Aktivitäten des Spiegel-Korrespondenten Ulrich Schwarz
2. Februar 1977
Information Nr. 74/77 über Aktivitäten des in der DDR akkreditierten Korrespondenten des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« Ulrich Schwarz seit der Ausbürgerung von Biermann
Nach dem MfS vorliegenden Hinweisen hat Schwarz nach der Aberkennung der Staatsbürgerschaft der DDR für Biermann umfangreiche Aktivitäten zur Erlangung von Informationen über die Haltung bestimmter Personenkreise zu den gegen Biermann getroffenen Maßnahmen entfaltet. Zu diesem Zweck forcierte er seine Kontakte zu feindlich-negativen Kräften in der DDR, zu denen er auch bereits vor dem enge Verbindungen unterhielt, wie z. B. zu Rolf Schneider, Schlesinger,1 Eva-Maria Hagen u. a. Seine wiederholten Versuche, mit Havemann Verbindung aufzunehmen, konnten durch entsprechende Maßnahmen verhindert werden.
Nach der vom MfAA, Abteilung Journalistische Beziehungen, am 30.11. und 1.12.1976 erfolgten Ermahnungen gegenüber den in der DDR akkreditierten Journalisten der BRD – wonach jegliche Kontaktaufnahme mit Havemann als eine Einmischung in innere Angelegenheiten der DDR betrachtet wird und zu unterlassen ist – entwickelte Schwarz verstärkte Initiativen, um über Mittelspersonen den Kontakt zu Havemann weiter aufrechtzuerhalten und zu diesem Zweck ständige Verbindungen zu den Havemann unmittelbar nahestehenden Personen herzustellen bzw. auszubauen.
Seit diesem Zeitpunkt sucht Schwarz ständig die Wohnung der Christine Biermann2 auf, um dort zu diesem Zweck u. a. mit ihr selbst, Sibylle Havemann, Eva-Maria Hagen und Bettina Hindemith, der Tochter von Stephan Hermlin, zusammenzutreffen. Dieser Personenkreis unterhält über Sibylle Havemann auch Kontakte zu Robert Havemann.
Dem MfS ist bekannt, dass Schwarz nach der am 1.12.1976 im MfAA erfolgten Ermahnung bis zum 21.1.1977 in ca. 15 Fällen die Wohnung der Christine Biermann aufsuchte, wobei er sich teilweise bis zu zwei Stunden dort aufhielt. Weitere sieben Besuche von Schwarz scheiterten lediglich daran, dass er in der Wohnung niemand antraf. Mehrfach wurde festgestellt, dass er die Wohnung, unmittelbar von der BRD-Vertretung kommend, betrat bzw. nach Verlassen der Wohnung umgehend wieder die Vertretung aufsuchte.
Am Abend des 25.1.1977 begab sich Schwarz erneut zur Wohnung der Christine Biermann. Da er dort niemand antraf, suchte er die Wohnung der Eva-Maria Hagen auf, wo er auch mit Sibylle Havemann zusammentraf. Gegen 20.45 Uhr verließen Schwarz und Sibylle Havemann gemeinsam die Wohnung der Hagen.
Nach dem MfS weiter intern vorliegenden Hinweisen gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Schwarz unter Ausnutzung und Missbrauch seiner Akkreditierung in der DDR Kurierdienste für Wolf und Christine Biermann ausführt und deren Post wechselseitig befördert und übermittelt.
Schwarz unterhält außerdem – wie schon eingangs erwähnt – zum Schriftsteller Rolf Schneider Kontakt, von dem er u. a. im November 1976 konkrete Informationen zur sogenannten 2. Protesterklärung forderte.
Diese Aktivitäten des Schwarz stellen eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der DDR dar und sind ein Verstoß gegen die im § 5 der VO vom 21.2.1973 gegenüber akkreditierten Journalisten gewährten Arbeitsmöglichkeiten.3 Sie haben nichts mit dem prinzipiellen Anliegen des journalistischen Auftrages zu tun, Mittel der Völkerverständigung zu sein und beizutragen zum Anwachsen des Vertrauens zwischen den Völkern, zur Erzielung von Fortschritten des gegenseitigen Verständnisses zwischen den Staaten, zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Staaten, auf die auch die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in der Präambel des Abschnittes »Information« orientiert und denen alle Maßnahmen der Verbreitung, des Zugangs zu und des Austausches von Informationen einschließlich der Tätigkeit von Journalisten anderer Staaten untergeordnet sein müssen.
Im Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« Nr. 1/2 vom 3.1.1977 erschien unter der Überschrift »Auf euch kommen harte Zeiten zu« ein Bericht mit Fotos, in dem Schwarz »über Erfahrungen mit dem DDR-Staatssicherheitsdienst« berichtet.4 Schwarz diskriminiert und verleumdet in diesem Artikel die Tätigkeit des MfS. Er behauptet u. a., die gesamte Bevölkerung der DDR sei einem ausgeklügelten »Abhör- und Bespitzelungssystem« unterworfen.
Im Zusammenhang mit rechtswidrigen Aktivitäten von BRD-Korrespondenten eingeleitete Maßnahmen werden durch Schwarz als angebliche Einschränkungen deren Bewegungsfreiheit und Arbeitsmöglichkeiten bezeichnet und würden dem Ziel dienen, ihre Kontakte zu Personen aus der DDR »einzutrocknen« und sie einzuschüchtern.
Am 17.11.1976 unternahm es Schwarz, unter Umgehung des mit gleichem Datum beantragten journalistischen Vorhabens vorab und unabhängig von der Entscheidung des MfAA, eigene Recherchen zur Adoption von zwei Kindern durch ein Ehepaar aus Eisenhüttenstadt zu führen.5 Er versuchte, Informationen zu erlangen, die internen, staatlichen Charakter tragen. Zu solchen Recherchen ist er ohne Genehmigung des MfAA nicht befugt. (Alle mit Adoptionsfragen und diesbezüglichen Entscheidungen zusammenhängenden Informationsinhalte tragen internen/staatlichen Charakter. Ihnen liegen gerichtliche Urteile gemäß § 51 Familiengesetzbuch (FGB)/§§ 142 ff. StGB6 und Beschlüsse des Organs der Jugendhilfe (§ 68 FGB)7 zugrunde. Sie berühren im besonderen Maße die Persönlichkeitsrechte und Würde der Menschen und sind objektiv nicht für Öffentlichkeitsmaßnahmen geeignet.)
Entsprechend den §§ 66, 68, 69, 70 des FGB8 und § 8 Jugendhilfeverordnung (JHVO)9 unterliegen daher solche Fragen der Vertraulichkeit. Es sind jedwede Handlungen zu unterlassen, die Konflikte in der Erziehung und im Eltern-Kind-Verhältnis hervorrufen könnten.
Auf diese Fakten und deren negative Auswirkungen bei einer Veröffentlichung wurde Schwarz bei dem Gespräch am 23.11.1976 im MfAA, Abt. Journalistische Beziehungen, ausdrücklich hingewiesen. Außerdem liegt den zuständigen staatlichen Organen der DDR ein Ersuchen der Adoptiveltern vor, sie vor derartigen Belästigungen durch Korrespondenten zu schützen.
Ungeachtet der Ermahnungen gegenüber Schwarz erschien im »Spiegel« Nr. 49 vom 29.11.1976 die Veröffentlichung eines Artikels zur Adoption von zwei Kindern durch ein DDR-Ehepaar, in dem die zuständigen staatlichen Organe der DDR diskriminiert und ihnen unrechtmäßiges Vorgehen unterstellt wird.10
Die Aktivitäten des Schwarz beinhalten eindeutige Verletzungen der Rechtsordnung der DDR, insbesondere der Verordnung über die Tätigkeit von Publikationsorganen anderer Staaten und deren Korrespondenten in der DDR vom 21.2.1973 und der 1. Durchführungsbestimmung zur VO vom 21.2.1973.11 Sie stehen zugleich im Widerspruch zu den Vereinbarungen im Briefwechsel zwischen der DDR und der BRD über die gegenseitige Gewährung von Arbeitsmöglichkeiten für Journalisten vom 8.11.1972.12