Weitere Reaktionen auf die Ausbürgerung Biermanns
3. Dezember 1976
Information Nr. 837/76 über weitere Reaktionen von Verbindungen Biermanns und anderer Kulturschaffender in der DDR
Dem MfS wurden weitere Reaktionen von Verbindungen Biermanns und anderen Kulturschaffenden in der DDR bekannt, die insbesondere im Hinblick auf die Mitgliederversammlung der Parteiorganisation des Berliner Schriftstellerverbandes1 sowie im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Stand der mit diesen Personenkreisen geführten Aussprachen und Auseinandersetzungen von Bedeutung sind.
Insbesondere hat Stephan Hermlin mehrfach in internen Gesprächen geäußert, er sei nicht bereit, seinen Standpunkt zu ändern; seine Haltung zur Partei werde dadurch bestimmt, dass in seinem Alter »höhere Werte entscheiden als Parteidisziplin«. Er hob weiter hervor, sein Auftreten vor der Parteiorganisation des Berliner Schriftstellerverbandes sei »offensichtlich falsch verstanden« worden. Bei seinem Gespräch mit Genossen Honecker seien ihm Sicherheiten geboten worden; ihm selbst könne »nichts passieren«. Die Partei könne außerdem nicht die ganze Literatur verbieten.
Die Ausbürgerung Biermanns habe genau »an die Methoden eines faschistischen Staates« erinnert. Er habe es als notwendig erachtet, auf der Parteiversammlung des Berliner Schriftstellerverbandes öffentlich die Schriftstellerin Irmtraud Morgner zurechtzuweisen, da diese nicht verstanden habe, um was es in der Protestresolution zur Ausbürgerung Biermanns geht.2 Dagegen müsse er Kunerts Diskussionsbeitrag3 würdigen, der »in sehr schönen Worten« deutlich erklärt habe, dass sich alle Antifaschisten bei dem Akt der Ausbürgerung Biermanns an »Methoden des faschistischen Staates erinnert« hätten. Mit solchen Methoden könne man auch »die Lager in der Sowjetunion« rechtfertigen. (Hermlins Äußerungen wurden von seiner Ehefrau unterstützt, die betonte, sie sei »auf das Verhalten ihres Mannes stolz« und würde in jeder Hinsicht zu ihm stehen. Sie achte besonders an ihm »die kommunistischen Ideale, um die er auch zu kämpfen bereit« sei.)
Hermlin demonstrierte seine Haltung besonders deutlich auf der Tagung des Präsidiums des PEN-Zentrums der DDR am 29. November 1976.4 Professor Heinz Kamnitzer hatte beabsichtigt, mit vorbereiteten Textentwürfen eine grundsätzliche Distanzierung aller Tagungsteilnehmer von Biermann zu erreichen, was vor allem durch das Auftreten Hermlins verhindert wurde.
Hermlin nahm sofort als erster das Wort und erklärte in arroganter und anmaßender Art, er müsse zunächst mitteilen, dass der »bekannte Antifaschist und Widerstandskämpfer, der Rechtsanwalt Götz Berger, es übernommen hat, die Interessen Biermanns zu vertreten«. Berger habe eine »Protestnote« gegen die Entscheidung der Regierung an den entsprechenden Ausschuss der Volkskammer eingereicht.
Hermlin erklärte weiter, die Aberkennung der Staatsbürgerschaft sei »bisher nur in faschistischen Staaten praktiziert« worden. Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt »gibt es in der Welt nur einen einzigen Staat, in dem ein Bürger nicht ohne Weiteres aus- und wieder einreisen kann. Bei diesem Staat handelt es sich um die Sowjetunion. Die Sowjetunion hat diese Praxis nahtlos vom Zarismus übernommen.«
Er betonte auch vor diesem Forum, dass es für ihn »höhere Werte als die Partei« gäbe, und dass Genosse Erich Honecker ihm in einem persönlichen Gespräch habe wissen lassen, die Unterzeichner der Protestresolution hätten »mit keinen Repressalien zu rechnen«, und er persönlich könne »nach wie vor ungehindert in das kapitalistische Ausland ein- und ausreisen«. Anmaßend machte er dann die Anwesenden darauf aufmerksam, »im Übrigen gehört mein Verhalten nicht auf diese Tagesordnung«; was er zu besprechen hatte, habe er mit Genossen Honecker besprochen. »Für mich ist nur das Gespräch mit dem Genossen Honecker bedeutsam; alles andere ist nichts.«
Durch Jeanne Stern angeregt, kam es im weiteren Verlauf zu einem Disput darüber, ob es richtig oder falsch sei, die Eheprobleme des Biermann öffentlich ins Spiel zu bringen. Mit lautem Zwischenruf erklärte Hermlin, es sei »schändlich«, solche Probleme zu erörtern, wobei er sich an Hermann Kant wandte und mit diskriminierenden Bemerkungen auf dessen »Eheprobleme« hinwies. Für die Anwesenden war eindeutig, dass diese Anspielung als Provokation gegenüber Hermann Kant zu verstehen ist.5
Henryk Keisch wies Hermlin in scharfer Form zurecht und machte ihn auf die Erstveröffentlichung über Biermanns Familienverhältnisse durch die BRD-Zeitschrift »Stern« aufmerksam.6 Auch auf die ernste Ermahnung Hermlins durch Prof. Kamnitzer, dass er sich die Tragweite seines »sturen Verhaltens« gründlich überlegen soll, erklärte Hermlin, dass er sich mit solchen »diktatorischen Maßnahmen nicht abfinden kann«. Es sei »endlich an der Zeit, einen demokratischen Sozialismus« aufzubauen.
In der weiteren Diskussion wurde Hermlin durch Paul Wiens vorgeworfen, er habe durch sein Verhalten z. B. französische Genossen in Schwierigkeiten gebracht, was sich nicht zuletzt in Reaktionen der »Humanité« widerspiegelt. Es sei auch eine Diskreditierung der DKP durch Biermann, wenn dieser in der BRD singe »…die BRD braucht eine KP unter Italiens Sonnenschein …«.
Hermlin vertrat die Ansicht, es sei »absolut Biermanns Recht«, dies vorzutragen, und es sei »völlig in Ordnung«, wenn Biermann das singt.
Im weiteren Verlauf der Präsidiumssitzung des PEN-Zentrums der DDR kam es noch mehrfach zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Hermlin und Keisch. Dabei versuchte Hermlin ständig, Keisch ins Wort zu fallen und ihn nicht ausreden zu lassen. Hermlin herrschte Keisch schließlich an, für ihn sei ein Gespräch beendet, wenn er es für richtig halte und nicht anders.
Der Parteisekretär des PEN-Zentrums, Heinz Kahlau, pflichtete den von Prof. Kamnitzer und Henryk Keisch vorgetragenen Meinungsäußerungen bei, bezog jedoch – nach Meinung von Teilnehmern – keine klare Stellungnahme und distanzierte sich auch nicht eindeutig vom Verhalten Hermlins.
Günter de Bruyn versuchte darzulegen, er sei bereit, Henryk Keisch und Prof. Kamnitzer zuzustimmen, diese Zustimmung könne aber nicht bedeuten, dass er seine Unterschrift unter der Protesterklärung zur Ausbürgerung Biermanns zurückziehe.
Durch Peter Hacks, Hermann Kant und Wieland Herzfelde wurde das Auftreten Hermlins eindeutig verurteilt.
In individuellen Äußerungen nach der Präsidiumssitzung sei von Prof. Kamnitzer, Henryk Keisch und Peter Hacks geäußert worden, es sei geradezu unverständlich, wieso Hermlin in einer derart arroganten, überheblichen und für sie zurechtweisenden Form auftreten könne. Sollte Hermlin diese Haltung beibehalten, ohne dass dagegen nachhaltige Maßnahmen getroffen würden, wäre eine weitere konstruktive Arbeit des PEN-Zentrums der DDR nicht mehr möglich.
Volker Braun gab in individuellen Gesprächen zu erkennen, ihn beschäftige gegenwärtig ein Brief des stellvertretenden Ministers für Kultur, Klaus Höpcke, in dem dieser auf eine Entscheidung und Positionserklärung dränge. Dies falle ihm aber sehr schwer, da er viele Fragen weiterhin als ungeklärt betrachte. Er sei nach wie vor der Meinung, dass Biermanns Auftreten für die DDR schädlich war, er aber kein Feind sei und die Aberkennung der Staatsbürgerschaft deshalb Probleme nach sich ziehe. In diesem Zusammenhang verwies er auf eine »eventuelle Verhärtung des kulturpolitischen Kurses«, worunter das Ansehen der DDR im Ausland leiden könne.
Er sehe insbesondere auch die juristische Seite des Falles. Es wäre hier mit einer gewissen »Hemdsärmeligkeit« vorgegangen worden. Es wäre auch korrekt gewesen, Biermann den Beschluss über die Aberkennung der Staatsbürgerschaft schriftlich zu übergeben. Volker Braun äußerte außerdem, der »subjektive Faktor im Sozialismus wächst«; die Art des Herangehens an den Fall Biermann widerspreche aber dieser Gesetzmäßigkeit, da sie eine Einschränkung des Mitspracherechts bedeute.
Der Fall Biermann hätte nach Ansicht Volker Brauns folgendermaßen geklärt werden müssen: Nach Wiedereinreise Biermanns in die DDR hätte man ihn in einer sofortigen Aussprache auf sein falsches Verhalten aufmerksam machen und ihm die Frage stellen müssen, ob er in der DDR oder in der BRD leben wolle. Hätte er sich für die DDR entschieden, so hätte man das mit »Auflagen an sein künftiges Auftreten verbinden« sollen.
Hinweisen zufolge nimmt Franz Fühmann einen verhärteten Standpunkt ein. Er äußerte, angesichts der Ausweisung Biermanns, der Haltung der Parteiorganisation des Berliner Schriftstellerverbandes und der Veröffentlichungen in »Neues Deutschland« »empfindet er immer weniger Verbundenheit mit der DDR«. Bis zur Veröffentlichung seiner Protestbriefe an Genossen Stoph und an Institutionen der DDR werde er in der DDR den Druck seiner Manuskripte verweigern und lediglich für die »Schublade« schreiben. Fühmann habe seine »Bewunderung« für Hermlin wegen dessen »mutigen und konsequenten Auftretens« zum Ausdruck gebracht.
Wie intern bekannt wurde, bemühen sich Stefan Heym und dessen Ehefrau bisher mehrfach erfolglos, Stephan Hermlin und Günter Kunert zu einem Besuch in Heyms Wohnung einzuladen, um Näheres über den Verlauf der Versammlung der Parteiorganisation des Berliner Schriftstellerverbandes in Erfahrung zu bringen. Beide begründeten ihre Ablehnung bisher mit den »Belastungen« der vergangenen Tage. Hermlin lehnte mit dieser Begründung ab, Rolf Schneider zu besuchen. Ebenfalls lehnte er einen von Sibylle Havemann beabsichtigten Besuch ab.
Weiteren Hinweisen zufolge habe Anna Seghers in einem individuellen Gespräch Christa Wolf in heftiger Form wegen ihres Verhaltens kritisiert. Anna Seghers habe dabei die Unterzeichnung des »Protestes« durch das Ehepaar Wolf sowie die Erklärung von Gerhard Wolf vor der Parteiorganisation des Berliner Schriftstellerverbandes als »baren Unsinn« bezeichnet.7 Sie habe Christa Wolf vorgehalten, gewollt oder ungewollt hätte ihr Verstand zur sachlichen Beurteilung ihrer Handlungsweise ausreichen müssen.
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