Flugzeughavarie in Berlin-Schönefeld
[ohne Datum]
Information Nr. 736/77 über bisherige Ergebnisse der Untersuchung der Flugzeughavarie am 22.11.1977 auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld
Im Ergebnis bisheriger Untersuchungen über den Hergang und die Ursachen der Havarie der Passagiermaschine der Interflug Typ TU 134 A DM-SCM am 22.11.1977 auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld liegen dem MfS folgende Erkenntnisse vor:
Wie festgestellt wurde, setzte das Flugzeug der Interflug (Linienflug IF 601, Start 7.53 Uhr MEZ vom Flughafen Moskau-Scheremetjewo) gegen 10.32 Uhr mit einer Geschwindigkeit von 280 km/h zu hart auf der Start- und Landebahn II (SLB II) auf, wobei die linke Tragfläche mit dem linken Hauptfahrwerk vom Rumpf abbrach.
Infolge dessen kam das Flugzeug von der befestigten SLB II linksseitig ab, drehte sich um die Längs- und Querachse in die Rückenlage und kam etwa 300 m nach dem Aufsetzen mit der Rumpfspitze entgegen der Flugrichtung zum Stillstand. Die Passagiermaschine wurde aufgrund des vorgenannten Hergangs der Havarie schwer beschädigt.
Die Start- und Landebahn II des Flughafens Berlin-Schönefeld musste aufgrund der Flugzeughavarie für den weiteren Flugbetrieb gesperrt werden. Für etwa 80 Minuten waren jegliche Flugbewegungen auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld unterbrochen worden.
Das Flugzeug war am 21.11.1977 als planmäßiger Linienflug IF 608, Start 16.00 Uhr, von Berlin-Schönefeld nach Moskau unter Leitung des Flugkapitäns [Name 1, Vorname], geb. am [Tag] 1935 in Berlin, wohnhaft: 117 Berlin, [Adresse], Mitglied der SED, gestartet. [Name 1] führte nach Beendigung des Linienfluges in Moskau zehn automatische Landeanflüge zur Erprobung der neuen Kategorie II (Landung unter Schlechtwetterbedingungen mithilfe einer in der UdSSR konstruierten technischen Weiterentwicklung am Autopiloten bis zu einer vertikalen Sichtweite von 45 m und einer horizontalen Sichtweite von 600 m) durch.
Seit dem Einbau der technischen Weiterentwicklung im Mai 1977 wurden mit dem havarierten Flugzeug 120 Erprobungsflüge durchgeführt. Dabei kam es zu keinen Störungen am Autopiloten bzw. im Steuersystem.
Zum Rückflug von Moskau nach Berlin wurde das Flugzeug vom Kommandanten, Flugkapitän [Name 2, Vorname], geb. am [Tag] 1940 in Bernburg, wohnhaft: 1136 Berlin, [Adresse], Flugzeugführer – Ingenieur, seit 1961 bei der Interflug, verheiratet, 2 Kinder, Mitglied der SED seit 1963, APO-Sekretär, Gesamtflugstunden 8 017, Flugstunden als Kommandant 3 981, am 22.11.1977 ordnungsgemäß übernommen.
Der Flug verlief bis zum Landeanflug in Berlin-Schönefeld planmäßig und ohne Vorkommnisse. Der Landeanflug war als automatischer Landeanflug bis zur Höhe von 60 m (für den Kommandanten [Name 2] festgelegte Untergrenze eines automatischen Landeanfluges) vorgesehen.
Nach Angaben des Flugkapitäns [Name 2] hatte er die Absicht, bei der vorgeschriebenen Flughöhe von 60 m von automatischer zur Handsteuerung überzugehen. Die Abschaltung des Autopiloten sei ihm jedoch nicht gelungen, wodurch das Flugzeug über der Landebahn nicht mehr abgefangen werden konnte und es zum harten Aufsetzen kam. Diese Angaben werden durch die Untersuchungen der Sachverständigenkommission bisher dahingehend bestätigt, dass der Autopilot bis zum Eintritt der Havarie in Betrieb war.
Aufgrund der vorläufigen Auswertung des Flugdatenschreibers durch die Sachverständigen der Staatlichen Luftfahrtinspektion der DDR kann angenommen werden, dass die Besatzung in der unmittelbaren Landephase versuchte, mit Handkraft die Steuersäule zu betätigen, dadurch die Mechanik des Autopiloten zu überwinden und auf diese Weise das Flugzeug abzufangen. Offenbar erfolgten diese Handlungen jedoch unterhalb der für Flugkapitän [Name 2] festgelegten Höhe von 60 m und damit zu spät, sodass das harte Aufsetzen nicht mehr verhindert werden konnte.
Entsprechend den aus den bisher geführten Untersuchungen gewonnenen Erkenntnissen wird von den Sachverständigen eine fehlerhafte Verhaltensweise des Kommandanten und des 2. Flugzeugführers ([Name 3, Vorname], geb. am [Tag] 1947, wohnhaft: Berlin-Schönefeld, Mitglied der SED, Interflug seit 1.9.1969, Gesamtflugstunden 2 102, auf der TU 134 415) nicht ausgeschlossen.
Wie im Zusammenhang mit der Havarie festgestellt wurde, befanden sich – neben den fünf Besatzungsmitgliedern – 69 Passagiere im havarierten Flugzeug (zwei Reisegruppen und neun Einzelreisende) sowie fünf Dienstreisende der Interflug.
Von den insgesamt 79 Insassen erlitten eine Person mittlere Verletzungen (Rippenbruch) und sieben Personen leichtere Verletzungen.
Nach ambulanter Behandlung im Krankenhaus Berlin-Köpenick konnten alle Verletzten nach Hause entlassen werden.
Der sich unter den Passagieren befindliche Botschafter der DDR in der UdSSR, Harry Ott, und ein weiterer Mitarbeiter der DDR-Botschaft blieben unverletzt.
Der als einziger ausländische Einzelreisende von der Havarie betroffene BRD-Bürger [Name 4, Vorname], geb. am [Tag] 1945, wohnhaft: Duisburg/BRD, [Adresse], Pass-Nr.: […], blieb ebenfalls unverletzt. Seinem Anliegen, die Ständige Vertretung der BRD in der Hauptstadt Berlin aufzusuchen, war stattgegeben worden.
Die Untersuchungen zur eindeutigen Klärung der Ursachen der Havarie einschließlich möglichen Fehlverhaltens des Kommandanten und 2. Flugzeugführers werden u a. durch weitere Auswertung des Flugdatenschreibers und anderer Aufzeichnungs- und Registriergeräte sowie durch technische Überprüfung der Steuer- und Navigationsanlagen fortgesetzt.
Bis zur endgültigen Klärung der Ursachen der Havarie sind alle automatischen Landeanflüge untersagt.