Unterschriftensammlung gegen algerische Leuna-Arbeiter
29. Januar 1976
Information Nr. 80/76 über eine Unterschriftensammlung durch eine Oberschülerin im Zusammenhang mit dem Einsatz algerischer Werktätiger im Kombinat Leuna, die im Wohnheim in Spergau, [Kreis] Merseburg, [Bezirk] Halle untergebracht sind
Dem MfS wurde bekannt, dass durch die 16-jährige Oberschülerin [Name] in der Gemeinde Spergau (ca. 1 800 erwachsene Einwohner), Kreis Merseburg, Bezirk Halle, 117 Unterschriften für eine Resolution gesammelt wurden, in der Maßnahmen zur Gewährleistung von Sicherheit, Ruhe und Ordnung im Zusammenhang mit den in Spergau untergebrachten algerischen Werktätigen gefordert werden.
Zuvor hatte sich die [Name der Oberschülerin] an den Bürgermeister der Gemeinde Spergau mit einem Resolutionsentwurf gewandt, der nur wenige Unterschriften trug. Die in diesem Entwurf enthaltenen Forderungen nach Ausweisung der algerischen Werktätigen aus Spergau hatte der Bürgermeister als zu aggressiv zurückgewiesen.
Am 27. Januar 1976 wurde durch die Schulleitung das veränderte Schriftstück, das u. a. die Unterschriften von Angehörigen des Lehrkörpers und Mitgliedern des Gemeinderates trägt, eingezogen und der Kreisleitung der SED übergeben. Zum gleichen Zeitpunkt unterrichtete der Bürgermeister die Kreisleitung über die erfolgte Unterschriftensammlung.
Im Zusammenhang mit dieser Information an die Kreisleitung der SED trat die Kreiseinsatzleitung zusammen. Es wurde beschlossen, die Resolution als Eingabe zu behandeln. In einer Sekretariatssitzung der Kreisleitung wurden Schritte zu einer Verbesserung der Betreuung der algerischen Werktätigen im Freizeitbereich beraten und im Zusammenwirken mit dem VPKA verstärkte Sicherungsmaßnahmen (Streifentätigkeit) festgelegt.
Die [Name der Oberschülerin] motivierte bei einer volkspolizeilich durchgeführten Befragung ihre Handlungsweise damit, dass die durch algerische Werktätige verursachten Vorkommnisse eine Gefährdung des Lichtmessfestes am 31. Januar/1. Februar darstellen könnten, da sich Frauen und Mädchen abends nicht mehr auf die Straße trauen würden.
Das Vorkommnis in Spergau ist im Zusammenhang mit anderen negativen Erscheinungen zu sehen, die der Unterschriftensammlung vorausgegangen sind. Im Einsatzobjekt Kombinat Leuna gab es bereits in der Vergangenheit Diskussionen unter Belegschaftsangehörigen, die ihren Ausgangspunkt in Fehlverhaltensweisen algerischer Werktätiger hatten. So kam es u. a. zu solchen Äußerungen wie:
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Mit den algerischen Werktätigen würde zu viel hergemacht, ihre Beschäftigung im Kombinat sei eine Fehlentscheidung, und man solle sie dorthin schicken, wo sie hergekommen seien.
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Wenn sich DDR-Bürger so verhalten würden wie die algerischen Werktätigen, wären sie sofort inhaftiert worden.
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Die Entlohnung für die algerischen Werktätigen sei, gemessen an ihren Leistungen, zu hoch und ungerecht gegenüber den DDR-Beschäftigten.
DDR-Mitarbeiter des Kombinats, darunter eingesetzte Betreuer und Dolmetscher, vertreten den Standpunkt, eine weitere Zusammenarbeit mit algerischen Werktätigen abzulehnen.
Solche Diskussionen setzten sich im Freizeitbereich fort und führten im Wohngebiet Spergau zu Erscheinungen wie:
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Ankündigung, künftig Versammlungen und Veranstaltungen fernzubleiben, da man ständig damit rechnen müsse, durch algerische Werktätige belästigt bzw. körperlich misshandelt zu werden,
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Äußerungen durch ein Gaststättenehepaar, dass die Stammgäste ausblieben, da sich kein Spergauer abends mehr auf die Straße traue. Des Weiteren gäbe es wegen Zechprellerei und rowdyhaften Vorkommnissen durch die algerischen Werktätigen laufend Ärger,
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Einschätzung durch Teile der Bevölkerung von Spergau, dass die angewandten polizeilichen Mittel und Maßnahmen zur Durchsetzung von Ruhe und Ordnung unzureichend und unwirksam seien.
In der Ortschaft Spergau kam es bisher zu insgesamt 16 Vorkommnissen mit algerischen Werktätigen. Diese sowie weitere Vorkommnisse im Einsatzobjekt Leuna beinhalten vorwiegend
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tätliche Auseinandersetzungen zwischen algerischen Werktätigen sowie mit Bürgern der DDR, besonders unter Einfluss von Alkohol,
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Beschädigung und Zerstörung von Einrichtungsgegenständen im Wohnheim,
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Verweigerung der Arbeitsaufnahme im Zusammenhang mit Lohnproblemen,
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Diebstahlshandlungen.1
Durch die zuständigen staatlichen Organe und gesellschaftlichen Organisationen sind entsprechende Maßnahmen eingeleitet worden.