Adoption der Kinder eines in den Westen übergesiedelten Ehepaares (2)
12. Mai 1977
Information Nr. 308/77 über den tatsächlichen Sachverhalt im Zusammenhang mit der angeblichen Zwangsadoption der Kinder der ehemaligen DDR-Bürger Grübel, Otto, und Grübel, Bärbel
Seit Ende 1975 wird das in Westberlin wohnhafte Ehepaar Grübel von westlichen Massenmedien als »Hauptzeuge« zum Thema angeblicher Zwangsadoptionen in der DDR aufgewertet. Besonders in den Publikationsorganen der Springer-Presse,1 im ARD-Fernsehen,2 in der Zeitschrift »Der Spiegel«,3 im SFB-Hörfunk, aber auch durch solche Massenmedien wie die USA-Nachrichtenagentur AP4 sowie die englische Zeitschrift »Sunday-Express«5 erfolgten mit unterschiedlicher Intensität zu diesem »Fall« Veröffentlichungen.6
Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte diese emotional hochgepeitschte Hetze gegenüber der DDR mit größeren Beiträgen unmittelbar vor Weihachten 1976,7 wobei die Wahl dieses Zeitpunktes offenkundig auf eine größtmögliche Wirksamkeit abzielte.
In der Linie des Vorgehens zeigen sich gegenüber 1975 (»Spiegel«-Artikel)8 wesentliche Unterschiede: Während seinerzeit dieses Thema global angeschnitten wurde und das Ehepaar Grübel nur ein Beispiel darstellte und sich der Hauptangriff auf die staatliche Jugendpolitik sowie die sozialistische Rechtspolitik richtete, zeigt sich 1976 eine starke Darstellung des »Einzelschicksals«, die Aussage wird unmittelbar auf diese »Familie« bezogen, die man »bemitleidenswert, unglücklich und krank« schildert, eine Familie, die um ihr »elementares Menschenrecht« kämpft. Diese Art und Weise des Vorgehens wird auch 1977 fortgesetzt.
So wurde z. B. im April dieses Jahres von der sogenannten Gesellschaft für Menschenrechte9 eine »Dokumentation über einige Fälle von bereits abgeschlossenen oder zu befürchtenden Zwangsadoptionen in der DDR«10 herausgegeben, in deren Anhang sich u. a. ein separates Flugblatt, »den Fall« der Kinder Ota und Jeanette Grübel betreffend, befindet, da »die Kinder der Eheleute Grübel leider nicht mehr in die Dokumentation aufgenommen werden konnten«.
Dieses Pamphlet wurde über diplomatische Kanäle vertrieben mit der demagogischen »Bitte« an die entsprechenden Regierungen, »auf die DDR einzuwirken, dass dieses Unrecht revidiert wird und die Kinder ihren leiblichen Eltern zurückgegeben werden« sowie »diese Verletzungen fundamentaler Menschenrechte im Rahmen der KSZE-Nachfolgekonferenz in Belgrad11 zur Sprache zu bringen«. In diesem Zusammenhang wird weiter zum Ausdruck gebracht: »Natürlich erwarten wir entsprechende Schritte auch seitens unserer Bundesregierung; wir glauben aber, dass alle Regierungen, die die Schlussakte von Helsinki12 unterzeichnet haben, sich um die Einhaltung bzw. Verwirklichung dieser Beschlüsse durch alle Signatarstaaten bemühen sollten.«
Zum Sachverhalt:
Am 5.8.1973 wurden die Eheleute Grübel, Otto, geb. am [Tag] 1936, zuletzt Textilverkäufer im HO-Industriewaren Berlin […] und Grübel, Bärbel, geb. am [Tag] 1949, zuletzt ohne Beschäftigung, beide wohnhaft gewesen in Berlin-Mitte, [Adresse], bei dem Versuch festgenommen, unter Mitnahme ihrer damals zwei und vier Jahre alten Kinder Jeanette bzw. Ota die DDR ungesetzlich über die Staatsgrenze der ČSSR in Richtung Österreich zu verlassen.
Das in diesem Zusammenhang durch die Organe der Deutschen Volkspolizei gegen die Genannten gemäß § 213 StGB (Ungesetzlicher Grenzübertritt) eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde am 19.9.1973 abgeschlossen. Nach Durchführung einer Berufungs- sowie Kassationsverhandlung vor dem Stadtgericht Berlin bzw. dem Obersten Gericht der DDR wurden Grübel, Otto, und Grübel, Bärbel, am 11.11.1974 durch das Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt.
Während des Ermittlungsverfahrens wurde zweifelsfrei nachgewiesen, dass bereits am 3.8.1973 das Ehepaar Grübel einen Versuch unternahm, die DDR über die ČSSR ungesetzlich zu verlassen. In beiden Fällen wurden den mitgeführten Kindern durch die Kindesmutter mit Zustimmung ihres Ehemannes in äußerst verantwortungsloser Weise zur erfolgreichen Durchführung ihrer strafbaren Handlung […] Psychopharmaka […] verabreicht. (Am 3.8.1973 wurden jedem Kind drei »Faustan«13-Tabletten eingegeben […])
Auf der Grundlage dieses Sachverhaltes reichte der stellvertretende Leiter des Referates Jugendhilfe beim Rat des Stadtbezirkes Berlin-Mitte am 15.11.1973 Klage gegen die Eheleute Grübel ein und stellte den Antrag, ihnen aufgrund dieses verantwortungslosen Verhaltens und ihrer Absicht, die Kinder aus den gewohnten sozialen Verhältnissen in der DDR herauszulösen, gemäß § 51 (1) Familiengesetzbuch der DDR (FGB)14 das Erziehungsrecht zu entziehen. Gegen diese Klage wandten sich im Januar bzw. Februar 1974 sowohl die Eheleute Grübel als auch der von ihnen bestellte Rechtsanwalt de Maizière.15
Sie behaupteten, die zur Betäubung der Kinder angewandten Psychopharmaka […] seien ungefährlich und vertraten im Zusammenhang damit die Auffassung, dass seitens der Kindeseltern kein verantwortungsloses Verhalten im Sinne des Familiengesetzes vorläge. Im Ergebnis der am 23.5.1974 vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte geführten erstinstanzlichen Verhandlung wurde mit Zustimmung aller Prozessparteien die Einholung eines fachärztlichen Gutachtens über die den Kindern verabreichten Psychopharmaka […] festgelegt, welches am 15.6.1974 durch den Oberarzt Dozent Dr. sc. med. [Name], Facharzt für Kinderheilkunde an der Charité Berlin, erstattet wurde. Laut diesem Gutachten [wird] die Verabreichung von »Faustan« als rezeptpflichtiges Präparat ohne ärztliche Anordnung […] als »bedenkenloses und verantwortungsloses Verhalten« seitens der Eltern gekennzeichnet. Durch den Gutachter wurde der Umstand als erschwerend eingeschätzt, dass es sich bei den Eltern um medizinische Laien ohne Kenntnis über die möglichen Auswirkungen und Folgen der zur Anwendung gelangten Mittel handelte.
Ausgehend von den gutachterlichen Feststellungen wurde im Ergebnis der am 20.6.1974 vor dem Stadtbezirksgericht Berlin-Mitte geführten Verhandlung in Anwesenheit des Ehepaares Grübel sowie dessen Rechtsbeistand entschieden, ihnen das Erziehungsrecht für die Kinder Ota und Jeanette gemäß § 51 FGB abzusprechen. In der Urteilsbegründung wurde auch Bezug auf das Verhalten der Eheleute Grübel im Zusammenhang mit den Versuchen des ungesetzlichen Verlassens der DDR genommen.
Gegen dieses Urteil legte Rechtsanwalt de Maizière im Auftrage der Eheleute Grübel am 2.7.1974 und am 20.8.1974 Berufung ein, wobei er sich gegen die vorgenannte Urteilsbegründung und das ärztliche Gutachten wandte. Diese Berufung wurde in einer Verhandlung vor dem Familiensenat des Stadtgerichtes von Groß-Berlin in allen Punkten verworfen.
Rechtsanwalt de Maizière regte daraufhin am 2.1.1975 beim Präsidenten des Obersten Gerichtes der DDR die Kassation der rechtskräftigen Entscheidung gegen die Eheleute Grübel mit der gleichen Begründung wie in der Berufungsklage an. Nach eingehender Prüfung des vorliegenden Sachverhaltes durch die Kassationsabteilung für Zivilsachen beim Obersten Gericht der DDR wurde die angeregte Kassation mit Schreiben vom 13.5.1975 an Rechtsanwalt de Maizière abgelehnt. (Ein Auszug des Schreibens Maizière an die Kassationsabteilung des Obersten Gerichtes der DDR wurde im Magazin »Der Spiegel« Nr. 51 vom 15.12.1975 veröffentlicht.)16
In Kenntnis dieser Rechtslage erklärten sich die Eheleute Grübel am 20.5.1975 gegenüber dem Staatlichen Notariat der DDR zur Unterhaltszahlung an die Kinder Ota und Jeanette bereit.
Am 21.5.1975 wurden Grübel, Otto und Bärbel, entsprechend einem von ihnen gestellten Ersuchen aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen und ihnen die Ausreise in die BRD gestattet. Zuvor war ihnen durch die zuständigen Rechtspflegeorgane die Rechtslage eingehend erläutert worden mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass ihnen bei einem Verbleib in der DDR und entsprechender Führung gemäß § 51 Abs. 3 FGB das Erziehungsrecht für ihre Kinder wieder zugesprochen werden kann.
In Kenntnis dieser bestehenden Rechtslage und der damit verbundenen Konsequenzen beharrte das Ehepaar Grübel auf ihren Übersiedlungsanträgen und reiste am 21.5.1975 in die BRD aus.
[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]