Festnahme eines Westberliners nach seinem Grenzübertritt in die DDR
7. März 1977
Information Nr. 146/77 über die bisherigen Ergebnisse der Untersuchungen im Zusammenhang mit der Festnahme des ständigen Einwohners von Berlin (West), [Name 1, Vorname], am 5.3.1977
Am 5.3.1977, gegen 18.00 Uhr, wurde nach erfolgtem ungesetzlichen Grenzübertritt aus Westberlin in die Hauptstadt der DDR, im Abschnitt Brandenburger Tor, der ständige Einwohner von Berlin (West), [Name 1, Vorname] (21), geb. am [Tag] 1955 in Goslar, wohnhaft: Berlin (West)-Tiergarten, [Adresse], Student der Rechtswissenschaft an der Freien Universität in Westberlin, ledig, durch Angehörige der Grenztruppen der DDR, ohne Anwendung der Schusswaffe, festgenommen.
Der ungesetzliche Grenzübertritt des [Name 1] über die Grenzmauer am Brandenburger Tor wurde durch einen Angehörigen der Westberliner Polizei beobachtet.
Im Ergebnis der bisherigen Untersuchung ist festzustellen:
[Name 1] lernte im November 1974 die DDR-Bürgerin [Name 2, Vorname], geb. am [Tag] 1952 in Berlin, Beruf: Diplomökonom, zzt. Verkäuferin in einer Bäckerei, wohnhaft: 1054 Berlin, [Adresse], kennen, mit der er sich im September 1975 verlobte. Unter dem fortgesetzten Einfluss des [Name 1], der eine gemeinsame Existenz in der DDR aus familiären und beruflichen Gründen ablehnte, entschloss sich die [Name 2], ihre Übersiedlung in die BRD zu betreiben. Ende September 1975 ersuchte die [Name 2] beim Rat des Stadtbezirks Berlin-Mitte, Abteilung Innere Angelegenheiten, erstmalig um »Familienzusammenführung und Übersiedlung in die BRD«, wobei sie sich auf die Schlussakte der KSZE1 und das Staatsbürgerschaftsgesetz der DDR2 berief. In der Folgezeit ersuchte die [Name 2] mit gleicher Begründung beim Magistrat von Groß-Berlin, Abteilung Inneres, und beim Ministerium des Innern um ihre Übersiedlung, die in allen Fällen aufgrund fehlender Voraussetzungen abgelehnt wurde. Im Dezember 1976 hat sich die [Name 2] mit einem derartigen Ersuchen an den Vorsitzenden des Staatsrates der DDR gewandt.
Aufgrund der fortgesetzten negativen Einwirkung des [Name 1] auf die [Name 2] hinsichtlich des hartnäckigen Betreibens ihrer Übersiedlungsabsicht wurde mit Wirkung vom 15.1.1977 gegen [Name 1] Einreise- und Transitsperre eingeleitet.
In der Folgezeit stand [Name 1] mit der [Name 2] in brieflicher und telefonischer Verbindung.
Entsprechend den mit der [Name 2] getroffenen telefonischen Vereinbarungen zu einem für den 5. bis 8.3.1977 in der VR Polen geplanten Zusammentreffens versuchte der [Name 1] am 5.3.1977, gegen 8.00 Uhr und 14.18 Uhr, zur Durchreise nach der VR Polen im Transit in die DDR einzureisen. In beiden Fällen wurde er aufgrund der eingeleiteten Reisesperre zurückgewiesen.
Bei einer telefonischen Kontaktaufnahme am 5.3.1977, gegen 15.30 Uhr, gab [Name 1] der [Name 2] zur Kenntnis, dass er möglicherweise ungesetzlich in das Staatsgebiet der DDR eindringen wird, um durch diese demonstrativ-provokatorische Handlung auf die staatlichen Organe der DDR Druck auszuüben und diese zu veranlassen, die Reisesperrmaßnahmen gegen ihn aufzuheben oder die Übersiedlung der [Name 2] zu genehmigen. Dabei nannte er weder Ort noch Zeitpunkt der beabsichtigten Handlung. In diesem Zusammenhang erteilte [Name 1] der [Name 2] den Auftrag, seine An- bzw. Abwesenheit durch telefonische Anrufe in seiner Wohnung ab 5.3.1977, 20.00 Uhr, bis zum 8.3.1977 festzustellen und für den Fall seiner Abwesenheit am 8.3.1977 seine in Westberlin wohnhafte Mutter zu informieren, dass er möglicherweise in der DDR wegen ungesetzlichen Eindringens inhaftiert ist.
Obwohl die [Name 2] bisherigen Aussagen zufolge dem [Name 1] abgeraten haben will, derartige Handlungen zu begehen, hat [Name 1], nachdem er in der Zeit von ca. 17.00 bis 18.00 Uhr durch Besteigen des Aussichtspodestes auf Westberliner Seite die Staatsgrenze der DDR erkundet und für sein Vorhaben die Grenzmauer am Brandenburger Tor ausgewählt hatte, gegen 18.00 Uhr unter Ausnutzung der Deckung von dort befindlichen Bäumen die Grenzmauer in Richtung Hauptstadt der DDR überstiegen.
Um derartigen provokatorischen Verletzungen der Staatsgrenze der DDR wirksamer vorzubeugen, wird vorgeschlagen, die gerichtliche Hauptverhandlung gegen [Name 1] kurzfristig durchzuführen und über deren Ergebnis eine Pressemeldung zu veröffentlichen.