahnhof war in der Information Nr. 24/76 als negatives Beispiel besonders erwähnt worden.) Den Bahnhof Karl-Marx-Stadt/Hilbersdorf verlassen seit Februar 1976 nur noch vorschriftsmäßig gebildete Züge. Nur in Ausnahmefällen gibt es GZV-Abweichungen.
Im Gegensatz zu dieser nach außen hin positiven Situation wird aber eingeschätzt, dass auf dem Bahnhof selbst viele Wagenfehlleitungen beim Zerlegen/Bilden der Züge verursacht werden und die vorschriftsmäßige Zugbildung nur durch hohen Rangieraufwand durchgesetzt wird. Durch zumeist nur administratives Herangehen an die Lösung des Problems seitens leitender Funktionäre des Bahnhofs Karl-Marx-Stadt/Hilbersdorf verlassen zwar nur »saubere« Züge den Bahnhof, es erfolgt aber keine genügende Ursachenforschung über den technologischen Ablauf bei der Zugzerlegung. Erst dadurch wäre es möglich, entscheidenden Einfluss auf die Verbesserung vorgenannten Arbeitsprozesses zu nehmen.
Bei einer Reihe von Bahnhöfen gibt es bisher keine wesentlichen Veränderungen bei der Verhinderung von Wagenfehlleitungen, GZV-Verstößen und -Abweichungen gegenüber Vorzeiträumen.
So fallen z. B. auf solchen leistungsbestimmenden Bahnhöfen wie Seddin und Wustermark (Reichsbahndirektion Berlin) im Zulauf durchschnittlich 12 Prozent des Wagenaufkommens, das sind monatlich 3 000 Wagen (60 Züge mit je 50 Wagen), als Fehlleitung an.
Ein Teil der operativen Leitungskader vertritt dazu noch die Meinung: »entweder Leistung oder Qualität« und übersieht offensichtlich den untrennbaren Zusammenhang dieser Faktoren.
Mängel und Schwächen in der Führungs- und Leitungstätigkeit und nicht ausreichende politisch-ideologische Einflussnahme auf die Eisenbahner des Bahnhofs Dresden-Friedrichstadt sind als Ursache dafür anzusehen, dass auch auf diesem leistungsbestimmenden Bahnhof Wagenfehlleitungen und Differenzwagen nach wie vor einen echten Schwerpunkt darstellen.
Wie die Untersuchungen zu Wagenfehlleitungen im Transitverkehr ergaben, wurden z. B. allein im Transitverkehr BRD – Nordeuropa auf dem Bahnhof Oebisfelde 1975 insgesamt 6 756 und im Zeitraum Januar bis April 1976 2 014 Wagenfehlleitungen verursacht. Es handelt sich hierbei ausschließlich um Wagen, die in durchfahrende Güterexpresszüge (TEEM) hätten eingestellt werden können, aber entgegen den Güterzugbildungsvorschriften mit anderen Güterzügen, die in Seddin-Süd enden, abgefahren wurden. Dadurch wurden die TEEM nur zu 50 Prozent ausgelastet und es entstanden bei den insgesamt 8 770 Wagen 1975/76 zusätzlich Behandlungs- und Beförderungskosten in Höhe von 388 000 Mark. Durch damit zwangsläufig verbundene Umlaufverzögerungen trat darüber hinaus ein erheblicher Verlust an Valuta ein.
Die in der Zwischenzeit durch Experten des Ministeriums für Verkehrswesen gemeinsam mit dem MfS durchgeführten Untersuchungen bestätigten darüber hinaus, dass die in der Information Nr. 24/76 dargestellten Methoden und Ursachen für Wagenfehlleitungen nach wie vor zutreffen. Konkreter Ausdruck dafür sind
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Entfernung von Wagenzetteln, sodass Bestimmungsbahnhöfe nicht mehr ersichtlich sind und die Zuführung der Leerwagen zum nächstfolgenden Einsatzort nicht mehr gewährleistet werden kann,
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fehlerhafte Bezettelung von Güterwagen und demzufolge Lenkung zu falschen Zielbahnhöfen,
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Einstellung von Güterwagen in falsche Güterzüge bzw. Belassen in falschen Güterzügen.
Die Ursachen derartiger Verstöße liegen im Wesentlichen in der Bequemlichkeit, im routinehaften Verhalten und im teilweise ungenügend ausgeprägten Verantwortungsbewusstsein der mit der Zugbildung und -auflösung beauftragten Angehörigen der Deutschen Reichsbahn. Das trifft sowohl auf langjährig tätige und somit berufserfahrene Eisenbahner als auch auf erst seit kurzer Zeit Beschäftigte zu.
Bemerkenswert dazu sind die Aussagen von Beschäftigten des Rangierdienstes des Bahnhofes Pasewalk im Juli 1976. Sie machen deutlich, dass die Pflichten entsprechend den bestehenden Dienstvorschriften und Weisungen zwar bekannt sind, durch die Leiter an die Beschäftigten aber nur formal herangetragen wurden.
Ein Rangiermeister (15 Dienstjahre) z. B. äußerte, dass sich bei ihm der Eindruck herausbildete, Wagenfehlleitungen bei der Deutschen Reichsbahn sind eine Allgemeinerscheinung, denn seinem Bahnhof laufen täglich fehlgeleitete Wagen zu. So habe er vermutlich ca. 250 Wagen ebenfalls fehlgeleitet und seine Mitarbeiter beauftragt, Leerwagenzettel zu entfernen, wenn Richtungsgleise belegt oder Wagen in falsche Gleise abgelaufen waren.
Der entsprechende Dienstbefehl des Ministers für Verkehrswesen sei ihm schriftlich zur Kenntnis gegeben worden. Danach habe er nur noch leere Wagen fehlgeleitet, da er der Ansicht sei, dass leere Wagen überall gebraucht werden.
Die Überwindung der zwar gegenüber dem Vorzeitraum verbesserten, aber noch nicht zufriedenstellenden Situation bei der Nutzung aller Reserven für einen effektiven und rationellen Transportprozess bei der Deutschen Reichsbahn macht es erforderlich, insbesondere die noch vorhandenen Mängel in der Führungs- und Leitungstätigkeit auf allen Leitungsebenen schnellstens zu überwinden.
Wie die geführten Untersuchungen erneut bestätigten, werden oftmals zwar richtige Schlussfolgerungen gezogen und entsprechende Maßnahmen eingeleitet. Deren tatsächliche Realisierung wird jedoch in vielen Fällen nicht genügend durchgesetzt.
Weiterhin erscheint es zweckmäßig, die »Saalfelder Methode« schnellstmöglich auf allen Güterzugbildungsbahnhöfen als verbindlich einzuführen. Derzeitig werden die Bahnhöfe, die nach dieser Methode arbeiten, damit konfrontiert, dass ihnen von anderen Bahnhöfen, die nicht nach dieser Methode arbeiten, Züge zugefahren werden, die nur mit Mehraufwand weiterbehandelt werden können, wenn ihre Zugbildung nicht nach den Güterzugbildungsvorschriften erfolgte.
Neben der Einbeziehung der Neuerer zur Durchsetzung dieser Methode mit maximalem Effekt, besonders unter dem Aspekt der Vermeidung von Mehrarbeit, der Erfassung von Abweichungen, sollte die Einführung des neuen Bahnhofsprämiensystems gewissenhaft politisch-ideologisch vorbereitet werden, um zu gewährleisten, dass es zu einem echten ökonomischen Hebel wird und gleichzeitig das damit verfolgte zentrale Anliegen wirkungsvoll unterstützt.