Bischofswahl in der Landeskirche Thüringen
2. Januar 1978
Information Nr. 788/77 über die Bischofswahl in der Evangelisch-Lutherischen Kirche Thüringen
Der Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche Thüringen, Dr. Ingo Braecklein, Eisenach, scheidet am 1.5.1978 aus Altersgründen aus dem Bischofsamt aus. Hauptanliegen der Herbstsynode der Landeskirche (3.–6.11.1977) war deshalb die Wahl eines Nachfolgers für Bischof Braecklein. Als Kandidaten wurden nominiert: Prof. Dr. Hertzsch, Jena, Superintendent Leich, Lobenstein, Oberkirchenrat Dr. Saft, Gotha, und Oberkirchenrat Schäfer, Weimar.1
Oberkirchenrat Dr. Saft wurde von Bischof Braecklein als Kandidat des Landeskirchenrates vorgestellt. In sechs Wahlgängen konnte keiner der Kandidaten die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreichen, sodass sich die Synode auf den 10. und 11.12.1977 vertagte. Der Landeskirchenrat wertete die Tatsache, dass der von ihm nominierte Oberkirchenrat Dr. Saft nicht die erforderliche Stimmenzahl erzielt, als einen Affront gegen die Kirchenleitung.
Auf der außerordentlichen Synode am 10. und 11.12.1977 wurden die gleichen Kandidaten für die Bischofsnachfolge nominiert. Als Kandidat des Landeskirchenrates wurde Oberkirchenrat Schäfer vorgeschlagen. Der Landeskirchenrat hatte diesen Beschluss auf seiner Sitzung am 5.12.1977 gefasst und ihn den Mitgliedern der Synode und den Superintendenten der Landeskirche Thüringen schriftlich mitgeteilt.
Bischof Braecklein erklärte vor der Synode, ein weiteres Festhalten an den Kandidaturen von Hertzsch und Saft sei unmöglich, weil beide auf der November-Synode nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht haben. Braecklein sprach sich dabei ganz entschieden gegen Prof. Dr. Hertzsch aus.
Oberkirchenrat Dr. Saft wurde von Oberpfarrer Böhm, Gerstungen, mit der Begründung vorgeschlagen, er sei leitungs- und gruppenfähig und würde den Weg seines Vorgängers konsequent fortsetzen.
Prof. Dr. Hertzsch wurde von Pfarrer Zollmann, Jena, vorgeschlagen, der betonte, dass Hertzsch das Vertrauen der Synodalen besitze.
Superintendent Leich wurde von der Synodalen Schultheiß, Stadtroda, vorgeschlagen. Sie brachte zum Ausdruck, Superintendent Leich habe einen festen Glauben und den Mut zu neuen Wegen. Im Übrigen habe Landesbischof Braecklein bei seiner Wahl erklärt, er betrachte sich als Interims-Bischof für den designierten Bischof Leich.
Nach der Nominierung erfolgte das Anhörungsverfahren der Superintendenten. Dabei sprachen sich Superintendent Schurich, Friedrichsroda, Superintendent Paulin, Pößneck, Oberpfarrer Franz, Eisenach, Superintendent Weißenborn, Gerstungen, Superintendent Eisner, Schmölln, Superintendent Schneyder, Bad Salzungen, Superintendent Blankenburg, Ohrdruf, und Superintendent Heinicke, Vielselbach, für Oberkirchenrat Dr. Saft aus. Es wurde von ihnen übereinstimmend zum Ausdruck gebracht, dass Oberkirchenrat Dr. Saft der Kandidat sei, der den bisherigen Weg der Landeskirche Thüringen fortsetzen wird.
Für Prof. Dr. Hertzsch sprachen Superintendent Hoffmann, Dermbach, Superintendent Söffing, Buttstädt, Superintendent Meinke, Meinungen, Superintendent Kolditz, Altenburg, und Superintendent Reichstein, Neustadt. Von ihnen wurden besonders die Erfahrungen von Prof. Dr. Hertzsch, u. a. als Studentenpfarrer, herausgestellt.
Für Oberkirchenrat Schäfer sprachen Superintendent Betermann, Apolda, Superintendent Thurm, Jena, Superintendent Bley-Simon, Kahla, und Superintendent Reder, Weimar. Schäfer wurde als Alternativ-Kandidat herausgestellt.
Für Superintendent Leich sprachen sich aus Superintendent Köhler, Sonneberg, Superintendent Hornfeck, Eisfeld, Oberpfarrer Döring, Lobenstein, Superintendent Scriba, Gera, Superintendent Herden, Schleiz, und Superintendent Küfner, Königsee. Es wurden seine Bescheidenheit, sein Kontaktvermögen und seine klare kirchenpolitische und religiöse Haltung besonders gewürdigt.
Als Argumente gegen die Kandidatur von Oberkirchenrat Dr. Saft wurde zum Ausdruck gebracht, dass für diesen »zu große Aktionen durchgeführt« worden wären. Synodale und Superintendenten seien aufgesucht worden, um sie für Dr. Saft zu beeinflussen, Superintendent Heinicke habe sogar Unterschriften für Dr. Saft gesammelt; »offensichtlich habe der Staat ein Interesse an ihm«. Dr. Saft sei aber ein »Karrierist«, es ginge ihm weniger um die Kirche, aber mehr um die »Befriedigung seines persönlichen Ehrgeizes«. Dr. Saft habe viele »Seifenblasen« losgelassen, um seinen Weg zu machen. Er habe mehrfach in Reden nicht ausgewiesene Zitate verwendet. Er sei ein »Abschreiber« und würde »geistigen Diebstahl« begehen.
In der anschließenden Personalaussprache in der Synode wurden ähnliche Meinungen geäußert. Dabei kam es zu einer Kontroverse zwischen Superintendent Große, Saalfeld, und Bischof Braecklein. Superintendent Große, der für Prof. Dr. Hertzsch sprach, warf dem Landeskirchenrat vor, er würde nicht die Mehrheit in der Synode achten. Mit der jetzigen Nominierung von Oberkirchenrat Schäfer würde er die Mehrheit in der Synode blockieren, deshalb sei eine Zusammenarbeit zwischen Synode und Landeskirchenrat nicht mehr gegeben. Bischof Braecklein bezeichnete die Ausführungen von Superintendent Große als »böswillige Unterstellungen«. Der Landeskirchenrat habe Schäfer »als Hilfestellung angeboten«, da abzusehen gewesen sei, dass weder Prof. Dr. Hertzsch noch Oberkirchenrat Dr. Saft die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreichen könnten. Er habe während der Ausführungen von Große überlegt, ob er nicht die Synode verlassen und sein Amt sofort zur Verfügung stellen sollte.
Anschließend wurden die vier Kandidaten durch Synodale befragt.
Prof. Dr. Hertzsch erklärte, er werde zurücktreten, wenn er im ersten Wahlgang die geringste Stimmenzahl erhalten sollte. Sollte er Bischof werden, so werde er von diesem Amt dann zurücktreten, wenn sein Gesundheitszustand dies erforderlich mache. Er habe noch keine konkreten Vorstellungen von seinem »zweiten Mann«, aber er werde dafür einen seiner Schüler suchen, der ihm »ein echter persönlicher Referent« sein könne. Den bisherigen Leitungsstil würde er verändern.
Superintendent Leich erklärte ebenfalls, dass er zurücktreten werde, wenn er die wenigsten Stimmen erhalte. Dann entwickelte er seine Vorstellungen von der Ausübung des Bischofsamtes. Er betonte, die Kirche in der DDR sei eine Minderheitskirche, aber sie dürfe »nicht zum Ghetto werden«, deshalb müssten die Gemeinden zusammenhalten. Zum Verhältnis Staat und Kirche führte er aus, für ihn sei die Praxis das Kriterium: Wie gehen Staat und Partei mit den Kirchenmitgliedern um, wie gehe es den christlichen Arbeitern und Angestellten in der sozialistischen Brigade, und welche Möglichkeiten habe das christliche Kind. Mit dem Staat könne man nur nach Gottes Wort reden, auch Atheisten seien von Gott nicht aufgegeben. Die Kirche müsse »für Schwache und Außenseiter in der Gesellschaft eintreten«, auch wenn diese keine kirchlichen Bindungen hätten. Das Verhältnis zum Staat müsse von gegenseitiger Achtung und Sachlichkeit geprägt sein. Durch eine mögliche Zuwahl von Synodalen in die Kirchenleitung könne diese gestärkt werden. Das Vertrauen der Pfarrerschaft zum Landeskirchenrat müsse gefestigt werden.
Oberkirchenrat Dr. Saft sagte, er wolle alle Wahlgänge durchstehen. Er habe nicht die geringste Bindung an staatliche Stellen. Wer solche Verdächtigungen ausspreche, wisse nicht, was er einem Menschen damit antue. Wenn er Bindungen zum Staat hätte, würde er das Bischofsamt nicht annehmen.
Oberkirchenrat Schäfer erklärte, er wolle zurücktreten, wenn er durch seine Kandidatur einen aussichtsreicheren Kandidaten blockieren würde. Sollte er Bischof werden, habe er die Absicht, die zerstrittenen Gruppen zusammenzuführen.
Der erste Wahlgang wurde mit folgendem Ergebnis durchgeführt:
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Oberkirchenrat Dr. Saft – 20 Stimmen
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Prof. Dr. Hertzsch – 18 Stimmen
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Superintendent Leich – 13 Stimmen
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Oberkirchenrat Schäfer – 12 Stimmen
Vor Beginn des zweiten Wahlganges fand eine Sitzung des Landeskirchenrates statt. Es wurde festgestellt, dass sowohl Prof. Dr. Hertzsch als auch Oberkirchenrat Schäfer mit ihrem Rücktritt einverstanden seien. Schäfer wolle jedoch noch einen Wahlgang abwarten. Oberkirchenrat Dr. Saft wurde eindringlich ersucht, von der Kandidatur zurückzutreten und den Weg für einen aussichtsreicheren Kandidaten freizumachen. Als Dr. Saft auf seiner weiteren Kandidatur bestand, erklärte ihm Bischof Braecklein, dass er durch seine sture Haltung die Wahl blockiere und er sich in ihm getäuscht habe.
Die Sitzung wurde sehr stark vom anwesenden amtierenden Präses der Synode, Frau Schultheiß, beeinflusst, indem sie massiv versuchte, den Landeskirchenrat auf Superintendent Leich festzulegen.
Bei der Fortsetzung der Wahlhandlungen wies Bischof Braecklein in der Personaldebatte darauf hin, dass nur noch zwei Wahlgänge möglich seien. Auch der Letzte müsse begreifen, dass weder Prof. Dr. Hertzsch noch Oberkirchenrat Dr. Saft wählbar seien. Deshalb sei es notwendig, sich für Oberkirchenrat Schäfer zu entscheiden.
Nach heftigen Auseinandersetzungen, bei denen versucht wurde, den Rücktritt von Prof. Dr. Hertzsch und Dr. Saft zu erreichen, erklärte Bischof Braecklein, dass Prof. Dr. Hertzsch zurücktrete, auch wenn Oberkirchenrat Dr. Saft weiter kandidiere.
Die Synode beauftragte daraufhin Oberkirchenrat Krannich, seinen Einfluss geltend zu machen und Oberkirchenrat Dr. Saft zum Rücktritt zu bewegen. Im Ergebnis seiner Bemühungen teilte Krannich mit, dass Dr. Saft bedauerlicherweise nicht zurücktrete. Nach seiner Meinung sollte die Synode eine »politische Ehrenerklärung« für Dr. Saft abgeben. Daraufhin fasste die Synode den Beschluss,
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Krannich möge sich noch einmal um den Rücktritt von Dr. Saft bemühen;
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für Dr. Saft wird eine »politische Ehrenerklärung« abgegeben.
Diese Erklärung wurde von dem Synodalen Dr. Opitz formuliert. In ihr kommt zum Ausdruck, dass Dr. Saft nicht als Vertreter des Staatsapparates zu betrachten sei und an seiner Loyalität kein Zweifel bestehe.
Oberkirchenrat Dr. Saft gab die Erklärung ab, dass er die Gruppen und Gemeinden vor seiner Nominierung gebeten habe, von seiner Wahl Abstand zu nehmen. Um seine Anhänger und Wähler nicht zu enttäuschen, wollte er bis zum dritten Wahlgang durchstehen. Aus diesem Grunde könne er sich nicht entpflichten lassen, auch wenn sein Bild jetzt in Thüringen zerrissen werde.
Superintendent Große richtete an Prof. Dr. Hertzsch offiziell die Bitte zurückzutreten. Prof. Dr. Hertzsch stimmte zu.
Der zweite Wahlgang hatte folgendes Ergebnis:
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Superintendent Leich – 35 Stimmen
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Oberkirchenrat Schäfer – 16 Stimmen
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Oberkirchenrat Dr. Saft – 10 Stimmen
2 Stimmenenthaltungen.
Nach diesem Ergebnis zog Oberkirchenrat Schäfer ohne Begründung seine Kandidatur zurück.
In einer kurzen Personaldebatte forderte Pfarrer Wulff-Woesten, Apolda, die Synodalen, die bisher für Oberkirchenrat Schäfer gestimmt hatten, auf, für Superintendent Leich zu votieren.
Danach wurde der dritte Wahlgang durchgeführt mit folgendem Ergebnis:
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Superintendent Leich – 48 Stimmen
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Oberkirchenrat Dr. Saft – 9 Stimmen
6 Stimmenenthaltungen.
Superintendent Leich nahm die Wahl an und sprach Prof. Dr. Hertzsch und Oberkirchenrat Schäfer seinen Dank dafür aus, dass sie durch ihren Rücktritt den Weg für ihn freigemacht haben. Die Amtseinführung von Leich soll am 30.4.1978 in Eisenach erfolgen.
Die Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.