Nichtrückkehr eines Parteisekretärs von Dienstreise nach Oldenburg (3)
15. November 1977
Information Nr. 720/77 über weitere Hinweise über Ergebnisse der mit Schulz, Joachim, geführten Gespräche
In Ergänzung der Information Nr. 704/77 vom 9.11.1977 und Nr. 707/77 vom 11.11.1977 bezüglich der zeitweiligen Nichtrückkehr des Schulz, Joachim, werden folgende weitere Einzelheiten im Ergebnis der mit ihm seitens des MfS geführten Gespräche mitgeteilt:
Schulz wurde im Januar 1976 als hauptamtlicher Sekretär der BPO des VEB Kabelwerke Nord/Schwerin eingesetzt. Da dieser Einsatz seinen Aussagen zufolge ohne langfristige Vorbereitung erfolgte und er sich außerdem den Anforderungen nicht gewachsen fühlte, äußerte Schulz bereits in den Vorbereitungsgesprächen mit der Kreisleitung der SED folgende Bedenken:
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mangelnde Erfahrung in der Parteiarbeit, besonders in Bezug auf die Leitung der Parteiarbeit in einem Großbetrieb, da er zuvor nicht einmal Mitglied der zentralen Parteileitung gewesen sei,
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mangelnde Übersicht über die ökonomischen Prozesse dieses Betriebes,
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zusätzliche Belastung durch ein Hochschul-Fernstudium,
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vorhandener leichter Sprachfehler, wodurch evtl. seine Autorität als Sekretär der Betriebsparteiorganisation leiden könnte.
Als sich seiner Auffassung nach bereits Mitte 1976 diese Bedenken bestätigten, habe er in einer Aussprache dem 2. Sekretär der Kreisleitung der SED Schwerin-Stadt u. a. erklärt, »sich nicht in der Lage zu fühlen, die inhaltlichen Fragen der Parteibeschlüsse in die Praxis umzusetzen und Hemmungen im Umgang mit den Betriebsangehörigen zu haben«. (Im Ergebnis dieser Aussprache sollte Schulz seine Funktion weiter ausüben mit dem Hinweis, dass eventuelle kadermäßige Veränderungen geprüft werden.)
Des Weiteren habe er auch verschiedene Zweifel geäußert an der Durchführung der Wirtschaftspolitik der Partei sowie der Richtigkeit der Lageeinschätzung auf diesem Gebiet.
In der Folgezeit haben sich bei ihm Zweifel und Angst bezüglich des Nichtfertigwerdens mit den anstehenden Problemen verstärkt und er sei zu dem Entschluss gekommen, »alles tun zu müssen, um seine Funktion loszuwerden«. Aus diesen Gründen habe er sich seit ca. einem halben Jahr ernsthaft mit dem Gedanken beschäftigt, einen Einsatz in der BRD zur Nichtrückkehr in die DDR auszunutzen.
Als ihm Anfang Oktober dieses Jahres der voraussichtliche Termin eines Einsatzes in der BRD durch einen politischen Mitarbeiter der Bezirksleitung der SED Schwerin mitgeteilt wurde, habe sich dieser Gedanke bei ihm verfestigt. Er habe in diesem Zusammenhang konkrete Vorbereitungshandlungen getroffen, wie Anfertigung und Mitnahme einer Kurzbiographie zu seiner Person und seinen Angehörigen sowie Mitnahme persönlicher Dokumente. (Geburtsurkunde, Reifezeugnis, Facharbeiterbrief, Ingenieurdiplom, Hochschuldiplom)
Bei den Befragungen in Hamburg habe er folgende Kenntnisse über die Kampfgruppen der Arbeiterklasse1 preisgegeben:
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Existenz eines aus vier Hundertschaften bestehenden, in Züge und Gruppen gegliederten Bataillons in der Stadt Schwerin, dessen Aufgabenstellung in der Vernichtung eventuell aus der BRD eingedrungenen Diversantengruppen besteht. Der Einsatz des Bataillons wird durch die Bezirkseinsatzleitung befohlen. (Bataillon besteht aus einer schweren Hundertschaft und drei motorisierten Hundertschaften; die schwere Hundertschaft ist mit je drei Granatwerfern, Kanonen, RPG-Geschützen und einer Fla-MG ausgerüstet; die motorisierten Hundertschaften verfügen über Achtrad-SPW; Name des Bataillons-Kommandeurs),
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Bekleidung und Ausrüstung der Kämpfer mit zwei Uniformen, Schutzumhang, Truppenschutzmaske, Stahlhelm, Feldspaten, Sturmgepäck Teil I und II sowie persönliche Handfeuerwaffe MPi K,
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Vorhandensein weiterer selbstständiger Hundertschaften und Züge im Kreis Schwerin, die für eine Objektverteidigung vorgesehen sind,
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Art und Weise der Gewinnung von Kämpfern und deren gezielte Ausbildung durch Offiziere der Deutschen Volkspolizei,
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die Kampfgruppen der Arbeiterklasse seien nicht der NVA unterstellt.
Zur Auswahl und zum Einsatz von Kadern unserer Partei in der BRD zur Unterstützung der Arbeit der DKP seien durch ihn folgende Angaben gemacht worden:
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Die Auswahl der Einsatzkader erfolgte durch Abverlangung entsprechender Kadervorschläge seitens der Kreisleitungen der SED.
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Es erfolgte keine spezielle Schulung bestätigter Einsatzkader, da sie aufgrund ihres in der täglichen politischen Arbeit erworbenen Wissens in der Lage sind, Vorträge/Referate für Veranstaltungen in der BRD zu erarbeiten.
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Außer dem Genossen Gerhard Piske habe er keine weiteren Namen ihm bekannter Einsatzkader genannt.
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Er selbst sei vor ca. 4–5 Jahren vom damaligen Parteisekretär des VEB Kabelwerke Nord/Schwerin angesprochen worden bezüglich seiner Bereitschaft, im Auftrage unserer Partei als Referent in öffentlichen Veranstaltungen der DKP aufzutreten.
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Nach seiner Zustimmung wurde er erstmalig im Jahr 1974 in Bremen eingesetzt.
In diesem Zusammenhang habe er auch ausgesagt über den derzeitigen Auftrag in der BRD, so u. a., dass er sich auf Einladung des DKP-Bezirksverbandes Bremen in der BRD befinde und auf öffentlichen Veranstaltungen der DKP als Referent aus der DDR auftreten sollte.