Erteilung eines Visums an Adolf Dresen für Aufenthalt in der Schweiz
25. Mai 1977
Information Nr. 354/77 über Hinweise zum vorgesehenen zweijährigen Aufenthalt im nichtsozialistischen Ausland des Regisseurs am Deutschen Theater, Dresen
Der Regisseur am Deutschen Theater Berlin, Dresen, Adolf (42), geb.: 31.3.1935, wohnhaft: 1017 Berlin, Singerstr. 83, hatte im Sommer 1976 bei den zuständigen Stellen (Ministerium für Kultur, Künstleragentur der DDR) den Antrag gestellt, einer Einladung des Intendanten des Theaters Basel/Schweiz zur Inszenierung des Stückes »Der arme Vetter« von Barlach1 Folge leisten zu können. Wie in der Information des MfS Nr. 32/77 vom 14.1.1977 dargelegt, erfolgte die Bestätigung für diese Gastinszenierung in der Schweiz am 28.10.1976 gemäß den Terminvorstellungen des Dresen für die Zeit vom 21.1. bis 1.5.1977.
Am 30.3.1977 wurde der Intendant des Deutschen Theaters, Genosse Gerhard Wolfram, schriftlich von Dresen – beide sind persönlich befreundet – darüber informiert, dass er von seiner Gastinszenierung in Basel/Schweiz »aus persönlichen Gründen« nicht wieder in die DDR zurückkehren wolle.
Entsprechend den Festlegungen des Ministers für Kultur, Genossen Hoffmann, führte der Chefdramaturg des Deutschen Theaters, Genosse Klaus Wischnewski, in Abstimmung mit verantwortlichen Genossen der Abteilung Kultur beim ZK der SED, am 2.5. und 3.5.1977 mit Dresen in Basel mehrere Gespräche, in deren Ergebnis erreicht wurde, dass Dresen wieder in die DDR zurückkehrt. Er nahm das ihm unterbreitete Angebot an, nach Klärung aller Formalitäten als Bürger der DDR für zwei Jahre im Ausland zu arbeiten, wobei er während dieser Zeit »seine persönlichen Probleme« klären könne.
Dresen hatte in diesen Gesprächen »Bedenken« geäußert, ob ihm bei seiner Wiedereinreise »auch nichts geschehen wird« und sich dahingehend am 3.5.1977 telefonisch beim Genossen Wolfram rückversichert. Dresen führte an, er stehe nach wie vor hinter seinen im Zusammenhang mit seiner Streichung als Mitglied der SED (Dezember 1976) abgegebenen Erklärungen zur DDR und zur Politik nach dem VIII. Parteitag,2 und sein Wunsch, nicht mehr in der DDR zu arbeiten, sei nicht aus politischen, sondern lediglich aus »persönlichen Motiven heraus« entstanden. Seine »Frau« (Freundin), Krätschel, Christiane, wohnhaft in Westberlin, mit der er ein 1972 geborenes gemeinsames Kind hat, habe es abgelehnt, in die DDR überzusiedeln; für ihn gäbe es deshalb nur die Alternative, entweder in die DDR zurückzukehren und seine »Frau« zu verlieren, oder in der Schweiz zu bleiben und sie zu heiraten. Er wolle nicht in die BRD gehen, um nicht mit solchen Personen, die nach den Ereignissen um Biermann3 die DDR verließen, zusammentreffen oder gleichgesetzt zu werden und als »politisch Verfolgter« zu gelten.
Aus Kreisen um Dresen wurde intern bekannt, dass die Motive für den Verbleib im westlichen Ausland »fadenscheinig« seien. Auch Genosse Wolfram vertrat in internen Gesprächen die Ansicht, er habe in den Aussprachen, die er mit Dresen führte, den Eindruck gewonnen, dass die »persönlichen Gründe« vorgeschoben und unwahr sind. Dresen vermeide es jedoch offensichtlich geschickt, die wahren Ursachen zu nennen. Aufgrund der bisherigen Haltung des Dresen sei vielmehr anzunehmen, dass die tatsächliche Ursache in seiner die Kulturpolitik der DDR ablehnenden Haltung zu sehen sei. Seine negative Haltung zur DDR habe sich bis zu seiner Reise nach Basel ständig in Äußerungen im internen Kreis widergespiegelt. (Siehe dazu Information des MfS Nr. 32/77, Seiten 3–5.) Eigenen Äußerungen des Dresen im internen Kreis zufolge sei er ein »labiler Künstler, der mit dem Leben nicht fertig werde«.
Aufgrund der Zusicherung, dass er ohne Weiteres in die DDR einreisen könne, kam Dresen am 12.5.1977 in die Hauptstadt der DDR, wo Genosse Wolfram mit ihm ein Gespräch führte. (Grundlage für dieses Gespräch war die bestätigte Verfahrensweise durch Genossen Hager.) Dresen stimmte dabei dem Vorschlag zu, zwei Jahre als DDR-Bürger im nichtsozialistischen Ausland Inszenierungsarbeiten durchzuführen, wobei die Lösung seines Arbeitsvertrages mit dem Deutschen Theater schnell und unkompliziert im gegenseitigen Einvernehmen erfolgen könne.
Dresen reiste am 13.5.1977 aus der DDR wieder aus, um sich Gastinszenierungen in Basel und Wien und damit Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zu sichern. Wie Dresen gegenüber Genossen Wischnewski erklärte, »sei er gezwungen, schnell finanzielle Einnahmen zu bekommen, um leben und die mehrere hundert Mark betragende Miete für eine Wohnung bezahlen zu können«. Entsprechend den getroffenen Vereinbarungen kehrte Dresen am 17.5.1977 wieder in die Hauptstadt der DDR zurück, wo er sich bis jetzt in seiner Wohnung aufhält. Er erwartet die Erteilung seines Visums und hält täglich bei Genossen Wolfram Rückfrage bezüglich des Fortgangs seiner Angelegenheit.
Im Ergebnis des mit Dresen am 17.5.1977 durch den Intendanten, Genossen Wolfram, geführten Gesprächs wurde mit ihm eine schriftliche Vereinbarung zur Aussetzung des Arbeitsrechtsverhältnisses, begründet durch einen am 2.12.1974 mit Dresen abgeschlossenen Einzelvertrag, gültig ab 1.5.1977, für die Dauer von zwei Jahren abgeschlossen. Auf dieser Grundlage kann bei Notwendigkeit das Deutsche Theater Dresen für Überholungsproben zu den Inszenierungen »Michael Kohlhaas« und »Der zerbrochene Krug« einsetzen. Die notwendigen Vereinbarungen und terminlichen Präzisierungen müssen nach Bedarf gesondert abgesprochen werden. Die Volksliederabende des Deutschen Theaters, bei denen Dresen mitwirkte, sind vom Repertoire des Deutschen Theaters gestrichen worden. Dresen stimmte dem Vorschlag des Genossen Wolfram zu, dass er sich in regelmäßigen Abständen beim Genossen Wolfram meldet. Darüber hinaus wurde festgelegt, dass im I. Quartal 1978 ein weiteres Gespräch stattfindet, um eventuelle Einsatzmöglichkeiten für die Spielzeit 1978/79 am Deutschen Theater mit Dresen abzustimmen. Des Weiteren soll bis spätestens 30.4.1979 die Wiederherstellung seines Arbeitsrechtsverhältnisses mit dem Deutschen Theater mit Wirkung vom 1.8.1979 beraten werden. Dresen hat in den zwei Jahren, in denen er sich im Ausland aufhält, keinerlei finanzielle oder materielle Ansprüche an das Deutsche Theater. Für gesondert getroffene Vereinbarungen (z. B. Überholungsproben) wird er entsprechend der Honorarordnung der DDR finanziell vergütet.
Am 24.5.1977 fand im Deutschen Theater eine außerordentliche Parteiversammlung statt, in der der stellv. Minister für Kultur, Genosse Dr. W. Rackwitz, eine parteiliche Argumentation zur Problematik um Dresen vortrug, um Gerüchten vorzubeugen, wonach der Regisseur des Deutschen Theaters, Adolf Dresen, ungesetzlich die DDR verlassen habe.
Nur zur persönlichen Kenntnisnahme, da Quellengefährdung.