Mängel bei den vom VEB TRO Berlin produzierten Transformatoren
22. Oktober 1976
Information Nr. 721/76 über die ungenügende Verfügbarkeit der im VEB Transformatorenwerk »Karl Liebknecht« Berlin (TRO) hergestellten regelbaren Block- und Netztransformatoren
Das MfS untersuchte im Zusammenwirken mit Fachexperten die am 29. Mai 1976 aufgetretene Transformatorenhavarie im VEB Kernkraftwerk »Bruno Leuschner« (KKW). Im Verlaufe dieser Untersuchungen wurde festgestellt, dass die vom VEB TRO produzierten regelbaren Block- und Netztransformatoren, die in Kraft- und Umspannwerken der DDR und des Auslandes eingesetzt werden, infolge konstruktiver Mängel an den Stufenschaltwerken und mangelnder Reparaturkapazitäten eine ungenügende Verfügbarkeit aufweisen.
Am 29. Mai 1976 explodierte im VEB KKW der Lastschalter des Stufenschalters (Typ SCV 1–800-123/245, G 19) im Blocktransformator BT 2 (Typ KDRF/V 250 002/220 E – Nennleistung 250 MVA). Der Stufenschalter befindet sich im Transformatorenkessel und dient zur stufenweisen Regelung der Transformatorenspannung während des Betriebes.
Durch die Explosion mit anschließender Brandfolge wurde der Stufenschalter völlig zerstört und der Transformator schwer beschädigt. Es entstand ein Sachschaden von ca. 500 000 Mark. Da zum Zeitpunkt der Havarie kein Reservetransformator zur Verfügung stand (es gibt in dieser Größenordnung nur einen Reservetrafo, dieser befand sich beim VEB TRO zur Reparatur), wurde im VEB KKW die Generalreparatur am Kraftwerksblock 2 zeitlich vorgezogen und der dadurch freigewordene Blocktransformator als Blocktransformator 2 eingesetzt. Trotzdem entstanden dem VEB KKW Erlösausfälle in Höhe von ca. 5 Mio. Mark.
Zu beachten ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass der vorgenannte Reservetransformator nach seinem Einsatz im VEB KKW bereits am 13. Oktober 1976 aus bisher noch nicht eindeutig ermittelter Ursache ebenfalls havarierte.
Nach Angaben der Leitung des VEB TRO kann der am 29. Mai 1976 havarierte Blocktransformator nicht vor April 1977 repariert werden. Das würde bedeuten, dass der VEB KKW und das Kraftwerk Thierbach/Leipzig – in dem Blocktransformatoren vom gleichen Typ eingesetzt sind – ohne Reservetransformatoren gefahren werden müssen.
Über den Hergang des Schadensfalles, seine Ursachen und die begünstigenden Bedingungen wurde im Zusammenwirken mit Fachexperten übereinstimmend festgestellt:
Am Generator 2 des Blockes 1 im VEB KKW wurden planmäßig und nach bestätigtem Programm durch den VEB Bergmann-Borsig Berlin Versuche zur Erwärmungsmessung des Generators durchgeführt. Dazu waren zahlreiche Stufungen des Blocktransformators erforderlich.
Bei der letzten Stufung vor Schadenseintritt schaltete der verantwortliche Oberschaltwärter irrtümlich nicht von der Stufe 1 auf die Stufe 2, sondern von der Stufe 1 in Richtung 0. Diese Schaltung ist nicht verboten, da bei dieser Schaltweise sowohl durch einen elektrischen Endschalter als auch durch eine mechanische Verriegelung eine Stufung in verkehrter Richtung, also von Stufe 1 in Richtung 0, normalerweise gesperrt wird. Infolge des Versagens der elektrischen Endstellenbegrenzung und der mechanischen Verriegelung durch Blockierung des Endstellenhebels durch Oxydation konnte der Stufenwähler die Stufe 10 anwählen. (Der Endstellenhebel hat die Aufgabe, bei Anwahl des Stufenwählers über die Endstellung hinaus den Schalterantrieb elektrisch und mechanisch zu verriegeln.)
Damit stand am Lastschalter des Stufenschalters eine neunfache Stufenspannung an. Die sich hierdurch einstellende Ausschaltleistung konnte vom Lastschalter nicht mehr beherrscht werden. Der dabei entstandene Schaltlichtbogen konnte nicht verlöschen, führte zur Vergasung des im Lastschalter befindlichen Öles und letztlich zur Explosion des Lastschalters.
Das Eintreten der Havarie wurde nach Meinung von Fachexperten praktisch dadurch begünstigt, dass die elektrische Endstellenbegrenzung und die mechanische Verriegelung nicht unabhängig voneinander wirksam werden können, sondern vom gleichen Endstellenhebel ihren Auslöseimpuls erhalten. Eine derartige konstruktive Gestaltung stellt somit nur eine einfache Sicherung dar und birgt immer ein Risiko in sich. Wie weiter festgestellt wurde, wiesen einzelne Baugruppen des Stufenschalters Oxydationserscheinungen und Fremdschichtbelag auf, die die Funktionstüchtigkeit dieser Baugruppen stark einschränkten und z. T. sogar völlig aufhoben.
Im Gutachten der Experten wird dazu ausgeführt, dass durchgeführte Untersuchungen an Blocktransformatoren mit Regelschaltwerken und die Auswertung internationaler Literatur zu neuerlichen Erkenntnissen geführt haben, aus denen abgeleitet werden kann, dass insbesondere die gegenwärtig in den Blocktransformatoren eingesetzten Wenderkontakte der Stufenwähler eine langzeitig sichere Betriebsführung dieser Transformatorentypen nicht gewährleisten. Die Gefährdung dieser Transformatoren wird nach einem mehrjährigen Betrieb in erster Linie durch Fremdschichtbildung an den ruhenden bzw. nur selten betätigten, unter Öl befindlichen Kontakten hervorgerufen. Bezeichnend ist, dass einige dieser Transformatoren bereits nach relativ kurzer Betriebszeit (2 bis 3 Jahre) havarierten bzw. einer Reparatur unterzogen werden mussten.
Nach Einschätzung der Experten ist zur Gewährleistung der Betriebssicherheit der vom VEB TRO hergestellten regelbaren Block- und Netztransformatoren ein umfangreiches Überwachungs- und Sanierungsprogramm erforderlich. Diese Forderung stößt jedoch insofern auf Schwierigkeiten, da sie aus Mangel an Reparaturkapazitäten nur im Verlaufe eines sehr langen Zeitraumes zu realisieren ist.
Gegenwärtig stellt sich die Situation wie folgt dar:
Der VEB TRO ist als Produktionsbetrieb bilanziert. Reparaturen und Sanierungen von Transformatoren bestimmter Typen können wegen ihrer Masse, Abmessungen und Hilfseinrichtungen nur in diesem Betrieb durchgeführt werden und gehen praktisch zu Lasten der Planerfüllung. So wurde z. B. der am 29. Mai 1976 im VEB KKW havarierte Blocktransformator zum VEB TRO transportiert und vom 20. Juni bis 30. Juni 1976 einer entsprechenden Befundsaufnahme unterzogen.
Diese Befundsaufnahme bedeutete für die Warenproduktion des VEB TRO im Monat Juni einen Produktionsausfall in Höhe von 5 Mio. Mark. (Ein in der Montage befindlicher Einphasentransformator vom Typ 267 Ü konnte erst im Juli 1976 fertiggestellt werden.) Zum anderen musste der havarierte Transformator nach der Befundsaufnahme aus Mangel an räumlicher Kapazität (der Reservetransformator befand sich zur Reparatur in der Montagehalle, Platz für einen zweiten ist nicht vorhanden) zum Kraftwerk Thierbach transportiert und bis zu seiner Reparatur dort abgestellt werden. Dadurch werden zwangsläufig Transportmittel gebunden, die zusätzlichen Transportkosten betragen ca. 50 000 Mark.
Nach vorliegender Übersicht wurden vom VEB TRO seit 1964 ca. 230 regelbare Block- und Netztransformatoren ausgeliefert, davon 58 nach Griechenland, Jugoslawien, Bulgarien und die ČSSR. Bisher mussten von diesen ausgelieferten Transformatoren ca. 25, teilweise bereits nach einer Betriebszeit von ein bis zwei Jahren, infolge Havarien repariert bzw. nach Erreichen bestimmter Grenzwerte nachgearbeitet und saniert werden.
Entsprechend den von Fachexperten des VEB TRO geführten Untersuchungen seien gegenwärtig insgesamt 139 Transformatoren gefährdet und müssten schnellstmöglich saniert werden. Von diesen sanierungsbedürftigen Transformatoren könnten jedoch 60 nur im VEB TRO saniert werden, während die restlichen 79 Blocktransformatoren in den Reparaturwerken Halle-Büschdorf nachgearbeitet werden könnten, falls dort die erforderlichen Hebezeuge und Aufbereitungsanlagen geschaffen werden.
Die gefährdeten Transformatoren befinden sich in solchen Großkraftwerken wie Hagenwerder III, Boxberg, Thierbach und dem VEB KKW sowie im Bereich der VVB Energieversorgung. In Auswertung des Schadensfalles am Blocktransformator 2 im VEB KKW wurde von der VVB Kraftwerke am 20. Juli 1976 ein umfangreicher Maßnahmeplan zur Überwachung der gefährdeten Transformatoren erarbeitet. Dadurch können jedoch keinesfalls die Ursachen der Gefährdung der Transformatoren beseitigt werden.
Fachexperten halten es deshalb aufgrund der dargelegten Situation für zwingend erforderlich, beim VEB TRO entsprechende räumliche Reparaturkapazitäten zu schaffen und auf der Grundlage der vom VEB TRO erarbeiteten Übersichten notwendige Reparaturen bzw. Sanierungen entsprechend in die Pläne einzuordnen.
Darüber hinaus wird es für erforderlich gehalten, dass vom Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik und der VVB Automatisierungs- und Elektroenergieanlagen auf die konstruktive Gestaltung von regelbaren Block- und Netztransformatoren Einfluss genommen wird, um deren Verfügbarkeit ständig zu erhöhen.