Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Daressalam
8. Juli 1976
Information Nr. 503/76 über erste Vorbereitungen zur VI. Vollversammlung des »Lutherischen Weltbundes« im Juni 1977 in Daressalam, Tansania
Der »Lutherische Weltbund« (LWB) plant für Juni 1977 seine VI. Vollversammlung in Daressalam.1 Das zentrale Thema dieser Tagung lautet: »In Christus – eine neue Gemeinschaft«.
Dem MfS wurde intern bekannt, dass gegenwärtig die erste Vorbereitung von Materialien für die VI. Vollversammlung des LWB durch den Genfer Stab des LWB abgeschlossen wird. Das Material zum zentralen Thema soll in Form eines Studienbuches in deutscher und englischer Sprache gedruckt und allen Mitgliedskirchen des LWB zugestellt werden.
Weiter wurde intern bekannt, dass vorgesehen ist, in der Sektion 3 der Vollversammlung sozialpolitische und gesellschaftspolitische Probleme im Zusammenhang mit Menschenrechtsfragen zum Thema dieser Sektion »In Christus – verantwortliche Sorge für die Schöpfung« zu behandeln. Eine exaktere Festlegung der inhaltlichen Fragen der VI. Vollversammlung ist auf der Tagung des Exekutivkomitees des LWB im August 1976 in Uppsala/Schweden vorgesehen. Da gegenwärtig in der Studienabteilung des LWB eine Studie zum Thema »Kirche und Menschenrechte« erarbeitet wird, ist zu erwarten, dass die dort aufgeworfenen Fragen in der Sektion 3 mit diskutiert werden. In dieser Studie soll im Wesentlichen zu folgenden Fragen Stellung genommen werden:
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Verwirklichung der Menschenrechte innerhalb kirchlicher Gemeinschaften unter Beachtung der Fragestellung, ob Kirchen selbst gerechte Gemeinschaften sind.
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Verwirklichung der Menschenrechte im konkreten Bezug zu den verschiedenen sozialen und kulturellen Bedingungen. Darunter z. B. die Frage nach den Möglichkeiten der Existenz von Christen in einer Gesellschaft, die von marxistisch-leninistischer Ideologie bestimmt ist. Frage nach der sozialistischen Bildungspolitik und der freien Religionsausübung.
Die leitenden Mitarbeiter des LWB, darunter der Generalsekretär Carl Mau, gehen davon aus, dass man die Menschenrechtsfragen immer im Einvernehmen und im Kontakt mit den betreffenden Kirchen in den jeweiligen Ländern behandeln müsse. Der Genfer Stab gehe davon aus, man könne nichts gegen das Veto der Mitgliedskirchen in den betreffenden Regionen tun. Deshalb werde z. B. die Stimme der russisch-orthodoxen Kirche nach Auffassung von Präsident Prof. Juva und Generalsekretär Mau innerhalb der Ökumene »einflussreich und entscheidend« bleiben.
Dabei sollen die Angriffe gegen die russisch-orthodoxe Kirche mit der Zielstellung geführt werden, die russisch-orthodoxe Kirche zu veranlassen, zu Menschenrechtsfragen in der UdSSR Stellung zu nehmen. Im Genfer Stab gehe man davon aus, dass man nicht länger lediglich die Menschenrechte in den Vereinigten Staaten, in Lateinamerika, in diesem oder jenem afrikanischen Land infrage stellen und kritisch beurteilen könne, dies sei ja jahrelang getan worden. Man müsse sich auch das Recht nehmen, die Frage nach den Menschenrechten in der Sowjetunion, in der DDR, in Ungarn oder wo es auch immer sei innerhalb des sozialistischen Lagers, zu stellen.
Zur Vorbereitung der VI. Vollversammlung wird vonseiten des Genfer Stabes des LWB angestrebt, dass sich alle 92 Mitgliedskirchen des LWB aktiv daran beteiligen. Das gewünschte stärkere Engagement von Kirchen der Dritten Welt im LWB ist bisher ausgeblieben. Lediglich der Gastgeber der VI. Vollversammlung, die evangelisch-lutherische Kirche in Tansania, beteiligt sich aktiv an der Vorbereitung dieser Tagung.
Wie intern weiter bekannt wurde, verlangen vor allem die Vertreter der skandinavischen Mitgliedskirchen des LWB aus Finnland, Schweden und Norwegen, dass der LWB »theologischer, kirchlich legitimierter und geistlicher reden müsse, als dies die V. Vollversammlung des »Ökumenischen Rates der Kirchen« 1975 in Nairobi getan habe. Dabei wird eine prinzipiell kritische Haltung gegen eine zu starke politische Akzentuierung der Aussagen ökumenischer Gremien, wie dies nach Auffassung des LWB beim »Ökumenischen Rat der Kirchen« der Fall sei, eingenommen. Davon ausgehend will sich der LWB stärker auf eine theologische Reflexion sozialer und politischer Probleme orientieren und in diesem Sinne zu den Menschenrechten auf seiner VI. Vollversammlung in Daressalam Stellung nehmen.
Im Genfer Stab des LWB wird eingeschätzt, dass sich aus den sozialistischen Ländern besonders die lutherischen Kirchen der DDR und Ungarns aktiv an der inhaltlichen Vorbereitung beteiligten und an einer theologischen Diskussion sehr interessiert sind.
Weiter wurde intern bekannt, der LWB wolle sich trotz einer Verstärkung der theologischen Komponente seiner Arbeit weiterhin mit den »großen Menschheitsfragen von heute« beschäftigen, wie
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Frage des Friedens,
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Frage des Überlebens der Menschheit,
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ökologische Fragen,
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Umweltfragen,
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Frage der weltweiten Entspannung und Abrüstung.
Präsident Prof. Juva und Generalsekretär Mau haben ausgehend vom Bericht eines Beobachters des LWB beim Prozess in Windhuk Briefe an die Mitgliedskirchen des LWB gesandt, in denen die Kirchen aufgefordert werden, gegen die in Windhuk gefällten Urteile zu protestieren und die Regierungen ihrer Länder zu bitten, diese »ungerechtfertigten und unmenschlichen Handlungen« in Südafrika zu verurteilen.
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