Adoption der Kinder eines in den Westen übergesiedelten Ehepaares (1)
11. Januar 1977
Information Nr. 16/77 über feindliche Aktivitäten und in der Öffentlichkeit wirkende Kräfte sowie den tatsächlichen Sachverhalt im Zusammenhang mit der angeblichen Zwangsadoption der Kinder der ehemaligen DDR-Bürger Grübel, Otto, und Grübel, Bärbel
Seit Ende 1975 wird das in Westberlin wohnhafte Ehepaar Grübel als »Hauptzeuge« zum Thema angeblicher Zwangsadoptionen in der DDR von westlichen Massenmedien aufgewertet. Besonders in den Publikationsorganen der Springer-Presse,1 im ARD-Fernsehen,2 in der Zeitschrift »Der Spiegel«,3 im SFB-Hörfunk, aber auch durch solche Massenmedien wie die USA-Nachrichtenagentur AP4 sowie die englische Zeitschrift »Sunday-Express«5 erfolgten mit unterschiedlicher Intensität zu diesem »Fall« Veröffentlichungen.6
Nach Entzug der Akkreditierung des »Spiegel«-Korrespondenten in der DDR, Mettke, im Dezember 19757 und der Prüfung einzelner »Fälle« im Interesse einer Familienzusammenführung wurde eine publizistische Behandlung zunächst unterlassen.
Damit verbunden war die Klärung einzelner »Fälle« zugunsten einer Familienzusammenführung, was zu offiziellen Erklärungen der BRD-Regierung führte, in der DDR gebe es keine »Zwangsadoptionen«.8
Das Ehepaar Grübel wandte sich in der Folgezeit mit einem »offenen Brief«9 an den BRD-Kanzler Schmidt und die antikommunistische »Gesellschaft für Menschenrechte«.10 Das Datum – September 1976 – war offensichtlich so gewählt, dass dieser »Fall« im Bundestagswahlkampf Berücksichtigung finden sollte und »günstige« Voraussetzungen gesehen wurden, auf diesem Wege auch Druck auf die DDR auszuüben, falls diese an einer »Wiederwahl« der SPD/FDP-Regierung interessiert sei.
Tatsächlich wurde auch unmittelbar vor den Wahlen zum Bundestag (3.10.1976) von den Zeitungen des Springer-Konzerns ab 25.9.1976 eine neue massive Kampagne zum Thema »Zwangsadoptionen«, gestützt auf den »Fall« Grübel, gestartet.11 Ihre Fortsetzung fand diese Hetzkampagne im Monat Dezember 1976, ausgelöst durch einen »Spiegel«-Artikel, in dem der Name und die Anschrift der jetzigen Eltern der Grübel-Kinder bekannt gegeben wurden12 (womit indirekt eine Aufforderung an Leser dieser Publikationsorgane erfolgte, Druck auf diese DDR-Bürger durch Zuschriften usw. auszuüben). Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese emotional hochgepeitschte Hetze gegenüber der DDR mit größeren Beiträgen unmittelbar vor Weihnachten 1976,13 wobei die Wahl dieses Zeitpunktes offenkundig auf eine größtmögliche Wirksamkeit abzielte.
In der Linie des Vorgehens zeigen sich gegenüber 1975 (»Spiegel«-Artikel) wesentliche Unterschiede: Während seinerzeit dieses Thema global angeschnitten wurde und das Ehepaar Grübel nur ein Beispiel darstellte und sich der Hauptangriff auf die staatliche Jugendpolitik sowie die sozialistische Rechtspolitik richtete, zeigt sich 1976 eine starke Darstellung des »Einzelschicksals«, die Aussage wird unmittelbar auf diese »Familie« bezogen, die man bemitleidenswert, unglücklich und krank schildert, eine Familie, die um ihr »elementares Menschenrecht« kämpft. Diese Art und Weise des Vorgehens wird auch 1977 fortgesetzt. Persönliche Angriffe auf führende Repräsentanten der DDR wurden weitgehend unterlassen, wohl aber wird auf die ČSSR verwiesen, die Schritte unternommen habe, um Kinder ihren Eltern in der BRD zuzuführen.
Zum Sachverhalt:
Am 5.8.1973 wurden die Eheleute Grübel, Otto, geb. am [Tag] 1936, zuletzt Textilverkäufer im HO-Industriewaren Berlin, und Grübel, Bärbel, geb. am [Tag] 1949, zuletzt ohne Beschäftigung, beide wohnhaft gewesen in Berlin-Mitte, [Adresse], bei dem Versuch festgenommen, unter Mitnahme ihrer damals zwei und vier Jahre alten Kinder die Staatsgrenze der ČSSR in Richtung Österreich zu durchbrechen.
Das in diesem Zusammenhang durch die DVP gegen die Genannten gemäß § 213 StGB (Ungesetzlicher Grenzübertritt)14 eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde am 19.9.1973 abgeschlossen. Nach Durchführung einer Berufungs- sowie Kassationsverhandlung vor dem Stadtgericht Berlin bzw. dem Obersten Gericht der DDR wurden Grübel, Otto, und Grübel, Bärbel, am 11.11.1974 durch das Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten verurteilt.
Während des Ermittlungsverfahrens wurde zweifelsfrei nachgewiesen, dass bereits am 3.8.1973 das Ehepaar Grübel einen Versuch unternahm, die DDR über die ČSSR ungesetzlich zu verlassen. In beiden Fällen wurden den mitgeführten Kindern durch die Kindesmutter mit Zustimmung ihres Ehemannes in äußerst verantwortungsloser Weise zur erfolgreichen Durchführung ihrer strafbaren Handlung […] Psychopharmaka […] verabreicht. (Eingabe von »Faustan«15 […]).
Auf der Grundlage dieses Sachverhaltes reichte der stellvertretende Leiter des Referates Jugendhilfe beim Rat des Stadtbezirkes Berlin-Mitte am 15.11.1973 Klage gegen die Eheleute Grübel ein und stellte den Antrag, ihnen aufgrund dieses verantwortungslosen Verhaltens und ihrer Absicht, die Kinder aus den gewohnten sozialen Verhältnissen in der DDR herauszulösen, gemäß § 51 (1) Familiengesetzbuch der DDR (FGB)16 das Erziehungsrecht zu entziehen. Gegen diese Klage wandten sich im Januar bzw. Februar 1974 sowohl die Eheleute Grübel als auch der von ihnen bestellte Rechtsanwalt de Maizière.17
Sie behaupteten, die zur Betäubung der Kinder angewandten Psychopharmaka […] seien ungefährlich und vertraten im Zusammenhang damit die Auffassung, dass seitens der Kindeseltern kein verantwortungsloses Verhalten im Sinne des Familiengesetzes vorläge. Im Ergebnis der am 23.5.1974 vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte geführten erstinstanzlichen Verhandlung wurde mit Zustimmung aller Prozessparteien die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens über die den Kindern verabreichten Mittel festgelegt, welches am 15.6.1974 durch den Oberarzt Dozent Dr. sc. med. [Name], Facharzt für Kinderheilkunde an der Charité Berlin, erstattet wurde. Laut diesem Gutachten [wird] die Verabreichung von »Faustan« als rezeptpflichtiges Präparat ohne ärztliche Anordnung […] als »bedenkenloses und verantwortungsloses Verhalten« seitens der Eltern gekennzeichnet. Durch den Gutachter wurde der Umstand als erschwerend eingeschätzt, dass es sich bei den Eltern um medizinische Laien ohne Kenntnis über die möglichen Auswirkungen und Folgen der zur Anwendung gelangten Mittel handelte.
Ausgehend von den gutachterlichen Feststellungen wurde im Ergebnis der am 20.6.1974 vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte geführten Verhandlung in Anwesenheit des Ehepaares Grübel sowie dessen Rechtsbeistand entschieden, ihnen das Erziehungsrecht für die Kinder Ota und Jeanette gemäß § 51 FGB abzusprechen. In der Urteilsbegründung wurde auch Bezug auf das Verhalten der Eheleute Grübel im Zusammenhang mit den Versuchen des ungesetzlichen Verlassens der DDR genommen.
Gegen dieses Urteil legte Rechtsanwalt de Maizière im Auftrag der Eheleute Grübel am 2.7. und am 20.8.1975 Berufung ein, wobei er sich gegen die vorgenannte Urteilsbegründung und das ärztliche Gutachten wandte. Diese Berufung wurde in einer Verhandlung vor dem Familiensenat des Stadtgerichtes von Groß-Berlin in allen Punkten verworfen.
Rechtsanwalt de Maizière regte daraufhin am 2.1.1975 beim Präsidenten des Obersten Gerichtes der DDR die Kassation der rechtskräftigen Entscheidung gegen die Eheleute Grübel mit der gleichen Begründung wie in der Berufungsklage an. Nach eingehender Prüfung des vorliegenden Sachverhaltes durch die Kassationsabteilung für Zivilsachen beim Obersten Gericht der DDR wurde die angeregte Kassation mit Schreiben vom 13.5.1975 an Rechtsanwalt de Maizière abgelehnt. (Ein Auszug des Schreibens Maizières an die Kassationsabteilung des Obersten Gerichts der DDR wurden im Magazin »Der Spiegel« Nr. 51 vom 15.12.1975 veröffentlicht.)18
In Kenntnis dieser Rechtslage erklärten sich die Eheleute Grübel am 20.5.1975 gegenüber dem Staatlichen Notariat der DDR zur Unterhaltszahlung an die Kinder Ota und Jeanette bereit.
Am 21.5.1975 wurden Grübel, Otto und Bärbel entsprechend einem von ihnen gestellten Antrag aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen und ihnen die Ausreisen in die BRD gestattet. Zuvor war ihnen durch die zuständigen Rechtspflegeorgane die Rechtslage eingehend erläutert worden mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass ihnen bei einem Verbleib in der DDR und entsprechender Führung gemäß § 51 Abs. 3 FGB19 das Erziehungsrecht für ihre Kinder wieder zugesprochen werden kann. Weiter wurde ihnen erläutert, dass eine Übersiedlung in die BRD und die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR eine endgültige Trennung von den Kindern bedeute. In Kenntnis dieser bestehenden Rechtslage […] beharrte das Ehepaar Grübel auf ihren Übersiedlungsanträgen und reiste am 21.5.1975 in die BRD aus.
[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
Die Kinder Ota und Jeanette Grübel wurden zwischenzeitlich bis Ende des Jahres 1975 in entsprechenden Einrichtungen der Jugendhilfe und Heimerziehung der DDR betreut und erzogen. Mit Wirkung vom 19.11.1975 wurden beide Kinder von einem Ehepaar aus Eisenhüttenstadt adoptiert. Die Adoptiveltern bemühen sich fürsorglich um die Kinder und erziehen sie im sozialistischen Sinne. Die Ehe erhielt darüber hinaus durch die Kinder in den letzten zwei Jahren einen neuen Inhalt. Es besteht die Gewähr, dass die Adoptiveltern ihren Pflichten gegenüber den Kindern auch in Zukunft vorbildlich nachkommen werden.
»Anlage« zur Information Nr. 16/77
[Brief von Außenminister Oskar Fischer an Mielke]
Der Minister für Auswärtige Angelegenheiten | Mitglied des Politbüros des ZK der SED und | Minister für Staatssicherheit | Genossen Generaloberst | Erich Mielke | 113 Berlin | Normannenstraße 22
Berlin, den 15. Dezember 1976
Werter Genosse Mielke!
In der BRD-Zeitschrift »Spiegel« Nr. 49 vom 29. November 1976 wird unter dem Titel »Meine Eltern sind nicht meine Eltern« erneut ein Artikel über einen Fall sog. Zwangsadoption in der DDR veröffentlicht. In dem Artikel wird darauf hingewiesen, dass der jetzige »Spiegel«-Korrespondent in der DDR, Schwarz,20 entsprechende Nachforschungen angestellt habe. Im Zusammenhang mit einem ähnlichen Artikel wurde der damalige »Spiegel«-Korrespondent Mettke vor einem Jahr aus der DDR ausgewiesen.
Wir haben dem Generalsekretär des ZK der SED, Genossen Erich Honecker, vorgeschlagen, dass der Sachverhalt vom Ministerium für Staatssicherheit und vom Ministerium für Volksbildung überprüft und danach über das weitere Vorgehen entschieden wird.
Genosse Erich Honecker ist damit einverstanden. Wir bitten um entsprechende Überprüfung und wären für die Übermittlung der Ergebnisse dankbar, damit wir gegebenenfalls einen Vorschlag für das weitere Vorgehen dem Generalsekretär unterbreiten können.
Mit sozialistischem Gruß | i. V. [Unterschrift] | Oskar Fischer