Audienz ostdeutscher katholischer Bischöfe beim Papst
2. November 1977
Information Nr. 689/77 über die Ad-limina-Audienz (Pflichtbesuch) katholischer Bischöfe der DDR beim Papst und damit zusammenhängende Erwartungen des Vatikans für die weitere Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR
Dem MfS wurden interne Hinweise im Zusammenhang mit der Ad-limina-Audienz katholischer Bischöfe beim Papst bekannt. Dabei erscheint bemerkenswert, dass aus Kreisen des diplomatischen Dienstes beim Vatikan wiederholt in individuellen Äußerungen Erwartungen anklangen, wonach zum gegenwärtigen Zeitpunkt bzw. nach Beendigung einer weiteren bevorstehenden Ad-limina-Audienz seitens der zuständigen Organe der DDR weitere Schritte in Richtung Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR unternommen werden könnten.
Nach vorliegenden Hinweisen gab es – offenbar ausgehend von diesen Erwartungen – während der bisherigen Gespräche zwischen katholischen Bischöfen der DDR und dem Papst sowie seinem Mitarbeiterstab auch keine Anhaltspunkte, die das Verhältnis DDR – Vatikan oder DDR – katholische Kirche in der DDR belasten könnten.
Im Einzelnen wurde bekannt:
Am 29. September 1977 statteten Kardinal Bengsch, Berlin, Bischof Schaffran, Dresden, und Bischof Huhn, Görlitz, dem Papst ihren Ad-limina-Besuch ab. (Beim Ad-limina-Besuch handelt es sich um eine fünfjährliche Pflichtberichterstattung der katholischen Bischöfe beim Papst. Nach dem II. Vatikanischen Konzil – 1962/651 – wurde für 1977 die Wiederaufnahme der Ad-limina-Besuche der Bischöfe durch den Papst angewiesen.) Im Gegensatz zur früheren Einzelberichterstattung empfängt der Papst die Bischöfe bei der jetzigen Berichterstattung in Gruppen. Die zweite Gruppe der Bischöfe aus der DDR (die Bischöfe Aufderbeck, Erfurt, Braun, Magdeburg, Theissing, Schwerin) wird am 24. November 1977 vom Papst empfangen. Wegen des 1973 erfolgten Einsatzes der letztgenannten Bischöfe als Apostolische Administratoren2 erstatten diese erstmalig den Ad-limina-Bericht für ihre Diözese.
Durch die über diese Bistumsbereiche de jure residierenden Bischöfe in der BRD,
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Bischof Schick, Fulda, für den Bereich Erfurt,
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Erzbischof Degenhardt, Paderborn, für den Bereich Magdeburg,
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Bischof Wittler, Osnabrück, für den Bereich Schwerin,
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Bischof Stangl, Würzburg, für den Bereich Meiningen,
wurden Versuche unternommen, um zumindest durch ihre Anwesenheit bei den Berichterstattungen den Führungsanspruch der westdeutschen katholischen Kirche zu demonstrieren.
Entsprechende Ersuchen und Anfragen dieser Bischöfe wurden vom Papst mit dem Hinweis zurückgewiesen, dass die Apostolischen Administratoren in voller Selbstständigkeit ihre Ad-limina-Berichte vorzutragen haben.
Die von der ersten Gruppe der katholischen Bischöfe der DDR dem Papst überbrachten Berichte gingen nach einer vorgegebenen Gliederung insbesondere ein auf die Entwicklung des jeweiligen Bistums im Berichtszeitraum, auf die Entwicklung der wirtschaftlichen Lage der Ordensgemeinschaften und der Ausbildungsstätten, auf bestehende ökumenische Beziehungen (Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche) und auf die soziale Fürsorge.
In diesem Zusammenhang wurde über die Diaspora-Situation (konfessionelle Minderheit) der katholischen Kirche in der DDR, über die besonderen Bedingungen für das Bistum Berlin, zu dem auch Westberlin gehört (nur im Bericht Kardinal Bengschs erwähnt) sowie über die sozialistischen Verhältnisse in der DDR, unter denen die katholische Kirche in der DDR tätig ist, berichtet.
Zuverlässig wurde dem MfS bekannt, dass in Vorbereitung der Berichte der Bischöfe (sie werden jeweils vom zuständigen Bischof selbstständig erarbeitet und dürfen keinen Gegenstand der Erörterung in der Berliner Bischofskonferenz3 bilden) eine interne und z. T. auch individuelle Abstimmung in der Richtung stattfand, keine Fragen vorzutragen, die Konfrontationen zwischen der katholischen Kirche und dem sozialistischen Staat in der DDR hervorrufen könnten. Die Grundtendenz der Berichte weist deshalb »die besonderen Bedingungen für die katholische Kirche unter den Verhältnissen des sozialistischen Staates der DDR« aus. Kardinal Bengsch hob z. B. auch in seiner Grußansprache beim Papst hervor, dass die katholische Kirche in der DDR »wahrhaftig als kleine Herde inmitten einer vom Materialismus durchdrungenen irdischen Gesellschaft« lebe.
Hinweisen zufolge fanden während des Aufenthaltes der katholischen Bischöfe in der DDR in Rom am Rande der Ad-limina-Audienz zahlreiche Gespräche mit leitenden Mitarbeitern des Vatikans statt, in denen vornehmlich religiöse und innerkirchliche Fragen, aber u. a. auch Probleme der Weiterentwicklung der katholischen Kirche in der DDR, erörtert wurden.
So wurden intern Äußerungen des Sekretärs im diplomatischen Dienst des Rates für öffentliche Angelegenheiten der Kirchen beim Vatikan, Prälat Sodano, gegenüber leitenden katholischen Geistlichen aus der DDR im Zusammenhang mit dem Ad-limina-Besuch der ersten Gruppe katholischer Bischöfe aus der DDR beim Papst bekannt. Sodano betonte, in zuständigen Kreisen des Vatikans sei davon die Rede gewesen, dass nach der Berichterstattung der katholischen Bischöfe in der DDR mit diplomatischen Aktivitäten der DDR zur weiteren Verselbstständigung der katholischen Kirche in der DDR gerechnet werde. Der Vatikan gehe bei dieser Überlegung davon aus, dass gegenwärtig »günstige Voraussetzungen für die Einleitung neuer Schritte zur Lösung dieser Frage« vorhanden seien. Zum Beispiel wären mehrere von Erzbischof Casaroli in den Verhandlungen mit der Regierung der DDR aufgeworfene Fragen durch die DDR in den zurückliegenden Jahren realisiert worden, bzw. es bestünden gute Voraussetzungen für deren Lösungen. Das betreffe u. a. die »Seelsorge in den Neubaugebieten, in Krankenhäusern und Gefängnissen sowie die Ausbildung von Geistlichen an vatikanischen Einrichtungen«. Da ein Situationsbericht der Bischöfe an einer Darstellung dieser möglichen Lösungswege von Problemen der katholischen Kirche in der DDR nicht vorbeigehen konnte, seien nach Sodanos Einschätzung gerade nach dem Ad-limina-Besuch neue Initiativen der DDR in dieser Richtung evtl. auf diplomatischer Ebene über den DDR-Botschafter in Italien zu erwarten.
In einem individuellen Gespräch zu diesem Problem habe u. a. Kardinal Bengsch darauf hingewiesen, dass sich das ZK der Katholiken in der BRD4, die »Deutsche Bischofskonferenz« (BRD)5 und die CDU/CSU erneut gegen alle Vorschläge und Bestrebungen zur vollständigen Regelung der katholischen Bistumsgrenzen entsprechend den Staatsgrenzen der DDR wenden werden. Prälat Sodano habe in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, im Vatikan würden zunehmend Auffassungen vertreten, die denen in der BRD entgegenstünden. Es setze sich die Meinung durch, dass, wenn die BRD ihre Beziehungen mit der DDR nach und nach vertraglich regele, auch dem Vatikan nichts im Wege stünde, Gleiches zu tun. Bestimmte Institutionen in der BRD hätten dann nicht das Recht, darüber Beschwerde zu führen.
Vertraulichen Hinweisen zufolge wurden die in dieser Richtung beim Vatikan geführten individuellen Gespräche, insbesondere die mit Prälat Sodano, von Kardinal Bengsch im internen Kreis des katholischen Klerus in der DDR ausgewertet. Kardinal Bengsch habe dabei hervorgehoben, dass evtl. einzuleitende Gespräche auf der diplomatischen Ebene seitens der DDR aus der Position eines inzwischen weltweit anerkannten Staates geführt werden sollten, der seinen Platz gleichberechtigt in der UNO eingenommen hat, und dessen Beziehungen mit der BRD vertraglich und damit völkerrechtlich geregelt sind.
Das Ansinnen der Regierung der DDR auf Regelung der katholischen Bistumsgrenzen gemäß den völkerrechtlich sanktionierten Staatsgrenzen widerspiegele – nach Meinung von Kardinal Bengsch – deshalb lediglich das Bestreben der Regierung der DDR, auch mit dem Vatikan normale, den staatlichen Realitäten entsprechende Verhältnisse zu schaffen. Damit würden seitens der DDR-Regierung nur solche Verhältnisse vorgeschlagen, wie sie vom Vatikan zu anderen souveränen Staaten längst bestehen würden.
Möglichen Einwänden, dass die BRD-Regierung aus dem 1933 mit Hitler-Deutschland abgeschlossenen Konkordat6 rechtliche Ansprüche ableiten und sich deshalb gegen die vorgeschlagenen Regelungen stellen würde, sollte mit Hinweisen auf »Querelen der BRD gegenüber der DDR« begegnet und darauf verwiesen werden, dass diese Fragen kein Verhandlungsgegenstand zwischen der DDR und dem Vatikan sein könnten.
Nach diesen internen Auswertungsgesprächen wurde von leitenden Persönlichkeiten der katholischen Kirche in der DDR vertraulich zum Ausdruck gebracht, es werde »als günstig erachtet«, wenn Initiativen zur Weiterführung der Gespräche mit dem Vatikan unmittelbar nach dem Ad-limina-Besuch der ersten Gruppe katholischer Bischöfe aus der DDR auf diplomatischer Ebene eingeleitet würden, weil dieser Gruppe der Vorsitzende der Berliner Bischofskonferenz, Kardinal Bengsch, angehörte. Das würde gleichzeitig die Autorität des Kardinals unter den katholischen Bischöfen in der DDR stärken und seine positive Einflussnahme auf die Gesprächsführung fördern.
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