Lesung Stefan Heyms in Räumen der Evangelischen Kirche in Hirschluch
11. November 1977
Information Nr. 706/77 über die am 8.11.1977 von Stefan Heym durchgeführte Buchbesprechung in kircheneigenen Räumen in Hirschluch, Frankfurt/O.
Wie in der Information des MfS Nr. 698/77 vom 7.11.1977 mitgeteilt, war Stefan Heym von Verantwortlichen der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg aufgefordert worden, am 8.11.1977 während einer geschlossenen Tagung mit Kreisjugendpfarrern und Kreisdiakonen in kircheneigenen Räumen in Hirschluch eine Buchlesung zum »Der König-David-Bericht«1 durchzuführen.
Die Lesung von Heym fand am 8.11.1977 in der Zeit von ca. 20.15 bis ca. 21.15 Uhr statt; daran schloss sich nach ca. zehnminütiger Pause eine ca. 30 Minuten dauernde Diskussion an. Sie wurde im Rahmen der von der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg in Hirschluch stattfindenden sogenannten Rüste (jährlich stattfindende Schulung hauptamtlicher Mitarbeiter der Kirche) mit ca. 50 beteiligten Kreisjugendpfarrern und Jugendwarten durchgeführt.
Heym war bereits gegen 18.30 Uhr in Hirschluch eingetroffen, wobei er sich zunächst über den Charakter der kirchlichen Veranstaltung informierte. Anschließend nahm er an einem gemeinsamen Abendessen, das in den kirchlichen Räumen stattfand, teil. Zu Beginn der Veranstaltung wurde Heym als »bedeutender Schriftsteller der Gegenwart« vorgestellt.
Nachdem er bis ca. 21.15 Uhr aus seinem Buch »Der König-David-Bericht« verschiedene Auszüge vorgelesen hatte, wurde nach der Pause zur Diskussion aufgefordert. Von diesem Zeitpunkt an zeichnete Heym die Veranstaltung mit einem Minirekorder auf.
Die Diskussion, die nur schleppend anlief, war – wie später von Jugendpfarrern im internen Gespräch bestätigt wurde – mangelhaft vorbereitet worden. Die wenigen Anfragen beinhalteten die verschiedensten Probleme. Heym wurde zunächst nach der »religiösen Bedeutung« seines Buches und nach seiner eigenen Glaubensrichtung befragt. Er bestätigte den »religiösen Charakter« seines Buches, bezeichnete sich als »glaubenslos«, betonte jedoch, er neige »von zu Hause aus zum jüdischen Glauben«.
Die darüber hinaus gestellten Fragen waren nicht mehr oder nicht direkt auf den Inhalt des Buches bezogen. Offensichtlich wurden von einigen anwesenden Jugendpfarrern Äußerungen Heyms zur gegenwärtigen Situation unter den Schriftstellern der DDR erwartet. So wurden Fragen gestellt in der Richtung, inwieweit Schriftsteller die Zeit, in der sie leben, unbedingt von der positiven Seite aus schildern müssten und nicht auf die negativen Seiten in der Gesellschaft eingehen könnten. Heym betonte in der Beantwortung dieser Frage, er schreibe ohne Beeinflussung und gebe »Denkanstöße«; ob diese »Denkanstöße« allen Lesern gefallen würden, sei für ihn zweitrangig.
Eine weitere Frage beinhaltete, inwieweit Heym Verständnis für die Schriftsteller, welche die DDR verlassen haben, aufbringe. Heym erklärte, er habe großes Verständnis für diese Schriftsteller; denn »wenn schöpferischen Menschen die Basis für ihre Tätigkeit genommen oder eingeschränkt werde durch bürokratische Verhaltensweisen und Mangel an Differenzierung«, dann sei es sehr schwer, überhaupt noch zu arbeiten. Er wisse aber, dass seine Kollegen noch sehr mit der DDR verwachsen wären. Nach seiner Meinung würden diese Schriftsteller alle einmal zurückkehren.
Die nächste Frage, wie er – Heym – es sehe, dass der Marxismus-Leninismus als »alleinige Weltanschauung angesehen wird, obwohl unter diesem Namen schon viele Fehler gemacht wurden«, bezeichnete Heym als »unfair«. Heym, der sich bei den vorhergehenden Antworten bemüht hatte, die Diskussion wieder unmittelbarer auf sein Buch zu lenken, reagierte nach dieser Frage offensichtlich verärgert, sah ständig nach der Uhr und erklärte, er spreche hier vor Pfarrern, die wahrscheinlich nicht gekommen seien, um über die Fehler der Kirche zu diskutieren; deshalb solle man die Fehler in diesem Kreis auch nicht beim Marxismus-Leninismus suchen. Unmittelbar darauf brach Heym die Diskussion ab, da, wie er meinte, die Fragestellungen nicht mehr direkt auf sein Buch bezogen seien. Nach Erhalt eines Honorars verließ er das kirchliche Gebäude.
Vertraulichen Hinweisen zufolge fand im Anschluss an die Veranstaltung durch leitende Jugendpfarrer eine kurze Auswertung der Lesung statt. Dabei wurde hervorgehoben, dass die Veranstaltung hätte besser vorbereitet werden müssen. Heym sei anzumerken gewesen, dass er durch die nicht ausschließlich auf sein Buch bezogenen Fragen verärgert gewesen sei. Andererseits hätten sich die Teilnehmer eine ausführlichere und von der Position Heyms gegebene Beantwortung der »heiklen« Fragen gewünscht. Während der Veranstaltung seien praktisch weder der Schriftsteller noch die Teilnehmer »auf ihre Kosten« gekommen.
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