Störung des Wahlrechenzentrums der DDR
10. November 1976
Information Nr. 778/76 über eine Störung im Wahlrechenzentrum der DDR am 17. Oktober 1976 und dabei festgestellte Ursachen und begünstigende Bedingungen
Am 17. Oktober 1976,1 gegen 20.12 Uhr trat im Wahlrechenzentrum des VEB Maschinelles Rechnen Berlin – Datenverarbeitungszentrum (DVZ) – an den dafür eingesetzten zwei EDV-Anlagen ES 1040 eine Störung ein. (Diese beiden Anlagen Nr. 25 und Nr. 16 arbeiteten parallel, jedoch unabhängig voneinander, wobei die Nr. 25 als Leitanlage und die Nr. 16 als Reserveanlage mit gleichem Programm arbeiteten.)
Die Störung äußerte sich als Programmabbruch, d. h. in einer spontanen Beendigung der automatischen Programmabarbeitung, zunächst an der Leitanlage Nr. 25 und nachfolgend innerhalb einer Minute auch an der Reserveanlage Nr. 16.
Zum Zeitpunkt des Eintritts der Störung lagen die Wahlergebnisse aus 192 der insgesamt 228 Territorialkreise vor.
Diese Störung hatte auch die Beendigung der numerischen Bildschirmwiedergabe und den Abbruch der laufenden Hochrechnungen zur Folge. Auf den Monitoren des Wahlrechenzentrums und im Fernsehen der DDR konnten demzufolge während des Zeitraums der Störung keine Wahlergebnisse als unmittelbare Bildschirmausgaben der Rechner gesendet werden. Die Information der Zentralen Wahlkommission, des Fernsehens der DDR und der Presse war jedoch gesichert.
Den um die sofortige Behebung der Störung bemühten Technikern, Programmierern und Bedienern gelang es erst gegen 21.13 Uhr, durch Neuerstellung des Programms, die Störung zu beseitigen. Von diesem Zeitpunkt an lief das projektierte Programm fehlerfrei und ermöglichte den termingerechten Abschluss der gesamten Auswertung der Wahlergebnisse.
Die vom MfS gemeinsam mit Spezialisten geführten Untersuchungen zur Aufklärung der Ursachen und begünstigenden Bedingungen dieser Störung ergaben:
Das Teilprogramm EKA 2 hatte die Aufgabe, die Kreise zu ermitteln, die ihre Wahlergebnisse noch nicht gemeldet hatten, falls deren Anzahl kleiner als 37 war. Dabei kam es infolge eines im Stadium der Programmierung verursachten Fehlers zur nicht beabsichtigten Löschung von rechnerinternen Informationen im Steuerblock, die die Rechner zur Realisierung der Bildschirmarbeit benötigten. Infolgedessen konnten die Rechner den Steuerblock nicht mehr interpretieren und reagierten mit Programmabbruch. Begünstigend wirkte u. a. auch, dass beim Abschlusstest des Wahlprojektes die Territorialkreise vollständig und in geordneter Reihenfolge eingegeben wurden, sodass der Programmfehler nicht bemerkt wurde, weil dieser nur unter einer ganz bestimmten Bedingung zum Programmabbruch führt. Diese Bedingung wurde am 17. Oktober 1976 erfüllt, indem sich unter den letzten noch nicht gemeldeten Territorialkreisen diejenigen befanden, die in der Tabelle der Territorialkreise an den Stellen Nr. 37 bis 50 aufgeführt waren.
Der Programmfehler wäre nach Auffassung der Sachverständigen durchaus vermeidbar gewesen, wenn das Teilprogramm EKA 2 rechtzeitig zumindest auf die Korrektheit der Ausgabeinformationen getestet worden wäre. Außerdem hätte er von den an der Ausarbeitung des Projektes beteiligten Programmierern bei exakter Beachtung vorgegebener Konventionen (vorgegebene programmtechnische Festlegungen, die bei der Programmierung unbedingt einzuhalten sind) bemerkt werden können.
Zur Verhinderung von Störungen an EDV-Anlagen im Zusammenhang mit ihrem Einsatz anlässlich politischer Höhepunkte, der Gewährleistung ihrer ständigen Verfügbarkeit und Sicherheit empfehlen die Sachverständigen, folgende Probleme bei der Vorbereitung der Gerätesysteme und -technik sowie der Programme stärker zu beachten:
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Zur möglichst weitgehenden Zurückdrängung der in der Praxis häufig feststellbaren Programmierfehler sollten nicht nur das Gesamtprojekt, sondern auch die Teilprogramme gewissenhaft getestet und dabei auch die Korrektheit der Ausgabeninformationen geprüft werden.
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Nach dem Abschluss- oder Generaltest dürfen keine Veränderungen an den Programmen mehr zugelassen werden, ungeachtet der Berücksichtigung nachträglicher berechtigter Forderungen der betreffenden Nutzer.
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Die an der Ausarbeitung beteiligten Programmierer sollten hinsichtlich der korrekten Einhaltung vorgegebener Konventionen ständig kontrolliert werden.
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Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung derart bedeutungsvoller Programme sollte geprüft werden, ob dem Chefprogrammierer eine zusätzliche erfahrene Fachkraft zur Verfügung gestellt wird, um vor allem die Gesamtübersicht durch zwei Spezialisten zu gewährleisten, die im Bedarfsfall steuernd und regelnd eingreifen können und ständig auskunftsfähig sind.
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Treten trotz ausreichender Vorkehrungen Störungen auf, müsste im Interesse einer schnellstmöglichen Beseitigung der Fehlerquellen dafür Sorge getragen werden, dass die Rechnerräume nur von den für die Beseitigung der Störung unentbehrlichen Fachleuten betreten und andere, die Beseitigung des Störungsfalles behindernde Umstände ausgeschlossen werden.
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Vorbeugend sollten Voraussetzungen geschaffen werden, Störungen nachträglich rekonstruieren zu können, um eine eindeutige Klärung der Ursachen zu ermöglichen (u. a. Hauptspeicherausdruck fertigen, Kopien der Hauptprogramme sichern).
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Mit allen am Erhalt von Informationen interessierten Stellen sollte rechtzeitig geklärt werden, dass die Abforderungen von Informationen nur im Rahmen der vorgegebenen Programme möglich ist, da außerplanmäßige und nicht programmgerechte Abforderungen zu Störungen führen können.
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Auch zur Bedienung der Bildschirmgeräte usw. darf nur ausgebildetes Fachpersonal eingesetzt werden, welches die Technik sowie das Projekt voll beherrscht und die Zusammenhänge kennt.
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Die technisch-organisatorischen Vorbereitungen sollten u. a. auch solche Umstände stärker berücksichtigen, wie die Vermeidung von Spannungsschwankungen in der Energiezuführung, eine ausreichende Ersatzteilbevorratung und eine gewissenhafte gerätetechnische Wartung durch die Spezialisten des VEB Robotron.
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Diesbezügliche Vereinbarungen müssten in der vorbereitenden Phase solcher Aktionen mit dem Ministerium für Elektrotechnik/Elektronik herbeigeführt werden.