Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas
28. Juni 1976
Information Nr. 478/76 über einige politisch-operative Aspekte im Zusammenhang mit der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas
Nach bisher vorliegenden internen Hinweisen und Erkenntnissen stellen Fragen und Probleme der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas1 und ihrer Ergebnisse sowie die Einschätzung der Vorbereitung dieser Konferenz in der Tätigkeit der imperialistischen Geheimdienste und der sogen[annten] Ostforschungseinrichtungen2 sowie der Zentren und Institutionen der politisch-ideologischen Diversion einen besonderen Schwerpunkt dar. Sie messen – ebenso wie westliche Regierungskreise, internationale Organisationen, Parteien, Wirtschaftskreise usw. – allen mit der Konferenz zusammenhängenden Fragen für die Bewertung der Situation in der internationalen kommunistischen Bewegung und für die weitere politische und ideologische Auseinandersetzung mit ihr besondere Bedeutung bei.3 Zwischen den westlichen Geheimdiensten erfolgt dazu ein Informationsaustausch.
Insbesondere die westlichen Geheimdienste und sogen[annten] Ostforschungseinrichtungen konzentrieren sich dabei
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auf das Erkennen von Auffassungsunterschieden und Differenzen zwischen kommunistischen Parteien, entsprechender Ansatzpunkte und Ausnutzungsmöglichkeiten,
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auf Differenzen der um die KPdSU gescharten Parteien sozialistischer Länder mit der RKP und dem BdKJ in Fragen des proletarischen Internationalismus, auf gegen die KPdSU gerichtete Tendenzen der RKP und des BdKJ sowie auf mögliche Auswirkungen der Politik einiger westlicher kommunistischer Parteien auf die innere Lage der sozialistischen Staatengemeinschaft.
Aus von den westlichen Geheimdiensten entwickelten Vorstellungen ist zu erkennen, dass sie vor allem darauf hinwirken wollen, kommunistische Parteien von der KPdSU zu trennen, vor allem durch die Diffamierung des Prinzips des proletarischen Internationalismus als »Hegemonialpolitik« der KPdSU und seine Anerkennung als »Unterwerfung unter die KPdSU«. (Diese Vorstellungen der Geheimdienste spiegeln sich auch in der gegnerischen Propaganda wider, gekoppelt mit der breiten Propagierung nationalistischer Parolen.)
Spekulationen zielen u. a. dahin, dass die vom BdKJ betriebene Politik des sogen[annten] Selbstverwaltungssozialismus ausstrahle, wobei Ansatzpunkte dafür in Polen, Ungarn und der ČSSR gesehen werden. Hier ergeben sich Zusammenhänge mit Überlegungen westlicher Regierungskreise, zwischen sozialistischen Ländern vorhandene »Interessendivergenzen« durch Schürung des Nationalismus auszunutzen und einzelnen Ländern »Unterstützung gegen die UdSSR« anzubieten, wobei Jugoslawien und Rumänien genannt werden, in diesem Sinne aber auch zunehmend Polen und Ungarn einbezogen werden sollen. Gleichzeitig soll die DDR als »Hauptverbündeter der UdSSR« gegen andere sozialistische Staaten ausgespielt werden (spiegelt sich ebenfalls bereits teilweise in der gegnerischen Propaganda wider).
Im Zusammenhang mit Bewertungen westlicher Kreise, wonach die ursprüngliche Konferenzkonzeption der KPdSU und der eng mit ihr verbundenen Parteien im Interesse des Zustandekommens der Konferenz habe scheitern müssen, wird unter Hinweis auf die Haltung westeuropäischer kommunistischer Parteien von diesen Kreisen im Falle des Festhaltens der KPdSU an ihrer bisherigen Politik die Möglichkeit eines »Bruches in der europäischen kommunistischen Bewegung« gesehen.
Von sogen[annten] Ostforschungseinrichtungen in der BRD werden im Zusammenhang mit der Ausklammerung strittiger Fragen in dem von der Konferenz zu verabschiedenden Dokument Spekulationen dahingehend angestellt, dass Kompromissformulierungen als »taktische Manöver« seitens der KPdSU und der eng mit ihr verbundenen Parteien zu bewerten seien. Andererseits seien jedoch auch Rückwirkungen auf die sozialistischen Länder zu erwarten.
Außer diesen »Einschätzungen«, Überlegungen und spekulativen Erwartungen der genannten westlichen Kreise liegen bisher keine Hinweise über Pläne, Absichten oder Maßnahmen gegnerischer Zentren und Institutionen zur Störung der Konferenz durch subversive Aktivitäten vor.
Die Lage in der Hauptstadt und in den Bezirken der DDR sowie an der Staatsgrenze zur BRD ist stabil und normal. Die eingeleiteten Sicherungsmaßnahmen entsprechen den Erfordernissen, um eventuelle Aktivitäten zur Störung oder Beeinträchtigung der Konferenz zu unterbinden.
Bis jetzt ist lediglich bekannt, dass von einem operativ bearbeiteten Kreis von Studenten beabsichtigt ist, einen »offenen Brief« an die Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas zu richten. Er soll beinhalten
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eine Befürwortung der Diktatur des Proletariats im Hinblick auf die bestehenden Auseinandersetzungen mit der FKP und der IKP,
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eine Stellungnahme gegen den – nach Meinung dieser Studenten – in den sozialistischen Ländern bestehenden »Bürokratismus« als »Auswirkung des Stalinismus«.
Dieser Kreis von Studenten und mögliche weitere Aktivitäten werden unter Kontrolle gehalten. In Abhängigkeit von möglichen Schritten zur Verwirklichung ihres Vorhabens werden weitere erforderliche operative Entscheidungen getroffen.
Hinsichtlich weiterer gegnerischer Aktivitäten verdient Beachtung, dass die besonders von Westberliner Gebiet ausgehenden provokatorischen Handlungen gegen die Staatsgrenze der DDR anhalten. Wie schon wiederholt in den letzten Tagen kam es am 27. Juni 1976 zu Beschädigungen von Grenzsicherungsanlagen und zum Beschießen von Angehörigen der Grenztruppen der DDR mit Handfeuerwaffen (ein Fall – Staatsgrenze zu Westberlin im Raum Großziethen, Kreis Königs Wusterhausen). Ebenfalls ist festzustellen, dass die in der letzten Zeit zugenommenen ungesetzlichen Grenzübertritte von der BRD sowie von Westberlin nach wie vor anhalten (26. und 27. Juni je ein Fall).
In den Fällen sowohl der Grenzprovokationen als auch der ungesetzlichen Grenzübertritte wird gewissenhaft geprüft, inwieweit Zusammenhänge mit der Konferenz der kommunistischen und Arbeiterparteien Europas bestehen bzw. gesehen werden müssen.