Nichtrückkehr eines Sportarztes von einem Aufenthalt in Österreich
18. August 1977
Information Nr. 559/77 über das ungesetzliche Verlassen der DDR durch den Oberarzt an der DHfK Leipzig, Dr. Karisch
Dem MfS wurde bekannt, dass der Dr. med. Karisch, Günther, geb.: [Tag] 1939 in Oberbielau, wohnhaft: Leipzig, [Adresse], Oberarzt an der DHfK, sich am 16.8.1977 von der DDR-Nationalmannschaft im Kanurennsport in Kolbnitz, Kärnten, Österreich, entfernt hat. Dr. Karisch war begleitender Arzt der DDR-Kanuten, die sich in der Zeit vom 30.7. bis 24.8.1977 im Höhentrainingslager in Österreich befinden. Die Unterkunft ist das Hotel »Reißeck« bei Kolbnitz.
Die bisher vom MfS durchgeführten Überprüfungen ergaben:
Dr. Karisch versah am Vormittag des 16.8.1977 den mit der Delegationsleitung abgesprochenen Dienst in der Unterkunft, wo er mit einigen Kanuten ärztliche Konsultationen durchführte. Zum Mittagessen erschien Dr. Karisch nicht. Bedienungskräfte der Seilbahn, die vom Hotel »Reißeck« in den Ort Kolbnitz führt, gaben an, dass Dr. Karisch gegen Mittag diese Bahn benutzte. Von Mitgliedern der Delegation wurde Dr. Karisch letztmalig am 16.8.1977, gegen 13.00 Uhr, gesehen.
Festgestellt wurde, dass Dr. Karisch einen geringen Teil seiner persönlichen Sachen (Kleidungsstücke, Waschutensilien) mitgenommen hat. Das gesamte übrige Gepäck, einschließlich des Fotoapparates, verblieben im Zimmer des Hotels. Seinen Reisepass sowie alle Unterlagen, die seine Tätigkeit als betreuender Arzt betreffen, ließ er ebenfalls zurück. Zur speziellen Vorbereitung der Sportler hatte Dr. Karisch Medikamente mitgeführt, die als unterstützende Mittel1 einzuordnen sind. Eine Überprüfung ergab, dass er keine dieser Mittel mitgenommen hat.
Dr. Karisch versah seinen Dienst als betreuender Arzt im Höhentrainingslager in Österreich ohne Beanstandungen und Vorkommnisse. Es gab keinerlei Anzeichen und Hinweise, die auf die Absicht eines ungesetzlichen Verlassens der DDR hindeuteten, und auch keine Vorfälle bzw. Auseinandersetzungen, die zu einer solchen Kurzschlusshandlung hätten führen können. Dr. Karisch verhielt sich wie bei anderen Auslandseinsätzen normal. (Der vorletzte Auslandseinsatz von Dr. Karisch erfolgte zu den internationalen Kanusportwettbewerben in Nottingham/England vom 6.7. bis 11.7.1977.)
Seit 1975 arbeitet Dr. Karisch als verantwortlicher Forschungsgruppenarzt für Kanurennsport an der DHfK. Durch diese Tätigkeit hat er Kenntnis über leistungsfördernde Mittel2 und Methoden des Kanurennsportes in der DDR. Er hat sich des Weiteren mit Problemen für die Vorbereitung der Kanuten zu den Olympischen Sommerspielen 19803 beschäftigt.
Zum Persönlichkeitsbild des Dr. Karisch ist Folgendes bekannt:
Er ist seit 1966 verheiratet mit Karisch, [Vorname 1, Geburtsname], geb.: [Tag] 1943, wohnhaft: Dresden, [Adresse], tätig als OP-Schwester in der [Fachrichtung] Klinik des Krankenhauses [Ort].
[Passage mit schutzwürdigen Informationen nicht wiedergegeben.]
Dr. Karisch verfügt über keinen engeren Umgangskreis in der Privatsphäre. Ein gutes Verhältnis unterhält er zu seiner Mutter. Die Kontakte zu seinen fünf Geschwistern in der DDR sind nur lose. Zu beachten ist, dass zwei Brüder in der BRD leben: Karisch, [Vorname 2], geb.: [Tag] 1928, wohnhaft: Göttingen (seit 1945), Karisch, [Vorname 3], geb.: [Tag] 1933, wohnhaft: Bielefeld (seit 1951). Nach vorliegenden Hinweisen hat er bisher zu diesen beiden Brüdern keine Verbindungen unterhalten.
Aufgrund seiner intensiven Arbeit war vorgesehen, dass Dr. Karisch 1978 mit der Promotion B4 beginnt, um eine weitere wissenschaftliche Qualifikation zu erreichen. Gleichzeitig war durch das Generalsekretariat des Kanusportverbandes der DDR beabsichtigt, Dr. Karisch in die Funktion des Verbandsarztes einzusetzen. Diese Vorstellungen waren Dr. Karisch bekannt.
Von den zuständigen Organen ist vorgesehen – nach Feststellung des genauen Aufenthaltsortes des Dr. Karisch – zu prüfen, welche Möglichkeiten sich ergeben, ihn zur Rückkehr in die DDR zu bewegen.
Die Überprüfungen und Ermittlungen im Zusammenhang mit dem ungesetzlichen Verlassen der DDR durch Dr. Karisch werden weitergeführt.