Plenartagung der »Berliner Konferenz katholischer Christen Europas«
5. Dezember 1977
Information Nr. 756/77 über den Verlauf der VI. Plenartagung der »Berliner Konferenz katholischer Christen aus europäischen Staaten« (BK)
In der Zeit vom 23. bis 25.11.1977 fand im Festsaal des Interhotels »Stadt Berlin« die VI. Tagung der BK1 statt zum Thema: »Europa – Abrüstung – Solidarität«.
Unter den 223 Konferenzteilnehmern befanden sich Bischöfe, Priester, katholische Parlamentarier, Angehörige der Intelligenz und katholische Laien aus sieben sozialistischen und 18 nichtsozialistischen europäischen Staaten sowie Beobachter der »Christlichen Friedenskonferenz« (CFK)2, der Russisch-Orthodoxen Kirche, des Brüsseler Komitees für europäische Sicherheit3 und progressiver katholischer Bewegungen aus Lateinamerika.
Am 21.11.1977 erfolgte die Anreise der acht Präsidiumsmitglieder und der 35 gewählten Mitglieder des »Internationalen Fortsetzungsausschusses«. In einer vorbereitenden Sitzung wurden von diesem Gremium die Tagesordnung und die Schwerpunkte der VI. Tagung der BK entsprechend der langfristig beschlossenen Konzeption festgelegt. Gleichzeitig tagte eine internationale Redaktionskommission, die den Entwurf des Abschlusspapiers der VI. Tagung erarbeitete.
Bei diesen Sitzungen gab es keine Provokationen oder Störversuche. Bei den geführten Auseinandersetzungen handelte es sich um die Erörterung von Sachfragen bzw. Verständigungsfragen zur Wirksamkeit der BK und den Zielen der Tagung.
Das Präsidium gab am 22.11.1977, um 18.00 Uhr, im Festsaal des Interhotels »Stadt Berlin« eine Pressekonferenz. Zwölf führende Vertreter der BK beantworteten Fragen der anwesenden 40 für diese Tagung akkreditierten Journalisten, darunter zehn in der DDR akkreditierte Journalisten westlicher Publikationsorgane. Radio DDR berichtete über diese Pressekonferenz direkt.
Neben einer großen Anzahl sachlicher Fragen gab es provokatorische Fragestellungen von zwei westlichen Journalisten.
Der Leiter der Westberliner Lokalredaktion der katholischen Nachrichtenagentur (KNA), Dr. Jauch, interessierte sich für die Finanzquellen der BK. (Wie dazu intern bekannt wurde, hatte Jauch die Absicht, die BK als eine ausschließlich von den sozialistischen Ländern in ihrem Sinne ausgerichtete und finanzierte Einrichtung abzuwerten.) Die Vertreter der BK betonten, die BK finanziere sich aus eigenen Spenden und Zuwendungen. Das wurde besonders unterstrichen durch den Italiener Zapulli, der zum Ausdruck brachte, wenn es stimmen würde, dass es sich bei der BK um eine »von den sozialistischen Staaten subventionierte Einrichtung« handele, würde er sich auf keinen Fall beteiligen. Gerade auf Veranstaltungen der BK könne er frei und demokratisch seine Meinung äußern. Er wurde in dieser Auffassung unterstützt von dem belgischen Physiker Thill.
Der Vertreter der Reuter-Agentur4, Brayne, Großbritannien, fragte die polnischen Vertreter nach der Situation der Kirchen in der Volksrepublik Polen, speziell nach dem Verhältnis zwischen Staat und Kirche und nach der Zielstellung des Besuches von Genosse Gierek in Rom.5 Er äußerte die Vermutung, Genosse Gierek wolle in Rom um »gut Wetter« bitten. Die polnischen Vertreter antworteten, dass Verhältnis zwischen Staat und Kirche in der Volksrepublik Polen sei eine nationale Angelegenheit und könne auf keinen Fall im Rahmen der BK erörtert werden. Sie wurden dabei von westlichen Vertretern der BK unterstützt.
Eine weitere Frage von Brayne lautete, ob sich die katholische Kirche in der DDR offiziell an der BK beteilige. Der Präsidiumsvorsitzende Fuchs erklärte, die katholische Kirche der DDR sei zwar nicht offiziell als Teilnehmer vertreten, wohl aber Katholiken aus der DDR. Fuchs wies in diesem Zusammenhang besonders auf die Tatsache hin, dass die katholische Kirche der DDR am 24.11.1977 der BK ein Gotteshaus zur Abhaltung eines Gottesdienstes zur Verfügung gestellt hat.
Die Eröffnung der VI. Tagung erfolgte am 23.11.1977, um 11.00 Uhr, durch den Vorsitzenden des Präsidiums, Otto-Hartmut Fuchs.
Zuvor waren nach einer umfassenden Tätigkeit im internationalen Maßstab drei Schwerpunktthemen durch drei Arbeitskreise der Konferenz vorbereitet worden, die in Budapest, Berlin und Brüssel getagt hatten. Dementsprechend wurden die Referate zum Tagungsthema (die im Text vorliegen) gehalten von
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Dr. György Ronay, VR Ungarn: »Europa – Bilanz und Perspektive«
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Prof. Dr. I. A. F. van Leeuwen (SI), Niederlande: »Abrüstung – Kriterien und Konsequenzen«
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Dr. Manuel Reyes Mate-Ruberez, Spanien: »Solidarität – für eine Welt ohne Krise und Krieg«.
Die genannten Themen wurden aus katholischer Sicht abgehandelt und bilden, wie von den Teilnehmern eingeschätzt wurde, eine gute Grundlage für die weitere Arbeit der BK sowohl in den sozialistischen als auch in den kapitalistischen Ländern.
Am gleichen Tag konstituierten sich die Arbeitskreise entsprechend den Tagungsthemen und führten bis ca. 22.00 Uhr ihre Beratungen durch.
Arbeitskreis I – Europa – Bilanz und Perspektive | Vorsitzender: Prof. Thill, Belgien | stellv. Vorsitzender: Dekan Dzenis, UdSSR | Sekretär: Dr. Walter Fürst, DDR
Arbeitskreis II – Abrüstung – Kriterien und Konsequenzen des Engagements der Katholiken | Vorsitzender: Jankowski, VR Polen | stellv. Vorsitzender: Pfarrer Wiest, BRD | Sekretär: Dr. Joachim Graf, DDR
Arbeitskreis III – Solidarität – für eine Welt ohne Krise und Krieg | Vorsitzender: Dr. Grenet, Frankreich | stellv. Vorsitzender: Prof. Lazzari, Italien | Sekretär: Karl Hiekisch, DDR.
Um 15.00 Uhr gab der Vorsitzende des Ministerrates der DDR, Genosse Stoph, einen Empfang, an dem zwölf Delegierte der BK (5 Vertreter sozialistischer und 7 Vertreter kapitalistischer Länder) teilnahmen. Während des Empfanges richtete Dr. Mate-Ruberez an den Genossen Stoph die Frage, ob in der DDR ein Katholik Mitglied der Kommunistischen Partei sein könne, wie dies in Spanien möglich sei. Nach der Beantwortung durch Genossen Stoph gab es keine weiteren derartigen Anfragen. Die Teilnehmer berichteten nach ihrer Rückkehr in den Arbeitskreisen sehr positiv über den Empfang.
Am Vormittag des 24.11.1977 wurden die vorgesehenen Exkursionen durchgeführt und folgende Einrichtungen und Institutionen besucht:
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Das Vortragszentrum im »Haus des Lehrers« am Alexanderplatz
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Das Informationszentrum Berlin am Fernsehturm mit dem Besuch des Aussichtsgeschosses
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Informationsfahrt durch die Hauptstadt der DDR, Berlin, unter besonderer Berücksichtigung der neuen Stadtteile
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Besichtigung des Neubaugebietes »Fischerinsel«, verbunden mit einem Besuch des Kindergartens Fischerinsel Nr. 1, im Anschluss daran – Besichtigung der St. Hedwigs-Kathedrale
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Informationsgespräch bei der PGH »Jakob Böhme« (Hersteller für orthopädisches Schuhwerk)
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Besichtigung und Informationsgespräch in der LPG Wartenberg.
Besonders zahlreiche Beteiligung gab es bei der Besichtigung der LPG Wartenberg. Die Exkursionen verliefen ohne Vorkommnisse.
Die Arbeitskreise führten am Nachmittag des 24.11.1977 ihre Beratungen fort. Aus den geführten Diskussionen wurde Folgendes bekannt:
Im Arbeitskreis I wurde die Diskussion auf der Grundlage des Arbeitspapiers zur Frage »der richtigen Gesellschaftsordnung« geführt. Zapulli, Italien, äußerte u. a., die sozialökonomischen Formen nähmen eine etwa gleichartige Entwicklung. Während die EWG das »Laboratorium für die freie Marktwirtschaft« darstelle, sei der RGW für die »Ausweitung des Sozialismus« da. Man sollte auf ökonomische Gesetze verzichten und auf weltweiter Ebene alles absprechen. Darauf ließe sich »eine Gemeinschaft aufbauen«.
Frau Barowska, VR Polen, sprach über die katholischen Linken und erklärte, die katholische Linke sollte ihre Freiheit nutzen und einen Stützpunkt für Europa bilden, denn die Katholiken seien »für den entwickelten Sozialismus«.
Prof. Matos, Portugal, warf die Frage auf, wo sich die Länder wirtschaftlich ansiedeln könnten, die zur Peripherie Europas gehören (z. B. Spanien und Portugal). Nach seiner Meinung sollten sie nicht Mitglied der EWG werden, denn »die stelle doch eine Hölle dar«.
Der Mitarbeiter des Bischöflichen Jugendamtes München, Maier, sprach zum Thema Kooperation oder Konfrontation. Nach seiner Ansicht sollten die vorhandenen Denkmodelle überprüft werden. Es gebe heute nicht mehr den Sozialismus, sondern Sozialismen, es gebe heute nicht mehr den Katholizismus, sondern Katholizismen. Im Zusammenhang mit »Korb III« der Schlussakte von Helsinki,6 dem die Anwesenden zugestimmt hätten, stellte er die Frage nach der Verwirklichung der Menschenrechte und warum die Bücher von Bahro und Havemann in der DDR nicht veröffentlicht wurden.
Ein Teilnehmer aus Frankreich wies auf das Treffen Sadat – Begin7 hin und forderte, diese Begegnung »in eine gemeinsame Analyse« des Arbeitskreises I einzubeziehen, weil dieses Treffen auch für die BK eine »globale Bedeutung« habe. »Die von Sadat gesetzten positiven Akzente sollten bei den Friedensverhandlungen in Genf8 eine Rolle spielen. Es sollte überlegt werden, welche Auswirkungen dieses Treffen für Europa hat. Die BK-Tagung sollte darüber ein Arbeitspapier fertigen.«
In der Arbeitsgruppe III sprach sich der Vorsitzende der belgischen »Pax Christi«9, Vanderwalle, gegen das sozialistische Weltsystem aus. Nach seiner Meinung seien Sozialismus – Frieden und Solidarität unvereinbar. In der sozialistischen Sowjetunion seien Millionen Menschen unter Stalin und Chrustschow [sic!] ums Leben gekommen. Solidarität sei überhaupt nicht Sache der Arbeiterklasse, sondern der alten Menschen. (Vanderwalle erhielt für seine Ausführungen Beifall.)
Cumucio, Chile, deklarierte den Klassenkampf als eine Notwendigkeit in allen Ländern der Welt. Dazu gehöre auch die breiter werdende Solidarität.
Zu einer gemeinsamen Eucharistiefeier versammelten sich die Teilnehmer der VI. BK-Tagung am 24.11.1977, von 18.00 Uhr bis 19.00 Uhr, in der Berliner St. Pius-Kirche. Der Diözesanbischof, Dr. Arpad Fabian von Szombathely, VR Ungarn, feierte diesen Gottesdienst in einer Kanzelzelebration mit weiteren sieben Priestern aus verschiedenen europäischen Ländern. Die Predigt hielt der griechisch-katholische Bischof von Nyiregyhaza (VR Ungarn), Dr. Imre Timko. Die Eucharistiefeier wurde als Votivmesse für den Frieden durchgeführt. Die Fürbitten, gesprochen von Vertretern aus elf europäischen Ländern, bezogen sich »auf die großen Anliegen unserer Zeit«. Sie brachten den Wunsch nach Frieden und sozialer Gerechtigkeit für alle Menschen zum Ausdruck.
Die Kollekte dieses Gottesdienstes wurde dem Pfarrer der Gemeinde für das Bischöfliche Werk »Not in der Welt«10 zur Verfügung gestellt, für das am 1. Adventssonntag in allen katholischen Gemeinden der DDR gesammelt wird.
Nach dem Gottesdienst wurde die offizielle Tagung mit festgelegten »Spezialtreffen« (Frauentreffen, Parlamentariertreffen und Jugendtreffen) im Tagungsgebäude fortgesetzt.
Am 25.11.1977 beendeten die Arbeitskreise ihre Beratungen und berichteten über ihre Arbeitsergebnisse im Plenum. Die abschließende Plenarsitzung begann gegen 15.30 Uhr. Von einer auf internationaler Basis zusammengesetzten Redaktionskommission waren die Arbeitsergebnisse inzwischen in einer Deklaration der VI. Tagung der BK zusammengefasst worden.
Diese Deklaration wurde nach Diskussionen im Plenum durch eine Abstimmung angenommen (199 Ja-Stimmen, 24 Enthaltungen). Die Deklaration fordert katholische Laien und Geistliche auf, entschlossen im Geiste der religiösen Friedensbotschaft für das Wohl aller Menschen einzutreten, die Abrüstung zu unterstützen, gegen Massenvernichtungswaffen aufzutreten, im Geiste der Schlussakte der KSZE zu handeln und aktive Solidarität mit den unterdrückten Völkern zu üben.
Nach einer Pressekonferenz, die 17.30 Uhr durchgeführt wurde, gab der Staatssekretär für Kirchenfragen von 20.00 Uhr bis 22.30 Uhr für die Teilnehmer der BK einen Empfang im Festsaal des Interhotels »Stadt Berlin«. Besonderheiten wurden dabei nicht festgestellt.
Die VI. Tagung fand ein starkes internationales Echo, u. a. in Form von Grußadressen durch die Päpstliche Kommission »Justitia et Pax«11, durch das Präsidium von »Pax Christi International«, die Bischöfe Suenens, Belgien, Ratzinger, BRD, Riobe, Frankreich, sowie durch andere nichtklerikale Friedensorganisationen und die Anwesenheit repräsentativer internationaler Ehrengäste und Beobachter. Es waren insgesamt über 30 Journalisten von Presse, Funk und Fernsehen aus fast allen europäischen Ländern bei der Tagung akkreditiert. Die Massenmedien der DDR berichteten mehrfach über Verlauf und Ergebnisse dieser Veranstaltung.12
Mit der VI. BK-Tagung wurde eine neue Etappe in der offensiven Tätigkeit der BK zur Ausbreitung ihres politischen Einflusses in Westeuropa eingeleitet. Wesentlich für den erfolgreichen Verlauf der Tagung war das langfristig vorbereitete, koordinierte und abgestimmte Vorgehen progressiver Konferenzteilnehmer aus der Sowjetunion, der ČSSR, der VR Ungarn, der DDR und der VR Polen.
Angriffe gegen die Tagesordnung der BK bzw. Bestrebungen, die positive Ausstrahlungskraft der BK auf katholische Kreise in anderen Ländern zu unterbinden, die BK zu neutralisieren und ideologisch umzufunktionieren, wurden nicht wirksam. Versuche belgischer, französischer, spanischer und italienischer Konferenzteilnehmer (sind namentlich bekannt), Fragen des Eurokommunismus und der angeblichen Verletzung der Menschenrechte in den sozialistischen Ländern zu diskutieren, wurden zurückgewiesen. Gegen diese Bestrebungen traten die Vertreter aus den sozialistischen Ländern geschlossen auf.
Die in der Abschlusssitzung verabschiedete Deklaration stellt den einheitlichen Standpunkt aller Teilnehmer dar, der in den geführten Auseinandersetzungen erarbeitet wurde.
Der überwiegende Teil der Teilnehmer aus nichtsozialistischen Staaten brachte offiziell zum Ausdruck, dass in der BK das katholische Friedensforum in Europa zu sehen ist, in dem jeder offen und ungehindert seine Meinung sagen könne. Das würde zum internationalen Ansehen der BK beitragen. Sie erklärten ihre Bereitschaft, weitere Katholiken aus ihren Ländern für eine aktive Mitarbeit in der BK zu gewinnen.
Die Information ist nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.