Auszeichnung von Reiner Kunze mit dem »Georg-Trakl-Preis« in Salzburg
29. Januar 1977
Information Nr. 71/77 über die vorgesehene Verleihung des »Georg-Trakl-Preis für Lyrik 1977« an Reiner Kunze
Dem MfS wurde bekannt, dass Reiner Kunze durch den Landeshauptmann von Salzburg, Dr. Dr. Ing. Hans Lechner, [Adresse], 5010 Salzburg, Österreich, am 13.1.1977 die offizielle schriftliche Mitteilung über die Verleihung des »Georg-Trakl-Preis für Lyrik 1977« erhielt.
Als Begründung für die Verleihung wurde angeführt, Kunze habe durch sein lyrisches Schaffen besondere Anerkennung verdient, und er habe »die menschlichen Bedrängnisse dieser Zeit« exemplarisch knapp formuliert.
Kunze wurde mitgeteilt, die Salzburger Landesregierung »freue sich, Kunze diesen Preis persönlich zu übergeben«, wozu Kunze für den 3.2.1977, 17.00 Uhr, in die Räume der Salzburger Residenz, Residenzplatz 1, 5010 Salzburg, zum Festakt eingeladen wurde. Gleichzeitig wurde Kunze davon in Kenntnis gesetzt, dass die Reise- und Aufenthaltskosten einschließlich für einen vorbereiteten einwöchigen Aufenthalt in Graz durch die Landesregierung Salzburg übernommen würden. (Der »Georg-Trakl-Preis für Lyrik« wurde 1952 zum Gedenken an den Dichter Georg Trakl aus Salzburg erstmalig von der Salzburger Landesregierung und dem österreichischen Bundesministerium für Unterricht vergeben und ist mit 25 000 Schilling – etwa 3 000 Mark dotiert. 1977 – dem 90. Geburtstag des Dichters – wurde der Preis erstmals zwei Lyrikern zugesprochen: Reiner Kunze und der österreichischen Dichterin Friederike Mayröcker, wobei der Preis erstmals mit insgesamt 50 000 Schilling dotiert wurde. Soweit bekannt, befanden sich unter den bisherigen Preisträgern ausschließlich österreichische Schriftsteller, vorwiegend Mitglieder des österreichischen PEN und des »Schutzverbandes österreichischer Schriftsteller«.1 Trakl, Georg, geb. am 3.2.1887 in Salzburg, gest. am 3.11.1917 in Krakau, ab 17 Jahren rauschgiftsüchtig und inzestuöse – blutschänderische – Beziehungen, verfasste hauptsächlich unter dem Einfluss von Rauschgift und Alkohol schwülstige Gedichte. Als »vereinsamter Expressionist« eingestuft, hinterließ er unbedeutende literarische Arbeiten. Er verstarb an einer Überdosis Kokain bei einem zweiten Selbsttötungsversuch.)2
Nach internen Hinweisen wurde die Entscheidung, den »Trakl-Preis 1977« an Kunze zu vergeben, von den Jury-Mitgliedern Prof. Dr. Killy, Walter, geb. am 26.8.1917, Germanist, Spezialgebiet: Lyrik, Forschungen über Trakl; Dr. Domin, Hilde, geb. am 27.7.1912 in Köln, Mitglied des PEN/BRD, Lyrikerin, wohnhaft in Heidelberg, [Adresse], und Jandl, Ernst, geb. am 1.8.1925, Lyriker, Gymnasialprofessor, wohnhaft in Wien, getroffen.
Im Hintergrund dieser Jury vertraten solche Personen die Nominierung des Kunze, die bereits seit längerer Zeit mit Kunze in Verbindung stehen und z. T. an der Aufwertung der Person des Kunze in westlichen Massenmedien maßgeblich beteiligt waren.
Das betrifft u. a. Dr. Karl Corino, Kulturredakteur des »Hessischen Rundfunks« und Mitarbeiter des »Deutschland Archivs«,3 der in der Vergangenheit eine Vielzahl von Interviews mit Schriftstellern aus der DDR durchführte und seit längerer Zeit auch mit Kunze in Verbindung steht.4 Corino unterhielt in letzter Zeit mehrfach mit Kunze Kontakte und hatte ihm zugesichert, weitere einflussreiche Persönlichkeiten für die Publizierung des Kunze »zu gewinnen«.
Die Nominierung des Kunze für den »Trakl-Preis« wurde weiter durch Dr. Annamarie Döderlein,5 München, selbstständige Augenärztin, intensiv vorangetrieben. Sie steht ebenfalls seit längerer Zeit mit Kunze in Kontakt und nimmt u. a. seine Interessen zur Publizierung seiner Machwerke im westlichen Ausland wahr.6 (Z. B. Verhandlungen mit der Münchner Zeitung zur Publizierung [von] Kunzes »Zimmerlautstärke«.)7
Intern ist weiter bekannt, dass bestimmte Kontaktpartner Kunzes von der BRD aus versuchen, den Sekretär des Bundeskanzlers Kreisky, Mayer-König, für eine Aufwertung Kunzes im Zusammenhang mit der Verleihung des »Trakl-Preises« zu gewinnen. Es ist vorgesehen (unter besonderem persönlichen Einsatz des Dr. Corino), Mayer-König – und über ihn wiederum Persönlichkeiten der österreichischen Regierung – zu veranlassen, sich auch in schriftlicher Form für eine Förderung des Kunze zu äußern.
Nach weiter vorliegenden internen Hinweisen wurde Kunze zugesichert, ihm – falls von den zuständigen DDR-Organen keine Genehmigung zur Ausreise zur Preisverleihung in Salzburg erteilt werde – den »Trakl-Preis« in angemessener Form in der Hauptstadt der DDR zu überreichen.
Reiner Kunze äußerte sich in persönlichen Gesprächen mit Kontaktpersonen aus der BRD »hocherfreut« und bedankt sich mehrfach für die »liebenswürdige Einladung«. Er begrüßt die Übersendung der offiziellen Mitteilung über die Verleihung des Preises seitens der Salzburger Landesregierung an die Botschaft der DDR in Wien, die Botschaft Österreichs in der Hauptstadt Berlin und den Minister für Kultur der DDR, Genossen Hoffmann, und bringt die Hoffnung zum Ausdruck, dass sein an den Minister für Kultur, Genossen Hoffmann, telegrafisch gerichteter Antrag auf Ausreise nach Österreich vom 2.2. bis 11.2.1977 – in dem er ausdrücklich darauf verwiesen habe, dass die Reise »zu seinen Lasten« erfolgen soll – genehmigt wird.