Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas
30. Juni 1976
Information Nr. 486/76 über einige weitere politisch-operative Aspekte im Zusammenhang mit der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas
Nach vorliegenden internen Hinweisen ist der USA-Geheimdienst in besonderem Maße an Informationen über die Haltung und Stellung der IKP und der FKP zum Verlauf der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas sowie über das Verhältnis dieser beiden Parteien zur KPdSU und zur SED interessiert. Weitere in diesem Zusammenhang inoffiziell bekannt gewordene Auftragserteilungen bzw. Orientierungen des USA-Geheimdienstes verdeutlichen sein starkes Interesse an Informationen über in der DDR vorhandene Auffassungen hinsichtlich eines »eigenen Weges zum Sozialismus« sowie über – nach seiner Meinung in der DDR vorhandene – Personen, die im Sinne eines »Lossagens der DDR von der UdSSR« wirksam zu werden versuchen.
Darüber hinaus wurden gegnerische Agenturen beauftragt, Probleme der inneren Entwicklung der DDR auszuspionieren wie z. B. Außenhandelsstrategien nach dem IX. Parteitag der SED,1 Schwierigkeiten aufgrund der gestiegenen Rohstoffpreise, Ernteaussichten 1976 in der DDR und geplante Maßnahmen zur Überwindung eventueller Schwierigkeiten bei Ernteausfällen.
Weiteren Hinweisen zufolge bemüht sich besonders der Botschaftsrat der diplomatischen Vertretung Belgiens in der DDR, Adolf Criel (steht im Verdacht geheimdienstlicher Tätigkeit), intensiv darum, schon vor der Veröffentlichung des Abschlussdokuments der Konferenz Einzelheiten über den Gegner interessierende Formulierungen in Erfahrung zu bringen.
Die Lage in der Hauptstadt und in den Bezirken der DDR sowie an der Staatsgrenze zur BRD und zu Westberlin ist weiterhin stabil und normal. Die eingeleiteten Sicherungsmaßnahmen entsprechen den Erfordernissen.
Auf der Grundlage der eingeleiteten Fahndungsmaßnahmen wurde am Nachmittag des 28. Juni 1976 und im Verlauf des 29. Juni 1976 zehn Personen, die maoistischen Organisationen angehören, die Einreise in die Hauptstadt der DDR nicht gestattet.2 Diese Personen – konkrete Hinweise auf eventuelle von ihnen beabsichtigte Aktivitäten lagen nicht vor – wurden unter dem Aspekt der vorbeugenden Verhinderung ihres möglichen Wirksamwerdens zurückgewiesen. Aus dem gleichen Grunde wurden im Rahmen des Antrags- und Genehmigungsverfahrens die Anträge auf Einreise von drei Personen, die linksextremistischen Gruppierungen angehören, abgelehnt.
Wie bekannt wurde, ist seitens des Direktors der griechischen Zeitung »Avgi«, Antoine Brillkakis (Mitglied der Leitung der griechischen maoistischen Partei), beabsichtigt, sich Zugang zum Konferenzsaal zu verschaffen, um auf direktem Wege eine »Grußbotschaft« zu übergeben. (Das Pressezentrum hatte die Weiterleitung dieser Botschaft an die Tagungsleitung verweigert.) Entsprechende Maßnahmen sind eingeleitet.
Französische und italienische Korrespondenten versuchten, im Interhotel »Stadt Berlin« getroffene Sicherungsmaßnahmen festzustellen und eingesetzte Sicherungskräfte zu identifizieren.
Wie schon wiederholt an den Vortagen kam es am 29. Juni 1976 erneut zu einem ungesetzlichen Grenzübertritt von der BRD in die DDR. Bei einer Reihe der vorangegangenen Fälle handelte es sich um Personen, die unter Alkoholeinfluss standen, teilweise rauschgiftsüchtig sind und einen relativ niedrigen Intelligenzgrad aufweisen. Auch bei dem jüngsten Vorkommnis stand die betreffende Person erheblich unter Alkoholeinfluss und ist – nach ihren eigenen Angaben – Analphabet. Diese Person wurde – wie auch schon in den vorangegangenen Fällen – kurzfristig wieder in die BRD zurückgeführt, um dem Gegner keine Ansatzpunkte zu geben, in der gegenwärtigen Zeit aus derartigen Grenzverletzungen noch politisches Kapital zu schlagen.
Von den unter verstärkter operativer Kontrolle stehenden Personen in der DDR sind bisher keine gegen die Konferenz gerichteten Absichten und Aktivitäten bekannt geworden.
Anlage zur Information Nr. 486/76
Erste Einschätzung zur Reaktion der Bevölkerung der DDR auf die Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas und auf die vom Generalsekretär des ZK der KPdSU, Genossen Breschnew, gehaltene Rede
Nach ersten Informationen findet die Konferenz unter dem politisch interessierten Teil der Bevölkerung der DDR starke Beachtung. Besonderes Interesse besteht an den Reden der Genossen Breschnew, Genossen Honecker und der Repräsentanten der kommunistischen Parteien Frankreichs, Italiens, Rumäniens und Österreichs.3
Nach vorliegenden Informationen kann eingeschätzt werden, dass der überwiegende Teil der sich äußernden Bürger positive und zustimmende Ansichten vertritt und zum Ausdruck bringt, dass
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die Konferenz einen bedeutenden Höhepunkt in der politischen und ideologischen Arbeit der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas darstellt,
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bedeutende Ergebnisse zur Sicherung und Unumkehrbarmachung des Entspannungsprozesses in Europa und des Weltfriedens erwartet werden,
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eine Stärkung der antiimperialistischen Hauptkräfte erfolgen wird,
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die Einheit und Geschlossenheit der europäischen Arbeiterbewegung weiterhin gestärkt wird,
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die internationale Rolle und Bedeutung der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas durch dieses repräsentative Forum noch weiter erhöht wird,
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die Konferenz in der Phase der verschärften Angriffe des Imperialismus besondere Bedeutung erlangt.
Gleichzeitig bezogen sich die Diskussionen interessierter Bürger auf
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die Verdienste der KPdSU und der SED am Zustandekommen der Konferenz,
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die bedeutungsvolle Arbeit der Redaktionskommission in Vorbereitung der Konferenz (wobei besonders die speziellen Beiträge der Mitglieder der Redaktionskommission der KPdSU und der SED hoch eingeschätzt werden),
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die Bedeutung und hohe Wertschätzung der klärenden Gespräche zwischen den Funktionären der Parteien verschiedener Länder vor Stattfinden der Konferenz, um die Ergebnisse der Tagung zu erhöhen.
Häufig wurde die Frage nach den Gründen des vorzeitigen Eintreffens der Genossen Breschnew und Tito in Berlin gestellt. Obwohl in der Presse keine detaillierten Angaben über den Inhalt der Gespräche zwischen den beiden Repräsentanten enthalten gewesen seien, wäre zu vermuten, dass es sich um klärende Gespräche über Grundfragen gehandelt habe. Der Ton der offiziellen Verlautbarung ließe vermuten, dass auch eine grundlegende Übereinkunft erzielt worden sei.
Es sei bemerkenswert, dass Tito seit vielen Jahren nicht an einem Treffen auf dieser Ebene teilgenommen habe und sein Eintreffen in Berlin aus diesem Grunde besonders zu begrüßen wäre.
Es wird weiter die Frage gestellt, inwieweit auch zwischen der KPdSU und der IKP sowie der KPdSU und der FKP auf höchster Ebene zweiseitige klärende Gespräche zu erwarten seien, um das Ergebnis der Konferenz zu erhöhen. In diesem Zusammenhang werden die Tätigkeit und der persönliche Einsatz des Genossen Breschnew zur Klärung wichtiger Fragen hoch eingeschätzt und gewürdigt.
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt stehen Diskussionen zum Referat des Generalsekretärs des ZK der KPdSU, Genossen Breschnew,4 im Vordergrund. Insbesondere werden solche Schwerpunktfragen diskutiert wie
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die weitere Erhaltung des Friedens und die Weiterführung des Entspannungsprozesses,
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der proletarische Internationalismus und die internationale Solidarität,
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die weitere Festigung der Einheit und Geschlossenheit der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas,
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die Diktatur des Proletariats.
Die bisher bekannt gewordenen Meinungsäußerungen beinhalten übereinstimmend positive und zustimmende Tendenzen. Es wird hervorgehoben:
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Genosse Breschnew habe eine sehr ausgewogene, prägnante und politisch weitsichtige Rede gehalten.
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Die Rede sei getragen von hoher Sachlichkeit und Realität und zeuge von kluger Anwendung des Marxismus/Leninismus in der gegenwärtigen Praxis, aber auch von Konsequenz und Prinzipienfestigkeit.
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Besonders wichtig sei der feste Wille der Sowjetunion, an den Prinzipien für den Kampf um Frieden und die Durchsetzung der friedlichen Koexistenz festzuhalten.
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Die Ausführungen des Gen[ossen] Breschnew demonstrieren die hohe moralische Größe der SU und das Bemühen, keine Gegensätze hervorzuheben oder in den Mittelpunkt zu stellen, um die Einheit der kommunistischen und Arbeiterparteien zu festigen und dem Feind keine Angriffsflächen zu bieten.
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Mit Befriedigung werde festgestellt, dass Genosse Breschnew zum Ausdruck gebracht habe, der proletarische Internationalismus sei auch weiterhin von grundlegender Bedeutung.
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Die konkreten Ausführungen des Genossen Breschnew zum proletarischen Internationalismus und zur internationalen Solidarität seien an bestimmte Parteien gerichtet gewesen; sie hätten sich auf den Lehren des Marxismus-Leninismus bewegt und seien zu Recht als eine Art Zurechtweisung für diejenigen, die abweichen würden, aufzufassen.
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Genosse Breschnew habe die Rolle des proletarischen Internationalismus in seiner aktuellen Bedeutung hervorgehoben; die Ausführungen seien somit als richtungweisend für die anderen kommunistischen und Arbeiterparteien zu werten.
In christlichen Kreisen wird anerkennend zur Kenntnis genommen, dass Genosse Breschnew in einem solch bedeutenden Referat die Zusammenarbeit mit den Christen gewürdigt hat.
Einen größeren Raum nehmen die Meinungsäußerungen zur auf der Konferenz demonstrierten Einheit und Geschlossenheit der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas in wichtigen Grundfragen ein.
Der bisherige Konferenzverlauf lasse erkennen, dass es keine tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien gäbe. In einigen Diskussionen klingt in diesem Zusammenhang an, bisherige Konferenzen dieser Art hätten in erster Linie das gemeinsame Vorgehen gegen den Kapitalismus/Imperialismus dargelegt und bekräftigt. Gegenwärtig seien die Parteien aber auch damit beschäftigt, ihre eigenen Angelegenheiten und Differenzen zu klären. Damit würden sie vom gemeinsamen konzentrierten Kampf gegen den Imperialismus abgelenkt. Diesem Umstand habe auch Genosse Breschnew in seinem Referat Rechnung zu tragen und einen großen Teil seiner Ausführungen direkt oder indirekt diesen Meinungsverschiedenheiten widmen müssen.5
In diesem Sinne sei die Rede auch durchdrungen von dem Bemühen, alle revolutionären Kräfte mit einer möglichst gemeinsamen Plattform im Kampf gegen den Imperialismus zu vereinen.
Hervorzuheben sei die Ausgewogenheit der Rede des Genossen Breschnew, der das Einende der Parteien in den Mittelpunkt gestellt habe und damit allen Bemühungen bürgerlicher Ideologen, die kommunistischen und Arbeiterparteien gegeneinander auszuspielen, einen harten Schlag versetzt habe.
Von großer Bedeutung seien die Ausführungen des Genossen Breschnew, wonach ein Führungsanspruch der KPdSU nicht bestehe. Tatsächlich wäre in der Vergangenheit auch nie eine solche Forderung bekannt geworden. Die KPdSU sei aber die stärkste, erfahrendste und erfolgreichste aller kommunistischen und Arbeiterparteien und verfüge über einen großen Erfahrungsschatz, der von allen Bruderparteien genutzt werden könnte und müsste. Daran könne es auch in Zukunft keine Abstriche geben, soweit die Freundschaft zur Sowjetunion wirklich ehrlich gemeint sei.
An einer kollektiven Entscheidung aller kommunistischen und Arbeiterparteien seien, wie in der Rede betont worden sei, auch keine Abstriche zu machen. Es erhebe sich jedoch die Frage, inwieweit dieses Vorgehen durch ein organisatorisches Gremium abgestimmt oder vorbereitet werden müsste. Auf keinen Fall könnten solche Entscheidungen dem Selbstlauf überlassen bleiben.
In einer Reihe von Diskussionen wurde betont, die anerkennenden Worte des Genossen Breschnew für die Arbeit der IKP und FKP könnten positive Wirkungen bei diesen Parteien hervorrufen. Die Formulierungen des Genossen Breschnew seien taktisch klug gewesen. In Einzelmeinungen wird hervorgehoben, die an die IKP und FKP gerichteten Worte würden ein »Zugeständnis« der KPdSU gegenüber diesen Parteien beinhalten und entgegen bisherigen Verlautbarungen einen »dritten Weg« zum Kommunismus bejahen.
Andere Diskussionen beinhalten vereinzelt die Aussagen, die SU lasse in dem Auftreten des Genossen Breschnew eine starke Kompromissbereitschaft gegenüber den »Abweichlern« erkennen. Es wird gefragt, ob die KPdSU ein solches »Zugeständnis« notwendig habe (z. B. angesichts bestimmter, fast provokatorisch gestellter Probleme in den Reden der KPÖ und der RKP).6