Pressekonferenz des Lutherischen Weltbundes in Ostberlin
9. April 1976
Information Nr. 262/76 über die Pressekonferenz des Generalsekretärs des Lutherischen Weltbundes, Dr. Carl Mau, am 30. März 1976 in der Hauptstadt Berlin
Der Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes Dr. Carl Mau; geboren: 22. Juni 1922, wohnhaft: Wisconsin/USA; zurzeit Genf, besuchte vom 20. bis 31. März 1976 auf Einladung des Nationalkomitees des Lutherischen Weltbundes in der DDR die Mitgliedskirchen des Weltbundes in der DDR.1 (Es handelt sich bei diesen Kirchen um die Evangelisch-Lutherischen Landeskirchen von Thüringen, Mecklenburg, Greifswald und Sachsen.)
Bei seiner Einreise wurde er in Eisenach (Landeskirche Thüringen) von Bischof Braecklein empfangen und begab sich von dort zur Geschäftsstelle des Nationalkomitees, dem Lutherischen Kirchenamt in der DDR (Leiter des Lutherischen Kirchenamtes ist Oberkirchenrat Helmut Zeddies).
In den Landeskirchen von Mecklenburg, Greifswald und Sachsen führte Mau Informationsgespräche mit Kirchenleitungen, kirchlichen Mitarbeitern und nahm an Veranstaltungen von Kirchengemeinden teil. Dabei interessierten ihn insbesondere die Situation der Kirche in der sozialistischen Gesellschaft und neue Formen der Kirchenarbeit.
Dem MfS wurde bekannt, dass Mau am Abend des letzten Besuchstages in den Räumen des Lutherischen Kirchenamtes, Berlin, Auguststraße 80, auf eigene Initiative2 – und soweit bekannt ohne offizielle Anmeldung – eine Pressekonferenz gab. An der Pressekonferenz nahmen teil:
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Oberkirchenrat Zeddies, Berlin,
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Friedrich König, Genf, Pressechef des Lutherischen Weltbundes,
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drei Vertreter der kirchlichen Presse in der DDR,
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ein Vertreter von ADN und Radio Berlin International,
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ein Vertreter von dpa (Schulz),
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ein Vertreter von epd (Röder),
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ein Vertreter der CDU-Zeitung »Neue Zeit«.3
Den Journalisten wurde eine schriftliche Erklärung ausgehändigt, in welcher Mau die Ergebnisse seiner Reise zusammenfasste. Neben einer Darstellung des Ablaufs seiner Reise enthält diese Erklärung folgende Punkte:
- 1.
Die Kirchen in der DDR sind keine Volkskirchen im herkömmlichen Sinne mehr; es sind Kirchen im Wandel. Sie werden aber an vielen Orten getragen von lebendigen Gemeinden, die vielfach bestrebt sind, ihrem Glauben auch in neuen Formen gemeinsamer Anbetung und christlichen Zeugnisses Rechnung zu tragen.
- 2.
Diese positiven Bemühungen um Gemeindebildung lassen es auch erforderlich erscheinen, dass bei der Planung der eindrucksvollen neuen Wohnsiedlungen modernen Stils in sozialistischen Neubaugebieten kirchliche Einrichtungen und Gotteshäuser mit vorgesehen und eingeplant werden.
- 3.
Es ist beeindruckend zu sehen, wie vielerorts in der DDR vor allem auch junge Christen bereit sind, am sozialistischen Aufbau nach besten Kräften mitzuwirken. Dabei kam jedoch auch zum Ausdruck, dass in einer ganzen Reihe von Fällen Kinder aus bewusst christlichen Familien die in der Verfassung der DDR vorgesehene Chancengleichheit nicht verwirklichen können, was in manchen Fällen zu unangemessener Belastung dieser jungen Menschen und einer Beeinträchtigung ihrer Entwicklung führt.
- 4.
Es ist dankbar festzustellen, dass die Möglichkeiten der persönlichen Begegnung in den letzten Jahren zunehmend ausgeweitet werden konnten. Der Lutherische Weltbund als eine Föderation partnerschaftlich verbundener Kirchen ist auf ständige zwischenkirchliche Kontakte auf persönlicher Ebene in allen seinen Arbeitsbereichen angewiesen und begrüßt, dass eine solche Ausweitung solcher Kontakte möglich ist.
- 5.
In hohem Maße wünschenswert ist eine Verbesserung der Kommunikation zwischen den Kirchen der DDR und den übrigen Kirchen der Welt sowie mit dem Lutherischen Weltbund auf dem Wege eines ungehinderten Literatur-, Arbeitsmaterial- und Informationsaustausches. Hier erwarten wir noch erhebliche Entwicklungen.
- 6.
Die Kirchen in der DDR haben ganz offensichtlich einen wesentlichen Auftrag gerade auch in einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Sie sind ein eindrucksvolles Zeichen des gnädigen Wirkens Gottes und bringen beispielhafte Impulse in den Lutherischen Weltbund ein, dessen vornehmste Aufgabe es ist, seine 92 Mitgliedskirchen auf allen Kontinenten in ihrem gemeinsamen Zeugnis zu stärken und ihnen für ihren Dienst in den verschiedenartigsten Situationen der Welt von heute zur Verfügung zu stehen.
Dem MfS wurde intern bekannt, dass die negativen Aussagen in den Punkten 3 und 5 auf Initiative von Zeddies und König entstanden sind.
Die Ausführungen von Mau hoben sich inhaltlich von den Aussagen der schriftlichen Erklärung ab. Er bat zu Beginn der Pressekonferenz um Kenntnisnahme der schriftlichen Erklärung und gab danach einen kurzen Bericht über seine DDR-Reise. Er hob dabei hervor, dass er 26 Gemeindeveranstaltungen besucht hat und Tausende Christen in Gottesdiensten erleben konnte. Er habe verstanden, dass die Kirche in der DDR versucht, sich den neuen gesellschaftlichen Bedingungen anzupassen. Die Kirche in der DDR sei beeindruckend. Das Gleiche treffe auf die Neubausiedlungen zu. Er müsse jedoch dabei konstatieren, dass es dort an kirchlichen Räumen fehle.
Danach machte er kurze Erklärungen zu den sechs Punkten seiner Erklärung. Zu Punkt 3 stellte er dabei fest, dass es »wahrscheinlich noch vorkommt, dass es kirchlich gebundene Kinder nicht leicht haben«.
Nach einer Reihe von Fragen zu theologischen Problemen bat der dpa-Vertreter Schulz den Generalsekretär um eine Beurteilung der Auswanderungsquote aus der DDR. Mau lehnte die Beantwortung der Frage mit der Bemerkung ab, dass er darüber keine Auskunft geben könne. Seiner Meinung nach könne dies offensichtlich kein Problem darstellen. Auf eine Frage des ADN-Vertreters nach Beurteilung des Wirkens von Bischof Franz in Chile lobte Mau dessen Initiative nach dem Putsch bei der Rettung politisch Verfolgter. Auf die Frage des Vertreters der »Neuen Zeit« zu seiner Haltung gegenüber dem gastgebenden Land (der DDR) führte Mau aus, dass seiner Meinung nach die Haltung der DDR in vielen Fragen völlig konform mit der Haltung der Christenheit sei, trotz unterschiedlicher Motive und Beweggründe. Er habe wichtige Aspekte der Zusammenarbeit zwischen Christen und Marxisten kennengelernt, und er müsse diese Zusammenarbeit bejahen.
Mau betonte während der Pressekonferenz weiter, es habe ihn beeindruckt, dass es in der DDR keine Arbeitslosigkeit gibt, aber er habe von Schwierigkeiten der Berufswahl bei christlichen Jugendlichen gehört. Danach folgten positive Ausführungen zur Europäischen Sicherheitskonferenz. Er hob dabei hervor, der Lutherische Weltbund habe die Konferenz von Helsinki bereits sehr früh unterstützt.