Verunreinigung der Zschopau durch den VEB Motorradwerke
27. September 1976
Information Nr. 672/76 über einige im Zusammenhang mit der Untersuchung der Verunreinigung des Flusses Zschopau festgestellte Mängel im VEB Motorradwerke Zschopau und im Bereich der Wasserwirtschaft
Am 13. September 1976, gegen 20.30 Uhr kam es infolge der unzulässigen Einleitung von mehr als 15 000 l konzentrierter Kupferelektrolytflüssigkeit (hohe Konzentration von Kupfer-Zyanid, Giftklasse I, tödliche Wirkung bereits bei Vorhandensein geringer Mengen) in die Zschopau zu einer der bisher schwersten Gewässerverunreinigungen.
Diese schwere Gewässerverunreinigung wurde vom VEB Motorradwerke Zschopau (Galvanikabteilung) verursacht. Nach erfolgten Reparaturarbeiten wurde Kupferelektrolytflüssigkeit aus dem Vorratsbehälter in den Kupferautomaten (ständig 28 000 l erforderlich) zurückgepumpt. Dabei hat ein Badwärter es versäumt, den Schieber zum Entgiftungsbecken (Aufnahmevermögen 10 000 l) zu schließen. Infolge dieses Versäumnisses gelangte die o. g. Menge dieser Flüssigkeit über das Entgiftungsbecken (2 Überlauföffnungen) in einen Bach und von dort in die Zschopau.
Wie festgestellt wurde, haben die nach dem Verbleib der Flüssigkeit suchenden Betriebsangehörigen erst über vier Stunden nach dem Vorfall erkannt, dass die fehlende Menge in die Zschopau abgeflossen war. Erst dann wurde der Vorfall dem Bereitschaftsdienst des Rates des Kreises Zschopau gemeldet.
Im Zusammenhang mit der Aufklärung vorgenannter Ursachen der Gewässerverunreinigung wurde auch festgestellt, dass die Galvanikanlage des VEB Motorradwerke Zschopau veraltet ist und nicht mehr den an die Gewährleistung der Sicherheit zu stellenden Anforderungen entspricht. Bisherige Bemühungen seitens des Betriebes zur Errichtung einer leistungsfähigen und den Sicherheitsbestimmungen entsprechenden Anlage blieben erfolglos (keine Aufnahme in die Planbilanz).
Die Überwachung der aus dem Werk abfließenden Abwässer durch das Labor des Betriebes erfolgte nicht kontinuierlich entsprechend den Erfordernissen, wie sie bei derart giftigen Abwässern notwendig sind.
Weiter ist beachtenswert, dass es konkrete gesetzliche Bestimmungen und darauf basierende detaillierte Festlegungen des Werkdirektors für den Umgang mit Giftstoffen einschließlich ihrer Ausgabe für den Einsatz im Produktionsprozess gibt. Es gibt jedoch keine derartigen Festlegungen für den Umgang mit Giftstoffen im Produktionsprozess selbst.
Neben den dargelegten Ursachen und Umständen der Gewässerverunreinigung ist festzustellen, dass das Ausmaß der Auswirkungen der Havarie auch auf eine Reihe von Mängeln im Bereich der Wasserwirtschaft mit zurückzuführen ist. Es hat sich gezeigt, dass von den zuständigen Organen der Wasserwirtschaft der Ernst der Situation vor allem in der Anfangsphase unterschätzt wurde und dadurch die von Ihnen zur Behebung der Auswirkungen auf die Trink- und Brauchwasserversorgung eingeleiteten Maßnahmen routinehaft durchgeführt wurden und nicht den Erfordernissen entsprachen.
Abgesehen von der verspäteten Meldung des Abflusses der Kupferelektrolytflüssigkeit wurden erst am Morgen des 14. September 1976 von der Oberflussmeisterei Karl-Marx-Stadt der Wasserwirtschaftsdirektion Dresden Maßnahmen zur Überwachung der Zschopau und zur Feststellung der Gefahrensituation für Trink- und Brauchwasserversorgung eingeleitet.
Nach anfänglichen Messungen, bei denen nur geringe Giftstoffmengen im Wasser festgestellt wurden, lagen erst am 14. September 1976, gegen 16.30 Uhr die ersten, den Ernst der Situation kennzeichnenden Messergebnisse vor. Dabei wurden im Wasser der Zschopau 7,5 mg Zyanid/l und 23 mg Kupfer/l festgestellt, sodass das Wasser in diesem Abschnitt für die Trink- und Brauchwasserversorgung nicht mehr verwendbar war.
Bei den am 14. September 1976 anfänglich eingerichteten Messstellen war die geringe Fließgeschwindigkeit nicht genügend berücksichtigt worden. Bei nur 15-prozentiger Wasserführung im Vergleich zum Normalwert, waren zunächst an solchen Stellen des Flusses Messungen vorgenommen worden, an denen die hohe Konzentration an Giftstoffen im Wasser noch nicht erreicht war. (Das Wasser war in Senken, Kehren und Ausuferungen des Flussbettes sowie an Wehren zeitweilig fast zum Stillstand gekommen.)
Ab 14. September 1976 hielt der hohe Verunreinigungsgrad der Zschopau mehrere Tage an, sodass die Trinkwasserversorgung im Einzugsgebiet der Zschopau bis zur Talsperre Kriebstein/Hainichen/Karl-Marx-Stadt stillgelegt werden musste. Die Trinkwasserversorgung im Schadensgebiet musste aus dem witterungsbedingt bereits belasteten Trinkwasserversorgungssystem von Karl-Marx-Stadt, teilweise mit Druckmangelerscheinungen verbunden, und im geringen Umfang durch den Einsatz von Wasserwagen erfolgen. Außerdem musste die Entnahme von Brauchwasser für die Industrie untersagt werden, sodass es zu Produktionsausfällen vor allem in Textil- und Papierfabriken kam. Dabei verdient Beachtung, dass – nach bisher vorliegenden Hinweisen – seitens der Oberflussmeisterei Karl-Marx-Stadt sowie der ihr übergeordneten Wasserwirtschaftsdirektion Dresden die Situation zur Bekämpfung der Gewässerverunreinigung nicht im erforderlichen Maße beherrscht wurde. So erklärte z. B. der Direktor der Wasserwirtschaftsdirektion Dresden, Genosse Dietze, gegenüber dem Stellvertreter des Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, Genossen Miehlke, noch am 15. September 1976, die Probleme der Verunreinigung der Zschopau habe man fest im Griff. Zu diesem Zeitpunkt wurden jedoch von den Fachexperten noch unterschiedliche Meinungen darüber vertreten, wie der Abbau der Verunreinigung am zweckmäßigsten zu erreichen wäre. Während sich die Chemiker der Oberflussmeisterei Karl-Marx-Stadt für den biologischen Abbau aussprachen, vertraten andere Spezialisten, vor allem Vertreter der Gewässeraufsicht der Oberflussmeisterei, die Auffassung, zweckmäßigste Methode sei die Verdünnung der Konzentration der Verunreinigung.
Offensichtlich infolge nicht ausreichender Maßnahmen zum Abbau der Verunreinigung erreichte trotz des langsam fließenden Wassers der Zschopau die hohe Konzentration der Verunreinigung am 17. September 1976 die Stauwurzel der Talsperre Kriebstein.
Daraufhin wurde auf der Grundlage der Auffassungen von Experten Maßnahmen zur Aufwallung des schlammigen Untergrundes in der Stauwurzel der Talsperre eingeleitet, in der Annahme, die Zyanid-Kupfer-Konzentration an die Schlammpartikelchen binden und auf diese Weise ein Absetzen der Verunreinigung erreichen zu können. (Dabei wurde in Rechnung gestellt, dass aufgrund des höheren spezifischen Gewichtes der Konzentration im Vergleich zum Wasser ein Absinken der Schadstoffe erreicht wird.)
Es zeigte sich jedoch, dass die von Experten erwartete Verdünnung der Zyanid-Kupfer-Konzentration nicht in dem ursprünglich angenommenen Umfang erreicht wurde.
Im Ergebnis der am 21. September 1976 innerhalb des Stauraumes in der Nähe der Staumauer sowie der am 22. September 1976 unterhalb der Talsperre Kriebstein verstärkt durchgeführten Messungen wurde eine beträchtliche Zyanid-Kupfer-Konzentration festgestellt. Das Auftreten dieser Konzentration unterhalb der Talsperre hätte jedoch verhindert werden können.
In diesem Zusammenhang sind folgende Umstände beachtenswert:
Am 19. September 1976, gegen 2.00 Uhr gab der Stellvertreter des Ministers für Umweltschutz und Wasserwirtschaft, Genosse Miehlke, der Oberflussmeisterei Karl-Marx-Stadt den Auftrag, den Grundabfluss der Talsperre (in der Talsperrenmauer) zu schließen, das Kraftwerk (1 MW) außer Betrieb zu setzen und die Brauchwasserversorgung unterhalb der Talsperre über den Überlauf zu sichern. Kurz danach ersuchte der bei der Oberflussmeisterei Karl-Marx-Stadt für die Talsperre Verantwortliche, Baldauf, die Energieversorgung Karl-Marx-Stadt telefonisch, die Turbine des Kraftwerkes außer Betrieb zu nehmen.
Diese Weisung wurde zeitlich zu spät erteilt, da die Schadstoffwelle – wie bereits dargelegt – die Talsperre schon lange vorher erreicht hatte. Die Verantwortlichen der zuständigen Organe der Wasserwirtschaft hätten bei richtigem Reagieren schon vorher Maßnahmen zur Unterbindung des Wasserabflusses aus der Talsperre veranlassen müssen. Hinzu kommt, dass die Weisung, ihre Weitergabe und ihre Durchführung nicht den Gegebenheiten entsprachen.
Gemäß den vertraglichen Regelungen wird bei Außerbetriebnahme des Kraftwerkes der Talsperre Kriebstein und der damit verbundenen Abriegelung des Zuflusses zur Turbine der Grundabfluss der Talsperre geöffnet, um die Brauchwasserversorgung unterhalb der Talsperre zu gewährleisten. In diesem Sinne handelte auch der Maschinist, da ihm kein eindeutiger Auftrag zur generellen Abriegelung jedes Abflusses erteilt wurde.
Infolge der dargelegten Mängel gelangte nach Erteilen der Weisung noch ca. zwölf Stunden lang 2,6 m3/s Wasser in den Unterlauf der Zschopau. Erst in den Mittagstunden des 19. September 1976 kontrollierte der Direktor der Wasserwirtschaftsdirektion Dresden, Genosse Dietze, die Durchführung der Weisung zur Abriegelung des Wasserabflusses und stellte die falsche Ausführung fest. Daraufhin wurde am 19. September 1976, gegen 15.00 Uhr die Weisung zur vollständigen Abriegelung des Abflusses erteilt und weisungsgemäß die Brauchwasserversorgung über den Überlauf hergestellt.
Über die bisher dargelegten Feststellungen hinausgehend ist zu bemerken, dass selbst bei vollständiger Abriegelung des Grundabflusses geringe Wassermengen abfließen (keine völlige Abdichtung gewährleistet).
Am 24. September 1976 erreichte die Schadstoffwelle – inzwischen in die Mulde eingeflossen – mit ständig abnehmender Zyanid-Kupfer-Konzentration den Kreis Eilenburg/Leipzig. Nach wie vor befindet sich im aufgestauten Wasser der Talsperre Kriebstein eine relativ hohe Zyanid-Kupfer-Konzentration. Trotz des Hinzuziehens weiterer Fachexperten, u. a. der Akademie der Wissenschaften der DDR, wird der Abbau der Verunreinigung noch nicht völlig beherrscht.
Die Untersuchungen zur weiteren Aufklärung der näheren Umstände der Verursachung der Havarie im VEB Motorradwerke Zschopau, der in diesem Zusammenhang aufgetretenen Mängel bei der Bekämpfung der Auswirkungen dieser Havarie sowie zur Feststellung der eingetretenen Schäden werden durch das MfS im Zusammenwirken mit der DVP und unter Einbeziehung von Experten fortgesetzt.