Geplante Biermann-Veröffentlichungen im Verlag Kiepenheuer & Witsch
29. Januar 1977
Information Nr. 72/77 über beabsichtigte Biermann-Veröffentlichungen in der BRD
Dem MfS wurde zuverlässig bekannt, dass der BRD-Verlag Kiepenheuer & Witsch (K & W), Köln-Marienburg, 5 Köln 51, Rondorfer Str. 5, ab Januar 1977 mit einer massiven Veröffentlichung der »literarischen Produkte« von Wolf Biermann beginnt.
Dem Programm des Verlages K & W für das Frühjahr 1977 ist zur Popularisierung dieses Vorhabens ein vierseitiger »Sonderhinweis« auf die kommenden Biermann-Veröffentlichungen beigefügt. Die erste Seite enthält sechs Fotos von Auftritten Biermanns in der BRD. Auf der zweiten Seite wird unter der Überschrift: »In diesem Lande leben wir wie Fremdlinge im eigenen Haus« eine Art »politischer« Lebenslauf von Biermann abgedruckt.
Danach werden Biermann-Titel wie »Nachlass 1« – Noten, Schriften, Beispiele; »Ich bin ein staatlich anerkannter Staatsfeind« – Aufsätze, Gespräche, Interviews sowie eine Dokumentation zur Ausbürgerung Wolf Biermanns aus der DDR, »Exil« von Günter Wallraff, angekündigt.1
Auf der letzten Seite wird darauf verwiesen, dass ab sofort alle Schallplatten von Wolf Biermann (genannt werden:
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Warte nicht auf bessre Zeiten,
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aah – ja,
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Chausseestraße 131,
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Liebeslieder,
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Es gibt ein Leben vor dem Tod,
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Das geht sein’ sozialistischen Gang)2
für den Buchhandel exklusiv bei K & W erhältlich sind. (Eine Kopie dieses »Sonderhinweises« wird in der Anlage beigefügt.)3
Der Verlag K & W wurde am 27.11.1948 als »Gustav Kiepenheuer Verlag GmbH« in Hagen/BRD gegründet und trägt seit 1950 die heutige Bezeichnung. Verlagsgründer war Dr. Joseph Witsch (1967 verstorben), der eine Trennung vom »Kiepenheuer Verlag« in Weimar vollzog. Dieser Verlag publiziert neben Werken der modernen Weltliteratur Produkte von Renegaten, Verrätern und »Ostexperten« wie Jürgen Rühle, Zbigniew Brzeziński, Erika von Hornstein, Wolfgang Leonhard, Fritz Schenk, Carola Stern. Bekanntestes Verlagsprodukt in der Zeit des Kalten Krieges war »Die Revolution entläßt ihre Kinder«.4 (Auch die Zeitschrift »SBZ-Archiv«, deren Nachfolgeorgan »Deutschland Archiv« heute im 1961 gegründeten »Verlag Wissenschaft und Politik« erscheint, wurde früher von Dr. Joseph Witsch mit Unterstützung des damaligen »Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen« herausgegeben.)5
Inhaber des Verlages ist gegenwärtig Dr. Reinhold Neven DuMont. Dem Verlag ist ein eigener Theaterverlag angeschlossen.
Soweit gegenwärtig bekannt, sind für die vergangenen Jahre nur geringfügige Lizenzvereinbarungen zwischen Verlagen der DDR und dem Verlag K & W abgeschlossen worden.
Bei den Lizenzvergaben an den Verlag K & W handelt es sich um:
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Staatsverlag Berlin – 1972 – Kröger/Lingner: »Wege zu einer marxistisch-leninistischen Methodologie der Analyse internationaler Beziehungen«;6
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Dietz Verlag Berlin – 1972 – F. Mehring: »Kunst und Proletariat«;7
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Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin – 1973 – Hoffmann: »Entwicklungsetappen und Besonderheiten des Absolutismus in Russland«; – 1975 – Löwe: »Einführung in die Lernpsychologie«; – 1976 – »Einführung in die Lernpsychologie«, 2. Auflage;8
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Mitteldeutscher Verlag Halle – 1973 – W. Bräunig/M. W. Schulz: »Dokumentation zur Geschichte der Romantheorie«;9
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Verlag Neues Leben Berlin – 1975 – Ludwig Thurek: »Ein Prolet erzählt«;10
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Aufbau Verlag Berlin – 1972 – J. Schröder (Übersetzer): »Zerstörung der Persönlichkeit« Gorki; – H. Marchwitza: »Sturm auf Essen«; – A. Scharrer: »Der große Betrug«; – A. Zweig/Becher/Weiskopf: Texte zur »Entwicklung der Romantheorie 1880–1970«; – 1975 – A. Serafimowitsch: »Im Sturm«; – 1976 – A. Zweig: »Der Streit um den Sergeanten Grischa«.11
Gegenwärtig wird – nach vorliegenden Hinweisen – kein DDR-Autor beim Verlag K & W veröffentlicht. Die vor ca. drei Jahren vom Leiter des K & W Verlages Dr. Reinhold Neven DuMont angestrebten Kontakte zu DDR-Verlagen und sein dabei bekundetes Interesse an der Literatur der proletarisch-revolutionären Schriftsteller der DDR führte bisher zu keinen geschäftlichen Vereinbarungen.
Der Lizenzerwerb von K & W bezieht sich nach vorläufigen Angaben auf etwa 60 Titel, vorwiegend wahrgenommen durch den Aufbau Verlag Berlin, Insel Verlag Leipzig, Reclam Verlag Leipzig, Verlag der Nationen Berlin, Buchverlag Der Morgen Berlin, Henschel Verlag Berlin, St. Benno Verlag Leipzig, Verlag Volk und Welt Berlin. Über den Verlag K & W wurden bisher eine Reihe Lizenzen für Werke Heinrich Bölls erworben.