Festnahme von Minderjährigen an der GÜST Hirschberg
3. Mai 1977
Information Nr. 282/77 über das Ergebnis der Untersuchungen zu den am 22.4.1977 an der Grenzübergangsstelle Hirschberg festgenommenen minderjährigen BRD-Bürgern [Vorname Name 7] und [Vorname Name 8]
Die durch das MfS im Zusammenhang mit der Festnahme der minderjährigen BRD-Bürger [Name 7, Vorname] (16), geb. am [Tag] 1960, Beruf: ohne, zuletzt: Natursteinschleiferlehrling bei der [Firma 1], 8542 Roth, [Adresse] (Bayern), wohnhaft: 8542 Roth, [Adresse], und [Name 8, Vorname] (16), geb. am [Tag] 1960, Beruf: ohne, zuletzt: Steinmetzlehrling bei der [Firma 2] Burgkunstadt (Bayern), wohnhaft: Schwürbitz, [Adresse], die am 22.4.1977, gegen 2.30 Uhr, an der Grenzübergangsstelle Hirschberg versuchten, sich der Kontrolle durch die Grenzsicherungskräfte der DDR zu entziehen, geführten Untersuchungen (siehe Information Nr. 267/77, Ziffer 2) haben ergeben:
Der minderjährige [Name 7] entstammt einer Arbeiterfamilie. Sein Vater ist als Emaillierer bei der [Firma 3] in Roth/Bayern beschäftigt. Die Mutter ist Hausfrau. Beide Elternteile sind nach Aussagen des [Name 7] in der SPD organisiert. [Name 7] besuchte von 1967 bis 1976 die Grundschule und schloss diese mit der 7. Klasse ab, nachdem er aufgrund mangelnder schulischer Leistungen die 4. Klasse zweimal absolvieren musste. Am 1.9.1976 nahm er eine Lehre als Natursteinschleifer bei der [Firma 1] in Roth auf.
Der minderjährige [Name 8] entstammt ebenfalls einer Arbeiterfamilie. Sein Vater ist Arbeiter bei der [Firma 4] in Schwürbitz und seine Mutter Arbeiterin im [Firma 5] Neuensee. Beide Elternteile sind nach Aussagen des [Name 8] nicht politisch organisiert. Von 1967 bis 1973 besuchte er die Grundschule und von 1973 bis 1976 die Hauptschule, die er mit der 9. Klasse abschloss. Im September 1976 nahm er ein Lehrverhältnis als Steinmetz bei der [Firma 2] in Burgkunstadt auf.
[Name 7] und [Name 8] haben nach eigenen Angaben keine Verbindungen in die DDR und lernten sich bei gemeinsamen Aufenthalten im Schülerwohnheim Wunsiedel kennen.
Am 21.4.1977, gegen 22.30 Uhr, wurden [Name 7] und [Name 8] eigenen Angaben zufolge aufgrund nächtlicher Ruhestörung und infolge übermäßigen Alkoholgenusses durch den Heimleiter aus dem Schülerwohnheim Wunsiedel gewiesen.
Da mit dem Verweis aus dem Wohnheim ihrer Meinung nach der Verlust ihrer Lehrstellen feststand, wollen sie sich entschlossen haben, die BRD nach Frankreich zu verlassen und dieses Vorhaben sofort zu realisieren. Gegen 23.00 Uhr verließen sie zu diesem Zweck mit ihren persönlichen Sachen das Internat und begaben sich zu Fuß nach Furthammer, um von da aus auf eine international befahrene Hauptstraße zu gelangen. An einer in Furthammer befindlichen Tankstelle, die zu diesem Zeitpunkt geschlossen war, entwendeten sie einen unverschlossenen abgeparkten Pkw »Renault R 4«, amtliches Kennzeichen […], und fuhren mit diesem, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, sich gegenseitig abwechselnd und unter Alkoholeinfluss stehend auf die Autobahn Nürnberg–Rudolphstein. Während dieser Fahrt wollen sie sich entschlossen haben, zunächst nach Westberlin zu fahren, ohne konkrete Vorstellungen über ihr weiteres Vorgehen zu haben. Gegen 2.00 Uhr des 22.4.1977 passierten sie den Kontrollpunkt Rudolphstein, ohne von den Grenzorganen der BRD kontrolliert worden zu sein, und fuhren in Richtung Grenzübergangsstelle Hirschberg. (Ihnen ist nach eigenen Aussagen nicht bekannt gewesen, dass sie bei einer Fahrt von der BRD nach Westberlin durch das Territorium der DDR fahren müssen.)
Nach kurzer Weiterfahrt hat [Name 7] die Kontrolleinrichtungen und einen geschlossenen Schlagbaum der Grenzübergangsstelle Hirschberg erkannt. Da er befürchtete, dass nach ihnen gefahndet wird, überquerte er mit dem Pkw ca. 500 Meter vor der Grenzübergangsstelle Hirschberg – bereits auf dem Territorium der DDR – den Grünstreifen mit dem Ziel zu wenden und wieder in Richtung BRD zu fahren, wobei die Festnahme erfolgte. (Die Entfernung zwischen dem Kontrollpunkt Rudolphstein und der Staatsgrenze der DDR beträgt 113 Meter.)
Den Jugendlichen konnte keine Straftat im Sinne des ungesetzlichen Grenzübertritts nachgewiesen werden.
Im Ergebnis der geführten Untersuchungen wird vorgeschlagen, die gegen [Name 7] und [Name 8] gemäß § 213 StGB (Ungesetzlicher Grenzübertritt)1 eingeleiteten Ermittlungsverfahren einzustellen, die Haftbefehle aufzuheben, die minderjährigen BRD-Bürger im Zeitraum 3. bis 10. Mai 1977 nach der BRD zu entlassen und den sichergestellten Pkw zurückzuführen.