Mord an einem Abschnittsbevollmächtigten der Polizei in Gößnitz
24. Oktober 1977
Information Nr. 664/77 über ein Tötungsverbrechen an einem ABV der Deutschen Volkspolizei am 22.10.1977 in Gößnitz, Bezirk Leipzig
Aufgrund von Hinweisen aus der Bevölkerung wurde am 22.10.1977, gegen 7.00 Uhr, durch Kräfte des VPKA Schmölln im Uferwasser der durch den Park der Freundschaft in Gößnitz, Kreis Schmölln, fließenden Pleiße die Leiche des als Unterleutnant der VP identifizierten ABV im Gruppenposten Gößnitz, [Name 1, Vorname] (44), geb. am [Tag] 1934, wohnhaft: 7422 Gößnitz, [Adresse], verheiratet, 3 Kinder (15, 17, 19 Jahre), SED seit 1958, DVP seit 15.2.1951, geborgen. Bei ersten Überprüfungen am Fundort wurde das Fehlen seiner Dienstwaffe, Pistole Makarow, und von zwei Magazinen mit insgesamt 16 Patronen festgestellt.
Durch zielgerichtete Überprüfungs- und Fahndungsmaßnahmen der DVP im Zusammenwirken mit dem MfS wurden am gleichen Tage als Tatverdächtige festgenommen: [Name 2, Vorname] (24), geb. am [Tag] 1952, Beruf: Teilfacharbeiter als Gärtner, zuletzt: Straßenbauarbeiter beim Rat der Stadt Gößnitz, Stadtwirtschaft, wohnhaft: 7422 Gößnitz, [Adresse], ledig, Vorstrafen: 1974 wegen Körperverletzung 7 Monate Freiheitsentzug, 1977 wegen Körperverletzung 8 Monate Freiheitsentzug auf 1 ½ Jahre Bewährung, [Name 3, Vorname] (26), geb. am [Tag] 1951, Beruf: Textilfacharbeiter, zuletzt: Maurer in der LPG »Frohe Zukunft« in Podelwitz, Kreis Schmölln, wohnhaft: 7421 Podelwitz, [Adresse], verheiratet, Vorstrafen: 1973 wegen verursachter Körperverletzung 10 Monate Freiheitsentzug, [Name 4, Vorname] (21), geb. am [Tag] 1956, Beruf: Teilfacharbeiter als Viehpfleger, zuletzt: Viehpfleger in der LPG »Frohe Zukunft« in Podelwitz, wohnhaft: 7421 Tautenhain, [Adresse], verheiratet, 1 Kind (8 Monate), keine Vorstrafen und [Name 5, Vorname] (19), geb. am [Tag] 1957, Beruf: Teilfacharbeiter als Maurer, zuletzt: Betriebsmaurer in der LPG »Frohe Zukunft« in Podelwitz, wohnhaft: 7422 Großmecka, [Adresse], ledig, keine Vorstrafen.
Die durch das MfS bisher geführten Untersuchungen ergaben: [Name 2], [Name 3], [Name 4] und [Name 5] begaben sich am 21.10.1977, gegen 17.30 Uhr, nach dem Genuss alkoholischer Getränke in der Imbissstube in Gößnitz in die Wohnung des [Name 2], wo sie bis gegen 20.30 Uhr verblieben und weiterhin Alkohol tranken.
[Name 2], der während des dortigen Aufenthaltes – wie schon in der Vergangenheit – aus seiner faschistischen Einstellung keinen Hehl machte und diese in der Form demonstrierte, dass er [Name 3], [Name 4] und [Name 5] symbolisch in seinem Besitz befindliche und inzwischen beschlagnahmte faschistische Abzeichen und Orden verlieh, unterbreitete den Anwesenden den Vorschlag zur Begehung eines ungesetzlichen Grenzübertritts in die BRD. Nachdem er deren Zustimmung erhalten hatte, entwickelte [Name 2], durch Sendungen des Westfernsehens und Rundfunks über Geiselnahmen und Flugzeugentführungen angeregt, zwei Varianten zum ungesetzlichen Verlassen der DDR. Entweder sollte unter Verwendung einer zu beschaffenden Pistole ein Flugzeug entführt oder ein gewaltsamer Grenzdurchbruch in die BRD durchgeführt werden.
[Name 2] schlug vor, den in Gößnitz tätigen ABV [Name 1] unter dem Vorwand einer angeblich stattfindenden Schlägerei in den Park der Freundschaft zu locken, ihn dort zu überfallen und zu entwaffnen. [Name 2] wollte sich damit gleichzeitig wegen des vom ABV gegen ihn wegen Körperverletzung bearbeiteten Ermittlungsverfahrens rächen, wobei von vornherein dessen Tötung beabsichtigt war.
Zur Absicherung des Überfalls auf den ABV stellte [Name 2] eine Anfang Oktober 1977 auf dem Boden des Wohnhauses seiner Verlobten [Name 6, Vorname], 19 Jahre, gefundene Langlaufschusswaffe (Modell vor 1920) zur Verfügung, zu der aber keine Munition vorhanden war.
In Verwirklichung des gemeinsamen Tatentschlusses begaben sich die Beschuldigten gegen 20.30 Uhr zur Wohnung des ABV [Name 1]. Auf dem Wege dorthin trennte sich [Name 5] aus Angst vor den möglichen Folgen dieses Vorhabens von der Gruppe und suchte seine Wohnung auf.
Als Unterleutnant [Name 1] vor seiner Wohnung den Beschuldigten zufällig entgegengekommen war und sie ihm fingierte Mitteilung über eine Schlägerei gemacht hatten, begab sich der ABV in diesen Park. Aufgrund der Anwesenheit anderer Personen im Park nahmen die Beschuldigten vorerst von der Tatausführung Abstand. Nachdem sie den ABV in der Folgezeit auf seinen weiteren Streifenweg beobachtet hatten, wurde Unterleutnant [Name 1] bei erneutem Betreten des Parks gegen 22.45 Uhr von [Name 2] und [Name 3] überfallen, während [Name 4] die Absicherung übernahm.
[Name 2] und [Name 3] schlugen mit vorher von einem Zaun abgerissenen Lattenstücken auf den Kopf und den Rücken des Unterleutnant [Name 1] ein. Aufgrund der Gegenwehr des ABV kam es zu einem Handgemenge mit [Name 2], wobei beide zu Fall kamen. Während [Name 2] mit der linken Hand den in Rückenlage befindlichen ABV bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit würgte, brachte [Name 3] die Pistole nebst Magazinen in seinen Besitz. [Name 3] übergab daraufhin [Name 2] die Pistole und das Ersatzmagazin.
In Tötungsabsicht schlug [Name 2] danach, mit einem Bein auf der Brust des regungslosen liegenden ABV kniend, mit dem Griffstück der Pistole auf dessen rechte Schläfe ein.
Um ein vorzeitiges Auffinden der Leiche zu verhindern, schleiften [Name 2] und [Name 3] den leblosen Körper an den Füßen ziehend zur nahegelegenen Pleiße und stießen ihn ins Wasser. (Die Aussagen zum Tathergang werden durch die vorläufigen Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Sektion bestätigt. Als Todesursache wurde eine Hirnverletzung infolge erheblicher Trümmerbrüche im rechten Schläfenbereich festgestellt.)
Die Beschuldigten begaben sich danach nach Hause. Weitere Aktivitäten zur Realisierung der in der Information genannten Pläne sollten später beraten und festgelegt werden.
Bei der Festnahme des [Name 2] wurde die Waffe im durchgeladenen Zustand vorgefunden.
Gegen [Name 2], [Name 3] und [Name 4] wurden Ermittlungsverfahren wegen Terror im besonders schweren Fall, Mord, unbefugten Waffen- und Sprengmittelbesitzes und versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts und gegen [Name 5] wegen Terrors und versuchten ungesetzlichen Grenzübertritts eingeleitet und Haftbefehle erlassen.
Gegen die [Name 6] wurde wegen Unterlassung der Anzeige gemäß § 225 StGB1 ein Ermittlungsverfahren ohne Haft eingeleitet.
Die Untersuchungen zur umfassenden Aufklärung dieses Verbrechens werden fortgesetzt.