Probleme der Energieversorgung im VEB PCK Schwedt
1. März 1976
Information Nr. 172/76 über einige Probleme der Gewährleistung einer stabilen Elektroenergieversorgung des VEB Petrolchemisches Kombinat, Stammbetrieb Schwedt, [Kreis]Angermünde, [Bezirk] Frankfurt/O.
Wie dem MfS zuverlässig bekannt wurde, ist die Versorgung mit Elektroenergie des VEB Petrolchemisches Kombinat, Stammbetrieb Schwedt/Angermünde/Frankfurt/O. (PCK Schwedt) von einer Reihe Unsicherheitsfaktoren gekennzeichnet. Dazu im Einzelnen:
Der VEB PCK Schwedt (Stammbetrieb) verfügt nur über eine einseitige Einspeisung für Elektroenergie über das 110 kV-Teilverbundnetz Neuenhagen – Angermünde – Schwedt. Bereits eine einfache Störung in diesem Netzabschnitt kann zum totalen Ausfall des VEB PCK Schwedt führen. Ein Totalausfall der Elektroenergieeinspeisung würde u. a. auch bedeuten, dass die für sichere Abfahrprozesse notwendigen Hilfsenergien (Wasser, Luft, Stickstoff) ausfallen und Zerstörungen größeren Ausmaßes sowie eine akute Gefährdung der Werktätigen zur Folge haben können.
Die Versorgung des PCK Schwedt mit Elektroenergie erfolgt über zwei 110 kV-Freileitungen aus dem Teilverbundnetz Frankfurt/O. Beide 110 kV-Verbundnetzleitungen sind jedoch in der Schaltanlage Schwedt auf eine 110 kV-Sammelschiene geschaltet. Im Störungsfall können dadurch beide Anschlüsse, da keine Kupplungen dazwischen geschaltet sind, nicht voneinander getrennt werden.
Wie weiter festgestellt wurde, handelt es sich bei diesem 110 kV-Teilverbundnetz um einen sogenannten schwachen Netzläufer mit einer Kurzschlussfestigkeit von nur 800 MVA. (Bei elektrischen Zuleitungen für solche Chemiebetriebe, wie z. B. Leunawerke, Kombinatsbetrieb Böhlen des PCK Schwedt, beträgt die Kurzschlussfestigkeit 5 000 MVA und mehr.)
Die bestehenden Unsicherheiten für die kontinuierliche Versorgung der Produktionsanlagen mit Elektroenergie ergeben sich auch aus der ungenügenden Aufteilung des elektrischen Betriebsnetzes und durch die fehlende Selektivität in den Spannungsebenen (d. h. der Abstufung von der 110 kV-Verbundnetzeinspeisung bis zur 0,5 kV-Gebrauchsspannung).
Die innerbetriebliche Instabilität wird darüber hinaus vor allem durch zwei fehlende Stromstoßbegrenzer begünstigt, was zur Folge haben kann, dass auftretende elektrische Störungen im Betriebsnetz örtlich nicht eingegrenzt werden können.
Die gegenwärtig bereits vorhandenen Schwierigkeiten bei der Gewährleistung einer störungsfreien Elektroenergieversorgung im VEB PCK Schwedt (Stammbetrieb) können in Zukunft noch an Bedeutung zunehmen, da bereits ab 1976 weitere Investitionsobjekte fertiggestellt werden, die zusätzliche Stromabnehmer darstellen.
Die Energiebilanz des VEB PCK Schwedt (Stammbetrieb) weist folgende Steigerung des Elektroenergiebedarfs und Fehlmengen bis zum Jahr 1978 aus:
[Jahr] | [Zeitraum] | Bedarf | Fehlmenge |
---|---|---|---|
1976 | Sommerhalbjahr | 131 MW | 16 MW |
1976 | Winterhalbjahr | 131 MW | 1 MW |
1977 | Januar–März | 131 MW | 10 MW |
1977 | April–August | 136 MW | 28 MW |
1977 | September–Dezember | 152 MW | 31 MW |
1978 | Januar–Oktober | 152 MW | 28–73 MW |
1978 | November–Dezember | 174 MW | 50 MW |
(Die Fehlmengen stellen die Differenz zwischen der Eigenleistung des Industriekraftwerkes Schwedt und des maximalen Bezugs von Elektroenergie aus dem vorgenannten Teilverbundnetz einerseits und dem errechneten Bedarf des PCK Schwedt andererseits dar.)
Im Interesse einer störungsfreien und den ökonomischen Erfordernissen entsprechenden Versorgung des VEB PCK Schwedt (Stammbetrieb) mit Elektroenergie wäre nach Auffassung der Experten die Schaffung einer zweiten unabhängigen Elektroenergieeinspeisung aus dem Verbundnetz unbedingt erforderlich. Als frühestmöglicher Termin der Realisierung kann nach Angaben des Ministeriums für Kohle und Energie vorerst nur das Jahr 1978 angegeben werden.
Die Realisierung der zweiten unabhängigen Elektroenergieeinspeisung ist jedoch von der Fertigstellung und Inbetriebnahme des 220/100 kV-Umspannwerkes Vierraden/Angermünde/Frankfurt/O. abhängig, das, soweit bisher festgestellt werden konnte, noch nicht einmal bau- und ausrüstungsseitig als gesichert angesehen wird.
Es wird vorgeschlagen, zu prüfen, ob im Zusammenhang mit der Schaffung einer zweiten unabhängigen Elektroenergieeinspeisung für den VEB PCK Schwedt (Stammbetrieb) nicht ein entsprechender Beschluss des Ministerrates herbeigeführt werden sollte, in dem verbindliche Zielstellungen, Verantwortlichkeiten und Termine zur schnellen Realisierung dieses Vorhabens enthalten sein müssten.1