Aktivitäten der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in Ostberlin
[ohne Datum]
Information Nr. 134/77 über weitere Aktivitäten der Ständigen Vertretung der BRD in der DDR, die eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR darstellen
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen wurden nach den Kontrollmaßnahmen am 11.1.1977,1 der an diesem Tage abgegebenen Protesterklärung der Regierung der DDR zu den Einmischungspraktiken der Ständigen Vertretung der BRD2 und der Übergabe eines Aide-memoire der Regierung der DDR an die Regierung der BRD am 27.1.19773 von der BRD-Vertretung weitere Aktivitäten entwickelt, die eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR darstellen.
Wie festgestellt werden konnte, sind die bekannten Praktiken der »Beratung«, »Betreuung« bzw. der Kontaktierung von Bürgern der DDR fortgesetzt worden. Nach wie vor wird jeder DDR-Bürger, der die Vertretung aufsucht, empfangen. Seit dem 11.1.1977 bis einschließlich 28.2.1977 suchten insgesamt 1 461 Bürger der DDR die BRD-Vertretung auf und wurden empfangen. Die bisher höchste Besucherzahl (302 DDR-Bürger) war in der Woche vom 17.1. bis 23.1.1977 zu verzeichnen. (Besucherzahlen der folgenden Wochen: 221, 242, 192, 170, 127)
Wie weiter bekannt wurde, erfolgt bei den DDR-Bürgern, die die Ständige Vertretung der BRD aufsuchen, weiterhin eine persönliche und bis ins Detail reichende Entgegennahme des Anliegens und eine Aufnahme der Personalien der betreffenden DDR-Bürger. Von den Mitarbeitern der Vertretung werden nach wie vor Ratschläge erteilt und Unterstützung insbesondere bei Familienzusammenführung4 und Übersiedlungsvorhaben zugesagt.
Nach vorliegenden Angaben von DDR-Bürgern wird die Praxis der schriftlichen Niederlegung von Angaben zu Übersiedlungsvorhaben durch die Mitarbeiter der Vertretung fortgesetzt. Hierzu wurden teilweise noch Fragebogen benutzt (Kopie siehe Anlage).5 In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass in letzter Zeit dazu übergegangen wurde, anstelle eines vorgedruckten Fragebogens einen neutralen Bogen Papier zu verwenden, um die interessierenden Angaben festzuhalten. Dabei werden die Aufzeichnungen analog der Fragen des »Fragebogens zur Familienzusammenführung« gefertigt und nach wie vor von den DDR-Bürgern solche Angaben verlangt, wie Wohnanschrift, erlernter Beruf, ausgeübte Tätigkeit, Arbeitsstelle, Mitgliedschaften und Funktionen in politischen Organisationen (auch von Familienangehörigen, die nicht ausreisen wollen) und Begründung des Antrages.
Diese Verhaltensweise steht eindeutig im Widerspruch zu den Erklärungen des Staatsministers im Bundeskanzleramt, Wischnewski (gegenüber Genossen Kohl am 7.2.1977), und des Leiters der Ständigen Vertretung, Gaus (gegenüber Genossen Seidel am 11.2.1977), worin beide zum Ausdruck gebracht hatten, dass in der Ständigen Vertretung die Ausstellung von Fragebögen eingestellt worden sei.
Es wurden auch weiterhin von DDR-Bürgern Kopien von Übersiedlungsanträgen und anderen an staatliche Organe der DDR gerichtete Schreiben entgegengenommen. In Einzelfällen sind persönliche Unterlagen von DDR-Besuchern in der Ständigen Vertretung der BRD kopiert worden.
Des Weiteren wurde bekannt, dass in der BRD-Vertretung über die Anliegen der DDR-Bürger Akten angelegt und geführt sowie unter einem Aktenzeichen registriert werden. Derartige Akten enthalten alle in der Vertretung gefertigten schriftlichen Aufzeichnungen sowie von DDR-Bürgern übergebene Unterlagen, u. a. auch Kopien von an staatliche Organe der DDR gerichtete Schreiben. In einigen Fällen ist den betreffenden DDR-Bürgern erklärt worden, dass ihre Akten an das Ministerium für »innerdeutsche Beziehungen« zur »Bearbeitung« weitergeleitet werden.
Hinsichtlich der »Beratung« gibt es erneut Hinweise, dass Mitarbeiter der Vertretung die DDR-Bürger auffordern, zur Durchsetzung ihres Übersiedlungsvorhabens gegenüber den staatlichen Organen der DDR »hartnäckig« zu bleiben, sich nicht einschüchtern zu lassen, ständig neue Anträge zu stellen und die Vertretung jeweils über den Stand ihrer Übersiedlungsangelegenheit zu informieren.
Ein weiterer Fall von Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR wurde im Zusammenhang mit Aktivitäten des Mitarbeiters im Kulturreferat der Ständigen Vertretung der BRD, Becker, Hans-Joachim, bekannt. Becker stellte in Begleitung eines weiteren Mitarbeiters der Ständigen Vertretung am 25.1.1977 bei einer DDR-Bürgerin Nachforschungen über den Verbleib bzw. Aufenthalt einer Westberliner Bürgerin und eines DDR-Ehepaares an. Dabei forderte er die DDR-Bürgerin auf, die Ständige Vertretung telefonisch zu informieren, wenn sie etwas über die gesuchten Personen erfährt. Die Ständige Vertretung der BRD hat im vorliegenden Fall des vom Völkerrecht nicht zugelassene Mittel der unerlaubten Selbsthilfe angewandt und unter bewusster Umgehung der zuständigen Staatsorgane der DDR Amtshandlungen auf dem Staatsgebiet der DDR durchgeführt.