Geplante Publikation eines Buchs von Martin Stade im Hinstorff-Verlag
17. Januar 1977
Information Nr. 31/77 über die beabsichtigte Herausgabe eines zur Veröffentlichung nicht geeigneten Buchmanuskriptes des freischaffenden Schriftstellers Stade, Martin, im Hinstorff-Verlag Rostock
Dem MfS vorliegenden internen Hinweisen zufolge beabsichtigt der freischaffende Schriftsteller Stade, Martin, geb. am 1.9.1931, wohnhaft: Rerik, Bezirk Rostock, [Adresse], Mitglied der SED, über den Hinstorff-Verlag Rostock ein Buch mit dem Titel »Balantschuk ist wieder da« zu veröffentlichen, das aufgrund seiner feindlich-negativen politischen Aussage für eine Veröffentlichung als nicht geeignet erscheint.1
Stade gehört zu den Organisatoren der vor dem IX. Parteitag der SED2 verhinderten Herausgabe der Anthologie »Berliner Geschichten«3 (worüber in den Informationen Nr. 788/75, 840/75 und 49/76 ausführlich berichtet wurde) und zu den Mitunterzeichnern der »Protesterklärung« gegen die Ausbürgerung Biermanns aus der DDR.4
In der beim Hinstorff-Verlag vorliegenden Romanvorlage erzählt Stade die Geschichte einer Transportbrigade in einem Plattenwerk der DDR. Hauptfiguren sind u. a. ein haftentlassener Arbeiter, ein wegen Unterschlagung in die Produktion versetzter ehemaliger Angehöriger der DVP und ein aus der Partei ausgeschlossener und aus dem Schuldienst entlassener Lehrer.
In und um diese Figuren herum siedelt der Autor sehr gezielt die verschiedensten in der DDR angeblich vorhandenen »gesellschaftlichen Konflikte« an und gelangt dabei zu grundsätzlichen feindlich-negativen politischen Aussagen.
So wird direkt und indirekt die Partei angegriffen,
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die angeblich »eine Herde von Schafen sei, die mit Hunden zusammengehalten werden müsse«.
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Mitglieder der Partei erscheinen als »unmoralische, betrügerische, seelenlose, militante und karrieristische« Typen.
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In aggressiver Form werden Angriffe gegen die sozialistische Staatsmacht vorgetragen und insbesondere die Schutz- und Sicherheitsorgane diskriminiert. Angehörige der DVP charakterisiert der Autor als »durch die Uniform gehaltene und derart funktionierende Apparate«, welche die ihnen übertragenen Befugnisse missbrauchen würden, »wirkliche Straftaten« nicht aufklären und stattdessen »politische Bespitzelungen« unter der Bevölkerung organisieren, d. h. es wird »nachzuweisen« versucht, dass in der DDR »Gesinnungsterror« praktiziert werde.
Die Darstellung der Suspendierung vom Lehrerberuf einer der handelnden Personen wird dazu missbraucht, um eine in der DDR bestehende »Berufsverbotspraxis« nachzuweisen.
In besonders diffamierender Art und Weise wird der Bereich Volksbildung der DDR angegriffen. Pädagogen werden als »Dresseure« dargestellt, die den ihnen anvertrauten Kindern »alles Eigene abtöten und sie zu willfährigen Werkzeugen manipulieren würden«. Stade stellt dazu fest, dass »man heute nicht Lehrer wird, wenn man Mensch bleiben will«. Er behandelt in seinem Manuskript u. a. weiterhin solche Probleme, wie die Maßnahmen zur Sicherung der Staatsgrenze der DDR im Jahre 1961, die konterrevolutionären Ereignisse in der ČSSR im Jahre 1968,5 und interpretiert sie im feindlich-negativen Sinne.
In stark verbrämter und teilweise kaschierter Form wird in dem vorliegenden Romanmanuskript ein antagonistischer Gegensatz zwischen dem einfachen, ehrlichen Arbeiter und dem Partei- und Staatsapparat konstruiert. Indirekt wird schlussfolgernd an den verschiedensten Abschnitten des Manuskripts an den Leser der Appell gerichtet, etwas zu tun, um »die Betriebe wirklich in die Hand der Arbeiter zu nehmen« und ein »Volkseigentum ohne Partei- und Staatsapparat« zu schaffen.
Im Zusammenhang mit dieser Romanvorlage wurde dem MfS zuverlässig bekannt, dass Stade zwecks Quellen- und Milieustudium in den Jahren 1969/70 mehrere Monate als Hilfsarbeiter im WBK Potsdam, Betriebsteil Plattenwerk, tätig war. Die in der literarischen Vorlage handelnden Personen, so z. B. der haftentlassene Arbeiter und der aus dem Schuldienst suspendierte Lehrer, sind authentisch mit zur angegebenen Zeit ebenfalls im Plattenwerk Beschäftigten.
Internen Informationen zufolge habe sich Stade von drei ehemaligen Brigademitgliedern den »Wahrheitsgehalt« seines Manuskriptes, zu dem er im Mai 1974 im genannten Betrieb eine Buchlesung hielt, schriftlich bestätigen lassen.
(Für das dem Hinstorff-Verlag Rostock vorliegende Manuskript von Stade mit dem Titel »Balantschuk ist wieder da« zeichnet als Lektor Günther Drommer verantwortlich. Dieser tritt für eine Veröffentlichung des Materials in der vorliegenden Form ein und bemüht sich gegenwärtig um Gutachter, die er seinen Vorstellungen entsprechend zu beeinflussen versucht.)
Zur Persönlichkeitsentwicklung des Stade, Martin, liegen folgende Hinweise vor:
Er wurde als Sohn einer Landarbeiterfamilie geboren. Nach dem Besuch der achtklassigen Volksschule folgte eine Lehre als Rundfunkmechaniker und von 1949 bis 1950 Besuch der Sonderschule der FDJ in Erfurt. Dem schloss sich bis 1952 eine Tätigkeit als Instrukteur der Kreisleitung der FDJ in Erfurt an. Bereits 1949 wurde Stade Mitglied der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und 1951 Mitglied der SED. Aufgrund seiner bis dahin, zumindest nach außen hin, positiven Entwicklung erfolgte 1952 sein Einsatz als Kreissekretär der FDJ im Westberliner Bezirk Kreuzberg. Wegen erheblicher Mängel und Schwächen, vorwiegend auf politisch-ideologischem Gebiet, wurde Stade bereits nach kurzer Zeit von dieser Funktion abberufen. Danach war er bis 1959 hauptverantwortlich als Lektor an der Sonderschule des Zentralrates der FDJ in Erfurt tätig. Anschließend arbeitete Stade bis zum Jahre 1967 als Produktionsarbeiter in einem volkseigenen Betrieb, war in der Landwirtschaft und kurzzeitig als Redakteur im Bezirkskabinett für Kulturarbeit in Erfurt tätig. Während seiner Tätigkeit als Produktionsarbeiter im damaligen VEB Chema Rudisleben trat er dem im Betrieb bestehenden Zirkel »Schreibender Arbeiter« bei, den er auch mehrere Jahre leitete. Seine literarischen Ambitionen wurden in der »Arbeitsgemeinschaft Junger Autoren«6 in Weimar gefördert, der er seit 1963 als Gast angehörte. Auf eigenen Wunsch wurde er im September 1967 zum Studium an das Institut für Literatur »Johannes R. Becher« Leipzig delegiert, musste aber nach vier Monaten aufgrund seiner politisch-ideologisch negativen Einstellung und daraus resultierender Haltungen exmatrikuliert werden.
Seit dieser Zeit ist Stade als freiberuflicher Schriftsteller tätig. Anfangs widmete er sich vorrangig Kurzgeschichten und Erzählungen, die in den verschiedensten Zeitschriften und Magazinen veröffentlicht wurden. Weitere wesentliche in der DDR veröffentlichte literarische Arbeiten Stades sind:
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»Der himmelblaue Zeppelin« (1970 – Erzählungen)7
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»Der Meister von Sanssouci« (1971 – historischer Roman)8
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»Tiroler macht Urlaub« (1973 – Erzählung/Fernsehspiel)9
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»Vetters fröhliche Fuhren« (1973 – Erzählung)10
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»Unterwegs und zu Hause« (1973 – Fernsehfeuilleton)11
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»Der erste Urlaubstag« (1974 – Fernsehfilm)12
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»Der König und sein Narr« (1974 – historischer Roman).13
Im Bertelsmann-Verlag (BRD) erschien im Jahre 1974 in einer von Stefan Heym bearbeiteten Anthologie unter dem Titel »Auskunft – neue Prosa aus der DDR« die Erzählung Stades »Von Ruppin ist die Rede«.14 Spätestens seit diesem Zeitpunkt tritt Stade in der Öffentlichkeit, im Schriftstellerverband der DDR sowie gegenüber akkreditierten Korrespondenten und Reisekorrespondenten nichtsozialistischer Staaten mit einer politisch-ideologisch feindlichen und negativen Haltung in Erscheinung.
So gewährte Stade z. B. im Jahre 1974 dem BRD-Jounalisten Dr. Corino, Karl (Hessischer Rundfunk), ein Interview im Zusammenhang mit seiner Erzählung »Ein himmelblauer Zeppelin«.15 In Anlehnung an seine literarische Vorlage vertrat Stade in diesem auch vom Sender RIAS gesendeten Interview negative Positionen zur Entwicklung der sozialistischen Landwirtschaft in der DDR.
Die Kontaktfreudigkeit Stades zu Personen aus nichtsozialistischen Staaten, die die Möglichkeiten besitzen, ihn in diesen Ländern populär zu machen, ihn aber gleichzeitig in seiner feindlich-negativen Auffassung bestärken, zeigt sich gleichfalls in seinem Engagement gegenüber dem USA-Germanisten Dr. Zipser, Richard, dem er 1976 ein Interview gab, worin er sich negativ über die Feststellung des 11. Plenums des ZK der SED16 zur Kulturpolitik der DDR äußerte und die auf dem Plenum an einigen Kulturschaffenden geübte Kritik als nicht gerechtfertigte »Angriffe« bezeichnete. Weiterhin vertrat er die Auffassung, dass infolge dieses Plenums Schriftsteller »völlig zerstört« worden seien und die große Masse der Schriftsteller der Partei angeblich »zu Kreuze gekrochen« sei.17
Nach dem MfS weiter vorliegenden zuverlässigen Hinweisen machte Stade äußerst diskriminierende Bemerkungen bezüglich der literarischen Darstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Sowjetunion. Angeblich habe er von einer Reise in die UdSSR »entsetzliche Eindrücke mitgebracht, über die er nicht schreiben könne, weil er bestimmte Probleme nicht zu verschweigen in der Lage sei«. Er habe in Moskau »Paläste gesehen, in denen die Partei dirigiert, in den Gängen dieser Paläste jedoch Schlangen von abgerissenen und demoralisierten Bittstellern« beobachtet.
Nach Auffassung Stades müsse die Literatur über ihre bisherige Funktion hinweggehen und eine avantgardistische Rolle übernehmen. Sie müsse imstande sein, die Gesellschaft bloßzulegen und es dem Einzelnen ermöglichen, die Gesellschaft »richtig« zu durchschauen. Sie müsse gleichzeitig an einer Änderung bestimmter negativer Erscheinungen mitwirken. Kunst und Literatur seien nach Auffassung von Stade nicht klassengebunden. Ausschlaggebend sei die Auffassung des Schriftstellers, aus »innerem Bewegtsein« heraus zu schreiben. Für ihn selbst »bestehe die Aufgabe darin, bestimmte, der Gesellschaft innewohnende Schwächen auf das Schärfste zu kritisieren und literarisch zu gestalten«.
Eine derartige Haltung offenbarte Stade nicht nur im vorgenannten mehrstündigen Interview mit Zipser. Seine egozentrische und feindlich-negative Einstellung und Haltung zur sozialistischen Gesellschaftsordnung zeigte und zeigt Stade auch öfters in der Öffentlichkeit. Während einer Lesung im Studentenclub »Kiste« in Rostock kritisierte er – literarisch ummäntelt – die Hochschulpolitik der DDR. In einem anderen Zusammenhang verleumdet er die Sicherheitsorgane der DDR und unterstellt diesen die Anwendung »unlauterer Mittel und Methoden«. In seinem unmittelbaren Bekanntenkreis äußert er sich besonders negativ, wobei insbesondere die SED und ihre führende Rolle immer wieder im Mittelpunkt seiner Angriffe stehen.
Im Zusammenhang mit den Aktivitäten Stades zur Ausbürgerung von Biermann wurde am 17.12.1976 durch die Parteiorganisation der Schriftsteller des Bezirksverbandes Frankfurt/O. ein Parteiverfahren gegen ihn eröffnet, das noch nicht abgeschlossen ist. Vorliegenden Hinweisen zufolge beabsichtigt er in kürzester Zeit seinen Hauptwohnsitz in Alt-Rosenthal, Kreis Seelow, Bezirk Frankfurt/O., zu nehmen. (Stade hat zusammen mit Plenzdorf und Schlesinger sowie einem Arzt ein ehemaliges Vorwerk in Alt-Rosenthal käuflich erworben und ein Haus dieses Gebäudekomplexes als künftige Wohnung ausgebaut.)
Zu dem in der Information als Fürsprecher der Veröffentlichung des Manuskriptes von Martin Stade »Balantschuk ist wieder da« genannten Drommer, Günther, geb. am 7.7.1941, tätig als Außenlektor des Hinstorff-Verlages Rostock, Mitglied der SED, ist zuverlässig bekannt, dass er eine schwankende politische Einstellung besitzt und über den Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit hinaus die Aktivitäten einer Reihe von Schriftstellern, die abweichende Auffassungen zur Kulturpolitik der DDR vertreten, unterstützt.
So hat er bereits seit dem Jahre 1973 durch seine damalige Tätigkeit als Dramaturgie-Assistent beim Fernsehen der DDR engen Kontakt zu Stade, dessen Erzählung »Tiroler macht Urlaub« er für das Fernsehen bearbeitete und den er weiterhin als Lektor betreut. Drommer hat darüber hinaus sehr enge Verbindungen zu dem Schriftsteller Rolf Schneider, dessen »problematische« Werke er ebenfalls im Hinstorff-Verlag zur Veröffentlichung zu bringen beabsichtigt.18 Gute Verbindungen bestehen ebenfalls zu Plenzdorf und Schlesinger.
Wie weiter bekannt wurde, erhielt Drommer bereits frühzeitig in gewissem Umfang Kenntnis von dem Projekt »Berliner Geschichten« und hatte zu einigen Beiträgen zwar »ästhetische, jedoch keine politisch-ideologischen Bedenken«.
Drommer soll leicht beeinflussbar sein und könnte aufgrund einer vorhandenen gewissen Naivität von diesen Kräften für ihre feindlich-negativen Aktivitäten missbraucht werden.