Vorkommnis mit Filmregisseur im Hotel »Kongress«, Karl-Marx-Stadt
22. November 1976
Information Nr. 810/76 über ein Vorkommnis mit Beteiligung des Filmregisseurs [Name] am 20./21. November 1976 im Interhotel »Kongress« in Karl-Marx-Stadt
Dem Ministerium für Staatssicherheit wurde bekannt, dass es während des Aufenthaltes des Ehepaares [Name des Ehepaares] am 20./21. November 1976 im Interhotel »Kongress« in Karl-Marx-Stadt zu Auseinandersetzungen zwischen diesen und dem Hotelpersonal kam, die teilweise den Charakter von Tätlichkeiten annahmen.
Die durch das Ministerium für Staatssicherheit im Zusammenwirken mit der DVP geführten Untersuchungen ergaben, dass sämtliche Vorkommnisse durch das uneinsichtige, arrogante Auftreten und Verhalten des Ehepaares [Name] provoziert wurden.
Bereits beim Aufsuchen der Grillbar des Interhotels am 20. November 1976, gegen 20.00 Uhr hatte [Name des Regisseurs] eine Auseinandersetzung mit der zuständigen Serviererin und dem Gastronomischen Leiter, da ihm der gewünschte Tisch für vier Personen – er erwartete persönliche Gäste, angeblich einen sowjetischen Schauspieler – nicht sofort zur Verfügung gestellt werden konnte. (Die Grillbar war zu diesem Zeitpunkt voll besetzt.) Auf sachliche Erklärungen der Hotelangestellten, u. a. des hinzugerufenen Gastronomischen Leiters, reagierte [der Regisseur] in herabwürdigender Form mit solchen Äußerungen wie, ob er als Gastronomischer Leiter überhaupt studiert habe und was für eine Gastfreundschaft in diesem Hause herrsche. Obwohl ihm zu einem späteren Zeitpunkt durch das Servierpersonal ein Tisch für vier Personen zur Verfügung gestellt wurde, lehnte [der Regisseur] das Angebot ab. Bis zum Verlassen der Grillbar war der von [Name des Regisseurs] angekündigte sowjetische Gast nicht erschienen.
Gegen 3.00 Uhr begab sich das Ehepaar [Name] zum Fahrstuhl, um die im obersten Geschoss des Interhotels befindliche Bar aufzusuchen. Da sich bereits 20 bis 30 Gäste vor ihnen am Fahrstuhl befanden, mussten sie wenige Minuten auf ihre Beförderung warten. Diese Gelegenheit nutzend, tätigte [der Regisseur] vor den ebenfalls wartenden Hotelgästen erneut herabwürdigende Äußerungen und wiederholte sie auch gegenüber dem Fahrstuhlführer während der Beförderung zur Bar (»Scheißhotel«, »Saftladen« u. a. Äußerungen).
Nach einem ca. einstündigen Aufenthalt in der Bar beabsichtigte das Ehepaar [Name], ihr in der 13. Etage gelegenes Appartement aufzusuchen. Da sie nicht ortskundig waren, sprachen sie den Fahrstuhlführer an und baten ihn, ihnen dabei behilflich zu sein. Von diesem wurde ihnen erklärt, dass der von ihnen benutzte Fahrstuhl aus technischen Gründen nicht auf den einzelnen Etagen hält, sondern durchgehend bis zur Hotelhalle fährt. Von dort aus müssten sie mit einem der zwei gegenüber befindlichen Fahrstühle in die 13. Etage fahren. [Der Regisseur] zeigte sich uneinsichtig und verlangte, dass dieser Fahrstuhl in der 13. Etage anhält.
Zwischenzeitlich in der Hotelhalle angekommen, weigerte sich das Ehepaar [Name] den Fahrstuhl zu verlassen. Es forderte von dem Fahrstuhlführer erneut, mit diesem Fahrstuhl in die 13. Etage befördert zu werden. Da dies aus den bereits genannten technischen Gründen nicht möglich war, forderte der Fahrstuhlführer das Ehepaar [Name] zum Verlassen des Fahrstuhles auf. Als sie dieser erneuten Aufforderung nicht nachkamen, versuchte der Fahrstuhlführer das Ehepaar [Name] aus dem Fahrstuhl zu drängen. [Der Regisseur] stieß daraufhin den Fahrstuhlführer in den Fahrstuhl zurück. Als sich der Fahrstuhlführer zur Wehr setzte und dabei den [Regisseur] aus dem Fahrstuhl stieß, stürzten sie gemeinsam zu Boden.
Die Ehefrau des [Regisseurs] verfiel in hysterisches Geschrei und schlug auf den am Boden liegenden Fahrstuhlführer ein. Bei diesen Auseinandersetzungen zog sich das Ehepaar [Name] geringfügige Hautabschürfungen zu. (Laut vorliegendem ärztlichen Gutachten der Leitpoliklinik Müllerstraße in Karl-Marx-Stadt handelt es sich um oberflächliche Hautabschürfungen an einer Hand und einem Unterarm des [Regisseurs] und um eine leichte Lippenplatzwunde bei seiner Ehefrau. In dem Gutachten wird weiter festgestellt, dass [der Regisseur] sehr stark erregt war und eher aggressiv als sachlich reagierte.)
Während dieses Vorfalles, der von einigen Gästen und Hotelangestellten beobachtet wurde, äußerte [der Regisseur] in lautstarkem Ton, dass er, Künstler der DDR und Nationalpreisträger, sowie seine Ehefrau persönlich angegriffen und niedergeschlagen worden seien.
Im Zusammenhang mit ähnlichen Erklärungen seiner Ehefrau wurden auch Äußerungen wie »Schwein« u. a. gebraucht.
Den zur Klärung des Vorkommnisses angeforderten Kräften der DVP gegenüber verhielt sich das Ehepaar [Name] ebenfalls arrogant und anmaßend.
Wie dem Ministerium für Staatssicherheit zuverlässig bekannt wurde, äußerten sich Augenzeugen der geschilderten Vorkommnisse empört über das Auftreten des Ehepaares [Name], fanden dies einer sozialistischen Künstlerpersönlichkeit als unwürdig und nahmen Partei für das Hotelpersonal.
Der Fahrstuhlführer, der eine persönliche Anzeige gegen [den Regisseur] zu erstatten beabsichtigte, konnte nur durch entsprechende Einflussnahme davon abgehalten werden.
Im Zusammenhang mit diesem Vorkommnis wurde dem MfS intern bekannt, dass einige Kunst- und Kulturschaffende der DDR versuchen, in Verdrehung der tatsächlichen Sachlage, das provokatorische Auftreten der Familie [Name] in Karl-Marx-Stadt bewusst für eine feindlich-negative Argumentation zu missbrauchen.
So äußerte Heym, dass »führende Genossen der Partei auch nicht mehr halten könnten, was sie in Gang gesetzt hätten und deshalb ihre Schläger mobilisieren würden. Wenn die Partei es haben wolle, seien er und andere bereit, sich zusammenschlagen zu lassen.«
Wie dem Ministerium für Staatssicherheit weiter zuverlässig bekannt wurde, beabsichtigt Stefan Hermlin diese »Provokation« (damit ist dieses Vorkommnis in Karl-Marx-Stadt gemeint) in Anlehnung an die von Heym in diesem Zusammenhang vorgetragene Interpretation in einer am 22. November 1976 mit dem Generalsekretär der SED, Genossen Erich Honecker, vorgesehenen Zusammenkunft anzusprechen.
In einem Gespräch mit Jurek Becker erklärte Heym, mit namentlich nicht genannten Personen in Leipzig in Verbindung treten zu wollen, um diese zu veranlassen, von den Teilnehmern der XIX. Internationalen Dokumentar- und Kurzfilmwoche für Kino und Fernsehen eine »Protestresolution« zum »Vorkommnis« mit dem Regisseur [Name] unterzeichnen zu lassen.
Die in dieser Information enthaltenen internen Hinweise über das Verhalten von Heym und anderen Kräften sind wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.