Mängel und Missstände im VEB Münze der DDR
4. Oktober 1976
Information Nr. 680/76 über im Zusammenhang mit der Untersuchung von Störungen an Münzprägeautomaten im VEB Münze der DDR festgestellte Mängel und Missstände
In der Zeit vom 27. Juli bis 30. August 1976 traten Drucklagerschäden an fünf der insgesamt acht im VEB Münze der DDR im Einsatz befindlichen Münzprägeautomaten vom Typ M 150 auf. Infolge dieser Schadensfälle und des dadurch eingetretenen Produktionsrückstandes von zehn Tagen wurde insbesondere die Realisierung eines Großauftrages der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam, der u. a. die Herstellung von insgesamt 480 Mio. Stück Münzen im VEB Münze der DDR vorsieht (lt. Beschluss des Politbüros des ZK der SED und Verfügung Nr. 430/75 des Vorsitzenden des Ministerrates der DDR),1 zeitweise ernsthaft gefährdet.
Die vom MfS im Zusammenwirken mit Fachexperten nach diesen Vorkommnissen eingeleiteten Untersuchungen zur Aufklärung der Ursachen und begünstigenden Bedingungen ergaben bisher:
Die Münzprägeautomaten Typ M 150 – Importmaschinen der Firma Schuler/Göttingen/BRD, einer der in der Welt führenden Maschinenbauproduzenten auf dem Gebiet von Münzprägeautomaten – befinden sich seit 1970 im VEB Münze der DDR im Einsatz.
Ausgehend von der Überlegung, Valutamittel einzusparen, die Ersatzteilabhängigkeit zu vermindern und einen hohen Auslastungsgrad der Münzprägeautomaten zu gewährleisten, unterbreitete im Oktober 1975 der Betriebsschlosser [Name] einen Verbesserungsvorschlag zur betrieblichen Eigenentwicklung des Schaltmechanismus der elektrischen Öldurchflusskontrolle. Nach entsprechender Prüfung bestätigte das Büro für Neuererwesen am 14. Januar 1976 den von [Betriebsschlosser] eingereichten Verbesserungsvorschlag und beauftragte ihn, ein Muster dieser Vorrichtung anzufertigen.
Am 20. März 1976 erfolgte dessen versuchsweiser Einsatz im Münzprägeautomaten Typ M 150 Nr. 3. Etwa Ende Mai 1976 wurden die bis zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Erprobungsergebnisse in einer Arbeitsberatung beim stellvertretenden Leiter der Hauptmechanik, an der u. a. auch der Direktor für Forschung und Technik teilnahm, ausgewertet. Da während der Erprobungszeit keine Störungen auftraten, wurde in dieser Arbeitsberatung festgelegt, den Meister der Mechanik zu beauftragen, die Herstellung weiterer elektrischer Öldurchlaufkontrollen auf der Grundlage des Verbesserungsvorschlages des Betriebsschlossers [Name] zu veranlassen.
Daraufhin fertigte der Betriebsmechaniker [Name] bis Mitte Juni 1976 insgesamt sechs elektrische Öldurchlaufkontrollen an, nahm jedoch ohne vorhergehende Prüfung und Bestätigung seitens des Büros für Neuererwesen selbstständig Modifizierungen an diesen Einrichtungen vor. Diese »Neuerungen« wurden in der Folgezeit in die Münzprägeautomaten Typ M 150 Nr. 1 bis 5 eingebaut.
In den Untersuchungen wurde eindeutig nachgewiesen, dass die als Ursache der Störungen festgestellten Schmelzerscheinungen in den Drucklagern der Münzprägeautomaten Typ M 150 auf die gerätetechnischen Veränderungen im Steuer- und Regelsystem der zentralen Ölschmierung zurückzuführen sind. Es liegen jedoch keine strafrechtlich relevanten Handlungen der verantwortlichen Betriebsangehörigen vor.
Wie weiter festgestellt wurde, waren die mit der betrieblichen Eigenentwicklung des Schaltmechanismus der elektrischen Öldurchflusskontrolle befassten Betriebsangehörigen weder über die Funktion des Steuer- und Regelsystems der zentralen Ölschmierung ausreichend informiert noch war ihnen das Funktionsprinzip der elektrischen Öldurchflusskontrolle im Detail bekannt. Trotzdem haben der Technische Direktor, der stellvertretende Leiter der Hauptmechanik, der Leiter des Büros für Neuererwesen und ein Meister den vorgenannten Verbesserungsvorschlag bestätigt.
Beachtenswert ist weiterhin der Umstand, dass die Untersuchungen des MfS und der Fachexperten zeitweilig erschwert wurden. Zunächst erfolgte von betrieblicher Seite keine Information über den gerätetechnischen Eingriff in die elektrische Öldurchlaufkontrolle. Darüber hinaus fehlte zunächst jeglicher Hinweis, dass unmittelbar nach jeder eingetretenen Störung die gerätetechnisch veränderten elektrischen Öldurchlaufkontrollen ausgebaut und durch entsprechende Originalstücke ersetzt wurden. Erst mit Beginn der Ermittlung der Störquellen am Münzprägeautomaten Typ M 150 Nr. 5 am 30. August 1976 wurde aufgrund interner Hinweise das vorgenannte Vorgehen bekannt.
In den Untersuchungen sind darüber hinausgehend eine Reihe von Mängeln in der Betriebsführung des VEB Münze der DDR, insbesondere in der Anleitung und Kontrolle dieses Betriebes durch den verantwortlichen Ministerbereich des Ministeriums der Finanzen, festgestellt worden, die im Zusammenhang mit den Störungen bedeutsam sind und auf die nachstehend eingegangen wird.
Der Hersteller des Münzprägeautomaten Typ M 150 – die Firma Schuler/Göttingen – hat im Zusammenhang mit der Übergabe der Münzprägeautomaten darauf hingewiesen, dass bei einschichtiger Auslastung der Münzprägeautomaten eine Lebensdauer von sieben bis zehn Jahren erwartet werden kann.
Seit 1970/71 werden die Münzprägeautomaten täglich dreischichtig eingesetzt. Aufgrund der angespannten Produktionslage werden die geplanten Stillstandszeiten (Pflege und Wartung, Instandhaltungs- und Generalreparaturarbeiten) nicht im erforderlichen Umfang eingehalten, obwohl die dreischichtige Auslastung der Automaten eigentlich dementsprechend umfangreichere Pflege- und Wartungsarbeiten voraussetzt. Insbesondere solche Maßnahmen wie Durchführung des notwendigen Ölwechsels, Einregulierung der elektrischen Öldurchlaufkontrolle, Nachjustieren der Lagerspiele wurden jedoch völlig unzureichend ausgeführt und leitungsmäßig überhaupt nicht kontrolliert.
Im technischen Bereich des VEB Münze der DDR gibt es gegenwärtig keine speziell für die Münzprägeautomaten ausgebildeten Fachkräfte, die deren ordnungsgemäße Wartung und Pflege sowie notwendige Instandhaltungs- und Generalreparaturarbeiten in der erforderlichen Qualität gewährleisten könnten.
Beachtenswert ist auch die Tatsache, dass im VEB Münze der DDR seit Jahren keine den Erfordernissen entsprechende planmäßige vorbeugende Instandhaltung der Grundfonds erfolgte und auch die planmäßige Erneuerung der Grundmittel vernachlässigt wurde.2
Der seit längerer Zeit beantragte Import eines Münzprägeautomaten vom Typ M 150, der als Reservemaschine für den Einsatz bei unerwartet auftretenden Maschinenausfällen bzw. zur Sicherung laufender Produktionsaufgaben auch während der Durchführung von Instandhaltungs- und Generalreparaturarbeiten dringend erforderlich wäre, wurde vom Ministerium der Finanzen bisher abgelehnt. Erst im Zusammenhang mit den Störungen an den Münzprägeautomaten Typ M 150 wurde diesem Importantrag zugestimmt.
Im VEB Münze der DDR werden keine Maschinenpässe geführt, sodass keine lückenlosen Angaben über den technischen Zustand der Maschinen vorliegen. Obwohl bereits 1973 eine zentrale Lagerfachkartei geschaffen wurde, konnte – wie im Verlauf der Untersuchungen weiter festgestellt wurde – aufgrund der in dieser Kartei enthaltenen Daten kein exakter Überblick über den Bestand, die Zu- und Abgänge von Ersatzteilen, insbesondere über den Verbrauch von Verschleißteilen, gegeben werden. Zum Zeitpunkt der Störungen in den Monaten Juli und August 1976 befanden sich beispielsweise keine elektrischen Durchlaufkontrollen am Lager.
Im Ergebnis der geführten Untersuchungen wird übereinstimmend eingeschätzt, dass offensichtlich auch einige Mängel in der Führungs- und Leitungstätigkeit des für die Anleitung und Kontrolle des VEB Münze der DDR verantwortlichen Ministerbereiches innerhalb des Ministeriums der Finanzen die entstandene Lage im Betrieb begünstigten. So wurde von betrieblicher Seite u. a. auch darauf aufmerksam gemacht, dass 1970 ein vom Betriebsleiter auf der Grundlage der Rahmennomenklatur3 für VEB erarbeiteter Strukturplan für den VEB Münze der DDR von der Leitung des Ministeriums der Finanzen nur mit wesentlichen Einschränkungen bestätigt worden war.
Die Einschränkungen des Strukturplanes betrafen besonders die Bereiche Technik und Betriebsorganisation, die – Expertenmeinungen zufolge – für den ordnungsgemäßen Betriebsablauf von besonderer Bedeutung sind.
Wichtige Leitungsfunktionen im VEB Münze der DDR wurden bisher nicht mit entsprechend qualifizierten Kadern besetzt. Seit 1970 musste z. B. die Funktion des Technischen Direktors viermal umbesetzt werden. Im Jahre 1975 wurde der Ökonomische Direktor von seiner Funktion entbunden. Bereits seit 1970 gibt es keinen stellvertretenden Betriebsdirektor. Der Hauptmechaniker des Betriebes verfügt nicht über die erforderliche technische Qualifikation.
Im Verlauf der Untersuchungen der Störungen wurden auch nähere Einzelheiten im Zusammenhang mit der Realisierung des Großauftrages der Regierung der Sozialistischen Republik Vietnam dahingehend bekannt, dass seitens der Leitung des Ministeriums der Finanzen, insbesondere des als Auftragsleiter eingesetzten Stellvertreters des Ministers, von Beginn an verabsäumt wurde, gemeinsam mit dem Betriebsleiter und anderen verantwortlichen Mitarbeitern sorgfältig die materiell-technischen und arbeitskräftemäßigen Bedingungen und Voraussetzungen zu prüfen und entsprechende Maßnahmen im Interesse der störungsfreien Durchführung des Großauftrages festzulegen.
Aus diesem Grund ergaben sich im Verlauf des Jahres 1976 eine Reihe ernsthafter Komplikationen, die in erster Linie die Kontinuität und Stabilität des Produktionsablaufes gefährdeten. Die entsprechenden Hinweise der Inspektion des Ministeriums der Finanzen und des MfS über Einzelprobleme der Kapazitätsauslastung, Arbeitskräftebereitstellung, Instandhaltungs- und Ersatzteilversorgung sowie Fragen der Neuausrüstung sind offensichtlich von der Leitung des Ministeriums der Finanzen in ihrer Bedeutung nicht voll erkannt und entsprechend beachtet worden.
Dadurch kam es u. a. auch zur Entscheidung des Ministers der Finanzen, den Auslieferungstermin (31. Oktober 1976), ohne vorhergehende Rücksprache mit dem Betriebsdirektor, um zehn Tage auf den 21. Oktober 1976 vorzuverlegen. Durch diese Entscheidung wurde die ohnehin angespannte Produktionssituation noch weiter verschärft.
Die hohe Einsatzbereitschaft der Betriebsangehörigen einschließlich der Betriebsleitung des VEB Münze der DDR und die mit Unterstützung des Zentralkomitees der SED und des MfS eingeleiteten außerordentlichen Maßnahmen (Bereitstellung von Arbeitskräften aus dem Kaderbestand des MfS, Maschinen- und Ersatzteilbeschaffung) gewährleisten die abkommensgerechte Realisierung des Großauftrages.
Im Interesse der Gewährleistung einer stabilen, kontinuierlichen Produktion im VEB Münze der DDR wird empfohlen, die vom MfS gemeinsam mit Experten herausgearbeiteten Ursachen und begünstigenden Bedingungen für die Störungen an den Münzprägeautomaten Typ M 150 durch den Minister der Finanzen im Leitungskollektiv des VEB Münze der DDR auszuwerten.
Die Auswertung sollte gleichzeitig mit der Erteilung kontrollfähiger Auflagen zur Verbesserung der Wartungs- und Pflegearbeiten, der Instandhaltungs- und Generalreparaturarbeiten verbunden werden.
Es sollte weiter geprüft werden, welche geeigneten Maßnahmen zur Qualifizierung eines ausgewählten Kreises von Facharbeitern einzuleiten sind mit dem Ziel, die Wartungs- und Pflegearbeiten, die Instandhaltungs- und Generalreparaturarbeiten mit betriebseigenen Kräften gewährleisten zu können.