Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen (BEK)
16. Februar 1976
Information Nr. 102/76 über die Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen am 10. Januar 1976
Dem MfS wurden bemerkenswerte Einzelheiten über den Verlauf einer internen Sitzung der Konferenz der Kirchenleitungen am 10. Januar 1976 bekannt, die sich insbesondere mit der Erklärung der evangelischen Bischöfe der DDR zur UNO-Resolution über den Zionismus beschäftigte.1
Bischof Schönherr, Berlin, berichtete eingangs über das von Staatssekretär Seigewasser mit ihm geführte Gespräch in dieser Angelegenheit und sagte, das Wort »Gespräch« könne dafür kaum angewandt werden. Er sei ständig »unterbrochen und beschimpft« worden. Seit 1968 habe er den Staatssekretär nicht so erregt gesehen. Schönherr habe erklärt, es sei nicht die Absicht der Bischöfe gewesen, den Zionismus zu verteidigen, sie hätten sich gegen die Gleichsetzung des Zionismus mit dem Rassismus gewandt.
Auf die Beschuldigung des Staatssekretärs, dass mit dieser Erklärung der Bischöfe gegen einen Beschluss der Regierung verstoßen worden sei, denn die Regierung der DDR habe der UNO-Resolution zugestimmt, habe Schönherr die Frage gestellt, ob denn jeder Staatsbürger gezwungen sei, zu allen Regierungsbeschlüssen Ja zu sagen. Darauf habe der Staatssekretär entgegnet, die Kirche in der DDR sei auf der Grundlage der Verfassung zum Kampf für Freiheit und Frieden verpflichtet, und diese Verpflichtung schließe eine Unterstützung der Beschlüsse der Regierung, die diesem Ziel dienen, ein.
Der Staatssekretär habe von Schönherr verlangt, dass
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die Bischöfe die Zionismus-Erklärung zurücknehmen,
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sich Schönherr im DDR-Fernsehen öffentlich von der israelischen Politik distanziert.
Schönherr habe erklärt, er halte diese Forderungen für so entscheidend, dass er sich erst einmal mit Freunden darüber beraten müsste. Er habe den Eindruck gehabt, der Staatssekretär sei von seiner Haltung sehr überrascht gewesen und habe offensichtlich erwartet, dass Schönherr diesen beiden Forderungen sofort zustimme.
Die Verabschiedung nach diesem »Gespräch« sei zwar mit Handschlag, aber mit so viel Zurückhaltung erfolgt, wie er sie noch nie erlebt habe.
Schönherr berichtete weiter, er sei kurz nach dem Gespräch mit Staatssekretär Seigewasser nach Westberlin gefahren zur Teilnahme an den Beerdigungsfeierlichkeiten für Propst Grüber. Während seines Aufenthaltes in Westberlin habe er dem westdeutschen – epd – (evangelischer Pressedienst) ein Interview gegeben,2 bei dem er insbesondere auf drei Punkte eingegangen sei:
- 1.
Er halte es für unmöglich, dass die politische Frage Israels zu einer ideologischen Frage umgedeutet werde. Das sei auch der Hauptgrund, weshalb er der Erklärung der Bischöfe der DDR zugestimmt habe.
- 2.
Mit dieser Erklärung zur UNO-Resolution über den Zionismus haben sich die evangelischen Bischöfe der DDR hinter den Brief des Generalsekretärs des ökumenischen Rates der Kirchen, Potter, gestellt.3
- 3.
Die Politik Israels, insbesondere unter der Ministerpräsidentin Meir, halte er nicht für besonders glücklich.
Abschließend habe Bischof Schönherr dem – epd – erklärt, die Erklärung der Bischöfe sei insbesondere für die Pfarrer und Gemeinden als »Wegweiser« bestimmt gewesen. Auf der V. Vollversammlung des ökumenischen Rates der Kirchen in Nairobi habe sie keine öffentliche Rolle gespielt und keinen Skandal ausgelöst.4
In der anschließenden Diskussion in der Konferenz der Kirchenleitungen gab es folgende Meinungen:
Bischof Braecklein, Eisenach, erklärte, es sei der Wunsch der Verfasser der Erklärung gewesen, diese zunächst dem Staatssekretär für Kirchenfragen zu übergeben, bevor sie anderen zur Kenntnis gelangt. Durch eine »nicht gewollte Panne« sei sie dann leider doch vorfristig in die Hände der Presse geraten. Die Erklärung sei bewusst von der Bischofskonferenz, die ja kein offizielles Organ des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR sei, abgegeben worden, um zu vermeiden, dass ein Bundesorgan damit belastet wird. Die Erklärung sei abgefasst worden, weil aus vielen Gemeinden entsprechende Anfragen vorgelegen hätten. Braecklein betonte ebenfalls, die Erklärung sei vor allem für die Pfarrer in den Gemeinden bestimmt gewesen.
Bischof Fränkel, Görlitz, brachte zum Ausdruck, die Bischöfe seien gezwungen gewesen, eine derartige Stellungnahme abzugeben, weil entsprechende Anfragen vorgelegen haben. Inzwischen habe er in Erfahrung gebracht, dass diese Erklärung ganz ausgezeichnet aufgenommen worden sei. Er habe z. B. am 27. Dezember 1975 in der Hauptversammlung der »Aktion Sühnezeichen« im Stephanus-Stift dazu gesprochen, und man habe ihm mit Beifall und Zustimmung gedankt.
Auf einer Jugendrüste5 in Görlitz sei er gebeten worden, die Erklärung vervielfältigen zu lassen und den Teilnehmern der Jugendrüste zugänglich zu machen, mit der Begründung, diese ausgezeichnete Erklärung sei für die Argumentation der Jugendlichen und ihre Bewusstseinsbildung von außerordentlicher Bedeutung. Fränkel habe jedoch abgelehnt, weil er als einer der Unterzeichner der Erklärung diese nur mit Zustimmung der anderen Unterzeichner vervielfältigen könne. Er habe jedoch auf die Möglichkeit verwiesen, dass die Gemeindepfarrer, denen die Erklärung zugegangen sei, sie ohne Weiteres vervielfältigen und interessierten Gemeindemitgliedern zur Verfügung stellen können.
Fränkel betonte weiter, die Erklärung habe auch die volle Zustimmung der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche des Görlitzer Kirchengebietes, vor allem der Laien, gefunden.
Abschließend erklärte er, der Staatssekretär habe keine Veranlassung, die Erklärung als unloyalen Akt gegen die Regierung zu bezeichnen. Wenn sie jedoch als unloyal vonseiten des Staates betrachtet werde, dann müsse er sagen, es gebe Grenzen der Loyalität.
Bischof Hempel, Dresden, der die Delegation der DDR-Kirchen zur V. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Nairobi geleitet hat, brachte zum Ausdruck, die Erklärung habe dort keine große Rolle gespielt, da zu dieser Frage die Nahost-Resolution gefasst worden sei, die in etwa der Intention der Bischofserklärung entsprochen habe. Der Einspruch gegen die Erklärung der DDR-Bischöfe sei von Klages (Neue Zeit), DDR, erfolgt. Hempel habe sofort Generalsekretär Potter informiert, der eine Diskussion zu der Erklärung verhinderte.
Auf die Anfrage eines Mitgliedes der Konferenz der Kirchenleitungen, wieso es zu dieser »nicht gewollten Panne« gekommen sei, d. h., dass die Westpresse von dieser Erklärung Kenntnis erhielt, erklärte Hempel: Die Erklärung sei als Telex gekommen und von den technischen Kräften mit anderen Briefen, Telegrammen usw. in das für die DDR-Delegation vorgesehene Fach gelegt worden. Offensichtlich habe jemand das Exemplar herausgenommen, abgelichtet und ohne Rücksicht auf den Sperrdruck weiter verwandt. Er habe mit westdeutschen Journalisten darüber gesprochen, dieses Vorgehen als groben Vertrauensbruch bezeichnet und zum Ausdruck gebracht, dass er kein Verständnis habe für derart hinterhältige Praktiken. Die Journalisten hätten jedoch erklärt, sie hätten hierzu andere Ansichten und würden sich berechtigt fühlen, alle wichtigen Dinge auch zu veröffentlichen.
Über den Inhalt der Erklärung habe es einen Austausch mit Mitgliedern der Delegation der BRD-Kirchen gegeben, wobei festgestellt werden konnte, dass völlige Übereinstimmung besteht.
Nur von den Kopten (Angehörige der ägyptisch-christlichen Kirche) sei die Erklärung rigoros abgelehnt worden. Die Kopten würden eine noch radikalere Auffassung vertreten als die linksextremen Araber, PLO usw. Die Kopten hätten nachdrücklich betont, dass die Israelis ausgerottet werden müssten.
Bischof Hempel bestätigte gleichfalls, die Erklärung sei zur Unterrichtung der interessierten Gemeinden gedacht gewesen. Den Pfarrern stünde es nicht nur frei, sie seien sogar verpflichtet, innerhalb ihrer Gemeinde den Inhalt der Erklärung zu verbreiten. Dies sollte nicht als Kanzelwort geschehen, sondern auf Anfragen bei Veranstaltungen usw.
Bischof Gienke, Greifswald, ging auf das epd-Interview mit Bischof Schönherr ein und sagte, er habe mit Befremden festgestellt, dass Schönherr dabei immer betont habe, »wir« sind der Meinung, »wir« sehen das so. Dadurch habe der Eindruck entstehen können, Schönherr habe das Interview im Namen und im Sinne aller Bischöfe der DDR gegeben. Es wäre richtiger gewesen, wenn Schönherr beim Interview betont hätte, dass er seine persönliche Meinung zum Ausdruck bringt.
Bischof Schönherr erklärte abschließend, die Diskussion über die Ergebnisse von Helsinki müsse innerhalb der Kirche weitergeführt werden. Vor allem bei Gesprächen und Zusammenkünften mit Vertretern des Staatsapparates ließe sich die Diskussion über die Schlussdokumente von Helsinki verbinden mit Fragen von Zionismus über Wehrdienstverweigerung bis hin zur Zulassung zur EOS und zum Studium.
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