Äußerungen staatsnaher Schriftsteller zum VIII. Schriftstellerkongress (2)
22. November 1977
Information Nr. 728/77 über weitere Reaktionen aus Kreisen progressiver Schriftsteller im Zusammenhang mit konzeptionellen Vorbereitungen des VIII. Schriftstellerkongresses der DDR 1978
Dem MfS wurden interne Äußerungen progressiver Schriftsteller der DDR im Zusammenhang mit der Vorbereitung des VIII. Schriftstellerkongresses1 und nach Teilnahme an der Beratung beim Genossen Prof. Kurt Hager, Mitglied des Politbüros des ZK der SED, bekannt.
Vertraulichen Hinweisen zufolge haben an der Beratung beteiligte Schriftsteller es als außerordentlich positiv gewertet, dass dieses Gespräch stattgefunden hat. Sie hätten Gelegenheit gehabt, über sie bewegende Probleme zu sprechen und hätten die Zusammenkunft auch genutzt, eine Reihe anstehender Fragen offen auszusprechen.
Die Beratung sei auch deshalb wichtig gewesen, weil sie in der letzten Zeit das Gefühl gehabt hätten, »allein gelassen«, »nicht angehört und nicht nach ihrer Meinung gefragt« zu werden, nachdem sie als progressive Schriftsteller in den Auseinandersetzungen des letzten Jahres »ihre Schuldigkeit getan« hätten. Sie hätten bis dahin den Eindruck gehabt, die Parteiführung würde jetzt vordergründig mit solchen Schriftstellern diskutieren, die nicht mit der Politik der DDR konform gehen, wobei ihnen – im Gegensatz zu den progressiven Schriftstellern – eine Reihe »Vorteile« zugestanden würden.
Erwin Strittmatter äußerte nach der Beratung beim Genossen Hager in einem vertraulichen Gespräch, er habe versucht, seine Auffassungen zu wichtigen Problemen darzulegen. Er habe sich während der letzten Auseinandersetzungen z. B. im Schriftstellerverband »bewusst zurückgehalten, da er befürchtete, bei der Lösung von Tagesfragen verheizt und anschließend allein gelassen« zu werden; inwieweit er sich in Zukunft wieder aktiver an der Lösung von Fragen und Problemen beteilige, werde davon abhängen, »ob man den Worten des Genossen Hager vertrauen kann« und auf dem Schriftstellerkongress eine offene und parteiliche Auseinandersetzung mit negativen Auffassungen möglich sein werde. Genosse Hager habe zwar während der Beratung eine parteiliche Diskussion für richtig gehalten, er – Strittmatter – befürchte jedoch, »dass es aus irgendwelchen taktischen Gründen kurz vor Beginn des Kongresses heißt, wir können diese Polemik nicht führen«.
Strittmatter und andere progressive Schriftsteller vertreten im Zusammenhang mit der Vorbereitung des Schriftstellerkongresses die Meinung, eine nur positive Einschätzung der Situation während des Kongresses werde ein »verzerrtes und einseitiges Bild« ergeben; in der gegenwärtigen Klassenkampfsituation mache sich eine wahrheitsgemäße, ungeschminkte Darstellung aller negativen, hemmenden und störenden Probleme genauso erforderlich wie die Darstellung des Positiven und Vorwärtsweisenden.
Günter Görlich vertrat in einem vertraulichen Gespräch nach der Beratung mit Genossen Hager die Auffassung, in den Diskussionen, z. B. in der Strittmatters, werde eine bestimmte Unsicherheit deutlich, die unter einer Vielzahl von Genossen Schriftstellern zu verzeichnen sei. Diese Unsicherheit entstehe u. a. durch ungeklärte persönliche Probleme und gegensätzliche Auffassungen – z. B. zur gegenwärtigen konkreten Haltung der Parteiführung sogenannten negativen Schriftstellern gegenüber –, wodurch unter Genossen Schriftstellern eine offene Atmosphäre wesentlich beeinträchtigt werde.
Görlich äußerte weiter, es käme in Vorbereitung und Durchführung des Schriftstellerkongresses darauf an, alle positiven Kräfte stärker zu formieren und zusammenzuführen. Das werde jedoch nur möglich sein, wenn »ein bestimmtes Misstrauen in das Wort der Parteiführung« und teilweise bestehende persönliche Differenzen aus dem Weg geräumt werden.
Störend für den Prozess der Erreichung eines Vertrauensverhältnisses würden sich immer mehr bestimmte Vergünstigungen für indifferente und politisch-negative Kräfte, wie z. B. Hermlin, Seyppel, Christa und Gerhard Wolf, Günter Kunert u. a. auswirken. Eine Reihe von Schriftstellern der DDR würde diese Politik der Partei gegenüber diesen Kräften, die zahlenmäßig nicht einmal so groß seien, nicht mehr begreifen. Sie würden das Verhalten der Partei gegenüber diesen Autoren als eine Art Schwäche und des sich »Erpressen-lassens« werten.
Die Formierung der positiven Kräfte wäre auch aus einem anderen Grunde sehr wichtig. Seiner Ansicht nach sei es dem Gegner gelungen, im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zu Biermann und den Unterzeichnern der »Protestresolution«2 die Literatur in ihrem Stellenwert, die sie bis zum Herbst 1976 in der DDR einnahm, zurückzudrängen und eine gewisse Desorientierung zu erreichen. So habe er feststellen müssen, dass viele Menschen aus allen Bevölkerungskreisen der DDR den Schriftstellern seit diesem Zeitpunkt mit einer gewissen Skepsis, Zurückhaltung und Misstrauen begegnen, da sie nicht wissen, welche Haltung der ihnen gegenüberstehende Autor im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen bezogen hat. Es käme seiner Ansicht nach auch darauf an, der Bevölkerung der DDR zu zeigen, dass die überwiegende Mehrheit der Schriftsteller zur Politik der Partei, zur DDR und zum Sozialismus steht.
Die Schriftsteller Hermann Kant, Gerhard Holtz-Baumert und Jurij Brězan äußerten in einem internen Gespräch starke Bedenken, ob die offene Diskussion über alle anstehenden Fragen auf dem Kongress tatsächlich durchgeführt werde. Es nütze in der gegenwärtigen Situation nichts, einen Kongress zu veranstalten, der alle Probleme »zudeckt«; danach wäre keine Literaturdiskussion mehr möglich, und der Kongress hätte sein Ziel verfehlt.
Hermann Kant äußerte weiter, unter den Schriftstellern und Künstlern könne es keine Harmonisierung durch »Zudecken« geben, sondern nur durch eine offene klare parteiliche Auseinandersetzung, die allerdings nicht in eine »Vergeltungsschlacht« ausarten dürfe.
Gerhard Holtz-Baumert erklärte, es beunruhige ihn immer wieder die Frage, »ob man gegenwärtig der Politik vertrauen« könne, ob sie ausreichend »weitsichtig« sei oder ob es nur »um die Lösung von Augenblicksfragen« gehe.
Beunruhigt wäre man – bezogen auf die an der Beratung teilgenommenen Genossen – auch hinsichtlich einiger persönlicher Beziehungen alter erfahrener Genossen untereinander, obwohl keine Einzelheiten bekannt geworden seien. So bestünden offensichtlich zwischen Genossen Prof. Kurt Hager und dem Kandidaten des ZK des SED, Genossen Helmut Sakowski, ungeklärte Probleme, die dazu geführt hätten, dass Genosse Sakowski trotz Einladung nicht zum Gespräch beim Genossen Hager erschienen sei. Er habe sich mit einer terminlich nicht verschiebbaren Lesung entschuldigt. Genosse Gotsche, Mitglied des ZK der SED, habe in letzter Zeit nicht an Versammlungen, auch nicht an denen seiner APO teilgenommen, da er Differenzen »mit leitenden Genossen« habe. Günter Görlich u. a. billigten das Verhalten dieser Genossen nicht, da es, wie sie meinen, Anlass für vielfältige Spekulationen sein könnte.
An der Beratung beim Genossen Hager beteiligte Genossen sagten auch nach dem Gespräch ihre Bereitschaft zu, aktiv und im Sinne der Kulturpolitik der SED in Vorbereitung des VIII. Schriftstellerkongresses der DDR tätig zu sein.
Besonders erfreut waren sie über die Zusicherung durch den Genossen Hager, dass Genosse Honecker das von ihm vorgesehene Gespräch mit Schriftstellern Anfang des Jahres 1978 durchzuführen beabsichtigt. Sie sehen darin die Möglichkeit, Probleme, die sich mit der Vorbereitung des VIII. Schriftstellerkongresses noch ergeben bzw. bisher ungeklärte Fragen in diesem Gespräch vorzutragen und verbindliche Festlegungen zu treffen.
Diese Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme geeignet.