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Einleitung 1977

Einleitung 1977
Henrik Bispinck

»1977: Das normalste Jahr der DDR?« – diese Frage stellte der britische Historiker Mark Allinson vor dem Hintergrund seines Befunds, dass das »einzige ungewöhnliche Merkmal« dieses Jahres die »Abwesenheit fast jeglicher ungewöhnlicher Ereignisse« sei.1 Tatsächlich fehlt ein herausragendes Ereignis, das unmittelbar mit diesem Jahr verbunden wird wie der Volksaufstand mit 1953, der Mauerbau mit 1961 oder die Ausbürgerung von Wolf Biermann mit 1976 – was indes für viele andere Jahre der DDR-Geschichte ebenso gilt. Doch ermöglicht die – für Historiker eher ungewöhnliche – Fokussierung auf ein einzelnes Jahr einen querschnitthaften Blick auf Ereignisse und Entwicklungen, die aus Sicht des Staatssicherheitsdienstes von Bedeutung waren. Die Berichte, die die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG) des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im Jahr 1977 an die SED-Führung lieferte, decken ein breites Spektrum ab, das von Republikfluchten und Grenzverletzungen über Aktivitäten von Schriftstellern und kirchenpolitische Ereignisse bis hin zu Unfällen in Volkseigenen Betrieben und Klagen der Bevölkerung über Versorgungsprobleme reicht. Gleichwohl dominiert auch im Jahr 1977 ein Thema die Berichte in quantitativer wie qualitativer Hinsicht: die Folgen der Biermann-Ausbürgerung. Zahlreiche Berichte befassen sich mit Schriftstellern und anderen Künstlern, die im Gefolge dieser kulturpolitischen Repressionsmaßnahme die DDR verließen bzw. eine Ausreise planten. In etlichen weiteren finden die Ausbürgerung und die folgenden Proteste zumindest Erwähnung. Ein zweites zentrales Ereignis des Vorjahres wirft, wenn auch in geringerem Ausmaß, ebenfalls seinen Schatten auf das Jahr 1977: Die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz ist nicht nur Thema in zahlreichen Berichten über kirchliche Aktivitäten, zu registrieren ist auch eine erhöhte Sensibilität des MfS bei Suiziden im kirchlichen Umfeld sowie bei angedrohten und versuchten Selbstverbrennungen.2

1. Zeitgeschichtlicher Hintergrund

1.1 Außen- und Deutschlandpolitik

Das Jahr 1977 fällt in eine Zeit, in der die Entspannungspolitik ihren Zenit bereits überschritten hatte. Die wesentlichen Etappen dieses Prozesses waren Mitte der 1970er Jahre abgeschlossen: Im Juni 1972 trat als erster deutsch-deutscher Vertrag überhaupt das Transitabkommen in Kraft, ein Jahr später der Grundlagenvertrag, der die Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten regelte, ohne dass die Bundesrepublik die DDR formal anerkannte.3 In dem Vertrag wurde auch die Einrichtung gegenseitiger »Ständiger Vertretungen« in Bonn und Ostberlin vereinbart, die im Sommer 1974 ihre Arbeit begannen.4 Dem Grundlagenvertrag folgte die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu zahlreichen westlichen Staaten sowie im September 1973 die Vollmitgliedschaft in den Vereinten Nationen, womit die DDR den Höhepunkt ihrer außenpolitischen Anerkennung erreichte. Diese Entwicklung stand im Zusammenhang mit dem globalen Entspannungsprozess zwischen den beiden Machtblöcken, der seinen wichtigsten Ausdruck in den langjährigen Verhandlungen der KSZE fand, die mit dem Gipfeltreffen in Helsinki im Sommer 1975 und der Unterzeichnung der Schlussakte zu einem vorläufigen Abschluss kamen.

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre wurde jedoch die innenpolitische Kehrseite der internationalen Anerkennung immer deutlicher: Regimekritiker und Ausreisewillige konnten sich nun auf Korb III der Schlussakte von Helsinki, in dem die Unterzeichnerstaaten u. a. erklärten, Reise- und Kontaktmöglichkeiten über die Grenzen hinweg verbessern zu wollen, und auf die UN-Charta berufen, um Menschenrechte und Freizügigkeit einzufordern. Die Zahl der Ausreiseanträge hatte 1976 einen vorläufigen Höchststand von knapp 20 000 erreicht; 1977 ging sie zwar um ein Drittel zurück, doch war dies vor allem darauf zurückzuführen, dass die DDR-Regierung über 5 000 Antragsteller hatte ausreisen lassen.5 Die Zahl der aufrechterhaltenen, noch offenen Anträge blieb weiterhin hoch. In einem Interview mit der »Saarbrücker Zeitung« Anfang 1977 gab Erich Honecker die hohe Zahl an Antragstellern und Genehmigungen erstmals indirekt zu.6 Andererseits forderte er, die KSZE-Schlussakte nicht auf die Menschenrechtsfrage zu reduzieren, sondern sie »als Ganzes« zu betrachten und berief sich auf das »Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten«. Diese Argumentationslinie, die die DDR und die übrigen Ostblockstaaten auch auf der im Oktober 1977 beginnenden ersten KSZE-Folgekonferenz in Belgrad vertraten, kommt auch in den ZAIG-Berichten immer wieder zum Ausdruck.

1.2 Innen- und Kulturpolitik

Die Hoffnungen auf eine vorsichtige innen- und kulturpolitische Liberalisierung, die der Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker bei manchen geweckt hatte, waren 1977 längst einer vollständigen Desillusionierung gewichen. Spätestens die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann im November 1976 hatte auch noch den »letzten Rest der aus den frühen siebziger Jahren stammenden Hoffnungen vernichtet, dass man sich auf dem Weg zu einem demokratischen Sozialismus befinde«.7 Doch hatte sich diese Maßnahme für die SED-Führung als Bumerang erwiesen und ihre Folgen waren bis weit in das Jahr 1977 und darüber hinaus spürbar. Große Teile der kritisch-loyalen Intelligenz resignierten endgültig; ein Exodus von Künstlern und Intellektuellen von bisher ungekanntem Ausmaß setzte ein. Zahlreiche auch über die Grenzen der DDR hinweg bekannte Persönlichkeiten verließen das Land, darunter die Schriftsteller Thomas Brasch, Sarah Kirsch und Hans Joachim Schädlich, die Schauspieler Manfred Krug und Eva-Maria Hagen sowie der Regisseur Adolf Dresen.

Mit großer Härte ging die SED auch gegen innerparteiliche Kritiker wie Rudolf Bahro vor. Kaum war ein Auszug aus seinem Buch »Die Alternative« im westdeutschen Nachrichtenmagazin »Der Spiegel« erschienen, wurde Bahro verhaftet und später zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Das Buch und die Verhaftung fanden sowohl in der DDR als auch in der Bundesrepublik ein starkes Echo. Zur gleichen Zeit befand sich der aus der SED ausgeschlossene Regimekritiker Robert Havemann noch immer unter Hausarrest.

1.3 Wirtschaftspolitik

Auf dem IX. Parteitag der SED im Mai 1976 hatte Erich Honecker die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« proklamiert. Damit war indes kein wirtschaftspolitischer Kurswechsel eingeläutet, sondern lediglich die bereits seit seinem Machtantritt 1971 verfolgte Linie in eine griffige Formel gegossen worden: Langfristige Investitionen in technologische Neuerungen wurden zugunsten einer stärker an den Bedürfnissen der Bevölkerung orientierten Produktion von Konsumgütern zurückgestellt.8 Mit dem Versprechen auf baldigen Wohlstandszuwachs und soziale Verbesserungen sollte die Loyalität der Bevölkerung erkauft werden. Diese Politik führte zwar in den Folgejahren tatsächlich zu einer spürbaren Verbesserung des Lebensstandards, ging aber mittelfristig zulasten der ökonomischen Substanz und wurde durch eine höhere Auslandsverschuldung erkauft.9

In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre machten sich – verzögert – schließlich auch in der DDR die Folgen der weltweiten Öl- und Wirtschaftskrise bemerkbar. Die SED reagierte mit einem strikten Sparkurs, der nach und nach auch auf die Versorgungslage durchschlug.10 Im Gegenzug wurden Handelsnetz und Warenangebot der Intershops, in denen nur mit Devisen bezahlt werden konnte, ausgeweitet. Da hiervon nur diejenigen profitieren konnten, die über Westgeld verfügten, wurden ab Herbst 1977 auch die Exquisit- und Delikat-Läden, die besonders begehrte Produkte zu stark erhöhten Preisen in DDR-Mark anboten, ausgebaut. Die Unzufriedenheit in der Bevölkerung konnte damit aber kaum eingedämmt werden; vielmehr sah man in diesen Maßnahmen eine Benachteiligung von Geringverdienern und DDR-Bürgern ohne Westkontakte. Im Sommer 1977 erreichte der Unmut der Bevölkerung in der sogenannten Kaffee-Krise einen Höhepunkt: Aufgrund stark gestiegener Weltmarktpreise hatte die DDR-Regierung günstige Kaffeesorten aus dem Handel genommen und stattdessen eine »Kaffee-Mix« genannte Mischung aus Röstkaffee und einem Surrogat auf den Markt gebracht. Dieses im Volksmund als »Erichs Krönung« bespöttelte Produkt wurde von der Bevölkerung jedoch einhellig abgelehnt. Die Behörden wurden von einer Flut von Eingaben überrollt und die Regierung sah sich gezwungen, den Import von Rohkaffee wieder zu erhöhen.11

1.4 MfS und ZAIG

Die 1970er Jahre sind das Jahrzehnt, in dem der Staatssicherheitsdienst am stärksten gewachsen ist. Zwischen 1971 und 1982 verdoppelte sich die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter nahezu von 45 000 auf 81 500. Im Jahr 1977 arbeiteten 68 000 Hauptamtliche im Ministerium. Auch der Etat des MfS wurde in dieser Zeit massiv aufgestockt. Allein 1977 war er gegenüber dem Vorjahr um 200 Millionen Mark gestiegen.12 Für dieses außerordentliche Wachstum gab es verschiedene Gründe. Erich Mielke hatte schon Anfang der 1960er Jahre versucht, das Ministerium »als eine Art Generalkontrollorgan gegenüber dem Staats- und Wirtschaftsapparat [zu] etablieren«,13 sich damit aber zunächst nicht durchsetzen können. Trotzdem zog der Stasi-Chef im Laufe des Jahrzehnts nach und nach weitere Aufgaben an sein Ministerium, sodass es in Staatsapparat und Wirtschaft zunehmend als »Sachwalter allgemeiner Sicherheitsbelange« fungierte.14 Diese zusätzlichen Kompetenzen wurden in dem neuen Statut, das sich das MfS im Sommer 1969 gab, festgezurrt. Danach sollte die Staatssicherheit über ihre Kernaufgaben der »Aufklärung und Abwehr« von »feindlichen Plänen« hinaus nun auch ganz allgemein der »Festigung und Stärkung des sozialistischen Staates« sowie der »Sicherung der Gestaltung des entwickelten gesellschaftlichen Systems des Sozialismus« dienen. Sie war nun offiziell befugt, zu allen »Problemen der staatlichen Leitung, durch die Fragen der staatlichen Sicherheit berührt werden«, Stellung zu nehmen.15

Nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker hielt der neue Generalsekretär an dieser strategischen Neuausrichtung fest. Unter seiner Ägide entwickelte sich der Staatssicherheitsdienst zu einem »Generalunternehmen für Sicherheit, Machtsicherung und Unterdrückung«,16 dessen Aufgabengebiet potenziell unbegrenzt war. Die Stasi erfüllte eine bis dahin unbekannte »umfassende verdeckte Steuerungs- und Manipulationsfunktion«17 im politischen System der DDR, die auch vor persönlichen Beziehungen nicht halt machte. Hinzu kam in den 1970er Jahren ein Zweites: Die Entspannungspolitik erschwerte es der SED zunehmend, innere Widerstände mit offener Repression zu bekämpfen. Da die DDR-Regierung u. a. die UN-Menschenrechtsdeklaration und die Schlussakte der KSZE unterzeichnet hatte, musste sie versuchen, zumindest nach außen den Anschein aufrechtzuerhalten, sie würde sich an diese Vereinbarungen halten. Verhaftungen von Oppositionellen konnte sich das MfS aus außenpolitischen Gründen nicht mehr in dem Umfang erlauben wie bisher. Das Ministerium ging daher mehr und mehr zu verdeckten Formen der Oppositionsbekämpfung, etwa der »Zersetzung« über, die arbeits- und personalaufwendiger waren.18 Zudem wurden im Zuge der Entspannungspolitik Westkontakte erleichtert. Da diese stets als potenzielles Sicherheitsrisiko galten, wurden sie von der Staatssicherheit kontrolliert, was ebenfalls einen höheren Aufwand bedeutete.

Auch die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe profitierte von dem allgemeinen Wachstum des MfS. Die Zahl der Mitarbeiter in der Zentrale stieg zwischen 1972 und 1977 um mehr als die Hälfte von 57 auf 90. In den Zentralen Informationsgruppen (ZIG) der Bezirke waren 1977 immerhin knapp 40 Prozent mehr Mitarbeiter beschäftigt als fünf Jahre zuvor.19 Die ZAIG wurde zum vollwertigen »Funktionalorgan« des Ministers ausgebaut und organisatorisch ausdifferenziert; ein Prozess, der bis 1974 vorläufig abgeschlossen war. Zuständig für die Berichterstattung an die SED-Führung war der Bereich 1, der 27 Planstellen umfasste und seit 1975 von Oberst Rudi Taube geleitet wurde, der zugleich 1. stellvertretender Leiter der ZAIG war.20 Die von der ZAIG erstellten Berichte spiegeln das erweiterte Aufgabenspektrum des Staatssicherheitsdienstes. Neben klassischen sicherheitspolitischen Themen wie oppositionellen Tendenzen oder Grenzverletzungen kommen hier etwa auch kulturpolitische Angelegenheiten, Probleme in der Wirtschaft und im Verkehrswesen sowie Unfälle in Industriebetrieben zur Sprache.

Der Bereich 1 der ZAIG 197721 (Organigramm)

2. Ausgewählte Themenfelder der Berichte

Welche Rückschlüsse auf den inneren Zustand der DDR lassen die Berichte zu? Welche Ereignisse, Themen und Problemfelder sah das MfS als für die Parteiführung bedeutsam an? Zu fragen ist auch nach der Informationspolitik von Erich Mielke und der ZAIG: An wen wurden die Berichte verteilt und welche Gesichtspunkte spielten bei der Auswahl der Adressaten eine Rolle? Diesen und weiteren Fragen wird im Folgenden anhand der ZAIG-Berichte des Jahrgangs 1977 nachgegangen.

2.1 Die Nachwehen der Biermann-Ausbürgerung

Das dominierende Thema der ZAIG-Berichte im Jahr 1977 sind die Auswirkungen der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann vom November des Vorjahres.22 Die Intellektuellen und Künstler, die sich dem Protest gegen den Ausbürgerungsbeschluss angeschlossen hatten, sahen sich Repressionen und beruflichen Drangsalierungen ausgesetzt, einige weniger prominente Unterstützer wurden verhaftet. Zahlreiche von ihnen verließen in der Folgezeit die DDR. Die Ausbürgerung, der Protest und die Maßnahmen gegen die Unterzeichner riefen auch in der Bundesrepublik ein großes Echo hervor. Bereits Ende 1976 hatten u. a. Nina Hagen, Katharina Thalbach und Thomas Brasch die DDR verlassen. Im Frühjahr und Sommer 1977 folgten u. a. die Schriftsteller Reiner Kunze und Sarah Kirsch, die Schauspieler Manfred Krug und Eva-Maria Hagen sowie der Theaterregisseur Adolf Dresen. Der Schriftsteller Jürgen Fuchs sowie die Liedermacher Gerulf Pannach und Christian Kunert waren wegen ihres Protests verhaftet worden und wurden im August 1977 ohne Prozess aus der Haft entlassen und in den Westen abgeschoben.

Das MfS interessierte sich intensiv für die Aktivitäten der Unterzeichner, die Ausreisevorbereitungen und die Kontakte der Ausreisewilligen untereinander. Darüber hinaus informierte die ZAIG auch ausführlich über die Reaktionen in der westdeutschen Presse und das Schicksal der Ausgereisten in der Bundesrepublik. Besonders eingehend beobachtet wurden die populären Schauspieler Manfred Krug und Armin Mueller-Stahl, die miteinander befreundet waren. Bei Krug bemühte sich die SED, letztlich vergeblich, intensiv darum, ihn zum Verbleib in der DDR zu bewegen,23 Mueller-Stahl zog seinen Ausreiseantrag zunächst zurück, verließ die DDR aber wenige Jahre später.

Allein mit Manfred Krug befassen sich sieben Informationen. Anfang des Jahres absolvierte Krug eine Konzerttournee durch die DDR. Die Tournee war bereits vor den Protesten gegen die Biermann-Ausbürgerung geplant gewesen – von den ursprünglich vorgesehenen 15 Konzertterminen waren danach jedoch neun ersatzlos gestrichen worden.24 Zudem waren bei einigen Auftritten die Karten kontingentweise an Betriebskollektive oder FDJ-Gruppen vergeben und die vorderen Reihen mit Staats- und Parteifunktionären besetzt worden, die sich demonstrativ jeglichen Beifalls enthielten. Akribisch notierte die ZAIG die Bemerkungen Krugs, mit denen er auf dieses Publikum anspielte.25 So äußerte dieser u. a., bei seinen Konzerten seien »Menschen anwesend, die sich überhaupt nicht für seine Musik interessieren, sondern aus beruflichen oder dienstlichen Gründen anwesend sein müssten« und forderte das Publikum auf, »trotz geschenkter Karten« Beifall zu klatschen. Zwei bei einem Konzert in der ersten Reihe sitzende Funktionäre sprach er direkt an: »Es muss doch direkt anstrengend sein, den ganzen Abend so dazusitzen mit einer langen Fresse und nicht eine Hand zu rühren. Das muss doch direkt wehtun. Sie dürfen das nicht so auffällig machen, das ärgert uns doch hier oben bloß.« Vermitteln derartige Bemerkungen noch einen humorvollen Umgang mit den Umständen seiner Tournee, brachte Krug in seinem Ausreiseantrag seine Verbitterung darüber zum Ausdruck: Es habe »Gruppen von Zuhörern« gegeben, »die während des ganzen Konzerts finstere Minen vorführten und keine Hand rührten, eine Art von verabredeter Feindseligkeit, die einem Bühnenkünstler die Arbeit unmöglich macht, die ihn kaputtmacht.«26

Wenige Monate nach dem Ende der Tournee, am 19. April 1977, stellte Manfred Krug einen Antrag auf Ausreise aus der DDR. Er begründete den Antrag mit den Repressalien, denen er sich wegen seiner Weigerung, die Unterschrift unter der Protestresolution zurückzuziehen, ausgesetzt sah: Geplante Filmprojekte wurden auf Eis gelegt, eine vorbereitete Schallplatte sollte nicht veröffentlicht werden, Angebote für Filme und Konzerte blieben aus. Zudem beklagte Krug eine zunehmende gesellschaftliche Isolierung.27 Für die ZAIG war der Ausreiseantrag Anlass für einen ausführlichen Bericht über die »Verhaltensweisen« des Schauspielers, der 19 Seiten umfasste.28 Die Information ist paradigmatisch für die Berichte über ausreisewillige oder bereits ausgereiste Künstler; zahlreiche Topoi, die immer wieder auftauchen, sind hier zu finden.

Da ist zunächst die Diskreditierung der Persönlichkeit der Betroffenen, die häufig schon bei der Herkunft beginnt: Krugs Familie wird als »bürgerlich« beschrieben, es wird darauf hingewiesen, dass sein Vater »Mitglied der Nazipartei« gewesen sei. Verwiesen wird darüber hinaus auf seine »Undiszipliniertheit«, die er schon früh gezeigt habe, auf seine angebliche Geltungssucht und seine »Überheblichkeit«. Vor allem aber wird auf die angeblich vorrangig materiellen Interessen Krugs abgehoben: Er habe »ständig hohe Einkünfte« gehabt, seine Tagesgagen gehörten zu den »Spitzengagen der DDR« und er prahle damit, Millionär zu sein und »die Gagen zu bekommen, die er fordere«. Kombiniert sind solche Zuschreibungen häufig mit dem Hinweis auf Auszeichnungen und Privilegien, die die Betreffenden erhalten hätten, womit ihnen indirekt »Undankbarkeit« gegenüber dem sozialistischen Staat zum Vorwurf gemacht wird. In einem Bericht über den Theaterregisseur Adolf Dresen werden seine Auszeichnungen und die Zuweisung einer großzügigen Wohnung ebenso erwähnt wie seine »ideologischen Probleme« in »politisch angespannten Situationen« und seine Nähe zu »Positionen der westdeutschen Sozialdemokratie«. Auch der Hinweis auf die Herkunft aus einer »religiösen kleinbürgerlichen Familie« fehlt nicht.29 Armin Mueller-Stahl, der über Monate hinweg mit der Entscheidung rang, einen Ausreiseantrag zu stellen, wird Geltungssucht unterstellt: Mehrfach heißt es, er halte sich für einen »ganz großen Schauspieler«, dem »Zugeständnisse und größere Freiheiten«, vor allem Reisemöglichkeiten, gewährt werden müssten. Zudem sei in seinem persönlichen Umfeld geäußert worden, er sehe sich »[i]mmer stärker in der Rolle eines Märtyrers und gefalle sich darin«.30

Großen Raum nimmt in den Berichten der – angebliche oder tatsächliche – Einfluss von Personen aus Westdeutschland ein. Ausführlich wird berichtet über Besuche von Günter Grass bei Unterzeichnern der Biermann-Petition in Ostberlin, die er aufgefordert habe, »aktiv für eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der DDR einzutreten«, wobei er »offen Thesen im Sinne des Sozialdemokratismus« vertreten habe.31 Ebenso in den Fokus geriet Hannes Schwenger, der Vorsitzende des nach der Biermann-Ausbürgerung gegründeten »Schutzkomitees Freiheit und Sozialismus«, das sich für aus politischen Gründen verfolgte und bedrängte Schriftsteller in der DDR einsetzte. Schwenger hatte Kontakt zu Sarah Kirsch aufgenommen, um sich über die Situation der Unterzeichner der Protesterklärung zu informieren.32 Besonders intensiv beobachtet wurden westdeutsche Journalisten, darunter die DDR-Korrespondenten des Nachrichtenmagazins »Der Spiegel« und des ZDF, Ulrich Schwarz bzw. Dirk Sager. Dabei ging es darum, ihre Verbindungen zu »feindlich-negativen« Kräften aufzudecken – im Falle von Schwarz vor allem Personen aus dem Umfeld von Wolf Biermann wie Eva-Maria Hagen, Sibylle Havemann und Bettina Hindemith, die Tochter von Stephan Hermlin, sowie der unter Hausarrest stehende Robert Havemann.33 Akribisch notiert wurden auch alle persönlichen und telefonischen Kontakte des Korrespondenten der »Westfälischen Rundschau«, Peter Nöldechen, zu Schriftstellern und Dissidenten, darunter Jurek Becker, Stefan Heym und Robert Havemann.34 Verbunden war dies mit dem Versuch, die Aktivitäten der Journalisten als »Einmischung in die inneren Angelegenheiten« und Überschreitung der ihnen gewährten Arbeitsmöglichkeiten zu kriminalisieren. Entsprechende Nachweise – Schwarz hatte als eine Art Kurier zwischen Biermann und seiner noch in Ostberlin wohnenden Ehefrau fungiert – hätten es der DDR-Regierung ermöglicht, die Journalisten auszuweisen, wie es bereits Ende 1976 mit Schwarz’ Vorgänger Jörg R. Mettke sowie mit dem ARD-Korrespondenten Lothar Loewe geschehen war.35 Entsprechende Konsequenzen blieben bei Schwarz allerdings aus; der erwähnte Bericht war vom MfS auch gar nicht erst an die SED-Führung weitergeleitet worden. Der in dieser Information gegen Schwarz erhobene Vorwurf, er diskriminiere und verleumde die Tätigkeit des MfS, indem er behaupte, »die gesamte Bevölkerung der DDR sei einem ausgeklügelten ›Abhör- und Bespitzelungssystem‹ unterworfen«,36 mutet geradezu ironisch an, da eben dieser Bericht ohne ein solches System gar nicht hätte geschrieben werden können. Zudem hätte das MfS diese Aussage gemäß seinem Selbstverständnis eher als Kompliment denn als Verleumdung betrachten müssen.

Auch nach ihrer Übersiedlung in den Westen wurden die ausgereisten Schriftsteller und Künstler noch vom Staatssicherheitsdienst beobachtet. So stellte die ZAIG Informationen über geplante Veröffentlichungen von Wolf Biermann im Verlag Kiepenheuer & Witsch sowie bei der Plattenfirma CBS zusammen.37 Berichtet wurde auch über ein gemeinsames Konzert von Biermann, Gerulf Pannach, Christian Kunert und Jürgen Fuchs in Westberlin, in dessen Vorfeld es zu Konflikten zwischen Biermann und seinen Kollegen gekommen sei. So hatte Pannach kritisiert, dass Biermann im Westen Lieder über die DDR singe, die nur von einer kleinen linken Elite verstanden würden, anstatt sich mit dem »System« der Bundesrepublik zu befassen. Kunert warf Biermann in diesem Zusammenhang vor, »zu kommerziell« zu denken.38 Besonders interessant ist ein 29-seitiges Dokument »über die Situation und soziale Lage ehemaliger Kulturschaffender der DDR, die in die BRD, nach Westberlin und andere kapitalistische Staaten übergesiedelt sind«, vom Oktober 1977, das an die Kulturfunktionäre Hager, Lamberz und Hoffmann ging.39 Hier wird u. a. ausführlich über Biermann, Eva-Maria und Nina Hagen, Jürgen Fuchs, Thomas Brasch und Katharina Thalbach berichtet. Die Information, die zu einem Teil auf westlichen Presseberichten basiert, stellt die Anpassungsschwierigkeiten und materiellen Probleme der Übersiedler in den Vordergrund. Fast alle kämen mit den »vorgefundenen kapitalistischen kommerziellen Gepflogenheiten« im Showgeschäft nicht zurecht und hätten Schwierigkeiten, sich eine gesicherte materielle Existenz aufzubauen. Konkret berichtet wird über kleine Wohnungen, Abhängigkeit von Arbeitslosenunterstützung sowie von Klagen über hohe Mieten. Darüber hinaus belaste die Künstler die Trennung von der gewohnten Umgebung, der Familie und dem Freundeskreis psychisch. Denjenigen Übersiedlern, denen es finanziell besser ging, wird im Gegenzug die Verfolgung vorrangig materieller Interessen unterstellt. Ausführlich ist von Biermanns hohen Honorarforderungen die Rede, und über Manfred Krug heißt es, er sei »eifrig bemüht, sich umfassende Kenntnisse über kommerzielle Praktiken im Unterhaltungsgewerbe der BRD anzueignen, um für sich die bestmöglichen Vertragsabschlüsse zu erzielen«. Zudem habe er Rollenangebote bisher abgelehnt, »offensichtlich in dem Bestreben, damit Gagenangebote in die Höhe zu treiben«. Pauschal behauptet der Bericht zudem, dass alle Übersiedler vom Gegner benutzt würden, »um sie massiv in die antikommunistischen Angriffe und Verleumdungskampagne gegen den real existierenden Sozialismus einzubeziehen und als Beweis für die angeblich gescheiterte Kulturpolitik« der SED anzuführen. Insbesondere Wolf Biermann habe sich zum »Sprachrohr der reaktionärsten Kräfte der BRD« gemacht, weshalb er in linken Kreisen der Bundesrepublik zunehmend auf Ablehnung stieße. Meinungsverschiedenheiten und Konflikte zwischen den übergesiedelten Künstlern kommen ebenfalls ausführlich zur Sprache. Der Bericht scheint damit im Grunde alle Prophezeiungen und Vorurteile der SED gegenüber den Übersiedlern zu bestätigen: soziale und finanzielle Schwierigkeiten in der Bundesrepublik, Vereinnahmung durch die westdeutsche Politik und die Medien sowie der Vorwurf, die Übersiedler seien in erster Linie von materiellen Motiven getrieben. Dies verdeutlicht einmal mehr das Bestreben des MfS, in den Berichten an die Parteiführung der Erwartungshaltung und der politisch-ideologischen Perspektive der Adressaten entgegenzukommen.

2.2 Probleme in Wirtschaft und Industrie

Ein wiederkehrendes Thema der ZAIG-Berichte – über alle Jahrgänge hinweg – sind Probleme der Wirtschaft und einzelner Volkseigener Betriebe. Das MfS betrachtete sich auch in diesem Bereich als allzuständiges Überwachungs- und Kontrollorgan. Dabei ging es sowohl um grundsätzliche Mängel und Missstände als auch um besondere Vorkommnisse wie Unfälle, Brände und Havarien. Im Jahr 1977 waren vor allem die Reichsbahn und die Energieversorgung betroffen, und damit zwei Bereiche, in denen Mängel unmittelbare Auswirkungen auf die Bevölkerung hatten.

Während sich die ZAIG-Berichte des Vorjahres zur Reichsbahn noch auf Organisations- und Kapazitätsprobleme beschränkt hatten,40 erschien die Lage nun deutlich kritischer. Das MfS konstatierte »betriebsgefährdende Mängel« und ein daraus resultierendes hohes Unfallvorkommen in den Jahren 1975, 1976 und den ersten Monaten des Jahres 1977. Als Ursachen für diese Missstände machte das MfS typischerweise individuelle Schwächen und Fehler des technischen und betrieblichen Personals aus: Die Betriebsunfälle seien verursacht durch »Pflichtverletzungen und Fehlverhaltensweisen« wie die »Nichteinhaltung technischer Vorschriften« und die »mangelhafte Fahrwegprüfung«, aber auch durch die »mangelhafte[ ] Leitungs- und Kontrolltätigkeit«. Hinzu kamen technische Mängel, die auf Verschleiß zurückzuführen waren. So hatten ein Drittel der eingesetzten Güterwagen »die normative Nutzungsdauer von 34 Jahren überschritten«, was zu Schäden durch Materialermüdungen führte. Das MfS erkannte aber auch die tieferen Ursachen, die hinter diesen Missständen lagen. So wies es auf die »kritische Arbeitskräftesituation« bei der Reichsbahn hin, wo zahlreiche Stellen unbesetzt blieben, weshalb zum Teil enorm viele Überstunden geleistet werden müssten: Beispielsweise leisteten Triebfahrzeugführer im Jahresdurchschnitt 400, in Einzelfällen sogar bis zu 1 200 Überstunden.41 Wenige Monate später beschäftigte sich ein Bericht genauer mit der »ungünstigen Arbeitskräftesituation bei der Deutschen Reichsbahn«.42 Hier wurde in aller Deutlichkeit aufgezeigt, welche negativen Folgen die »von der Partei- und Staatsführung beschlossenen sozialpolitischen Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen«, vor allem die Arbeitszeitverkürzungen für Schichtarbeiter und die Einführung der 40-Stunden-Woche, für die Betriebsabläufe der Reichsbahn hatten.43 Seit der Arbeitszeitverkürzung sei die Bereitschaft, Überstunden zu leisten, zurückgegangen und die Arbeitsatmosphäre habe sich verschlechtert. Zudem bestehe nach wie vor eine hohe Fluktuation unter den Mitarbeitern der Reichsbahn. Eine derart deutliche und unmittelbare Kritik an konkreten Entscheidungen der SED-Führung ist für die ZAIG-Berichte ungewöhnlich, und es überrascht nicht, dass diese Information auf Weisung von Mielkes Stellvertreter Rudi Mittig zurückgehalten wurde.44

Dass mit leitenden Staatsfunktionären weit weniger »schonend« umgegangen wurde als mit Parteifunktionären, zeigt indes ein weiterer Bericht zur Reichsbahn: In mehreren Betriebswagenwerken war es über mehrere Jahre hinweg zu Manipulationen von Rechnungen, zur Vortäuschung von Planerfüllung und zur Verschleierung von Schäden gekommen.45 Ermöglicht bzw. begünstigt wurden diese jahrelangen systematischen Betrügereien nach Auffassung des MfS dadurch, »dass die Verwaltungen Wagenwirtschaft der Reichsbahndirektionen Greifswald und Berlin ihrer Anleitungs- und Kontrollpflicht gegenüber den ihnen unterstellten Bww [Bahnbetriebswagenwerken] nicht in vollem Umfang nachkommen«. Da diese Verwaltungen in den Zuständigkeitsbereich des Verkehrsministeriums fielen, ging der Bericht auch an Minister Arndt. Dieser reagierte mit einem fast schon unterwürfig formulierten Schreiben, in dem er sich für die »wichtigen Hinweise, die in meiner weiteren Leitungstätigkeit Beachtung finden« werden, bedankte und ausführlich über die von ihm eingeleiteten Maßnahmen zur Beseitigung der Mängel Rechenschaft ablegte. Das Schreiben endet mit den Worten: »Abschließend darf ich feststellen, dass die erforderlichen Maßnahmen konsequent durchgesetzt werden und darüber hinaus alles getan wird, um zukünftig solchen Verstößen entgegenzuwirken.«46

Im März 1977 listete die ZAIG eine Reihe von »schweren Schäden, Störungen und Versorgungs- sowie Produktionsausfällen« in der Volkswirtschaft auf.47 Die Vorfälle konzentrierten sich vor allem auf die chemische Industrie, die Metallindustrie und die Braunkohleförderung. Als Ursachen machten die Berichterstatter »erneut« die Verletzung und Missachtung von Arbeits-, Gesundheits- und Brandschutzbestimmungen sowie eine »Unterschätzung der Durchsetzung von Prinzipien der Sicherheit, Ordnung und Disziplin in der Führungs- und Leitungstätigkeit« aus. Von einer Zunahme derartiger Vorfälle ist in dem Bericht zwar nicht explizit die Rede, doch sprachen die Mitarbeiter der Staatssicherheit von »Entwicklungstendenzen«, die Maßnahmen zur »Verbesserung der vorbeugenden Schadensbekämpfung« notwendig machten. Häufig waren Störungen der Energieversorgung Ursache für Produktionsausfälle, so in den Leuna- und Bunawerken oder im VEB Düngemittelkombinat Piesteritz. Auch großflächige Stromausfälle kamen vor, etwa in Ostberlin, wo infolge von Kabelbränden u. a. im Februar 1977 in Mitte, Prenzlauer Berg und Pankow 150 000 Einwohner ohne Strom blieben. Ausdrücklich wies der Bericht darauf hin, dass auch politisch sensible Bereiche wie »Objekte ausländischer Vertretungen« und Grenzsicherungsanlagen davon betroffen waren. Im Oktober fiel aufgrund eines Kurzschlusses die Elektroenergieversorgung in mehreren großen Wohnhäusern in der Leipziger Straße für mehrere Stunden aus.48

Dass die Energieversorgung in dieser Zeit die Achillesverse der DDR-Volkswirtschaft war, lag indes nicht nur an der Störanfälligkeit von Umspannwerken und Stromnetzen. Hier manifestierten sich auch die Folgen der internationalen Energiekrise, die – mit zeitlicher Verzögerung – auch die DDR erfasste. Schon im Sommer 1975 waren die Preise für Erdöl- und Erdgaslieferungen aus der Sowjetunion mehr als verdoppelt worden – zusätzliche jährliche Belastungen von 725 Millionen Mark waren die Konsequenz.49 1977 wurden daher Betriebe und Behörden angewiesen, ihren Energieverbrauch zu senken, der Kraftstoffverbrauch in der Landwirtschaft wurde kontingentiert und sogar die öffentliche Straßenbeleuchtung gedrosselt.50 Im Oktober 1977 schlug schließlich das MfS Alarm, da die Energieversorgung für den Winter 1977/78 nicht gesichert war.51 »Bei länger anhaltenden Frostperioden«, so hieß es, seien »bei den einzelnen Energieträgern Defizite bei der Abdeckung der Bedarfsspitzen« zu erwarten. Die Wärmeversorgung im Winter sei dadurch gefährdet. Schon im Sommer 1977 war die Versorgungslage angespannt gewesen, weshalb bei Brennstoffen so große Vorgriffe auf das IV. Quartal 1977 vorgenommen wurden, dass nun nur noch 30 Prozent der für diesen Zeitraum anvisierten Vorräte zur Verfügung standen. Zudem hatte sich der Ausfall verfügbarer elektrischer Energie aufgrund außerplanmäßiger Engpässe in Großkraftwerken durch Störungen im ersten Halbjahr 1977 gegenüber dem Vorjahreszeitraum mehr als verdoppelt. Als Ursachen für die hohe Störanfälligkeit der Kraftwerke wurden – wie so oft – personelle Schwächen ausgemacht: So ist von einem »teilweise nicht ausreichende[n] Niveau des Bedienungspersonals« die Rede, von einer »akute[n] Unterbesetzung mit Produktionsarbeitern«, vom »Nichtbeherrschen[ ] technologischer Prozesse«, aber auch von »zunehmende[n] Verschleißerscheinungen« aufgrund von »Rückstände[n] im Jahresreparaturprogramm«. Die Handlungsempfehlungen, die am Ende des Berichtes stehen, erschöpfen sich, wie in vielen anderen Fällen, weitgehend in Floskeln: »In Anbetracht der gegenwärtigen Lage in der Energieversorgung wird es als zweckmäßig erachtet, durch politisch-ideologische und entsprechende staatliche Orientierungen und Maßnahmen in den Energiewirtschaftsbetrieben der DDR verstärkt darauf hinzuwirken, den kontinuierlichen Winterbetrieb 1977/78 unter allen Bedingungen zu gewährleisten«. Zum Schluss hieß es: »Gleichzeitig sollte im Verantwortungsbereich der mittleren Leitungskader nochmals darauf eingewirkt werden, alle Anstrengungen zu unternehmen, mit hohem Verantwortungsbewusstsein die mit einem kontinuierlichen Winterbetrieb verbundenen Probleme zu lösen.« Statt den systemischen Ursachen für die Probleme auf den Grund zu gehen, wurde die Verantwortung von der politischen Führung abgelenkt und auf das Führungspersonal in den Betrieben abgewälzt.

2.3 Versorgungslage und Bevölkerungsstimmung

Besonders heikel waren wirtschaftliche Probleme für die SED-Führung, weil sie sich wie kein anderes Thema unmittelbar in der Stimmung der Bevölkerung niederschlugen. Gerade Erich Honecker wollte mit der von ihm proklamierten »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« eine spürbare Verbesserung des Lebensstandards erreichen und sich auf diese Weise die Loyalität der eigenen Bevölkerung erkaufen. War dieses Konzept bis Mitte der 1970er Jahre einigermaßen aufgegangen, so stagnierte die ökonomische Entwicklung mittlerweile zusehends.52 1977 schlug die wirtschaftliche Stagnation dann massiv auf die Versorgung mit Konsumgütern durch – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Stimmungslage: Hatte noch im Jahr 1976 von den sechs im eigentlichen Sinn als Stimmungsberichte zu kennzeichnenden Dokumenten der Serie »O« kein einziger die Versorgung zum Thema, waren es im Folgejahr schon acht von insgesamt zehn Stimmungsberichten dieser Reihe.

Seit Mitte der 1970er Jahre war das Netz von Intershops, in denen mit westlichen Devisen schwer erhältliche Konsumgüter und Westwaren erworben werden konnten, stark ausgebaut worden. Allein im Jahr 1977 stieg der Umsatz gegenüber dem Vorjahr um mehr als ein Viertel.53 Obwohl es den Bürgern seit Anfang 1974 erlaubt war, ausländische Währungen zu besitzen, stieß dieser Ausbau in der Bevölkerung auf Kritik, wie der erste Stimmungsbericht des Jahres vom Februar 1977 zeigt. Kritisiert wurde vor allem die durch diese Politik hervorgerufene einseitige Privilegierung solcher Bevölkerungsgruppen, »die direkte verwandtschaftliche oder andere persönliche Beziehungen […] in die BRD oder nach Westberlin« unterhielten. Dadurch, so heißt es weiter, würde »oftmals gerade jener Teil der DDR-Bevölkerung bevorteilt, der keine positive Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR besitze«, während der »überwiegende Teil der DDR-Bevölkerung, der ehrlich seiner Arbeit nachgehe und keine Gelegenheit zum Erwerb westlicher Devisen habe«, sich »zwangsläufig benachteiligt fühlen« müsse.54 Indirekt bestätigte das MfS diese Klagen über eine Art »Zwei-Klassen-Gesellschaft«, indem es darauf hinwies, dass die Beschwerden vorwiegend »seitens progressiver Kreise, teilweise auch von Mitgliedern der SED« sowie von solchen Arbeitern und Werktätigen geäußert würden, »die einen festen Klassenstandpunkt zu unserem Staat besitzen«. Gerade das macht das Dilemma der SED-Führung deutlich: Indem sie Konsumwünsche befriedigen und für den wirtschaftlichen Aufbau dringend benötigte Devisen ins Land holen wollte, vergraulte sie ausgerechnet ihre treuesten Anhänger.

Die Beschwerden über die Ausweitung des Intershop-Angebots verblassen aber geradezu vor dem Proteststurm, dem sich die DDR-Führung im Sommer des Jahres ausgesetzt sah: Aufgrund der stark gestiegenen Weltmarktpreise für Rohkaffee beschloss das Politbüro im Juli drastische Maßnahmen zur Einsparung, die zum 1. August wirksam wurden. Die günstige Sorte »Kosta« wurde eingestellt und die Qualität der teureren Sorten »Mona« und »Rondo« herabgesetzt. Gleichzeitig wurde ein neues Produkt namens »Kaffee-Mix« auf den Markt gebracht, das je zur Hälfte aus Bohnenkaffee und Surrogaten zusammengesetzt war. Es sollte auch in den Betriebskantinen und den günstigeren Lokalen eingesetzt werden.55 Erste Stimmungsberichte zeigen, dass Teile der Bevölkerung schon früh ahnten, was auf sie zukommen würde. In einem Bericht über »Reaktionen im Zusammenhang mit den in der ČSSR vorgenommenen Preisveränderungen bei Einzelhandelspreisen« vom 28. Juli wird zwar positiv erwähnt, dass im Gegensatz zu den Preiserhöhungen im Nachbarland die Verbraucherpreise für Kaffee und Baumwollerzeugnisse in der DDR trotz steigender Weltmarktpreise stabil geblieben seien.56 Gleichzeitig habe es aber »in allen Bevölkerungskreisen Diskussionen und Spekulationen über mögliche bzw. bevorstehende Preiserhöhungen in der DDR« gegeben. Ja selbst die Produktion von »gemischte[m] Kaffee« wurde antizipiert – wenn auch erst für das Jahr 1978. Einem weiteren, wenige Tage später zusammengestellten Bericht zufolge hatten sich die Gerüchte verdichtet und es war in »Einzelfällen« bereits zu Hamsterkäufen von Kaffee gekommen.57 Massiv wurde der Unmut in der Bevölkerung dann im August und September, als die günstigen Kaffeepackungen plötzlich aus dem Regal verschwunden waren und die schlechte Qualität des Ersatzproduktes »Kaffee-Mix« offenbar wurde. Es zeige sich, so der Bericht vom 1. September, dass »Qualität und Preis der neuen Kaffeesorte ›Kaffee-Mix‹ von breiten Kreisen der Bevölkerung abgelehnt werden«.58 Kritisiert wurde auch, dass der Mix mit den gängigen Kaffeemaschinen nicht zubereitet werden konnte und dass auch die teureren Kaffeesorten in ihrer Qualität herabgesetzt worden waren. Zudem verweigerten die Verbraucher sich dem Kaffee-Mix regelrecht: Der »Abkauf« dieser Sorte sei stark rückläufig und die Bestände in Handel und Großhandel wüchsen an. Ähnlich wie schon zu Beginn des Jahres bezüglich der Intershops wurde zudem eine Ungleichbehandlung beklagt: Die Sparmaßnahmen richteten sich »nur gegen den ›kleinen Mann‹«, da in Arbeitergaststätten nur noch Mischkaffee angeboten würde, während es in Interhotels weiterhin echten Kaffee gebe. Der Wegfall der günstigen Sorte »Kosta« wirke sich vor allem auf den Lebensstandard von Bürgern mit geringem Einkommen, insbesondere von Rentnern, negativ aus.59 Besonders heikel für die Parteiführung waren Meinungen, nach denen die Sparmaßnamen im Kaffeeverbrauch in keinem Verhältnis zu »›Repräsentationskosten auf höherer Ebene‹, zur ›Einfuhr von teuren Westwagen für Funktionäre‹, zur Nutzung von Dienstwagen für private Zwecke usw.« stünden,60 wurde dadurch doch die erlebte Kluft zwischen »einfachem« Volk und politischer Elite in deutliche Worte gefasst. Hier verwies das MfS denn auch vorsorglich darauf, dass solche Meinungen »in Anlehnung an ›Argumente‹ westlicher Massenmedien« geäußert würden.

Kritisiert wurde überdies die mangelnde Informationspolitik. Die Menschen äußerten Unverständnis darüber, dass in der Presse zu den Maßnahmen keine Stellung bezogen worden sei und daher beispielsweise das Bedienungspersonal in Gaststätten »von den vollkommen überrascht mit Mischkaffee bedienten Kunden beschimpft würde«, wodurch es veranlasst werde, »entweder mitzuschimpfen oder zu kündigen«.61 Damit stand die Bevölkerung indes nicht alleine dar: Auch das MfS selbst fühlte sich über die konsumpolitischen Maßnahmen der Regierung offenbar nicht ausreichend informiert. So heißt es am Ende des erwähnten Berichts vom Februar 1977: »Da in den operativen Diensteinheiten des MfS offenkundig keine Klarheit darüber besteht, in welcher Form sich die weitere Entwicklung des Handelsnetzes und des Angebots der Intershop-Läden vollziehen soll, sie aber in der operativen Arbeit, besonders der Reaktion der Bevölkerung, zunehmend auch mit solchen Problemen konfrontiert werden, wäre es zweckmäßig, durch die entsprechende Diensteinheit eine diesbezügliche Information für die Leiter der operativen Diensteinheiten des MfS erarbeiten zu lassen.«62

Keiner der hier behandelten Stimmungsberichte wurde an Mitglieder der Regierung oder der Parteiführung weitergeleitet. Über den Unmut der Bevölkerung angesichts der konsumpolitischen Maßnahmen war die DDR-Führung aber trotzdem bestens unterrichtet. Denn aus allen Bezirken erreichten die SED-Führung Berichte über Proteste, und die zuständigen staatlichen Behörden sowie die Kaffeebetriebe sahen sich mit einer Flut von Beschwerden und Eingaben konfrontiert.63 Auch die Westpresse hatte das Thema aufgegriffen.64 In der Bevölkerung kursierten Spottnamen für den Kaffee-Mix wie »Erichs Krönung« oder »Edescho – Erichs Devisenschoner«, die sich zudem an Westmarken anlehnten. Mehr noch als der geballte Unmut zwang die schlichte Kaufverweigerung der Verbraucher die Regierung rasch zum Einlenken. Bereits im September wurde der Preis für den Kaffee-Mix von 6,50 auf 4,00 Mark herabgesetzt,65 im Januar 1978 beschloss das Politbüro, die Produktion des Kaffee-Mix ganz einzustellen.66

Die »Kaffeekrise« war aber nur der offensichtlichste Ausdruck der allgemeinen Unzufriedenheit in der Bevölkerung der DDR. Wie schlecht die Stimmung grundsätzlich war, zeigt ein allgemein mit »Tendenzen der Unzufriedenheit in der Reaktion der Bevölkerung der DDR« überschriebener Bericht.67 Unverblümt ist hier von »zunehmender Unzufriedenheit« in »breiten Kreisen der Bevölkerung der DDR, insbesondere unter Werktätigen« die Rede. Es seien dabei in »allen Bevölkerungsschichten« »skeptische, resignierende, pessimistische und negative Meinungen« festzustellen. Auch hier wird, wie in den bisherigen Berichten, vor allem die schlechte Versorgungslage als Grund für die Unzufriedenheit genannt. Stärker als bisher reflektieren die hier zusammengefassten Meinungen aus der Bevölkerung aber auch die tieferen Ursachen, die dahinter steckten, und die der Volkswirtschaft der DDR ein denkbar schlechtes Zeugnis ausstellten: Ursachen für die schlechte Planerfüllung seien die »mangelhafte Arbeitsorganisation«, »Unplanmäßigkeit der Betriebsabläufe«, »mangelhafte und unkontinuierliche Materialbereitstellung« sowie »Vergeudung von Arbeitszeit und Material«. Besonders heikel für das MfS war, dass in diesem Zusammenhang sogar von Arbeitern auf Thesen des Systemkritikers Rudolf Bahro Bezug genommen wurde – dessen Buch »Die Alternative« ja gerade verboten worden war: »Es stimme, dass in Betrieben Schlamperei, Verantwortungslosigkeit, mangelnde Arbeitsmoral bei vielen Beschäftigten vorhanden seien; in einigen Betrieben herrsche eine direkte ›Lotterwirtschaft‹; es werde Material vergeudet, die Arbeitszeit nicht ausgenutzt und z. T. durch Planlosigkeit wertvolles Rohmaterial ohne Nutzen verschwendet.« Es wirkt wie ein Alibi, wenn am Schluss darauf hingewiesen wird, dass viele dieser Äußerungen »zielgerichtete ›Argumentationen‹ und Termini westlicher Massenmedien« widerspiegelten.

Ein solcher Bericht hätte sowohl das MfS als auch das Politbüro eigentlich in Alarmstimmung versetzen müssen, aber Mielke zog es wohlweislich vor, ihn nicht an die Parteiführung weiterzuleiten. Vor diesem Hintergrund entbehrt es nicht einer gewissen Ironie, dass gerade in diesem Bericht der mangelnde Informationsfluss nicht nur von oben nach unten, sondern auch in die umgekehrte Richtung beklagt wurde: »Es wird angezweifelt, dass von unten nach oben in allen Einzelheiten über unbefriedigende Entwicklungen und Stimmungen berichtet würde. Es habe den Anschein, dass in zentralen leitenden Organen z. T. keine klaren Vorstellungen über die den Durchschnittsbürger bewegenden Probleme vorhanden wären und deshalb für ihn schwer erklärbare Beschlüsse gefasst würden.«68

2.4 Die Kirchen

Die Kirchen, insbesondere die evangelische Kirche, standen stets im besonderen Interesse des MfS. Das spiegelt sich auch in der hohen Zahl von ZAIG-Berichten wider, die sich mit kirchlichen Themen beschäftigten: Im Jahr 1977 waren es 27 Informationen. Dabei handelt es sich fast ausschließlich um Berichte über offizielle Sitzungen kirchlicher Gremien auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. Informiert wird u. a. über Tagungen verschiedener Landessynoden, über Sitzungen der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen und der Berliner Bischofskonferenz sowie über die Konferenz der europäischen Kirchen. Die Berichte sind überdurchschnittlich lang, umfassen häufig zehn bis zwanzig Blatt und geben den Verlauf der Sitzungen und die Diskussionsbeiträge sehr ausführlich, oft mit wörtlichen Zitaten wieder. Der Hinweis auf die mögliche »Quellengefährdung«, der in fast keinem der Informationen fehlt, zeigt, dass jeweils IMs unter den Sitzungsteilnehmern waren, die dem MfS direkt berichten konnten. Die Ausführlichkeit der Berichte über kirchliche Gremiensitzungen scheint in den meisten Fällen in keinem Verhältnis zur politischen Brisanz der Diskussionen zu stehen – die Berichterstatter selbst betonen wiederholt, dass es vorrangig um innerkirchliche Angelegenheiten ging. Ein genauerer Blick zeigt aber die neuralgischen Punkte, auf die das MfS besonderes Augenmerk legte, und auf die unabhängig vom tagenden Gremium immer wieder Bezug genommen wurde. Es sind dies die Themen Menschenrechte, Ausreise und Volksbildung sowie Bezugnahmen auf die Selbstverbrennung von Pfarrer Brüsewitz im Vorjahr.

Seit Ende der 1960er Jahre war es in der DDR zu einer allmählichen Annäherung zwischen Staat und Kirche gekommen. Die evangelischen Kirchen auf dem Gebiet der DDR hatten sich in einem eigenen »Bund der Evangelischen Kirchen« (BEK) zusammengeschlossen, den die Staatspartei 1971 anerkannte. Die SED begann spätestens 1976, sich »auf eine langfristige Koexistenz mit Religion und Kirche einzustellen«.69 Diese relative Harmonie zwischen Staat und Kirche wurde im August des Jahres durch ein schockierendes Ereignis gestört: die Selbstverbrennung des Pfarrers Oskar Brüsewitz in Zeitz.70 Zwar war es der SED gelungen, die Veröffentlichung der Protesterklärung der Kirchenleitung gegen diffamierende Zeitungskommentare zu Brüsewitz’ Suizid zu unterdrücken – die Erklärung wurde lediglich in den Gemeinden verlesen und ausgelegt. Doch die Vorgänge belasteten das Verhältnis von Staat und Kirche und schürten zudem innerkirchliche Konflikte, da das Verhalten der Kirchenleitung von der Basis vielfach als zu entgegenkommend erachtet wurde. Die Folgen waren auch im Jahr 1977 noch deutlich spürbar.

Die ZAIG-Berichte über die Synoden und Kirchenkonferenzen des Jahres 1977 zeigen das gespannte Verhältnis von Staat und Kirche, lassen aber gleichzeitig das Bemühen erkennen, die Wogen zu glätten, ohne heikle Themen völlig auszublenden.71 Paradigmatisch hierfür kann die Synode der evangelischen Kirche in Görlitz im März stehen. Schon der Tätigkeitsbericht der Kirchenleitung, so heißt es in der betreffenden ZAIG-Information, sei »politisch vorsichtig formuliert« gewesen und enthielt »keine wesentlichen Bezüge zu gesellschaftlichen Problemen«.72 In der »Angelegenheit Brüsewitz« seien zwar die »bekannten Vorwürfe gegen den Staat erhoben« worden, »jedoch in sehr zurückhaltender Form«. Beim Thema »Volksbildung« hatte sich Bischof Fränkel dem Bericht zufolge auf die »Generallinie des Staates« berufen, nach der es keine Diskriminierung und Benachteiligung christlicher Kinder gebe und betont, dies »könne auch an ganz konkreten Fällen nachgewiesen werden«. Es ginge zudem nicht an, »dass Eltern mit ihren Beschwernissen in der Schule nicht zum Klassenleiter oder Direktor gehen, aber gegenüber Besuchern aus der BRD erklären, dass sie unterdrückt würden und nicht hier leben können«. Der Bericht von Fränkel sei mit »starkem Beifall aufgenommen« worden, überwiegend sei eine »positive Wertung« zum Ausdruck gekommen, wenn auch andererseits Bedenken geäußert worden seien, der Bericht sei »zu taktisch und advokatisch« gewesen.

Auch die anderen kirchlichen Tagungen verliefen aus Sicht des MfS unspektakulär: In Dessau habe man sich ausschließlich mit innerkirchlichen Problemen sowie mit dem Weltkongress religiöser Friedenskräfte in Moskau befasst; während der gesamten Synode seien »keine negativen Aussagen zu politischen oder gesellschaftlichen Problemen« gefallen.73 Die Synode der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg sei ebenfalls »ohne besondere Vorkommnisse« verlaufen; es habe offensichtlich die Absicht bestanden, »Ansatzpunkte zur Belastung des Verhältnisses Staat – Kirche nicht entstehen zu lassen«. »Provokatorische Angriffe« auf die gesellschaftlichen Verhältnisse der DDR oder »provokatorische[ ] Auseinandersetzungen der Synodalen zu politischen Problemen«, habe es, im Gegensatz zu früheren Synodaltagungen, nicht gegeben.74 Bei der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen Ende April/Anfang Mai habe Bischof Schönherr im Hinblick auf das geplante Gespräch mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen geäußert, es gehe darum, »das gute Verhältnis zwischen Staat und Kirche« herauszustellen und zu betonen, »dass die Kirche an seiner weiteren Verbesserung interessiert sei«.75

Zwar hatte es in den Gremiensitzungen auch immer wieder kritische Äußerungen gegeben, doch blieben diese stets in der Minderheit oder wurden bereits im Vorfeld unterbunden. Auf der Synode in Mecklenburg trat dem MfS zufolge ein Pfarrer »im Zusammenhang mit Übersiedlungs- und ›Menschenrechts‹-Fragen politisch negativ auf«. Er kritisierte, dass die Kirche im Hinblick auf Reisemöglichkeiten »fast schon eine privilegierte Gesellschaft in dieser Gesellschaft geworden ist« und wollte eine öffentliche Stellungnahme zur »seelischen Not« von Ausreiseantragstellern erreichen; sein diesbezüglicher Antrag wurde allerdings mit großer Mehrheit abgelehnt.76 Auch Propst Winter fand mit seinen kritischen Ausführungen zu den Vorgängen um Brüsewitz sowie zur Bildungspolitik auf der Berlin-Brandenburgischen Synode wenig Gehör.77 Von der Synode in Görlitz berichtete die ZAIG, ein Pfarrer habe »provokatorische Anfragen« zu Problemen der Volksbildung und der Menschenrechte beabsichtigt; diese hätten jedoch »durch gezielte Maßnahmen« unterbunden werden können.78

Auch westdeutsche Gäste äußerten sich den ZAIG-Berichten zufolge auf den Tagungen nicht in »negativer« Weise. So waren beispielsweise in Görlitz zwei Vertreter der EKD und ein Kirchenfunktionär aus Westfalen anwesend, die aber keine »[p]olitisch relevante[n] oder gegen die DDR gerichtete[n] Aussagen« gemacht hätten.79 Anlässlich des Besuchs des Vorsitzenden der (west-)deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Höffner, in der DDR konnte das MfS sogar mit Genugtuung feststellen, dieser sei »von den Möglichkeiten der praktischen Religionsausübung in der DDR überrascht« gewesen und habe einige diesbezügliche »falsche Vorstellungen« korrigieren können.80

Die gegenüber dem Vorjahr geringere Brisanz von kirchenpolitischen Themen lässt sich auch an den Verteilern der Berichte ablesen: War 1976 noch jeder vierte von insgesamt 31 ZAIG-Berichten an Honecker weitergeleitet worden, war es ein Jahr später nur jeder neunte. Alle übrigen gingen lediglich an den Leiter der Arbeitsgruppe für Kirchenfragen beim ZK, Willi Barth, bzw. ab März 1977 an seinen Nachfolger Rudi Bellmann, sowie mit einigen Ausnahmen an Paul Verner, der im Politbüro für Kirchenfragen zuständig war. Zwei der Berichte, die auch Honecker erhielt, befassten sich mit Angelegenheiten der katholischen Kirche,81 im dritten ging es um »negative Aktivitäten der Kirchenleitung der Evangelischen Kirchenprovinz Sachsen«: Die Kirchenleitung hatte sich über die aus ihrer Sicht zu weit gehende Ermittlungstätigkeit gegen Mitglieder der »Jungen Gemeinde« beschwert, die in Weißenfels Forderungen nach Freiheit und Menschenrechten an Autos und Wänden angebracht hatten.82

2.5 Flucht und Ausreise

Grenzfragen waren für die DDR-Führung immer Sicherheitsfragen und es war daher selbstverständlich, dass das MfS in allen Fällen von Grenzverletzungen – von östlicher wie von westlicher Seite –, bei Fluchten und Fluchtversuchen sowie bei Ausreiseanträgen eine wichtige Rolle spielte. Die Entspannungspolitik hatte im Hinblick auf diese Probleme in doppelter Hinsicht verschärfend gewirkt: Zum einen erleichterte das Ende 1971 geschlossene Transitabkommen zwischen der Bundesrepublik und der DDR Fluchten und Ausschleusungen über die Transitstrecken erheblich.83 Zum anderen konnten sich Ausreisewillige seit dem Abschluss der KSZE-Verhandlungen auf Korb III der Schlussakte der Konferenz berufen, in der die Unterzeichnerstaaten  ihre Absicht erklärten, Reise- und Kontaktmöglichkeiten über die Grenzen hinweg zu verbessern.84 Das MfS hatte aus diesem Grund im Jahr 1976 eigens eine Zentrale Koordinierungsgruppe »Bekämpfung von Flucht und Übersiedlung« (ZKG) sowie entsprechende Bezirkskoordinierungsgruppen in den Bezirksverwaltungen gegründet.85

Von DDR-Bürgern gestellte Ausreiseanträge wurden von den Behörden prinzipiell als »rechtswidrig« eingestuft und abgelehnt. Die Antragsteller sahen sich Repressalien ausgesetzt, wenn sie ihre Anträge nicht zurückzogen; zumindest der Verlust des Arbeitsplatzes war in der Regel unvermeidlich.86 Um zu ihrem Ziel zu kommen, stellten die Betroffenen immer wieder Anträge, wandten sich mit Eingaben an das ZK der SED oder sogar direkt an Erich Honecker. Einige versuchten durch öffentlichkeitswirksame Aktionen auf sich aufmerksam zu machen und wandten sich an westdeutsche Medien, internationale Organisationen oder prominente Persönlichkeiten. Wie leicht nachzuvollziehen ist, waren es gerade diese Fälle, auf die die DDR-Führung mit Rücksicht auf ihr internationales Ansehen besonders empfindlich reagierte. Die meisten der insgesamt 27 ZAIG-Berichte zum Thema Ausreise befassen sich daher mit diesen speziellen Fällen.

Dass es dem MfS dabei weniger um die betroffenen Personen selbst als um das Bekanntwerden von Ausreisewünschen in der westdeutschen Öffentlichkeit ging, zeigen schon die Überschriften der Informationen, die jeweils »Ergebnisse der Überprüfungen zu Veröffentlichungen der Westpresse im Zusammenhang mit …« oder ähnlich lauteten. Die Informationen verfolgten in erster Linie den Zweck, die westdeutschen Presseberichte zu widerlegen, häufig ist ihnen sogar schon der Entwurf einer Pressemitteilung beigefügt, die einer Gegendarstellung gleichkam und die zumeist ohne größere Änderungen in der DDR-Presse veröffentlicht wurde. Hinzu kommen die üblichen Versuche, die Antragsteller persönlich zu diskreditieren und ihre Motive als unbegründet darzustellen. Beispielsweise war im Frühjahr 1977 der Fall der Familie Meißner im Westen bekannt geworden, die seit Ende 1975 mehrere Ausreiseanträge gestellt hatte.87 Die Familie hatte sich in dieser Angelegenheit nicht nur an Erich Honecker gewandt (die Eingabe ließ sie der »Saarbrücker Zeitung« zukommen, die sie veröffentlichte), sondern auch Briefe an die UNO-Menschenrechtskommission, UNO-Generalsekretär Kurt Waldheim und US-Präsident Jimmy Carter geschickt. Besonders letzteres erregte in der Bundesrepublik Aufsehen.88 Der Familienvater Meißner wurde daraufhin vom MfS verhaftet. Während in der Information in diesem Zusammenhang »massive Hetze« und »grobe staatsverleumderische Äußerungen gegen die Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR« in den beschlagnahmten Briefen erwähnt werden, hieß es in der nur einen Tag später veröffentlichten ADN-Meldung, Meißner sei wegen »Verdachts der Zusammenarbeit mit dem BND und kriminellem Rowdytum« verhaftet worden.89

Wie Meißner hatte sich auch der Germanist Hellmuth Nitsche, der sich in der DDR beruflich diskriminiert fühlte, nach mehreren erfolglosen Ausreiseanträgen mit einem Brief an US-Präsident Carter gewandt, der in Auszügen in der Westpresse veröffentlicht wurde.90 In den ZAIG-Berichten zu diesem Fall, die außerhalb des MfS nur an Honecker gingen, wird der Vorwurf der Diskriminierung zurückgewiesen; Nitsche werden zudem »kleinbürgerliches Auftreten« sowie »ein[ ] ausgeprägte[s] Geltungsbedürfnis[ ] und querulantenhafte[ ] Verhaltensweisen« attestiert.91 Wie in anderen Fällen auch, finden sich am Schluss ausführliche Handlungsempfehlungen. So riet das MfS dazu, gegen Nitsche und seine Ehefrau Ermittlungsverfahren wegen Staatsverleumdung einzuleiten. Von einer Genehmigung der Übersiedlung wird indirekt abgeraten, da dies zur Nachahmung anregen könnte: Im Ergebnis einer solchen Entscheidung, so hieß es, wären Übersiedlungsersuchen anderer Personen »nicht auszuschließen«, die ein »ähnliches Vorgehen« praktizieren könnten. Zum Schluss gab das MfS zu bedenken: »Mit hoher Sicherheit ist auch davon auszugehen, dass Nitsche – sofern einer Übersiedlung zugestimmt würde – sich aufgrund seiner feindlichen Einstellung zur sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung der DDR fest in das System der feindlichen Organisationen und Einrichtungen und der von diesen ausgehenden Angriffe gegen die DDR und andere sozialistische Staaten integrieren würde.« Diese Vermutung sollte sich als prophetisch erweisen, denn ein halbes Jahr nach seiner Entlassung in die Bundesrepublik wurde Nitsche zum Vorsitzenden der »Gesellschaft für Menschenrechte« gewählt, die sich vor allem gegen Menschenrechtsverletzungen in der DDR einsetzte.92

Ein weiteres Problem für das MfS stellten die Fluchthilfeorganisationen dar, die in den Berichten stets als »kriminelle Menschenhändlerbanden« auftauchen. Organisierte Fluchten über die Transitstrecken nahmen 1977 wieder zu, die Zahl der Verhaftungen von Fluchthelfern ab.93 Von besonderer Brisanz war ein Fall im Juli, bei dem ein sechs Monate altes Kleinkind im Kofferraum des Pkw erstickte.94 Um etwaigen Vorwürfen der Westpresse bezüglich einer Mitschuld der Grenzkontrolleure zuvorzukommen, betonte das MfS, der Tod des Kindes sei »zweifelsfrei vor Eintreffen des Schleusungsfahrzeuges an der Grenzübergangsstelle eingetreten« und es wurde eine entsprechende ADN-Meldung herausgebracht.95 Darüber hinaus sind die ZAIG-Berichte von dem Bestreben des MfS gekennzeichnet, eigene Erfolge bei der Verhinderung von Ausschleusungen herauszustreichen. So berichtete die ZAIG im März über die Festnahme von sechs Bundesbürgern, die die erleichterten Einreisebestimmungen für Besucher der Leipziger Messe ausgenutzt hatten, um DDR-Bürger über die Grenze zu bringen.96 Im Verlauf des Jahres konnte das MfS weitere Verhaftungserfolge vermelden.97

Solche Erfolge konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die meisten Ausschleusungen unentdeckt blieben. Eine Information vom Oktober »über den Umfang und die bisherigen Ergebnisse der Durchsetzung der Maßnahmen zur Erhöhung der Wirksamkeit des Kampfes gegen den Missbrauch der Transitwege« liest sich vor diesem Hintergrund wie eine Rechtfertigungsschrift: Die ZAIG listete akribisch die Zahl der Verdachtskontrollen – untergliedert nach »Verdachtsgründen« – sowie die festgestellten »Missbrauchshandlungen« des Transitabkommens auf. Zum Schluss betonten die Berichterstatter, dass in der »überwiegenden Mehrzahl« der durchgeführten Verdachtskontrollen »Hinweise über Kontakte, Verbindungen und Zusammenkünfte von Transitreisenden mit Bürgern der DDR sowie Zusammenhänge verdächtiger Handlungen und Verhaltensweisen« ermittelt werden konnten. In Fällen, in denen keine unmittelbaren Beweise für einen Missbrauch der Transitwege erbracht werden konnten, hätten »die durch die Kontroll- und Überprüfungsmaßnahmen gewonnenen Hinweise« immerhin zu »bedeutsamen Feststellungen« geführt – welcher Art diese »Feststellungen« waren, ließ der Bericht offen.98

Auch in Fällen, in denen Versuche, die Übersiedlung in die Bundesrepublik durch Geiselnahmen oder deren Androhung zu erreichen, verhindert werden konnten, betonte das MfS seine Erfolge und den dafür notwendigen hohen Aufwand. So seien zur Verhinderung einer angedrohten Geiselnahme »sehr umfangreiche Maßnahmen eingeleitet und durchgesetzt« worden: »Es war notwendig, im beträchtlichen Umfang Spezialkräfte einzusetzen, zusätzliche Kräfte aus anderen Bezirken zuzuführen, eine Reihe spezifischer Mittel und Methoden anzuwenden, spurenkundliche Untersuchungen zu führen sowie technische Maßnahmen durchzuführen«.99 In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass ein ausführlicher Bericht über die Fluchthilfeorganisation von Kay Mierendorff, der zur Verteilung an Honecker, Außenminister Fischer und den KGB in Karlshorst vorgesehen war, von ZAIG-Chef Irmler zurückgehalten wurde.100 Der Bericht informierte ausführlich über Struktur und Methoden der Gruppe, machte aber auch deutlich, dass Mierendorff schon mindestens 125 Ausschleusungen über die Transitwege gelungen waren. Aus dem Schlussabsatz, in dem das MfS üblicherweise über weitere vorgesehene Maßnahmen unterrichtete oder entsprechende Vorschläge unterbreitete, spricht in diesem Fall die pure Ratlosigkeit: »Es wird vorgeschlagen, die Information über das MfAA [Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten] den sowjetischen Organen zu übergeben und in Abhängigkeit vom Ergebnis der Konsultationen weitere geeignete Maßnahmen festzulegen.«

2.6 Asylsuchende und Grenzverletzungen von westdeutscher Seite

Fast ebenso viele Informationen wie zum Themenkreis Flucht und Ausreise – insgesamt 23 – befassten sich mit Grenzdurchbrüchen von westlicher Seite sowie mit Asylersuchen von Bürgern aus der Bundesrepublik oder aus Westeuropa. Bei den Grenzdurchbrüchen handelte es sich häufig um Betrunkene oder um Kinder und Jugendliche, die entweder als »Mutprobe« oder in Unkenntnis des genauen Grenzverlaufs auf das Gebiet der DDR gelangten. Handelten die betreffenden Personen »vorsätzlich« oder sogar, so eine häufige Formulierung, »in provokatorischer Absicht«, wurden sie in der Regel zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt.101 In den anderen Fällen wurden sie nach Feststellung der Personalien in die Bundesrepublik bzw. nach Westberlin entlassen.102 Das MfS ermittelte nicht nur die Motive und Umstände des Grenzübertritts, sondern ging in vielen Fällen auch dem persönlichen Hintergrund der Grenzverletzer nach. Am Ende dieser Berichte finden sich jeweils Entwürfe für Pressemitteilungen, die vom ADN in der Regel ohne größere Änderungen übernommen und im »Neuen Deutschland« bzw. in der jeweiligen Bezirkspresse veröffentlicht wurden. Damit sollte etwaigen abweichenden Darstellungen in der Westpresse zuvorgekommen werden, denn das MfS wollte vor allem gewährleisten, dass von westlicher Seite im Zusammenhang mit den Festnahmen von »Grenzverletzern« keine Vorwürfe erhoben wurden, die dem internationalen Ansehen der DDR hätten schaden können.103

Immer wieder kamen auch Bundesbürger zur Grenze, um Asyl in der DDR zu beantragen. Häufig handelte es sich dabei um Menschen, die am Rande der Gesellschaft lebten. Motive waren daher Arbeitslosigkeit, soziale oder berufliche Probleme, die Flucht vor Strafverfolgung oder Unterhaltsverpflichtungen sowie allgemeine »Unzufriedenheit mit den Lebensverhältnissen« in der Bundesrepublik.104 Politische Motive werden in den ZAIG-Berichten dagegen nicht erwähnt. Von früheren Hoffnungen, Bundesbürger in einer nennenswerten Größenordnung zur Übersiedlung in die DDR zu bewegen,105 hatte sich die SED-Führung in den 1970er Jahren längst verabschiedet. Daher spielten im Hinblick auf die Frage nach Aufnahme oder Ablehnung Übersiedlungswilliger vor allem sicherheitspolitische Erwägungen eine Rolle. Spione und politisch unliebsame Zuwanderer sollten ausgesiebt werden. Ebenso sollten in der Bundesrepublik straffällig gewordene Personen und solche, die als »asozial« oder »arbeitsscheu« eingestuft wurden, in der DDR keine Aufnahme finden. Obwohl derartige Befürchtungen eine reale Grundlage hatten – zwei Drittel der erstmalig in die DDR Ziehenden und ein Viertel der Rückkehrer waren in der Bundesrepublik straffällig geworden106 – ist das Sicherheitsbedürfnis des MfS im Hinblick auf die Zuwanderung aus der Bundesrepublik mit Recht als hypertroph gekennzeichnet worden.107

Hinter den sicherheitspolitischen Bedenken traten auch propagandistische Erwägungen zurück: Nach außen konnten Übersiedler als Beweis für die Attraktivität des realsozialistischen Systems dienen, nach innen sollten sie Ausreise- und Fluchtwillige abschrecken. Dass die Pressemitteilungen, die aus Anlass der Asylersuchen veröffentlicht wurden, propagandistischen Zwecken dienen sollten, erscheint allerdings zweifelhaft, da sie sehr knapp gefasst waren und über die Übersiedlungsmotive wenig aussagten. Brauchbarer war dafür eine Sammlung persönlicher Briefe von rückkehrwilligen DDR-Flüchtlingen, die die ZAIG als »für eine Auswertung in der Öffentlichkeit geeignet« betrachtete.108 Die betroffenen Personen schilderten in den Briefen ausführlich ihre Erfahrungen mit sozialer Unsicherheit, Wohnungs- und Arbeitslosigkeit, ihre »Enttäuschung über die kapitalistischen Verhältnisse«, klagten über zunehmende Kriminalität sowie über die »Missachtung der Würde des Menschen« in der Bundesrepublik. Propagandistisch auswerten wollte das MfS auch das Asylersuchen eines britischen Staatsbürgers – dem einzigen in den ZAIG-Berichten von 1977 vorhandenen Fall, in dem genuin politische Motive eine Rolle spielten. Der Journalist, Mitglied der Kommunistischen Partei Großbritanniens und tätig für eine Zeitschrift der Bergarbeitergewerkschaft, bat gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter um Asyl in der DDR.109 Er war im Rahmen einer Solidaritätsaktion zu einem Streik nach London gefahren, wo er festgenommen wurde. Er gab an, er und seine Familie seien von der »Geheimpolizei« bedroht worden, u. a. dahingehend, dass seiner Frau, einer Finnin, die Aufenthaltserlaubnis entzogen würde. Darüber hinaus seien Andeutungen gemacht worden, seinem Kind könne etwas zustoßen. Das MfS holte über die Abteilung Internationale Verbindungen des ZK und die HV A Erkundigungen über den Journalisten ein. Wie aus einer dem Bericht beiliegenden Information der HV A hervorgeht, empfahl Mielke noch vor Abschluss des Aufnahmeverfahrens eine propagandistische Auswertung des Falles unter Einbeziehung des FDGB.110

3. Zur Struktur der Berichte

Die Edition umfasst drei unterschiedliche Berichtsserien, die jeweils aus der Ablage des ZAIG-Sekretariats stammen. Die bei Weitem größte Gruppe bilden die Inlandsberichte der sogenannten Informationen mit 296 Berichten. Hinzu kommen die Nebenserien der Ablage O (»Reaktion der Bevölkerung zu politischen u. a. Ereignissen«) mit 17 Berichten und der Ablage K (u. a. »Verschiedenes«) mit 19 Berichten. (Zählung jeweils ohne die ebenfalls in die Edition aufgenommenen alternativen Fassungen.) Alle drei Serien wurden als Berichte für die politische Führung der DDR angefertigt.

3.1 Reihe Informationen

Die Informationen bilden die Hauptserie der ZAIG-Berichte. Der überwiegende Teil dieser Serie stammt aus dem Meldeaufkommen der Hauptverwaltung A und befasst sich dementsprechend mit politischen, wirtschaftlichen und militärischen Themen der Bundesrepublik und des nichtsozialistischen Auslands sowie mit den internationalen Beziehungen. Diese Berichte wurden allein von der HV A verantwortet und lediglich über die ZAIG verteilt.111 296 der insgesamt 790 für das Jahr 1977 erstellten Informationen, das entspricht 37,5 Prozent, sind den Inlandsberichten zuzurechnen. Dies fügt sich ein in die stete Zunahme des Anteils der Inlandsberichte an den Informationen seit Ende der 1950er Jahre.112 Die Inlandsberichte sind – im Gegensatz zu denen der übrigen Jahrgänge – sämtlich überliefert und konnten daher vollständig in die Edition aufgenommen werden. Die Anzahl der Informationen liegt, bezogen auf den Zeitraum von 1959 bis 1989, deutlich über dem Durchschnitt; während der 1970er Jahre gab es nur im Jahr 1973 eine größere Zahl von Inlandsberichten.113

Die Dokumente haben im Original in der Regel einen Umfang von zwei bis sechs Blatt, Berichte von mehr als zehn Blatt Umfang sind selten. Hinzu kommen in vielen Fällen Anlagen, zum Teil vom MfS selbst erstellte wie Statistiken, Listen und Entwürfe für Pressemitteilungen, zum Teil aber auch konspirativ beschafftes Material, etwa Dokumente der Opposition oder aus Kirchenkreisen.

Grundlage für die Edition ist zumeist das Ablageexemplar, d. h. das bei der ZAIG verbliebene Exemplar der jeweiligen Information; nur in einem Fall ist das von Honecker zurückgegebene Exemplar überliefert.114 Die formale Gestaltung der Berichte ist durch die Verwendung von Vordrucken weitgehend vereinheitlicht. Der Vordruck enthält die Angaben »Ministerium für Staatssicherheit«, »Information über …« sowie Felder für die Registriernummer, das Datum (zumeist mit Stempel aufgebracht), die Blattzahl und die Nummer des Exemplars. Hinzu kommt der Vermerk »Streng geheim! Um Rückgabe wird gebeten!«115 Denn alle verteilten Informationen waren nach Lektüre an das MfS zurückzugeben, und die Rückgabe wurde sorgfältig kontrolliert und protokolliert.116 Der Verteiler wurde, gegebenenfalls mit weiteren Zusätzen, handschriftlich auf dem jeweiligen Deckblatt notiert.

Unter den Informationen befinden sich auch drei verschiedene Arten von periodischen Berichten, die jeweils Mitte der 1970er Jahre entstanden sind.117 Zum einen 52 wöchentliche Meldungen zu den Deviseneinnahmen aus dem Zwangsumtausch, jeweils gegliedert nach Bundesdeutschen, Bürgern Westberlins und Bürgern »anderer nichtsozialistischer Staaten«; des Weiteren 22 Statistiken zum grenzüberschreitenden Reiseverkehr. Hierunter fanden sich Aufstellungen über den Umfang der zu erwartenden und der tatsächlich erfolgten Einreisen von Personen aus Westberlin und aus nichtsozialistischen Staaten jeweils für den Weihnachts-, den Oster- und den Pfingstzeitraum. Hinzu kommen Quartalsberichte über den Transitverkehr zwischen der Bundesrepublik und Westberlin sowie über Einreisen aus sozialistischen Staaten. Die dritte Kategorie periodischer Berichte bilden die Informationen über »Aktivitäten, Vorkommnisse und rechtswidrige Handlungen von Angehörigen der in Westberlin stationierten westlichen Besatzungstruppen bei der Einreise und dem Aufenthalt in der Hauptstadt der DDR«. Hatte es für die ersten drei Quartale des Jahres 1976 zu diesem Thema nur eine zusammenfassende Information gegeben, wurde ab Oktober 1976 monatlich Bericht erstattet;118 diese enge Berichtsfolge wurde für das gesamte Jahr 1977 beibehalten.119 Die Berichte dokumentieren die genaue Anzahl der Einreisen von Angehörigen der in Westberlin stationierten Besatzungstruppen nach Ostberlin und listen penibel sämtliche Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung der DDR auf, häufig ergänzt um ausführliche Fotodokumentationen.120 Besonderes Augenmerk wurde auf westalliierte Aufklärungsfahrzeuge gelegt, die in Sperrgebiete eindrangen oder an militärischen oder sicherheitspolitisch relevanten Objekten vorbeifuhren, insbesondere wenn die Insassen der Fahrzeuge diese fotografierten. Wie die übrigen periodischen Informationen sind auch diese Berichte stark formalisiert abgefasst und folgen einem weitgehend einheitlichen Schema.

Für den Blick des MfS auf die Gesellschaft der DDR von weit größerem Interesse sind die übrigen 209 Informationen, die ein breites thematisches Spektrum abdecken. Die kürzeren befassen sich überwiegend mit »besonderen Vorkommnissen«, insbesondere mit Grenzverletzungen (von beiden Seiten), Asylanträgen von Westdeutschen, Unfällen und Suiziden. Ausführlicher beschäftigte sich die ZAIG mit Aktivitäten von Korrespondenten westlicher Medien in der DDR, mit kirchlichen Versammlungen sowie mit dem Verhalten von Schriftstellern und Intellektuellen. Besonders lang sind die Berichte über Probleme und Missstände in den Volkseigenen Betrieben oder bei der Reichsbahn, da diese zumeist Entwicklungen und Ereignisse über einen längeren Zeitraum zusammenfassen. Etliche Informationen enthalten am Ende den ausdrücklichen Vermerk, dass sie »nur zur persönlichen Kenntnisnahme« bzw. »nicht zur öffentlichen Auswertung« bestimmt seien, zumeist mit dem Hinweis auf »Quellengefährdung«.121 Dabei handelt es sich überwiegend um Berichte über interne Sitzungen kirchlicher Gremien oder um im weiteren Sinne private Angelegenheiten etwa von Schriftstellern, bei denen erkennbar ist, dass die Informationen nur aus dem engeren persönlichen Umfeld der betroffenen Personen stammen können. Zum Teil sind aber auch öffentliche Veranstaltungen wie Dichterlesungen mit diesem Hinweis versehen. Dies diente nicht nur dem Schutz von Informanten, auf diese Weise sollte auch verhindert werden, dass innerhalb bestimmter Kreise, etwa der Kirche, Misstrauen gesät wurde.

3.2 Reihe »Verschiedenes« (Ablage K)

Aus der Serie »K« wurden 19 Berichte in die Edition aufgenommen – davon drei in Kurz- und Langfassung. Die Reihe bestand seit 1967 und war zunächst untergliedert in K 1 – »Verschiedenes« – und K 2 »Verschiedenes (MfS, MdI, MfNV, GSSD)«; 1976 kam die Reihe K 3 – »Kunst und Kultur u. a. Bereiche« hinzu.122 Die Ablage K 2 enthält nur eine sehr geringe Anzahl von Berichten, für das Jahr 1977 nur einen einzigen.123 Es handelt sich bei den K-Serien um Dokumente, »die im Prinzip für die externe Berichterstattung verfasst, aber nicht als ›Information‹ klassifiziert wurden.«124 Nur für wenige von ihnen lässt sich eine externe Verteilung nachweisen.125

Hinsichtlich ihrer formalen Gestaltung unterscheiden sich die K-Berichte von den Informationen. Ein Vordruck wurde nicht verwendet, der Verteiler befindet sich zumeist nicht im Kopf des Dokuments, sondern auf einem gesonderten angehefteten Zettel (in den Apparaten der Edition als »Vorblatt« bezeichnet), und eine Datierung ist häufig nicht vorhanden oder nur mit Bleistift auf dem Dokumentenkopf notiert. Die Berichte werden in der Regel nicht als »Informationen«, sondern als »Hinweise«, »Überprüfungsergebnisse« oder »Erkenntnisse« bezeichnet. Von den acht für das Jahr 1977 verzeichneten Berichten der Serie K 1 wurden nur drei in die Edition aufgenommen, da sich vier andere mit internationalen Fragen befassen und es sich bei einem um einen ausführlichen Abschlussbericht zu einem Forschungsprojekt handelt, der nicht als »Bericht« oder »Information« im engeren Sinne zu betrachten ist.126 Von den Serien K 2 und K 3 wurden hingegen alle Berichte ediert. War von den Berichten eine Lang- und eine Kurzfassung vorhanden, wurden jeweils beide in die Edition aufgenommen.

In Umfang, Struktur und Inhalt unterscheiden sich die Berichte der K-Serien nicht grundsätzlich von den Informationen – sieht man einmal von dem durch den Titel (»Kunst und Kultur«) vorgegebenen inhaltlichen Schwerpunkt der Serie K 3 ab. Sie behandeln u. a. Aktivitäten der Ständigen Vertretung und westdeutscher Korrespondenten in der DDR sowie Lesungen, Zusammenkünfte und Gespräche kritischer Schriftsteller und Künstler. Auffällig ist, dass sich allein fünf Berichte mit Rudolf Bahro sowie mit Reaktionen aus Ost und West zu seinen Auftritten und zu seiner Verhaftung beschäftigen, während der Systemkritiker in der weitaus umfangreicheren Reihe der Informationen ganze zwei Mal beiläufig erwähnt wird.127

3.3 Reihe »Reaktion der Bevölkerung« (Ablage O)

Die jüngste Reihe der ZAIG ist überschrieben mit »Reaktion der Bevölkerung zu politischen u. a. Ereignissen«; sie wurde seit 1972 geführt. Von den 19 für das Jahr 1977 verzeichneten Berichten dieser Serie wurden 17 in die Edition aufgenommen. Bei den beiden anderen handelt es sich um Berichte zu Geschehnissen in Polen, die keinen unmittelbaren Bezug zur DDR aufweisen.128

Die Erstellung von Stimmungsberichten war ursprünglich eine der Kernaufgaben der ZAIG bzw. ihrer Vorläuferorganisationen gewesen. Nachdem Ulbricht dem damaligen Staatssekretär für Staatssicherheit Ernst Wollweber Anfang 1957 unter Bezugnahme auf eben diese Berichte vorgeworfen hatte, mit seinem Informationsdienst würde die »Hetze des Feindes legal verbreitet« und dies stelle eine »Schädigung der Partei« dar, wurde der Informationsdienst zunächst ganz eingestellt und die Stimmungsberichterstattung des MfS generell »sehr vorsichtig«.129 Nach dem Machtwechsel von Ulbricht zu Honecker ließ Mielke solche Stimmungsberichte wieder erstellen, allerdings in größeren und unregelmäßigen Abständen. Zudem waren diese Berichte zunächst vor allem für die interne Information im Ministerium gedacht; konsequenterweise wurden sie als »Hausmitteilungen« bezeichnet und in der »Mappe O« abgelegt.

Vom Jahrgang 1977 verließen nur zwei Berichte dieser Serie das MfS; einer ging an Erich Honecker, ein weiterer an die Verbindungsstelle des sowjetischen Geheimdienstes in Karlshorst. Honecker erhielt eine »Information über den von Bürgern der VR Polen betriebenen illegalen Straßenhandel in verschiedenen Bezirken der DDR«, in dem auch der Unmut der DDR-Bevölkerung über diese Aktivitäten zur Sprache kam.130 An den KGB ging ein Bericht, der die Sowjets unmittelbar betraf: »Hinweise über die Reaktion der Bevölkerung zum Vorkommnis in Dannenwalde, Kreis Gransee«. Bei dem »Vorkommnis« handelte es sich um die Explosion in einem Munitionslager der sowjetischen Armee, in deren Folge sich später als haltlos erweisende Gerüchte aufgekommen waren, es sei eine benachbarte Ortschaft vollständig zerstört worden und mehrere hundert Menschen seien ums Leben gekommen.131

Nur etwa die Hälfte der Berichte aus der Ablage O sind genuine Stimmungsberichte. Die übrigen befassen sich mit so unterschiedlichen Themen wie dem Auftreten von Kopfläusen in der DDR, einem Jahrestreffen der Aktion Sühnezeichen, »rowdyhaftem« Verhalten von Fußballanhängern oder einem Fall von Kindesmissbrauch durch einen Pfarrer. Diese Berichte unterscheiden sich in Struktur und Inhalt nicht grundsätzlich von den Informationen; ein Muster, nach dem diese Berichte als O-Berichte und nicht als Informationen klassifiziert wurden, ist nicht erkennbar. Die eigentlichen Stimmungsberichte kreisen fast ausschließlich um das Thema Versorgungslage, insbesondere mit Blick auf das Angebot an Kaffee, Kakao und Kakaoerzeugnissen. Dem üblichen Schema von Stimmungsberichten aus DDR-Provenienz, zunächst die zustimmenden Äußerungen zusammenzufassen und »negative« Meinungsäußerungen als »Einzelfälle« zu relativieren, folgen diese Berichte nicht. Recht unverblümt ist oft schon im ersten Absatz der Dokumente von anhaltenden Diskussionen »unter allen Schichten der Bevölkerung in größerem Umfang«,132 von Tendenzen »zunehmender Unzufriedenheit« in »breiten Kreisen«133 oder von »starke[r] Kritik an der Informationspolitik« der Regierung auch unter Mitgliedern der SED134 die Rede. Es verwundert daher nicht, dass diese Berichte nur intern verteilt wurden, vermied Mielke es doch stets, die Parteiführung mit den ungeschminkten Ansichten der Bevölkerung über die Politik der DDR-Regierung zu konfrontieren. Nicht zufällig befasste sich der einzige an Honecker weitergeleitete Stimmungsbericht mit dem von Polen betriebenen illegalen Straßenhandel in der DDR, denn hier richtete sich der Unmut der Bevölkerung in erster Linie gegen die polnischen Händler und nicht gegen die Staats- und Parteiführung der DDR.

4. Adressaten und Rezeption

Darüber, welche Mitglieder der Partei- und Staatsführung die Berichte der ZAIG erhalten sollten, entschied Erich Mielke in Abstimmung mit ZAIG-Chef Werner Irmler. Auf jedem Bericht bzw. auf den Vorblättern sind die Adressaten innerhalb und außerhalb des MfS präzise vermerkt. Die Zahl der externen Adressaten schwankte zwischen einem und zehn. An den Verteilern lässt sich daher die Informationspolitik Mielkes ablesen – wer wurde informiert, wer wurde, möglicherweise bewusst, ausgeschlossen? Da die Berichte sämtlich den Vermerk »Streng geheim!« enthielten, und die Empfänger nicht wussten, wer außer ihnen den jeweiligen Bericht ebenfalls erhalten hatte, konnten die Empfänger sich auch untereinander nicht über die Inhalte austauschen. Lediglich Erich Honecker kannte grundsätzlich den gesamten Verteiler.135 Zudem mussten die Berichte nach Lektüre zurückgegeben werden und die Rückgabe wurde streng protokolliert.

Die Liste der Adressaten führt naturgemäß Honecker an, der 102 der insgesamt 296 Inlandsberichte erhielt.136 Nicht selten ist er der einzige externe Empfänger – über welche Inhalte er darüber hinaus in seinen Vier-Augen-Gesprächen mit Mielke im Anschluss an die wöchentlichen Politbüro-Sitzungen informiert wurde, lässt sich nicht ermitteln.137 Es folgen mit großem Abstand Außenminister Oskar Fischer mit 38 Berichten sowie die ZK-Sekretäre für Agitation und Propaganda bzw. für Kultur Werner Lamberz mit 34 und Kurt Hager mit 32 Berichten.138 Dass – bei den Inlandsberichten – ausgerechnet der Außenminister an zweiter Stelle der Liste der häufigsten Adressaten steht, mag auf den ersten Blick überraschen, hängt aber damit zusammen, dass auch bei den Inlandsberichten häufig außen- und deutschlandpolitische Fragen eine Rolle spielten. So erhielt Fischer beispielsweise Berichte über Asylersuchen und Grenzverletzungen von westdeutscher Seite sowie einige der Informationen zu Aktivitäten von Westkorrespondenten und Mitarbeitern der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR. Hinzu kommt die Unterreihe zu den westlichen Militärinspektionen, die allein zwölf Berichte ausmacht.

Die relativ hohe Zahl der Berichte, die Hager und Lamberz erhielten, spiegelt zum einen deren starke Stellung innerhalb der Parteihierarchie – Hager galt als »Chefideologe« der SED, Lamberz als Honeckers potenzieller Nachfolger. Zum anderen resultiert sie aus der Vielzahl von Berichten über die Nachwirkungen der Biermann-Ausbürgerung: Hager war ZK-Sekretär für Kultur und Lamberz war für viele Schriftsteller, Künstler und Schauspieler ein wichtiger persönlicher Ansprechpartner. Ansonsten sind die externen Verteiler weitgehend nach der jeweiligen fachlichen Zuständigkeit in Partei und Staatsapparat ausgerichtet. Dass die Parteifunktionäre dabei wesentlich häufiger bedacht wurden, verdeutlicht die dominierende Stellung der SED im Herrschaftssystem der DDR und die besondere Rolle des Staatssicherheitsdienstes, der sich in erster Linie als »Schild und Schwert« der Partei verstand.139

Insgesamt 29 Berichte gingen an die Verbindungsstelle des sowjetischen Geheimdienstes KGB in Ostberlin, die in den Verteilern als »AG« für Arbeitsgruppe auftaucht. Dies ist in etwa vergleichbar mit der Zahl aus dem Vorjahr, als bei insgesamt geringerem Umfang 25 Berichte nach Karlshorst geschickt wurden.140 Auch hier lässt sich die Auswahl gut nachvollziehen. Der KGB wurde immer dann informiert, wenn Angelegenheiten der Westalliierten behandelt wurden (darunter die zwölf Berichte über die Aktivitäten der westlichen Militärinspektionen in Ostberlin) und wenn es um militärische Belange oder um anderweitig sicherheitspolitisch besonders sensible Bereiche ging. Dazu gehörten beispielsweise Informationen über Probleme des Geheimschutzes im Zusammenhang mit Störungen an Kernreaktoren,141 über Verletzungen des Luftraumes der DDR,142 über einen Brief des französischen Staatspräsidenten an alle französischen Staatsbürger im Ausland143 sowie drei Berichte über »die Lage im Zusammenhang mit der Sicherung des Festes des Roten Oktober«.144

Von besonderem Interesse ist auch, welche Berichte, die ursprünglich für eine externe Verteilung vorgesehen waren, schließlich doch zurückgehalten wurden. Bei diesen ist zumeist im Kopf bereits ein Verteilervorschlag eingetragen, sie wurden dann nachträglich mit dem Vermerk »nicht rausgegangen« versehen. Im Jahrgang 1977 ist für 21 Berichte aus der Serie Informationen keine externe Verteilung nachweisbar, das entspricht etwa 7 Prozent. Das bestätigt die bisher festzustellende im zeitlichen Verlauf abnehmende Tendenz nicht herausgegebener Berichte: Im Jahrgang 1961 ist für knapp ein Viertel der Informationen keine externe Verteilung nachweisbar, 1976 für knapp 10 Prozent und 1988 waren es weniger als 2 Prozent. Berichte aus den Serien K und O wurden generell nur in Ausnahmefällen extern verteilt.

Die Entscheidung, ob ein Bericht an den von den einzelnen Abteilungen vorgeschlagenen Verteiler herausging, fällte häufig schon ZAIG-Chef Irmler, das letzte Wort hatte aber Erich Mielke. Zum Teil finden sich in den Verteilern auch Streichungen oder Ergänzungen einzelner Adressaten. Aus welchen Gründen bestimmte Informationen zurückgehalten wurden, lässt sich nur in wenigen Fällen nachvollziehen. Relativ eindeutig ist dies lediglich bei den Berichten, von denen zwei Fassungen vorliegen, wo dann erst die überarbeitete Version herausgegeben wurde.145 Einige Berichte, die Entscheidungen der Parteiführung oder die Arbeit des MfS in ein schlechtes Licht rückten, wurden ebenfalls gestoppt.146 Darüber hinaus ist ein Schwerpunkt bei kulturpolitischen Themen zu verzeichnen. Über die Gründe hierfür lässt sich nur spekulieren. Einige dieser Berichte waren ungewöhnlich lang, etwa die über Stefan Heym,147 Sarah Kirsch148 sowie über Manfred Krug und Armin Mueller-Stahl.149 Möglicherweise wurden sie von Mielke als zu ausführlich betrachtet, zumal die Essenz der in ihnen enthaltenen Informationen auch durch andere, weitergeleitete Berichte transportiert wurde; in einigen Fällen sind sogar mehrere Absätze wortwörtlich in andere Berichte übernommen worden.

Über die Rezeption der Berichte durch die politischen Entscheidungsträger lassen sich nur wenige Aussagen treffen. Eine diesbezügliche Analyse würde eine systematische Recherche in den entsprechenden Archivbeständen erfordern, die im Rahmen dieser Edition nicht geleistet werden kann. Für das Jahr 1977 kommt erschwerend hinzu, dass, anders als bei den bisher erschienenen Jahrgängen, nur in einem einzigen Fall ein zurückgegebenes Exemplar samt Antwortschreiben überliefert ist, das Rückschlüsse auf die Verwendung des Berichts zulässt. Dies betrifft eine Information über Missstände in den Reparaturwerken der Reichsbahn, die u. a. an Verkehrsminister Arndt ging. Das Antwortschreiben Arndts ist in einem beflissenen, ja geradezu unterwürfigen Ton abgefasst, indem das hierarchische Gefälle zwischen den beiden Ministerien gut zum Ausdruck kommt.150

In vielen Fällen sprach die ZAIG am Ende der Berichte zudem Handlungsempfehlungen aus. Diese sind jedoch zumeist so allgemein gehalten, dass Rückschlüsse auf politische Entscheidungen nicht gezogen werden können. Gelegentlich sind die Vorschläge auch konkreter, etwa in einem Bericht über Manfred Krug, an dessen Ende empfohlen wird, durch einen »kompetenten Vertreter« des Ministeriums für Kultur mit Manfred Krug eine Aussprache zu führen und ihn aufzufordern, »sich jeglicher provokatorischen Äußerungen zu enthalten und sich bei seinen Auftritten entsprechend den Gepflogenheiten anderer Künstler/Kulturschaffender zu verhalten«.151 Tatsächlich führten in der Folgezeit verschiedene Funktionäre, darunter Politbüro-Mitglied Lamberz und Kulturminister Hoffmann, Gespräche mit Krug. Ob aber ein direkter Zusammenhang zwischen dem ZAIG-Bericht und diesen Gesprächen besteht, erscheint eher zweifelhaft.

5. Zur Druckauswahl und Formalia

Würden sämtliche ZAIG-Berichte des Jahres 1977 im vorliegenden Buchformat gedruckt, hätten sie insgesamt einen Umfang von etwa 1 300 Seiten. Vollständig liegen sie auf der beiliegenden CD-ROM in Form einer Datenbank vor, die eine Volltextrecherche ermöglicht. Für das Buch konnte nur eine begrenzte Zahl von Berichten ausgewählt werden. Dabei wurde zum einen angestrebt, einen möglichst repräsentativen Querschnitt aus den zahlreichen Themenfeldern dieses Jahrgangs zu bieten. Zum anderen wurden Berichte ausgewählt, die für das Jahr 1977 – und darüber hinaus – von besonderer Bedeutung sind, und auf die aus diesem Grund auch in der Einleitung Bezug genommen wird.

Orthographische und grammatische Fehler sowie fehlerhafte Schreibweisen von Personen- und Ortsnamen treten in den Berichten des Jahrgangs 1977 im Vergleich zu älteren Jahrgängen der 1950er und 1960er Jahre seltener auf – ein Indiz für die zunehmende Professionalisierung des Ministeriumsapparates. Sie wurden, soweit sie geringfügiger Natur waren, stillschweigend korrigiert. Größere Abweichungen oder solche, die eine eindeutige Zuordnung von Orten und Personen erschweren, werden in den Fußnoten kommentiert. Stilistische Unebenheiten und gravierende Grammatikfehler, insbesondere Satzbaufehler, wurden hingegen aus Gründen der Quellenauthentizität unverändert ediert und gegebenenfalls mit dem Zusatz »[sic!]« versehen.

Aus Gründen des Datenschutzes mussten zahlreiche Personennamen anonymisiert werden. Da es sich in diesen Fällen fast ausschließlich um völlig unbekannte Personen handelt, die in anderen Zusammenhängen nicht wieder auftauchen, wird die Aussagekraft der betroffenen Quellen dadurch nicht beeinträchtigt. Durch Nummerierung oder anderweitige Kennzeichnung ist zudem gewährleistet, dass die Personen – ggfs. auch dokumentenübergreifend – eindeutig zugeordnet werden können und der Inhalt der Dokumente verständlich bleibt. In manchen Dokumenten mussten aus Datenschutzgründen auch inhaltliche Passagen weggelassen werden, wenn überwiegend schutzwürdige Interessen von Personen der Zeitgeschichte oder von politischen Funktionsträgern betroffen waren. In wenigen Fällen gilt dies auch für Dokumente, in denen bereits die Personennamen anonymisiert sind, nämlich dann, wenn aufgrund bereits vorliegender Veröffentlichungen Rückschlüsse auf die Identität dieser Personen möglich und zugleich hochgradig schutzwürdige Interessen betroffen sind. Längere Passagen, die gestrichen werden mussten, sind mit dem Hinweis »[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]« gekennzeichnet. Betrifft die Streichung nur einzelne Sätze oder Satzteile, wird dies um der besseren Lesbarkeit willen nur mit »[…]« gekennzeichnet.

Gemäß Stasi-Unterlagengesetz (§ 32a) wurden Personen der Zeitgeschichte oder politische Funktionsträger vor der Veröffentlichung von Dokumenten, die Informationen über sie enthalten, benachrichtigt. Darüber hinaus wurden einige Betroffene, die nicht zu diesen Personenkategorien zählen, um Einwilligung zur Offenlegung ihrer Namen bzw. sie betreffender Informationen gebeten. Dieses sehr aufwendige Verfahren dient dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und ermöglicht den Betroffenen, zu den in den Dokumenten dargestellten Sachverhalten Stellung zu nehmen. Zahlreiche der angeschriebenen Personen haben von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und uns wichtige und interessante Anmerkungen zu den Quellen und ihren Hintergründen übermittelt, die im Fußnotenkommentar dokumentiert sind. Dabei erwies sich, dass das Ministerium für Staatssicherheit in seinen Berichten nicht nur zur Übertreibung und zur Konstruktion von Zusammenhängen neigte, sondern in manchen Fällen auch scheinbare Nebensächlichkeiten schlicht falsch wiedergab.152

6. Schlussbetrachtung

Die ZAIG-Berichte des Jahrgangs 1977 zeigen ein Land, das nach einer kurzen Periode von gemäßigter wirtschaftlicher Prosperität, relativer kulturpolitischer Liberalisierung und gestiegener internationaler Anerkennung in einer Phase der Stagnation angekommen ist, und dessen Bevölkerung, von der Masse der »Werktätigen« bis hin zu prominenten Künstlern und Intellektuellen, zunehmend zu resignieren scheint. Die Biermann-Ausbürgerung und ihre Folgen hatten die kulturelle Elite des Landes tief gespalten. Die SED scharte die regimetreuen Kulturschaffenden enger um sich, der Rest wandte sich von der Partei ab oder verließ gleich die DDR. In der Bevölkerung wuchs die Unzufriedenheit darüber, dass die sozial- und konsumpolitischen Versprechungen der Regierung sich nicht erfüllten. Offener Protest oder gar Widerstand gegen diese Zustände blieben aber die Ausnahme. Dafür nahm die Zahl derjenigen zu, die der DDR mittels Ausreiseantrag für immer den Rücken zukehren wollten und auch bereit waren, dafür Repressalien auf sich zu nehmen.

Die Kluft zwischen der Bevölkerung und der politischen Elite des Landes wuchs. Für die Menschen wichtige politische Entscheidungen wurden nicht angekündigt, geschweige denn diskutiert. Wesentliche Informationen über die Situation im eigenen Land ließen sich nur den Westmedien entnehmen, deren Einfluss auch dadurch stieg, dass die Entspannungspolitik die Akkreditierung von Korrespondenten westdeutscher Medien in der DDR ermöglichte. Die Bürger hatten zunehmend das Gefühl, dass die Regierung ihre Sorgen und Nöte im Alltag überhaupt nicht mehr wahrnahm. Eine Lektüre der im Jahrgang 1977 edierten Dokumente vermittelt den Eindruck, dass das MfS für dieses Kommunikationsproblem mitverantwortlich war. Die wenigen Berichte, die über die reine Beschreibung von problematischen Zuständen und Ereignissen hinaus konkrete Ursachen dafür benennen, die in der Regel in der Politik der SED zu suchen waren, wurden gar nicht erst an die politische Führungsspitze weitergeleitet. Die übrigen blieben den DDR-typischen Erklärungsmustern von Externalisierung und Individualisierung verhaftet, nach denen Probleme entweder durch feindliche Einflüsse von außen oder aber durch das Fehlverhalten Einzelner hervorgerufen würden.153 Von den Stimmungsberichten aus der Bevölkerung, die in diesem Jahr besonders negativ ausfielen, blieb die sozialistische Funktionselite vollständig verschont.

Dem Zeithistoriker gewähren die Berichte der ZAIG dennoch tiefe und gewinnbringende Einblicke in die Gesellschaft der DDR und die Funktionsmechanismen der realsozialistischen Diktatur. Es entfaltet sich ein breites Panorama von den sozialen und wirtschaftlichen Zuständen des Landes, von kulturpolitischen Entwicklungen und von den alltäglichen Problemen des »kleinen Mannes«. Gerade die Berichte über die Intellektuellen und Künstler vermitteln authentische Eindrücke von der angespannten kulturpolitischen Situation des Jahres 1977. Die Dokumentation der Adressatenverteiler ermöglicht zudem einen Einblick in das Verhältnis von SED und MfS sowie in die Art und Weise, wie Mielke mithilfe der ZAIG-Berichte Politik machte. Dabei wird vor allem eines deutlich: Sowohl dem Stasi-Chef als auch Honecker ging es, vor allem anderen, in erster Linie um den Machterhalt. Für dieses Ziel war der eine bereit, unbequeme Wahrheiten zu verschweigen, der andere, die Augen vor ihnen zu verschließen.

Anhang

Tabelle 1: Adressaten der Berichte 1977 außerhalb des MfS

Name, Vorname, Funktion

Information Nr.

Anzahl

Arndt, Otto (Jg. 1920)

Minister für Verkehrswesen, SED-ZK

12, 145, 194, 209, 232, 247, 340, 364, 614, 777

10

Axen, Hermann (Jg. 1916)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Außenpolitik

1, 17, 20, 73, 123, 159, 182, 306, 396, 546, 548, 724, 726, 727

14

Barth, Willi (Jg. 1899)

Leiter der AG Kirchenfragen beim SED-ZK (Nachfolger: Bellmann, Rudi)

19, 33, 46, 61, 62, 85, 170

7

Bellmann, Rudi (Jg. 1919)

Leiter der AG Kirchenfragen beim SED-ZK (Vorgänger: Barth, Willi)

85 (von Barth) 161, 193, 198, 212, 214, 226, 230, 258, 269, 278, 307, 432, 434, 450, 484, 512, 601, 615, 620, 633, 698, 706, 756, 757, 788

26

Böhm, Siegfried (Jg. 1928)

Minister der Finanzen, SED-ZK

98

1

Dickel, Friedrich (Jg. 1913)

Minister des Innern, SED-ZK

12, 75, 89, 209, 232, 335, 340, 364, 419, 524, 599, 637, 650, 651, 661, 664, 666, 777

18

Dohlus, Horst (Jg. 1925)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Parteiorgane

599, 637, 704, 707, 720

5

Donda, Arno (Jg. 1930)

Leiter der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik (SZS), SED

667 (Berichte fürSZSvgl. Hartig, Günter)

1

Ewald, Manfred (Jg. 1926)

Präsident des DTSB und des NOK, SED-ZK

536, 599, 637

3

Fischer, Oskar (Jg. 1923)

Minister für Auswärtige Angelegenheiten, SED-ZK

1, 17, 48, 112, 122, 123, 145, 148b, 159, 182, 191, 192, 279, 305, 309, 332, 351, 374, 394, 396, 420, 449, 468, 469, 471, 546, 548, 558, 597, 660, 703, 705, 721, 723, 724, 726, 727, 787

38

Georgi, Rudi (Jg. 1927)

Minister für Werkzeug- und Verarbeitungsmaschinenbau, SED-ZK

196, 350

2

Grüneberg, Gerhard (Jg. 1921)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Landwirtschaft

557

1

Hager, Kurt (Jg. 1912)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wissenschaft, Bildung und Kultur

31, 32, 47, 59, 246, 257, 305, 406, 408, 421, 435, 444, 480, 483, 611, 636, 649, 677, 678, 679, 698, 699, 700, 701, 706, 728, 729, 737

Berichte K 3/10, K 3/13, K 3/14, K 3/23

32

Hartig, Günter

Stellvertretender Leiter der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik (SZS), SED

45, 88, 336, 525 (Berichte fürSZSvgl. Donda, Arno)

4

Hellmann, Rudolf (Jg. 1926)

Leiter der Abt. Körperkultur und Sport des ZK der SED

536, 599, 637

3

Herrmann, Joachim (Jg. 1928)

SED-Politbüro (Kandidat), Chefredakteur des »Neuen Deutschland«

308

1

Hoffmann, Hans-Joachim (Jg. 1929)

Minister für Kultur, SED-ZK

31, 32, 59, 71, 72, 100, 110, 125, 305, 406, 480, 483, 636, 677, 678, 679, 701, 737

18

Hoffmann, Heinz (Jg. 1910)

Minister für Nationale Verteidigung, SED-ZK

15, 18, 47, 330, 331, 352, 385, 396, 622

9

Honecker, Erich (Jg. 1912)

SED-Generalsekretär, Staatsratsvorsitzender, Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates

1, 12, 17, 85, 99, 100, 110, 123, 125, 146, 148a (mdl.), 159, 160, 170, 172, 197, 198, 207, 215, 216, 228, 232, 233 (mdl.), 234 (mdl.), 243, 244, 246, 248, 257, 267, 268, 270, 271, 274, 275, 276, 277 (mdl.), 278, 280, 282, 291, 293, 294, 295, 309, 327, 328, 351, 352, 374, 383, 396, 397, 406, 408, 417 (mdl.), 422, 446, 447, 470, 480, 481, 483, 503, 512, 514, 547, 611, 612, 616, 619, 621, 622, 647, 649, 650, 651, 661, 663, 664, 677, 678, 679, 689, 699, 700, 703, 704, 707, 708, 720, 722, 726, 727, 728, 729, 737, 738, 777

Berichte K 3/23, K 3/24b, O/42

102

Junker, Wolfgang (Jg. 1929)

Minister für Bauwesen, SED-ZK

158

1

Kaminsky, Horst (Jg. 1927)

Präsident der DDR-Staatsbank, Mitglied der DDR-Regierung

98

1

Keßler, Heinz (Jg. 1920)

Stellvertreter des Ministers für Nationale Verteidigung, SED

135, 470

2

KGBAG«)

(Komitee für Staatssicherheit der Sowjetunion, Berlin-Karlshorst)

48, 87, 122, 159, 172, 191, 279, 332, 420, 449, 470, 493, 558, 597, 618, 622, 623, 649, 650, 651, 660, 661, 705, 721, 723, 787

Berichte K 3/22, K 3/24b, O/45

29

Kleiber, Günther (Jg. 1931)

SED-Politbüro (Kandidat), Minister für Allgemeinen Maschinen-, Landmaschinen- und Fahrzeugbau sowie Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates

557

1

König, Herta

Abteilungsleiterin im Ministerium der Finanzen, SED

14, 21, 44, 60, 76, 86, 101, 113, 124, 147, 171, 181, 195, 213, 229, 245, 272, 292, 318, 333, 353, 365, 384, 407, 418, 433, 448, 467, 482, 494, 513, 526, 535, 545, 570, 579, 580, 598, 613, 617, 632, 648, 668, 688, 702, 719, 735, 747, 758, 767, 786, 789

52

Krack, Erhard (Jg. 1931)

Oberbürgermeister von Ostberlin, Mitglied des Ministerrates und der SED-BL

663

1

Krenz, Egon (Jg. 1937)

SED-Politbüro (Kandidat), 1. Sekretär der Freien Deutschen Jugend (FDJ)

568, 599, 637, 650, 651, 661

6

Krolikowski, Herbert (Jg. 1924)

Stellvertretender Minister für Auswärtige Angelegenheiten, SED-ZK

16, 145, 612

3

Krolikowski, Werner (Jg. 1928)

SED-Politbüro, 1. Stellvertreter des Vorsitzenden des Ministerrates (vgl. auch Neumann)

157, 158, 160, 194, 196, 210, 247, 334, 350, 600, 602, 614, 635, 638, 663

15

Kuhrig, Heinz (Jg. 1929)

Minister für Land-, Forst- und Nahrungsgüterwirtschaft (LFN), SED-ZK

273, 557, 738

3

Lamberz, Werner (Jg. 1929)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Agitation und Propaganda

31, 100, 110, 125, 172, 257, 305, 408, 421, 423, 435, 444, 468, 470, 480, 483, 599, 619, 621, 636, 637, 649, 650, 651, 661, 677, 678, 679, 699, 703, 737

Berichte K 3/13, K 3/23, K 3/24b

34

Markowski, Paul (Jg. 1929)

Leiter der Abt. Internationale Verbindungen des SED-ZK

73, 123, 281, 306, 471, 705

6

Mecklinger, Ludwig (Jg. 1919)

Minister für Gesundheitswesen, Professor, SED

611

1

Mitdank, Joachim (Jg. 1931)

Diplomat, Leiter der Abt. Westberlin im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, SED

145 (von Fischer), 618 (von Nier)

2

Mittag, Günter (Jg. 1926)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Wirtschaft, Leiter der Wirtschaftskommission beim SED-Politbüro

98, 145, 157, 158, 160, 194, 196, 210, 247, 273, 334, 350, 445, 557, 600, 602, 614, 634, 635, 638

20

Naumann, Konrad (Jg. 1928)

Mitglied im SED-Politbüro, 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung Berlin

1, 13, 158, 208, 231, 341, 363, 396, 536, 568, 599, 611, 616, 619, 621, 637, 650, 651, 661, 663, 798, 737, 776

23

Neumann, Alfred (Jg. 1909)

SED-Politbüro, 1. Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates (vgl. auch Krolikowski, Werner)

157, 160, 635, 638

4

Nier, Kurt (Jg. 1927)

Stellvertretender Minister für Auswärtige Angelegenheiten (für BRD und Westberlin), SED

16, 17, 112, 618, 703

5

Ragwitz, Ursula (Jg. 1928)

Leiterin der Abt. Kultur beim SED-ZK, Mitglied der Kulturkommission beim SED-Politbüro

71, 72, 110, 125, 406

5

Rauchfuß, Wolfgang (Jg. 1931)

Minister für Materialwirtschaft, Stellvertretender Vorsitzender des Ministerrates, SED-ZK, Leiter der zentralen Energiekommission

600, 602

2

Riss, Rudolf (Jg. 1923)

1. Stellvertreter des Ministers des Innern, Generalleutnant, SED

664

1

Schalck-Golodkowski, Alexander (Jg. 1932)

Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel (Devisen), SED-ZK, Mitglied der Wirtschaftskommission beim SED-Politbüro

225, 557

2

Scheibe, Herbert (Jg. 1914)

Leiter der Abt. Sicherheit des SED-ZK, Mitglied im SED-ZK

15, 18, 87, 111, 135, 244, 330, 331, 385, 599, 637, 650, 651, 661, 664

15

Schürer, Gerhard (Jg. 1921)

SED-Politbüro, Vorsitzender der Staatlichen Plankommission im DDR-Ministerrat

600, 614

2

Siebold, Klaus (Jg. 1930)

Minister für Kohle und Energie, SED

160, 600, 602, 638, 663

5

Singhuber, Kurt (Jg. 1932)

Minister für Erzbergbau, Metallurgie und Kali, SED

157, 160, 334, 635

4

Sölle, Horst (Jg. 1924)

Minister für Außenhandel (mit BRD-Beziehungen), SED-ZK

196, 210

2

Steger, Otfried (Jg. 1926)

Minister für Elektrotechnik und Elektronik, SED-ZK

225, 602

2

Stoph, Willi (Jg. 1914)

SED-Politbüro, Vorsitzender des DDR-Ministerrates

98, 123, 157, 158, 160, 273, 445, 470, 600, 635, 638, 703, 738

13

Streit, Josef (Jg. 1911)

Generalstaatsanwalt der DDR, SED-ZK

599

1

Tisch, Harry (Jg. 1927)

Mitglied im SED-Politbüro, Vorsitzender des FDGB

471

1

Töpfer, Johanna (Jg. 1929)

Stellvertretende Vorsitzende des FDGB, SED-ZK, Agitationskommission beim SED-Politbüro

471 (weitergeleitet von Tisch)

1

Verner, Paul (Jg. 1911)

SED-Politbüro, ZK-Sekretär für Sicherheit und Kirchenfragen

19, 33, 46, 61, 62, 170, 193, 198, 209, 214, 226, 232, 246, 257, 258, 269, 270, 278, 307, 450, 468, 470, 471, 481, 484, 536, 599, 601, 633, 637, 650, 689, 698, 706

34

Willerding, Hans-Joachim (Jg. 1952)

Stellvertreter des Abteilungsleiters für Internationale Beziehungen beim Zentralrat der FDJ, SED

724, 726, 727

3

Wyschofsky, Günther (Jg. 1929)

Minister für Chemische Industrie, SED-ZK

160, 210, 445

3

Zimmermann, Gerhard (Jg. 1927)

Minister für Schwermaschinen- und Anlagenbau, SED

157, 445, 634

3

Tabelle 2: Name und Funktion der Adressaten innerhalb des MfS 1977 (ohne ZAIG)

Name, Vorname

Funktion

Beater, Bruno

Stellvertreter Mielkes für »Äußere Abwehr«

Bechert, Rudi

Leiter der Abteilung Agitation

Carlsohn, Hans

Leiter des Sekretariats Mielke

Filin, Hans

Leiter der Rechtsstelle

Grünberg, Gerhard

Leiter des Zentralen Operativstabes (MfS-Lagezentrum)

Jänicke, Horst

Stellvertretender Leiter der Auslandsspionage (HV A)

Kienberg, Paul

Leiter der HA XX (Untergrund, Staat, Kirchen und Kultur)

Kleine, Alfred

Leiter der HA VIII (Volkswirtschaft)

Mielke, Erich

Minister für Staatssicherheit

Mittig, Rudi

Stellvertreter Mielkes für »Innere Abwehr«

Schmidt, Heinz

Leiter der BV Halle

Scholz, Alfred

Stellvertreter Mielkes und Leiter der Arbeitsgruppe für Mobilmachung (AGM)

Schwanitz, Wolfgang

Leiter der Verwaltung Groß-Berlin (Mai 1977 umbenannt in Bezirksverwaltung Berlin)

Stöß, Herbert

Leiter der BV Frankfurt/O.

Volpert, Heinz

Sonderaufgaben (u. a. Devisenbeschaffung und Familienzusammenführung) im Sekretariat Mielke

Wolf, Markus

Stellvertreter Mielkes und Leiter der Auslandsspionage (HV A)