Schließung von GÜST durch die VR Polen
13. Mai 1976
Hinweise im Zusammenhang mit der Schließung von Grenzübergangsstellen für den pass- und visafreien Reiseverkehr zwischen der DDR und der VR Polen [Bericht O/26c]
Nach dem MfS vorliegenden Informationen werden die seitens der Organe der VR Polen einseitig eingeleiteten Seuchenschutz-Maßnahmen an allen Grenzübergangsstellen fortgesetzt. Die Schließung der bekannten Grenzübergangsstellen für den pass- und visafreien Reiseverkehr wird ebenfalls aufrechterhalten.
Wie am 10. Mai 1976 bekannt wurde, werden auch auf dem internationalen Flughafen Warschau Seuchenschutzmaßnahmen durchgeführt, denen sich alle Flugpassagiere unterziehen müssen, die aus der DDR kommen bzw. Zwischenaufenthalt in der DDR hatten.
Am 12. Mai 1976, in der Zeit zwischen 10.30 Uhr und 15.00 Uhr, wurden durch Mitarbeiter der Kontrollorgane an den Grenzübergangsstellen Ahlbeck, Linken, Pomellen, Gumience, Schwedt, Frankfurt/O. – Stadtbrücke und Autobahn – sowie Wilhelm-Pieck-Stadt Guben entsprechend den getroffenen zentralen Festlegungen die Grenzkontrollorgane der VR Polen von den angewiesenen Maßnahmen der DDR zur zeitweiligen Schließung dieser Grenzübergangsstellen für den pass- und visafreien Reiseverkehr in beiden Richtungen in Kenntnis gesetzt.
Im Zusammenhang mit diesen Festlegungen werden zunehmend Meinungsäußerungen polnischer Bürger bekannt, aus denen zu schlussfolgern ist, dass diese Maßnahmen mit bestimmten innenpolitischen Vorgängen in der VR Polen im Zusammenhang stehen könnten.
Die dem MfS dazu bekannt gewordenen Informationen beinhalten im Wesentlichen verbreitete Äußerungen, dass noch im ersten Halbjahr 1976 in der VR Polen die Preise für Grundnahrungsmittel und einen großen Teil der industriellen Erzeugnisse stark ansteigen sollen.
In diesem Zusammenhang wird darüber gesprochen, dass in der ersten Aprilwoche sämtliche 1. Sekretäre der PVAP der Wojewodschaften zu internen Gesprächen bei Genossen Gierek gewesen wären und die Vermutung geäußert, dass die Termine für die Preissteigerungen besprochen wurden.
Weitere Informationen beinhalten, dass sich in den letzten Tagen Mitarbeiter des ZK der PVAP in Großbetrieben der Industriezentren Wroclaw, Krakow, Poznan, Gdansk und Szczecin aufgehalten und in den Parteiorganisationen eine intensive Aufklärungs- und Überzeugungsarbeit zur Notwendigkeit der in Kürze durchzuführenden Preissteigerungen für Lebensmittel geleistet haben sollen.1
In den letzten Tagen häufen sich Informationen, aus denen zunehmende Unzufriedenheit unter der Bevölkerung der VR Polen über die gegenwärtige Situation der Lebensmittel- und besonders Fleischversorgung hervorgehen. Es wird in diesem Zusammenhang ernsthaft befürchtet, dass die vorgesehenen Preiserhöhungen diese Unzufriedenheit ausweiten könnten und selbst bestimmte Ausschreitungen nicht auszuschließen sind.
Die zeitweilige Schließung der bekannten Grenzübergangsstellen für den pass- und visafreien Reiseverkehr wird in einem engen Zusammenhang mit der Verhinderung von Angst- und Hamstereinkäufen gesehen.
Das in vielen Fällen durch Bürger der VR Polen geäußerte Unverständnis für die Maßnahmen der Organe der VR Polen zur Schließung der bekannten Grenzübergangsstellen führte so weit, dass z. B. Bürger der VR Polen in der Konsularabteilung der Botschaft VR Polen erregte Auseinandersetzungen führten, die bis zu diffamierenden und hetzerischen Äußerungen gegen die Partei- und Staatsführung der VR Polen gingen.
Über die mit der zeitweiligen Schließung von Grenzübergangsstellen bekannt gewordenen Meinungsäußerungen hinaus wurde dem MfS bekannt, dass auch aus anderen Zusammenhängen heraus Rückschlüsse auf bestimmte Probleme der innenpolitischen Lage gezogen werden können. Das wird u. a. aus einigen im Zusammenhang mit der im April in Katowice durchgeführten Eishockey-Weltmeisterschaft bekannt gewordenen Fakten und Problemen sichtbar.2
So wurde z. B. festgestellt, dass die Angehörigen der polnischen Miliz mit häufig unbegründeter Strenge und ungerechtfertigten Sanktionen gegen Ausländer – auch gegen DDR-Bürger – vorgehen. Ein DDR-Bürger sollte z. B. wegen einer geringfügigen Ordnungswidrigkeit eine Strafe von 1 000 Zloty zahlen. Als er sich weigerte, wurden er und zwei weitere DDR-Bürger vorläufig festgenommen, in ein Zimmer eingeschlossen und erst freigelassen, nachdem die auf 300 Zloty herabgesetzte Strafe gezahlt wurde.