Interne Sitzung der KKL in Berlin (14. und 15.1.1977)
28. Januar 1977
Information Nr. 62/77 über eine interne Sitzung der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR am 14./15.1.1977
Dem MfS wurden Einzelheiten über den Inhalt der Sitzung der Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen in der DDR, die im internen Kreis am 14. und 15.1.1977 in Berlin stattfand, bekannt.
In der Sitzung wurden die Tagesordnungspunkte behandelt:
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Bericht der Kirchenleitungen über Gespräche mit staatlichen Vertretern im Zeitraum ab etwa November 1976
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Teilnahme am Weltkongress der religiösen Friedenskräfte im Juni 1977 in Moskau.1
Als erster Diskussionsredner zum ersten Tagesordnungspunkt meldete sich Bischof Krusche, Magdeburg. Er brachte zum Ausdruck, in den Gesprächen, die mit Vertretern der Kirchenprovinz Sachsen seitens des Staatsapparates geführt wurden, sei es der Kirche nicht darauf angekommen, in »harten« Aussprachen die »schwierige Situation des Staates« für die Interessen der Kirche »auszunutzen« oder den Staat »zu erpressen«, sondern die Kirchenleitung habe sich bemüht, ihren Standpunkt darzulegen und ihren festen Willen zu ehrlicher Mitverantwortung zu erklären. Er wolle besonders hervorheben, dass diese Gespräche seitens der Kirche »ehrlich« geführt wurden, auch wenn bei Vertretern des Staatsapparates wie im Falle Brüsewitz2 der Eindruck entstanden sei, dass viele Fragen von den Vertretern der Kirche lediglich oberflächlich behandelt worden seien. Krusche habe eine Unterredung mit dem Staatssekretär für Kirchenfragen gehabt, und er nehme an, dass »noch bestehende Missverständnisse« während dieses Gesprächs weitgehend geklärt worden seien und ein »bestimmtes Vertrauensverhältnis« erreicht worden wäre.
Bischof Rathke, Schwerin, äußerte, er habe auch in letzter Zeit in Gesprächen mit Vertretern des Staatsapparates »große Missverständnisse festgestellt«. Einheitliche Meinungen insbesondere über Fragen der Volksbildung (angebliche Benachteiligung von christlich gebundenen Schülern) seien bisher nicht erzielt worden. Die staatlichen Vertreter seien offensichtlich von der Haltung der Kirche, deren Vertreter konsequent für ihre Interessen eingetreten seien, sehr enttäuscht gewesen. Die Enttäuschung sei jedoch für die Kirche unverständlich, da die Gesprächsführer der Kirchenleitung ihre Probleme »in ehrlicher Sorge« vorgetragen hätten. Die Landeskirche gehe weiter davon aus, dass sie »Mitverantwortung« tragen müsse. Sie wolle dem Staat »nicht in den Rücken fallen«, müsse aber das »Recht der Kirchen zur kritischen Solidarität mit ihren Christen« und zur »helfenden Kritik für den Staat« wahrnehmen.
In Anlehnung an die Berichte der Landeskirchen Sachsen (Magdeburg) und Mecklenburg erstatteten die übrigen Landeskirchen Berichte ähnlichen Inhalts.
Bei allen Gesprächsteilnehmern herrschte Übereinstimmung, die Kirchenleitungen sollten »Schluss machen mit allgemeinen Höflichkeitsgesprächen«, sie sollten Initiative ergreifen zu »detaillierteren Aussprachen« und »ehrlichen Diskussionen«.
Bischof Gienke, Greifswald, führte in diesem Zusammenhang an, die Kirchenleitung sei zu Gesprächen mit staatlichen Vertretern stets mit konkreten und klaren Diskussionspunkten gegangen. So seien Allgemeinheiten vermieden worden, und die Gespräche hätten zum Nutzen geführt.
In der Sitzung der Konferenz der evangelischen Kirchenleitung wurde die Erwartung deutlich, dass die Leitung der evangelischen Kirche in der DDR vom Staatssekretär für Kirchenfragen zu einem Grundsatzgespräch eingeladen wird. Dieses Gespräch soll durch den Vorstand des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR wahrgenommen werden. (Bischof Schönherr, Berlin, Bischof Braecklein, Eisenach, Bischof Hempel, Dresden, Landessuperintendent und Präses der Synode des Bundes Schröder, Parchim, Pfarrer Martin Kramer, Magdeburg, und Superintendent Fritz, Karl-Marx-Stadt, als Stellvertreter der synodalen Mitglieder der Konferenz der Kirchenleitungen).3
Im zweiten Tagesordnungspunkt beschäftigte sich die Konferenz der evangelischen Kirchenleitungen mit der Teilnahme am Weltkongress der religiösen Friedenskräfte im Juni 1977 in Moskau. Von den Vertretern aller Landeskirchen wurde die Teilnahme am Weltkongress bejaht. Unterschiedliche Auffassungen gab es zu der Frage, welchen Status die Delegation haben soll, d. h. den Status eines Beobachters oder einer Delegation mit beschließender Stimme.
Die Bischöfe Braecklein, Eisenach, Gienke, Greifswald, und Kirchenpräsident Natho, Dessau, sprachen sich für eine Delegation des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR aus, die alle Rechte zur Mitarbeit in den Gremien des Kongresses hat. Die Landeskirchen Mecklenburg (Schwerin), Kirchenprovinz Sachsen (Magdeburg), Sachsen (Dresden), Görlitz und Berlin-Brandenburg vertraten die Meinung, dass eine Delegation zum Weltkongress entsandt werden soll, aber nur mit dem Status eines Beobachters.
Diese Haltung wurde wie folgt begründet:
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die westdeutsche Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) habe keine Einladung erhalten,
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Israel sei nicht eingeladen worden,
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der Vatikan habe Bedenken gegen eine Teilnahme geäußert,
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die Einladungen aus Moskau seien einmal an Einzelpersonen und zum anderen an Institutionen erfolgt; der Zweck der Unterscheidung sei nicht verständlich,
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es sei nicht klar, was man mit diesem Kongress erreichen wolle, da die Kirchen seit Langem auf ökumenischem Gebiet eine wirkungsvolle Friedenspolitik betreiben.
Die Konferenz der Kirchenleitungen erzielte keine Einigung zu diesen Fragen und vertagte die weitere Auseinandersetzung auf die Sitzung dieses Gremiums im März 1977.
Wie intern bekannt wurde, sei Bischof Schönherr, Berlin, der persönlich für eine Delegation mit vollen Rechten eintrat, von seiner Kirchenleitung überstimmt worden und stehe im Hinblick auf die nächste Sitzung im März 1977 vor der Tatsache, deren Meinung vorzutragen.
Bischof Schönherr äußerte in einem internen Gespräch, es wäre weitaus günstiger, wenn die Russisch-Orthodoxe Kirche weniger Einzelpersonen und mehr Kirchen – hauptsächlich aus dem europäischen Raum – einladen würde, wie z. B. den Kirchenbund der Schweiz, die Kirchen Frankreichs, Österreichs und der skandinavischen Länder. So könnte auch den auftretenden Tendenzen entgegengewirkt werden, es handele sich bei dem Weltkongress um eine »Ostökumene«. Wenn z. B. Pfarrer Mochalski aus der BRD, hinter dem keine Kirche stehe, persönlich eingeladen werde – so meinte Bischof Schönherr weiter – so wäre es schwer für die EKD, eine Einladung anzunehmen. Allerdings sei ihm nicht bekannt, ob an die EKD überhaupt eine Einladung ergangen sei. Bekannt sei ihm, dass der Ökumenische Rat der Kirchen4 und die Konferenz Europäischer Kirchen5 nur Beobachter entsenden werden.
Bischof Schönherr betonte weiter, Vertreter des Bundes hätten den Wunsch, mit Metropolit Filaret6 in Berlin-Karlshorst sowie mit Metropolit Juvenali7 in Moskau zu dieser Frage ein Gespräch zu führen, bevor endgültig der Status der DDR-Kirchen-Delegation festgelegt wird.
Diese Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.