Einreiseverbot für aus der DDR in den Libanon reisende Palästinenser
30. April 1977
Information Nr. 281/77 über die Verweigerung der Aufnahme von mit einem Flugzeug der Interflug nach Beirut gereisten Palästinensern durch die libanesischen Sicherheitsorgane
Am 28.4.1977 wurde 27 Palästinensern sowie einer aus Westberlin stammenden Ehefrau eines Palästinensers und ihrem Kind, die mit einem Flugzeug der Interflug1 (Flug IF 800) von Berlin-Schönefeld über Sofia nach Beirut gereist waren, seitens der libanesischen Sicherheitsorgane auf dem Flughafen Beirut die Einreise verweigert. Nach dem MfS bisher vorliegenden Hinweisen sei von libanesischer Seite erklärt worden, dass diese Einreiseverweigerung aufgrund der am 1.5.1977 stattfindenden Trauerfeierlichkeiten für den ermordeten Sprecher der »Nationalen Bewegung«, Kamal Dschumblat,2 erfolge. (Eine evtl. Lockerung der »verschärften Einreisebestimmungen« sei für die Zeit nach dem 1.5.1977 in Aussicht gestellt worden. Aufgrund der bereits vor dem Eintreffen des Flugzeuges der Interflug in Beirut eingeleiteten Maßnahmen der libanesischen Sicherheitsorgane ist jedoch auch nicht auszuschließen, dass sie von Westberlin aus bereits entsprechende Informationen über das Eintreffen der Palästinenser erhalten hatten und deshalb diese Maßnahmen gezielt gegen diesen Personenkreis gerichtet waren.)
Unter diesen zurückgewiesenen Personen befanden sich – neben der o. g. Ehefrau eines Palästinensers und ihrem Kind – 21 aus Westberlin zum Flug nach Beirut eingereiste Palästinenser.
Nach bisherigen Hinweisen handelt es sich bei den aus Westberlin kommenden Palästinensern vorwiegend um solche Personen, die zur Zeit der schweren bewaffneten Auseinandersetzungen den Libanon verlassen haben und in Westberlin eine Tätigkeit aufnehmen wollten. Von Westberliner Organen sind ihnen nicht die erforderlichen Aufenthaltsgenehmigungen erteilt worden; sie wurden jetzt von der Westberliner Polizei aufgefordert, Westberlin bis zum 4.5.1977 zu verlassen. Die Reisekosten für die Rückkehr nach dem Libanon haben Westberliner Organe übernommen.
Zwei weitere Palästinenser, zwischen denen es auf dem Hinflug nach Beirut zu tätlichen Auseinandersetzungen kam, waren auf Veranlassung der Flugbesatzung bereits während einer planmäßigen Zwischenlandung in Sofia vom Weiterflug ausgeschlossen, nach Berlin-Schönefeld zurückgeführt und nach Westberlin ausgewiesen worden.
Da die seitens der Botschaft der DDR in Beirut mit libanesischen Behörden geführten Verhandlungen zu keinem Ergebnis führten, erklärte sich die Interflug nach vorheriger Konsultation mit der Botschaft der DDR bereit, die zurückgewiesenen Palästinenser unter der Bedingung des Einverständnisses dieser Personen wieder nach Berlin-Schönefeld zurückzufliegen.
Nach anfänglicher Weigerung wurden die Palästinenser seitens der libanesischen Sicherheitsorgane veranlasst, vereinzelt mit Gewaltanwendung, das Flugzeug der Interflug wieder zu besteigen. Vorher waren sie am Flugzeug einer Leibesvisitation unterzogen worden. Die anderen Passagiere dieser Maschine wurden bei ihrer Abfertigung ebenfalls einer Leibesvisitation und Gepäckkontrolle unterzogen. Diese Maßnahme erfolgte auch bei den mitreisenden fünf DDR-Diplomaten, wobei jedoch die Kontrolle formalen Charakter trug.
Die zurückgewiesenen Palästinenser brachten im Flugzeug gegenüber den anderen Passagieren ihre Empörung über die Einreiseverweigerung zum Ausdruck. Sie erklärten, nicht nach Berlin zurückkehren zu wollen, wobei von Einzelnen geäußert wurde, »das Flugzeug werde Berlin auch nicht erreichen«.
Durch das Einwirken seitens der Flugzeugbesatzung und von Passagieren konnten die Palästinenser dazu bewegt werden, Ruhe und Ordnung zu bewahren, den Rückflug anzutreten und nicht zu stören. Diesen Aufforderungen kamen sie alle nach.
Auf Wunsch der PLO wurden die Palästinenser zusätzlich durch ein von der PLO gestelltes Sicherheitskommando (4 Personen unter Leitung eines Majors) begleitet. Vorher von Arafat3 unternommene Anstrengungen bei den libanesischen Behörden, doch noch die Einreise der Palästinenser zu erwirken, waren fehlgeschlagen. Der Rückflug mit der Linienmaschine (Flug IF 801) – planmäßig vorgesehen für den 28.4.1977, 16.00 Uhr, – erfolgte aufgrund der geschilderten Vorgänge erst am 29.4.1977, 12.27 Uhr. Der Flug verlief ordnungsgemäß und ohne Vorkommnisse.
Nach der Landung des Flugzeuges um 17.20 Uhr auf einem gesonderten Landeplatz des Flughafens Berlin-Schönefeld wurden die zurückgewiesenen Palästinenser – getrennt von den anderen Reisenden und dem Sicherheitskommando – in dem freigemachten Transitraum untergebracht.
Zwischenzeitlich war der Leiter der PLO-Vertretung in der DDR,4 Koulailat, Nabil, auf dem Flughafen eingetroffen. Mit ihm fand ein Gespräch seitens verantwortlicher Vertreter des Ministeriums für Verkehrswesen und der Generaldirektion der Interflug statt, bei dem das weitere Vorgehen abgestimmt wurde.
Im Ergebnis dieses Gespräches wurde festgelegt, den zurückgekehrten Palästinensern folgende Vorschläge zu unterbreiten:
- –
kostenlose Übernahme des Fluges der Palästinenser nach Damaskus am 3.5.1977 mit der an diesem Tage verkehrenden planmäßigen Linienmaschine der Interflug (zugesicherte Unterstützung für die Weiterreise dieser Personen von Damaskus nach Libanon);
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Möglichkeit der sofortigen Weiterreise nach Westberlin oder Gewährung des Aufenthaltes in der Hauptstadt der DDR bis zum 3.5.1977 (Unterbringung im Mitropa-Hotel Berlin-Schönefeld).
Nachdem der Leiter der Vertretung der PLO in der DDR den Palästinensern diese Vorschläge unterbreitet hatte, entschieden sich 22 Personen zur Ausreise nach Westberlin. Die Grenzpassage über die Grenzübergangsstelle Bahnhof Friedrichstraße erfolgte um 21.20 Uhr ohne Vorkommnisse. (Die bereits erwähnte weibliche Person aus Westberlin führte dabei ihr Kind mit.) Ein großer Teil dieser Personen deponierte Teile des Reisegepäcks in der Gepäckaufbewahrung des Flughafens.
Unter den anderen sechs Palästinensern, die von dem Angebot des Aufenthaltes in der Hauptstadt der DDR Gebrauch machten, befanden sich vier im Krankenhaus Coswig ärztlich behandelte Widerstandskämpfer der PLO.
Die vier Angehörigen des Sicherheitskommandos der PLO sind im Flughafenhotel untergebracht. Ihre Rückreise ist für den 5.5.1977 mit der planmäßigen Linienmaschine (Flug IF 800) Berlin–Beirut vorgesehen.
Für die in der Hauptstadt der DDR verbliebenen Palästinenser sind Maßnahmen zu ihrer Betreuung eingeleitet worden. Entsprechende Sicherheitsvorkehrungen für den ordnungsgemäßen Verlauf des Rückfluges am 3.5.1977 wurden getroffen.
Die Fluglinie Berlin-Schönefeld–Beirut wird wöchentlich einmal – donnerstags – beflogen. Die Passagiere sind überwiegend Bürger arabischer Staaten. Die Anzahl der Reisenden am 28.4.1977 betrug insgesamt 51, darunter die genannten 27 Palästinenser. Dieses Verhältnis entspricht völlig der seit längerer Zeit festzustellenden Zusammensetzung der Fluggäste. Das Verhalten der Passagiere während des Fluges nach Beirut ließ ebenfalls keine Besonderheiten erkennen. Es ist einzuschätzen, dass dieses Vorkommnis ausschließlich durch das die internationalen Normen und Gepflogenheiten verletzende Verhalten der libanesischen Behörden verursacht wurde. Die mitreisenden Palästinenser haben nach vorliegenden Erkenntnissen keinen unmittelbaren Anlass für das Vorgehen der libanesischen Behörden gegeben.