Weitere Reaktionen auf die Ausbürgerung Wolf Biermanns
19. November 1976
Information Nr. 809/76 über weitere Reaktionen von Verbindungen Biermanns und anderen Kulturschaffenden in der DDR zur Aberkennung der Staatsbürgerschaft für Biermann
Während Christine Biermann am 18. November 1976 als Studentin wieder am regelmäßigen Studienbetrieb teilnahm, entwickeln besonders Eva-Maria Hagen, aber auch Sibylle Havemann und Nina Hagen weitere Aktivitäten zur Organisierung einer »Protestbewegung« gegen die Ausweisung Biermanns, wobei sie sich ununterbrochen in der Wohnung der Biermann aufhielten. (Nach Sperrung des Fernsprechanschlusses der Biermann am 18. November 1976 begaben sich Eva-Maria Hagen und Sibylle Havemann in die Wohnung der [Name] in Berlin-Niederschönhausen, um von dort aus ihre telefonischen Kontakte aufrechtzuerhalten.)
Auf Betreiben der drei Genannten – mit aktiver Unterstützung durch Manfred Krug – wurde eine weitere »Protestresolution« (ähnlicher Text wie der erste »Protest«) gefertigt und unterschrieben bzw. die Unterschriftsleistung zugesagt.
(Maßnahmen zur näheren Überprüfung und zur Feststellung, welche weiteren Personen eventuell diese oder andere »Proteste« zu unterschreiben beabsichtigen, sind eingeleitet.)
Nach vorliegenden Hinweisen habe der Dramatiker Peter Hacks die Unterschrift strikt abgelehnt, und Gisela May habe sich Bedenkzeit ausgebeten.
Am 18. November 1976 wandten sich Adolf Endler (Lyriker), Elke Erb (Schriftstellerin) und Kurt Bartsch (Schriftsteller) an Stefan Hermlin mit der Bitte, nachträglich als Unterzeichner der Protesterklärung der Schriftsteller aufgenommen zu werden. Der Schriftsteller Günter de Bruyn wandte sich mit dem gleichen Anliegen an Hermlin und bedauerte, dass er zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Protesterklärung nicht erreichbar war.
Mit Unterstützung Heyms setzte de Bruyn den DPA-Korrespondenten Schulz und den Westberliner Bürger Menge1 davon in Kenntnis, dass er sich dem Protest der 13 Künstler aus Berlin anschließt und forderte dazu auf, dies in der BRD und in Westberlin zu publizieren.
Jurek Becker versuchte nachhaltig, Prof. Heinz Kamnitzer zu beeinflussen, das PEN-Zentrum der DDR für eine Solidarisierung mit Biermann zu gewinnen. (Kamnitzer habe eine derartige Möglichkeit »nicht grundsätzlich verneint«.) Becker ist außerdem bemüht, unter Filmschaffenden aus dem DEFA-Spielfilm-Studio Mitunterzeichner des »Protestschreibens« zu gewinnen.
Volker Braun äußerte in einem internen Gespräch, ihm sei die Unterzeichnung »sehr schwer gefallen«, weil er sich in keiner Weise mit Biermann identifiziere. Er hoffe, dass die »Protesterklärung« nicht zu einer Eskalation in der DDR führen werde. Ihm wäre eine andere Form der Auseinandersetzung mit Biermann seitens der DDR lieber gewesen.
Rolf Schneider bat Heym, er solle alle Unterzeichner der »Protestresolution« davon informieren, er habe aus einem Gespräch, das ein Mitarbeiter des Ministeriums für Kultur mit ihm geführt hat, entnehmen können, dass die Unterzeichner nicht mit Repressionen zu rechnen hätten. Schneider lud außerdem den Mitarbeiter der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, Nette, für den 18. November 1976 in seine Wohnung zu einem Gespräch über die »Protesterklärung« ein.
Weiter wurde bekannt, dass in Jena ein Student ([Name], geboren [Tag] 1953, gehört zum Kreis um Sibylle Havemann, Jurek Becker und anderen) mit Unterstützung des »Textschreibers« Jürgen Fuchs Aktivitäten zu einer weiteren Unterschriftensammlung entwickelt hat (Überprüfungs- und Kontrollmaßnahmen werden durchgeführt).
Intern wurde weiter bekannt, dass Bettina Wegner in nächster Zeit eine Reihe von Auftritten plant. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Lieder – Lehre – Bühne« werde sie am 24. November 1976 in der Wissenschaftlichen Allgemeinbibliothek Potsdam gemeinsam mit Rolf Schneider auftreten. (Aufgrund ihrer feindlich-negativen Haltung ist mit Reaktionen im Zusammenhang mit Biermann zu rechnen.)
Biermann, der am 18. November 1976 gegen 23.00 Uhr Jurek Becker telefonisch zu erreichen versuchte, äußerte »Freude und Genugtuung über die in der DDR entstandene Protestbewegung«. Er sei zuversichtlich, wieder in die DDR zurückkehren zu können.
Die Aktivitäten westlicher Journalisten zwecks Durchführung von Interviews halten an. Das in der Sendung »heute« des ZDF am 18. November 1976, 19.00 Uhr, ausgestrahlte Kurzinterview mit Heym war in dessen Wohnung gleichzeitig von Jürgen Tautz-Wiessner (ZDF), Lothar Loewe (ARD), Peter Pragal (»Süddeutsche Zeitung«), Dietmar Schulz (DPA) und Armin Beth (ARD-Hörfunk) aufgenommen worden.
Nach vorliegenden Hinweisen wurde das ZDF-Studio in der Hauptstadt der DDR vom Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Westberliner Abgeordnetenhaus, Lummer, aufgefordert, es solle sich »um die Familie Biermann gekümmert werden«.
Christel Sudau (»Frankfurter Rundschau«) wollte von Rolf Schneider wissen, ob bereits Reaktionen seitens der DDR auf die »Protesterklärung der Berliner Künstler« vorliegen. Schneider verneinte und sicherte zu, die Sudau in einem derartigen Fall sofort zu informieren.
Der Axel-Springer-Inlanddienst erbat von Stefan Heym weitere Angaben zur »Protestaktion«, die dieser strikt verweigerte.
Peter Nöldechen (»Westfälische Rundschau«) wandte sich an Jurek Becker mit der Bitte um ein Telefoninterview und Ergänzungen zur »Protesterklärung«. Beides lehnte Becker ab.
Kempgen (»Westdeutsche Allgemeine Zeitung«) erbat von Becker Angaben zur »Protesterklärung«. Becker lehnte ab und verwies darauf, dass die Wirkung der Protesterklärung abzuwarten sei.
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