Asylersuchen eines westdeutschen Zahnarztes
2. Mai 1977
Information Nr. 291/77 über das Asylersuchen eines BRD-Bürgers in der DDR am 30.4.1977 an der Grenzübergangsstelle Berlin-Friedrichstraße
Am 30.4.1977, gegen 13.00 Uhr, reiste der BRD-Bürger Dr. [Name, Vorname] (39), geb. am [Tag] 1938, zuletzt tätig als Zahnarzt in der Zahnklinik der Medizinischen Hochschule in Hannover, wohnhaft: Hannover, [Adresse], Familienstand: ledig, aus Berlin (West) auf Visa zum Tagesaufenthalt über die Grenzübergangsstelle Bahnhof Berlin-Friedrichstraße in die Hauptstadt der DDR ein und erklärte, nachdem er sich mehrere Stunden an der Grenzübergangsstelle Friedrich-/Zimmerstraße aufgehalten hatte, ohne Aktivitäten zu seiner fristgemäßen Wiederausreise zu unternehmen, während einer volkspolizeilichen Kontrolle seine Absicht, in die DDR überzusiedeln.
Die in diesem Zusammenhang durch das MfS bisher geführten Untersuchungen ergaben:
[Name] legte 1956 in Merseburg das Abitur ab und erlernte bis Februar 1958 den Beruf eines Maurers. Aufgrund der Ablehnung zweier Studienbewerbungen in den Fachrichtungen Verkehrswesen und Bauwesen hat er im Sommer 1958 die DDR ungesetzlich nach Westberlin verlassen und sich von dort aus nach Frankfurt/M. in die BRD begeben, wo sein Bruder wohnhaft ist, der bereits 1956 die DDR ungesetzlich verlassen hatte. Anschließend studierte [Name] bis 1967 in Frankfurt/M. und Marburg Zahnmedizin und legte das Staatsexamen ab. In der Folgezeit war er sechs Jahre in verschiedenen zahnmedizinischen Einrichtungen in Marburg, Köln, Bonn, Karlsruhe und Woltorf/Peine tätig und promovierte 1975 zum Doktor der Zahnmedizin. Seit Herbst 1975 stand er in einem Arbeitsverhältnis mit der Zahnklinik der Medizinischen Hochschule in Hannover.
[Name] gehörte – eigenen Angaben zufolge – in der BRD keinen Parteien oder Organisationen an.
[Name] gibt weiter an, sich seit dem Jahre 1975 mit dem Gedanken einer Rückkehr in die DDR zu befassen und im Frühjahr 1976 einen entsprechenden Entschluss gefasst zu haben, den er damit motiviert, dass er keine Aussichten sieht, in der BRD seine beruflichen und privaten Vorstellungen, die in der Errichtung einer Privatpraxis bestehen, zu verwirklichen.
Darüber hinaus sei er, seinen Angaben zufolge, täglichen Behinderungen in seinem Arbeitsablauf ausgesetzt gewesen, die er als Schikanen und Angriffe gegen die Grundrechte seiner Person aufgefasst habe. Er will sich deshalb Ende Oktober/Anfang November 1976 mit einer Eingabe an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gewandt haben, die im Januar 1977 abschlägig beschieden worden sei. [Name] ist der Auffassung, dass in der DDR die demokratischen Rechte garantiert sind und er sich in persönlicher und beruflicher Hinsicht entfalten kann.
[Name] wurde am 1.5.1977 in das Aufnahmeheim Berlin-Pankow1 eingewiesen, wo durch die zuständigen Organe im Rahmen eines Aufnahmeverfahrens sein Aufnahmeersuchen in die DDR gewissenhaft geprüft wird. In Abhängigkeit von den Ergebnissen werden weitere Vorschläge unterbreitet.
Es wird vorgeschlagen, die in der Anlage befindliche Pressemeldung zu veröffentlichen.
Anlage zur Information Nr. 291/77
[Entwurf einer Pressemitteilung]
BRD-Bürger ersucht um Asyl
Berlin (ADN) Am 1.5.1977 hat der BRD-Bürger Dr. [Vorname Name] bei den zuständigen Organen in der Hauptstadt der DDR um Asyl ersucht. Das Ersuchen wird gegenwärtig geprüft.2