Bestechung von Angestellten der Staatsbank beim Umtausch von Rubeln
16. Februar 1977
Information Nr. 98/77 über bekannt gewordene Erscheinungen des ungesetzlichen Geldumtausches durch Bürger der UdSSR in Wechselstellen der Staatsbank der DDR
Aufgrund sich häufender ungesetzlicher Ankäufe der Landeswährung der UdSSR – Rubel – durch Wechselstellen der Staatsbank der DDR sowie eines in diesem Zusammenhang eingegangenen Rechtshilfeersuchens der UdSSR führte das MfS entsprechende Untersuchungen durch.
Im Ergebnis der Untersuchungen wurde nachgewiesen, dass seit 1973 eine größere Anzahl Wechselstellenkassierer verschiedener Wechselstellen der Staatsbank der DDR – vornehmlich in der Hauptstadt der DDR, Berlin, – von zeitweilig in der DDR aufhältlichen Bürgern der UdSSR wissentlich ungesetzliche Rubelankäufe ohne Vorlage der erforderlichen Dokumente durchführten und dafür Bestechungsgelder annahmen.
Diese Bestechungsgelder, die von Devisenspekulanten aus dem Kreis von Touristen aus der UdSSR, in erster Linie jedoch von einzelnen Angehörigen der GSSD bzw. Zivilbeschäftigten mit sowjetischer Staatsbürgerschaft an Angestellte der Staatsbank der DDR gezahlt wurden, belaufen sich nachweislich auf 145 000 Mark. (Bei den einzelnen Angestellten liegt die Höhe der individuell angenommenen Bestechungsgelder zwischen 8 000 M und 22 000 Mark.)
Da neben dem überprüften Personenkreis weitere Angestellte der Wechselstellen der Staatsbank der DDR zur Realisierung des ungesetzlichen Umtausches einbezogen werden mussten, ergab eine Überschlagrechnung, dass der gemeinschaftlich handelnde Personenkreis insgesamt Bestechungsgelder in einer Höhe von ca. 250 000 Mark angenommen hat.
Die vom MfS durchgeführten Ermittlungen ergaben im Einzelnen Folgendes:
Die Wechselstellenkassierer gingen beim ungesetzlichen Rubelankauf gemeinschaftlich handelnd so vor, indem sie für die Ankaufshandlung selbst sowohl die Vorlage ordnungsgemäß als auch gefälschter bzw. verfälschter Zollerklärungen des Zollorgans der UdSSR (»Sprawka«)1 akzeptierten. Teilweise erfolgten auch Ankäufe von Rubel ohne Vorlage von Zollerklärungen. In diesen Fällen begnügten sich die Kassierer mit der Vorlage solcher Dokumente wie Pässe, Ausweise der Sowjetarmee, Mitgliedsbücher der KPdSU und des Komsomol, Behelfsausweise sowie Schaffnerkarten von Angehörigen der sowjetischen Staatsbahn u. a.
Die Entgegennahme der Bestechungsgelder erfolgte in der Regel bei der Übergabe der ungesetzlich umgetauschten DDR-Mark-Beträge, indem der den Wechselstellenkassierern bekannte feste Kreis von Devisenspekulanten einen Wechselkurs tolerierte, der unter dem offiziell bestehenden Wechselkurs lag. Der daraus resultierende überzählige Betrag wurde von den Wechselstellenkassierern einfach einbehalten. (Z. B. wurde der offizielle nichtkommerzielle Wechselkurs Rubel – Mark (1:3,20) auf 1:3 verändert und dabei 0,20 Mark je umgetauschter Rubel »Gewinn« erzielt.)
Die ungesetzlichen Rubelankäufe und die Annahme von Bestechungsgeldern konnte vor allem deshalb längere Zeit unerkannt bleiben, weil
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einem festen Kreis der Devisenspekulanten teilweise die Diensteinteilung der zu Bestechungshandlungen bereitwilligen Wechselstellenkassierer bekannt war,
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der ungesetzliche Ankauf von Rubelbeträgen überwiegend in sogenannten verkehrsarmen Zeiten, Nachtschichten und an Wochenenden erfolgte,
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die zum Ankauf angebotenen Rubelbeträge im Einzelfall oftmals von so geringer Höhe waren, dass sie den normalen Umtauschsätzen für sowjetische Touristengruppen (ca. 30 Personen) entsprachen,
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der an ungesetzlichen Rubelankäufen beteiligte Kreis von Wechselstellenkassierern sich über die Höhe der Rubelankäufe gegenseitig abstimmte und dadurch verhinderte, dass einzelne Wechselstellenkassierer durch überhöhte Rubelankäufe bei der Abrechnung der Tageskasse auffielen,
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offensichtlich vorhandene Unklarheiten über die zugelassene Höhe der anzukaufenden Rubelbeträge bei Einreise sowjetischer Touristen in die DDR in den Wechselstellen und in der Berliner Leitung der Wechselstellen der Staatsbank der DDR bestehen und die dafür gültigen bankinternen Weisungen darüber hinaus auch keine eindeutigen Festlegungen enthalten,
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die bestehenden Kontrollmöglichkeiten auf den banktechnischen Belegen es nicht zulassen, eine namentliche Feststellung der Bankkunden, die Rubel zum Kauf anbieten, vorzunehmen – Kaufbelege enthalten nur die Ausweis-Nummer des Kunden –, sodass der betreffende Personenkreis in der Lage war, durch die Vorlage unterschiedlicher Legitimationen ihre tatsächliche Identität zu verheimlichen.
Im Ergebnis der vom Ministerium für Staatssicherheit geführten Untersuchungen wurden die Einleitung strafrechtlicher und strafprozessualer Maßnahmen gegen die beteiligten Personen bzw. die Möglichkeiten der Einleitung politisch offensiver und öffentlichkeitswirksamer Maßnahmen im Verantwortungsbereich der Staatsbank der DDR geprüft.
Im Interesse der Vermeidung der Diskreditierung und Wahrung des Ansehens der im Rahmen der geführten Untersuchungen bekannt gewordenen Bürger der UdSSR – insbesondere von Angehörigen der sowjetischen Streitkräfte – in der Öffentlichkeit, der Sicherung der staatlichen Autorität und des Ansehens der Staatsbank der DDR und zur Verhinderung weiterer ungesetzlicher Handlungen in den Wechselstellen der Staatsbank der DDR wird seitens des MfS nicht beabsichtigt, gegen die belasteten DDR-Personen strafrechtliche und strafprozessuale Maßnahmen einzuleiten. (Die rechtlichen Voraussetzungen für die Einleitung von Ermittlungsverfahren gemäß § 247 StGB – Bestechung – im Zusammenhang mit den Bestimmungen des Devisengesetzes der DDR vom 19.12.1973 sind gegeben.)2
Die Generalstaatsanwaltschaft der DDR beabsichtigt, dem Präsidenten der Staatsbank der DDR konkrete Auflagen zur Beseitigung der im Zusammenhang mit den ungesetzlichen Handlungsweisen aufgedeckten Ursachen und begünstigenden Bedingungen zu erteilen sowie zur kurzfristigen Neuorganisation des banktechnischen Ablaufes im Umgang mit Reisezahlungsmitteln in allen in der DDR bestehenden 250 Wechselstellen der Staatsbank der DDR.
Zur Wiederherstellung der Gesetzlichkeit, der Erhöhung von Sicherheit und Ordnung im Verantwortungsbereich der Staatsbank der DDR bei gleichzeitiger Prüfung der bisher geltenden Rechtsgrundlagen wird deshalb vorgeschlagen:
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Auswertung des Sachverhalts mit dem Präsidenten der Staatsbank der DDR mit dem Ziel, eine wirksame Öffentlichkeitsarbeit im Bereich der Staatsbank der DDR durchzuführen und die erforderlichen Leitungsentscheidungen für die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen im Umgang mit Reisezahlungsmitteln der DDR herbeizuführen,
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im Verantwortungsbereich der Staatsbank der DDR zu prüfen, inwieweit auf der Grundlage vorliegender Untersuchungsergebnisse die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen über den An- und Verkauf von Reisezahlungsmitteln der DDR sowie die entsprechenden bankinternen Weisungen durch eindeutige Bestimmungen ergänzt bzw. neugestaltet werden müssten,
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gegen die bekannt gewordenen, an den Bestechungshandlungen unmittelbar beteiligten Wechselstellenkassierer durch den Präsidenten der Staatsbank der DDR entsprechende disziplinarische Maßnahmen einzuleiten.
Die zuständigen Organe der UdSSR wurden bereits über die Ermittlungsergebnisse zu Bürgern der UdSSR unterrichtet. Sie teilten daraufhin mit, dass ihrerseits die notwendigen Maßnahmen zur Verhinderung des ungesetzlichen Geldumtausches eingeleitet wurden. Im Interesse der Wahrung des Valutamonopols3 und des Charakters der Binnenwährungen der DDR und der UdSSR wird darüber hinaus empfohlen, dass der Präsident der Staatsbank der DDR mit dem Präsidenten der Staatsbank der UdSSR entsprechende Beratungen führt, um zu gemeinsamen Regelungen hinsichtlich der zukünftigen Verfahrensweise bei der Ausstattung von Bürgern der UdSSR mit Reisezahlungsmitteln der DDR zu gelangen.