Auftritt von Biermann, Pannach, Kunert und Fuchs in Westberlin
7. November 1977
Information über den Auftritt Biermanns gemeinsam mit Gerulf Pannach, Christian Kunert und Jürgen Fuchs am 4.11.1977 in der Eissporthalle in Westberlin [Bericht K 3/23]
Am 4.11.1977 in der Zeit von 20.00 bis etwa 23.30 Uhr fand in der Eissporthalle in Westberlin ein »Konzert« von Biermann statt, bei dem auch die aus der Staatsbürgerschaft der DDR entlassenen und nach Westberlin übersiedelten Gerulf Pannach, Christian Kunert und Jürgen Fuchs auftraten. Der Beitrag von Fuchs an dieser Veranstaltung bestand darin, dass er einige erklärende Kommentare zu den Texten, die Pannach und Kunert vortrugen, verlas und einige von ihm verfasste Prosastücke zitierte.
Die Veranstaltung war zustande gekommen auf Vermittlung der Stadtzeitung »City« (»City« wird herausgegeben von einer »Gesellschaft mit beschränkter Haftung«)1 und der Agentur »Albatros«. Sie war angekündigt als »Solidaritätskonzert« für einen Fonds für »Bürgerinitiativen und DDR-Emigranten«.
Die Eissporthalle war wie üblich bei solchen Veranstaltungen für 5 000 Besucher vorbereitet. Das »Konzert« war bereits am 28.10.1977 völlig ausverkauft. Ca. 1 500 Personen wurden deshalb bereits während des Vorverkaufs abgewiesen. Mit Beginn der Veranstaltung begab sich Biermann mit der doppelbödigen Aufforderung: »Macht das Tor auf!« von der Bühne zum Halleneingang und ließ die ca. 1 500 vor der Halle Wartenden ohne Eintrittskarten in den Veranstaltungsraum, sodass davon ausgegangen werden kann, dass etwa 6 500 Personen dem »Konzert« beiwohnten.
Die Besucher setzten sich überwiegend zusammen aus Studenten, ehemaligen Studenten, Intellektuellen und Personen aus der Mittelschicht. Arbeiter wurden nur vereinzelt vertreten. Das Durchschnittsalter der Anwesenden lag zwischen 25 und 35 Jahren. Das Publikum war politisch zum größten Teil tendenziell links angesiedelt; ebenfalls waren viele Trotzkisten und Maoisten anwesend. Unter den Anwesenden wurden auch Rudi Dutschke (Lehrkraft an der Universität Aarhus/Dänemark), Sibylle Plogstedt (führende Funktionärin der trotzkistischen Organisation »Gruppe Internationale Marxisten«),2 Herwart Achterberg (führender Funktionär der trotzkistischen Organisation »Gruppe Internationale Marxisten«) erkannt; außerdem Jakob Moneta (Chefredakteur der BRD-Zeitschrift der IG Metall »Metall« und Mitglied des Schutzkomitees »Freiheit und Sozialismus«3), weitere Redakteure der Zeitschrift »Metall«, der Pressereferent des Vorsitzenden des DGB Berlin-West, Klaus Staeck (namhafter Grafiker der BRD, bekannt durch öffentlichkeitswirksame Auseinandersetzung mit CSU),4 Prof. Helmut Gollwitzer (linker Theologe in Westberlin), und Gründungsmitglieder des Schutzkomitees »Freiheit und Sozialismus«.
Das »Konzert« war durch ein größeres Aufgebot uniformierter Polizei in der unmittelbaren Umgebung der Eissporthalle und eine Reihe von Polizisten in Zivil, die sich in der Halle aufhielten, abgesichert. Störungen während des »Konzertes« oder Zwischenfälle außerhalb der Eissporthalle im Zusammenhang mit der Veranstaltung gab es nicht, sodass keine polizeilichen Maßnahmen notwendig wurden. Die Tontechnik in der Halle war so angelegt, dass offensichtlich durchgängig Tonaufnahmen gemacht wurden.
Den Verlauf der Veranstaltung bestritt dominierend Biermann, wobei in einigen Passagen des eingeübten Programms neben Biermann auch Pannach und Kunert gleichberechtigt auftraten.
Die vorgetragenen Lieder – besonders die von Biermann – beinhalteten eine massive Hetze gegen die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR, wobei überwiegend solche Themen im Vordergrund standen: »staatliche Bürokratie« in der DDR, »Kritik« an Partei-, FDJ- und Gewerkschaftsfunktionären der DDR sowie an sicherheitspolitischen Maßnahmen in der DDR, konkret bezogen auf die NVA und Grenztruppen, die Volkspolizei der DDR und das Ministerium für Staatssicherheit.
Biermann wiederholte eine Reihe von »Liedern«, die er bereits während seines ersten Auftritts in der BRD in Köln vorgetragen hatte.5 Außerdem sang er spanische und lateinamerikanische Lieder, zum Teil mit solchen von ihm selbst ins Deutsche übersetzten Texten. Offensichtlich hatte Biermann für dieses Programm solche Stücke ausgewählt, die ihm während seiner Veranstaltungen in den letzten Wochen den stärksten Applaus eingebracht hatten. Dazu gehörten solche »Lieder« wie das über den »Preußischen Ikarus«6 und das »Bloch-Lied«, das den Wechsel »von Deutschland nach Deutschland« beinhaltet und den Refrain hat: »Hier liegen sie auf dem Rücken, dort kriechen sie auf dem Bauche; und ich bin gekommen vom Regen in die Jauche«.7
Beachtenswert erscheinen Zwischenbemerkungen Biermanns, die er entweder als Überleitung zwischen den einzelnen Liedern oder als Antwort auf Zwischenrufe aus dem Zuhörerkreis vortrug. Im Gegensatz zu Pannach und Kunert, die sich in ihren Anwürfen gegen die DDR, offensichtlich abgestimmt, noch zurückhielten, richtete Biermann scharfe Angriffe gegen die DDR und verwandte dabei entsprechende Terminologien. So sprach er z. B. nicht von den Genossen des Politbüros, sondern von den »Typen, die sich Politbüro nennen«. (Pannach nannte sie »Genossen des Politischen Büros«.) Biermann machte u. a. auch solche Ausführungen: »Der Honecker möge sich mal Gedanken machen, wenn er von seinem Staat eine Luftaufnahme sieht, ob dieser Staat nicht eine verteufelte Ähnlichkeit mit einem KZ hat«.
In einer Art Dialog mit dem Publikum, der sich z. T. durch Fragen Biermanns und z. T. durch Zwischenrufe aus dem Zuschauerraum ergab, führte Biermann u. a. zur Schleyer-Entführung und zu den Vorfällen in der Strafvollzugsanstalt Stammheim8 an, die »Rote Armee Fraktion« (RAF) sei keine revolutionäre Gruppierung, sondern wäre durch »verzweifelte Bürgersöhne« geprägt; »Terroristen seien keine Revolutionäre« und »tote Mörder keine Märtyrer«. Zur gegenwärtigen Situation in der KP Spaniens vertrat er die Ansicht, dass sich die KP den Weg aus der Illegalität freigekämpft habe, und das sei die eigentliche Leistung. Unter diesem Aspekt müsse man auch die Rolle Carillos9 sehen, der »wenigstens eine Meinung habe, über die es sich zu diskutieren lohne«. Demgegenüber habe die Führung der DDR »eine so kaputte Meinung, dass über sie keine Diskussionen möglich seien«.
Die von Biermann geäußerten Meinungen wurden nicht in jedem Fall unwidersprochen hingenommen. So gab es lautstarke Zurufe, in denen Carillo in der Form eingeschätzt wurde, dass er die Arbeiterklasse Spaniens verkauft habe.
Obwohl es z. T. starken Beifall für die Vorträge gab, war die Resonanz auf die Veranstaltung im Verhältnis zum Auftritt Biermanns in Köln verhalten. Offensichtlich hatte das Publikum von Biermann mehr erwartet und nicht nur Wiederholungen des schon Bekannten. Kritiken, die in Form von Zwischenrufen anklangen, jedoch keine Massenwirksamkeit erreichten, beinhalteten z. B.: »Du lebst ja ganz schön hier in der BRD« oder – bei dem Refrain »… vom Regen in die Jauche …« – »Geh doch gefälligst woanders hin, wenn es dir hier nicht passt«. Weitere – allerdings zaghaft vorgetragene – Kritiken wurden dahingehend laut, dass es Biermann in dem Jahr in der BRD nicht fertiggebracht habe, auch nur ein Lied direkt bezogen auf die Verhältnisse in der BRD zu schreiben.
Linksorientierte Zuhörer brachten in einzelnen Zwischenrufen ihre Enttäuschung darüber zum Ausdruck, dass Biermann die polizeilichen Verhältnisse in der BRD so gut wie gar nicht angegriffen hat und forderten, Biermann solle sein passives Verhalten zu brennenden Problemen in der BRD aufgeben. Durch schlagfertige Antworten Biermanns gegenüber Vertretern linksradikaler Gruppierungen erwarb er sich allerdings zusätzlich Beifall.
Vor Beendigung der Veranstaltung in der Eissporthalle wurde eine Resolution gegen die Verhaftung der Info-Bug-Drucker (Informationsdienst Berliner Undogmatischer Gruppen)10 in Westberlin verlesen. Von Biermann ermuntert verlas eine Person namens Wolf im Namen der IG Druck und Papier diesen Protest gegen die Inhaftierung der Drucker Werth, Weyer, Voß und Beikirch. Biermann sprach sich gegen das Vorgehen des Westberliner Staatsapparates aus, da dadurch »demokratische Grundrechte der Arbeiterklasse immer mehr abgebaut« würden. Der Beifall der Anwesenden wurde als Zustimmung zu der verlesenen Resolution gewertet. (Die Drucker waren im Zusammenhang mit der seitens der Westberliner Polizei durchgeführten Groß-Fahndung nach der Ermordung Schleyers und der Suche nach den bekannten Terroristen festgenommen worden. Die Druckerei war aus diesem Anlass auf Weisung der Westberliner Staatsanwaltschaft durchsucht und geschlossen worden.)
Die Aufforderung Biermanns zum Schluss der Veranstaltung, die Internationale zu singen, wurde überwiegend mit betretenem Schweigen quittiert, sodass Biermann ziemlich allein singen musste.
Zuverlässigen vertraulichen Hinweisen zufolge ist es im Zusammenhang mit dem »Konzert« in der Eissporthalle zu einigen gegensätzlichen Auffassungen zwischen Biermann, Pannach, Kunert und Fuchs gekommen. Während einer Diskussion über die »Lieder«, die zu Gehör gebracht werden sollten bzw. in früheren »Konzerten« vorgetragen wurden, erklärte Pannach, sie wären »zwar in der DDR wegen ihrer politischen Brisanz wichtig gewesen, jetzt im Westen wären sie jedoch ohne Bedeutung, da sie von der Mehrheit der Zuhörer nicht verstanden würden«.
Pannach erklärte Biermann, es sei ihm deshalb unverständlich, dass Biermann z. B. gegen die Grenzsicherungsanlagen der DDR und die Sicherheitsorgane gerichtete »Balladen« jetzt immer noch singe, obwohl er sie bereits auf Platten veröffentlicht habe. Biermann antwortete, diese Dinge würden sich »gut verkaufen« und deshalb trage er sie immer wieder vor.
Kunert äußerte, diese Einstellung Biermanns empfinde er »als zu kommerziell gedacht«, und er halte es nicht für richtig, wenn sich »einer von ihnen im Westen als Moralapostel hinstellt und Lieder über die DDR singt, die nur eine kleine linke Elite versteht«. Er – Kunert – habe vor, solche Lieder zu machen, die auch das Publikum im Westen verstehe; deshalb müssten sie dafür sorgen, dass sie das »System« in der BRD kennenlernen.
Biermann, der auf solche »Zurechtweisung« ärgerlich reagierte, betonte, er lebe schon ein Jahr in der BRD, und er habe das »System« bis jetzt noch nicht kennengelernt; Pannach, Kunert und Fuchs sollten erst eine Weile in Westberlin oder in der BRD leben, und dann würden sie ihre Meinung auch ändern.
Die drei Genannten kritisierten Biermann weiter dahingehend, seine Mitgliedschaft in der spanischen KP11 sei unverständlich; Biermann könnte selbst dem »linkesten Linken« in der BRD nicht mehr klarmachen, warum er sich dazu entschlossen habe. In der BRD würde von ihnen in erster Linie erwartet, dass sie sich mit den Verhältnissen in diesem Lande und nicht mit denen in Spanien, Italien, Österreich oder anderen auseinandersetzen würden. Biermann entgegnete, er sei in erster Linie Internationalist und unter dem Gesichtspunkt sei auch seine Entscheidung zu werten.
Pannach antwortete darauf, den Staat »International« gebe es nicht, und Kunert meinte, sie dürften nicht in den Fehler verfallen wie alle linken Gruppen in der BRD, die meinten, alles sei wichtig: Rhodesien, Chile usw.; er sei zwar für Internationalismus, aber in erster Linie müssten sie in »Konzerten« und auf »Platten« das aussagen, was den Staat, in dem sie leben, betreffe.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.