Aktionen der Familie Meißner zur Durchsetzung ihres Ausreiseantrags
31. März 1977
Information Nr. 197/77 über Ergebnisse der Überprüfungen zu Veröffentlichungen der Westpresse im Zusammenhang mit einem Brief der Familie Meißner aus Dresden an den Präsidenten der USA zwecks Unterstützung ihrer Übersiedlungsabsichten nach Westberlin
Die Überprüfungen des MfS zu den in der Westpresse veröffentlichten Meldungen über die Bitte einer Dresdner Familie um Unterstützung zur Übersiedlung nach Westberlin an den Präsidenten der USA, Carter, (u. a. »Bild«-Zeitung vom 30.3.1977 unter der Überschrift »Dresdener Familie bittet Carter um Hilfe«)1 ergaben:
Bei der genannten Familie Meißner handelt es sich um die in 8019 Dresden, [Adresse], wohnhaften Meißner, Wilfrid, geb. am [Tag] 1935, tätig als Kraftfahrer im VEB Baustoffversorgung Dresden, Meißner, geb. [Geburtsname 1], Ursula, geb. am [Tag] 1940, zzt. nicht berufstätig (bis 1.9.1976 beschäftigt gewesen als Schriftsetzerin/Inventurprüfer bei der Deutschen Reichsbahn) sowie deren Kinder Meißner, Torsten, geb. am [Tag] 1962, Meißner, Elger, geb. am [Tag] 1963.
Der Meißner stellte im Zeitraum vom 23.12.1975 bis 28.3.1977 für sich und seine Familie insgesamt vier rechtswidrige Ersuchen auf Übersiedlung nach Westberlin.
Zur Durchsetzung der rechtswidrigen Ersuchen2 auf Übersiedlung fertigte Meißner in der Zeit vom 23.8.1976 bis 23.2.1977 fünf »Eingaben«, die er u. a. an den Generalsekretär des ZK der SED, Genossen E. Honecker, und an das MdI richtete.
Die Person Meißner, Wilfrid, hat den Beruf eines Autoschlossers erlernt und wechselte in der Folgezeit mehrmals die Arbeitsstellen. In den Jahren 1954 und 1958 verließ er zweimal ungesetzlich die DDR und kehrte jeweils nach einem einjährigen Aufenthalt in der BRD in die DDR zurück. Seit 1968 ist er als Kraftfahrer im VEB Baustoffversorgung Dresden beschäftigt und kommt seinen beruflichen Pflichten ohne Beanstandungen nach. Er steht stark unter dem Einfluss seiner Ehefrau, die, im Zusammenhang mit der Durchsetzung ihrer Übersiedlungsabsichten, ihr Arbeitsverhältnis bei der Deutschen Reichsbahn löste und seit dem 1.9.1976 keiner beruflichen Tätigkeit mehr nachgeht. (Ihr war zuvor ein anderes Arbeitsgebiet zugewiesen worden, deren Übernahme sie mit dem Bemerken, »für die DDR keinen Handschlag mehr zu tun«, ablehnte.)3
Der Sohn Torsten besuchte bis zur 7. Klasse die Kinder- und Jugendsportschule (KJS), Sektion Wasserspringen, und wurde wegen eines Schadens am Knie und in diesem Zusammenhang mangelnder Perspektive einer weiteren sportlichen Entwicklung im Einvernehmen mit den Eltern aus der KJS herausgenommen und in eine POS umgesetzt.4
Die von der Person Meißner, Wilfrid, gestellten rechtswidrigen Ersuchen auf Übersiedlung lassen eine feindlich-negative Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung erkennen. So führte er am 13.4.1976 u. a. aus:
»Wir sind nicht gewillt, in einem Staat weiterzuleben, der die elementarsten Rechte der Bürger, z. B. Reisefreiheit, nicht gewährleistet. Es ist für uns nicht annehmbar und gleichzeitig unfassbar, wie ein weltanerkannter Staat (DDR), der für sich in Anspruch nimmt, ein Rechtsstaat zu sein, einen Teil seiner Bürger durch Minengürtel, Schießbefehl und Schutzwall am Verlassen der DDR hindert.«
Um seinen rechtswidrigen Ersuchen auf Übersiedlung Nachdruck zu verleihen, bezog sich Meißner auf völkerrechtliche Bestimmungen und auf die Verfassung der DDR.
Am 25.11.1976 wurde dem Ehepaar Meißner durch den Rat des Stadtbezirkes Dresden-Mitte, Abteilung Innere Angelegenheiten, mitgeteilt, dass die Bearbeitung ihrer Ersuchen auf Übersiedlung abgeschlossen ist mit der Entscheidung, einer Übersiedlung nach Westberlin nicht stattzugeben. Während dieser Aussprache trat das Ehepaar Meißner äußerst provokatorisch in Erscheinung. Sie erklärten u. a., dass sie ihre Kinder auch weiterhin vom Staatsbürgerkundeunterricht fernhalten werden.
Wie die Überprüfungen weiter ergaben, steht die Person Meißner, Wilfrid, im dringenden Verdacht, am 27. und 28.3.1977 die BV Dresden anonym angerufen zu haben. Meißner gab sich als sein in Westberlin wohnhafter Bruder aus, forderte u. a. die Übersiedlung seiner Familie und seiner Mutter nach Westberlin und drohte eine Veröffentlichung in der Presse an.
Am 28.3.1977 erschien Meißner persönlich in der BV des MfS in Dresden und drohte u. a. an, dass er sich bezüglich seiner Übersiedlung nach Westberlin an die UNO u. a. internationale Gremien wenden wolle. Er habe bereits Briefe an den Präsidenten der USA, Carter, UNO-Generalsekretär Waldheim und an die UNO-Menschenrechtskommission in Genf geschickt.
Diese vom MfS sichergestellten Briefe beinhalten eine massive Hetze und grobe staatsverleumderische Äußerungen gegen die Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR und ihre Organe.
Meißner fordert die Adressaten auf, sich für die Verwirklichung seiner Übersiedlungsabsichten einzusetzen und beruft sich dabei auf die UN-Menschenrechtskonvention, deren Signatarstaat auch die DDR sei sowie die Schlussakte der KSZE.5
Wie dem MfS weiterhin bekannt wurde, ist sein Bruder in Westberlin im Besitz von Duplikaten dieser Briefe, die er an die gleichen Empfänger gerichtet habe. Dieser Bruder soll auch über die Duplikatunterlagen der gestellten Ersuchen auf Übersiedlung verfügen.
Es handelt sich dabei um den Meißner, Helge, geb. am [Tag] 1947, wohnhaft: 1 Berlin 42, [Adresse], tätig als Kellner, der nach Verbüßung einer Haftstrafe gemäß § 213 StGB – ungesetzlicher Grenzübertritt6 – 1975 aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassen und nach Westberlin ausgewiesen wurde und der – nach bisherigen Feststellungen – maßgeblich an der Anstiftung des Ehepaares Meißner zur Verfolgung der Übersiedlungsabsichten und zu den damit verbundenen Aktivitäten gegen die DDR beteiligt ist. (Offenkundig sind die vorgenannten Materialien während der Einreisen des Bruders in die DDR nach Westberlin ausgeschleust worden. Diese Unterlagen bilden nach bisherigen Feststellungen auch die Grundlage für die Veröffentlichungen in der Westpresse und andere gegen die DDR gerichtete Aktivitäten.)
Meißner erklärte weiter, dass er ein Duplikat der »Eingabe« an den Generalsekretär des ZK der SED, Genossen E. Honecker, vom 23.2.1977 über Deckadresse an die »Saarbrücker Zeitung« gesandt habe. Der stellvertretende Chefredakteur dieser Zeitung, Voltmer, habe telefonisch um die Erlaubnis zur Veröffentlichung dieses Briefes ersucht, die er erteilt habe.7 (Die Überprüfung dieser Angaben ist noch nicht abgeschlossen.)
Dieser sogenannte offene Brief enthält ebenfalls massive hetzerische Äußerungen gegen die Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR. (Der Brief wurde vom ZK der SED dem MfS zur weiteren Prüfung übergeben.)
Aufgrund der gegen die Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR gerichteten Aktivitäten des Meißner – teilweise im Zusammenwirken mit entsprechenden Organen und Einrichtungen in Westberlin – wird am heutigen Tage durch das MfS gegen ihn ein Ermittlungsverfahren mit Haft eingeleitet. Es ist vorgesehen, in der Bezirkspresse eine entsprechende Veröffentlichung vorzunehmen. Ein diesbezüglicher Vorschlag befindet sich in der Anlage.
Weiter ist dem MfS bekannt, dass auch die Mutter und der Bruder des Meißner, Wilfrid, Meißner, geb. [Geburtsname 2], Ella, geb. am [Tag] 1906, Altersrentnerin, Meißner, Volker, geb. am [Tag] 1940, Beruf: Opernsänger (zzt. ohne Beschäftigung), Ersuchen auf Übersiedlung gestellt haben, wobei sein Bruder auch als Mitunterzeichner der bereits genannten »Eingabe« an den Generalsekretär des ZK der SED in Erscheinung trat. (Der Antrag der Meißner, Ella, auf Übersiedlung wird gegenwärtig geprüft; die rechtswidrigen Ersuchen des Meißner, Volker, wurden aufgrund des Nichtvorliegens von Gründen für eine Übersiedlung abgelehnt.)
Anlage zur Information Nr. 197/77
[Entwurf einer Pressemitteilung]
Nur für Bezirkspresse Dresden
Dresden (ADN) Wegen Rowdytum festgenommen wurde Wilfrid Meißner, wohnhaft in Dresden, der zweimal ungesetzlich die DDR verlassen hatte und jeweils nach einem längeren Aufenthalt in der BRD in die DDR zurückgekehrt war. Meißner hat in hochstaplerischer Manier Handlungen durchgeführt, die sich gegen die öffentliche Ordnung und das Zusammenleben der Bürger richten.8