Probleme beim Anlagenexport nach Algerien
13. Oktober 1977
Information Nr. 634/77 über einige Probleme des Anlagenexportes der DDR in die Demokratische Volksrepublik Algerien
Dem MfS vorliegenden Hinweisen zufolge werden im Zusammenhang mit dem Anlagenexport der DDR in die Demokratische Volksrepublik Algerien – auf der Grundlage eines Regierungsabkommens zwischen der DDR und der DVR Algerien – einige Probleme bisher noch nicht vollständig beherrscht. Dabei handelt es sich in erster Linie um ungenügend gelöste Leitungsprozesse im Anlagenexport der DDR, die letztlich zu Zeitverzögerungen bei der Realisierung von Anlagenobjekten führten, sich nachteilig auf die Valutaerlöse der DDR auswirkten und – so wird besonders betont – sich erschwerend auf die Verhandlungen über weitere Anbahnungsobjekte auswirken könnten.
Dazu im Einzelnen:
Mit der Fertigstellung (Leistungsnachweis vom 2.5.1977 bis 25.7.1977) und der Übergabe (3.8.1977) des Armaturenkombinates Berrouaghia (I) lieferte die DDR erstmalig eine große Industrieanlage in ein industriell bisher nicht erschlossenes Gebiet der DVR Algerien. (Die Stahlgießerei und die Heißölschieberfertigung – Teile dieses Objektes – müssen noch übergeben werden.)
Die beim Leistungsnachweis erreichten Ergebnisse haben nach übereinstimmenden Urteilen zur Stärkung des Ansehens der DDR in der DVR Algerien beigetragen. Besonders hohe Anerkennung der algerischen Seite fanden die Anstrengungen der DDR, im Interesse einer schnellen Behebung aufgetretener technischer und organisatorischer Mängel und der Stabilisierung der Produktionsprozesse mit zusätzlich eingesetztem DDR-Personal wirksame Hilfe und Unterstützung zu leisten.
Wie die vorliegenden Experteneinschätzungen besagen, wurde im Zusammenhang mit der Realisierung des Objektes Berrouaghia I eine gute Ausgangsbasis für weitere Anlagenexporte der DDR in die DVR Algerien geschaffen. Kapitalistische Industriestaaten haben bisher bei der Lieferung kompletter Anlagen in die DVR Algerien die von der DDR bei diesem Großobjekt erreichten Ergebnisse noch nicht nachweisen können.
In der Realisierungsphase des Armaturenkombinates Berrouaghia I zeigten sich eine Reihe leitungsmäßig noch nicht vollständig beherrschter Probleme, die, würden sie unbeachtet bleiben, sich in Zukunft hinderlich auf den geplanten umfangreichen Anlagenexport der DDR in die DVR Algerien, einschließlich des vorgesehenen Valutaerlöses, auswirken können.
Bei der Inbetriebnahme der Anlagen und Ausrüstungen entstanden oftmals infolge von Wasser- und Materialmangel hohe Ausfallzeiten. Das Verschleißverhalten der Anlagen und Ausrüstungen unter den klimatischen Bedingungen der DVR Algerien konnte offensichtlich nur unzureichend eingeschätzt werden, sodass wegen der daraus resultierenden Schwierigkeiten umfangreiche Nachbestellungen erforderlich wurden. Auf derartige zusätzliche Leistungen hatten sich die Anlagenexporteure der DDR nicht vorbereitet. Außerdem ergibt sich die Notwendigkeit, den Angebotsteil für Ersatz- und Verschleißteile zu überarbeiten.
In diesem Zusammenhang zeigen sich bereits erste Erscheinungen für auftretende Rückstände im Kundendienst, insbesondere bestehen Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Ersatzteilen für aus anderen sozialistischen Staaten zugelieferte Ausrüstungen. Nicht unwesentlichen Einfluss auf die bestehenden Schwierigkeiten bei der Inbetriebnahme dieses Objektes hatte auch das Fehlen ausreichend qualifizierter algerischer Facharbeiter, Meister und ingenieurtechnischen Personals, wozu u. a. auch eine Reihe disziplinarischer und organisatorischer Schwierigkeiten bei der Qualifizierung dieser Kräfte in der DDR beitrugen.
Auf der Baustelle der Pumpenfabrik Berrouaghia (II) – dem zweiten von der DDR zu errichtenden Anlagenkomplex – besteht ein etwa achtmonatiger Zeitverzug. Dieser resultiere hauptsächlich aus den Verzögerungen des Bauablaufes. Nach Angaben der algerischen Firma SONACOME wäre nicht rechtzeitig eine geeignete Baufirma gefunden worden; für die Fertigstellung des Bauobjektes sei nunmehr die französische Bau- und Koordinierungsfirma Sorgelerg verantwortlich. Zusätzlich erschwerend wirke sich die bisher noch nicht fertiggestellte Projektierung für das Objekt der Pumpenfabrik durch den Kooperationspartner der ČSSR aus. (Der algerische Kunde strebt deshalb bereits die Einbeziehung der BRD-Firmen Klein, Schanzlein & Becker anstelle des Kooperationspartners der ČSSR in das Vorhaben Pumpenfabrik an.)
Aufgrund der vorgenannten Umstände können die Beteiligten jedoch noch nicht eindeutig einschätzen, inwieweit der vertraglich vereinbarte Fertigstellungstermin – März 1980 – als gefährdet erscheint.
Das geplante, bisher größte Anlagenexportvorhaben der DDR – die Grau- und Stahlgießerei Tiaret – stelle nach Auffassung von DDR-Experten an die Gießereiindustrie der DDR und den Generallieferanten – den VEB INEX – besonders hohe Anforderungen. Es sind, vergleichsweise zu anderen Projekten, noch niemals so außerordentlich hohe Kooperationsanteile im Inland und mit Kooperationspartnern anderer Länder vertraglich zu binden und zu realisieren gewesen wie bei diesem Vorhaben.
Die zügige Vorbereitung dieses Projektes hemmen gegenwärtig vor allem solche Faktoren wie
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die ungenügende Abstimmung technischer Fragen zwischen dem Kombinat GISAG und dem VEB INEX,
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fehlende bzw. verspätete Entscheidungen des Kombinates GISAG zum technischen Projekt,
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fehlende zentrale Vorhabensleitung beim Kombinat GISAG (worüber bereits eine Beschwerde des Botschafters der DDR in der DVR Algerien vorliegt),
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unzureichende Gewährleistung der Reistätigkeit entsprechend den Erfordernissen und ungenügende Reisevorbereitung infolge fehlender Abstimmungen und Direktiven, ebenfalls vom Kombinat GISAG zu verantworten sowie
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verspätete Informationen zu Grundsatzfragen.
Beachtenswert erscheint darüber hinaus jedoch auch Folgendes: Die fehlende Zustimmung der algerischen Seite zum Bauprojekt hat bereits nachteilige Folgen auf die Projektierung für die DDR, die bereits den italienischen Konzern FIAT für das Bauprojekt und die jugoslawische Firma Maschinoprojekt für das Ausrüstungsprojekt vertraglich gebunden hat.
Die Verlängerung der Koordinierungszeiträume, die notwendige Leistung von Überstunden in vorgenannten Projektierungseinrichtungen und auch von der DDR zu verantwortende verspätete Zahlungen veranlassten die genannten ausländischen Vertragspartner, zwischenzeitlich zusätzliche finanzielle Forderungen in Höhe von 1,7 Mio. VM bzw. 273 000 US-Dollar zu stellen.
Nach Expertenauffassung stellt die Ausklammerung der Projektierung zugleich eine Teilung des Vertrages über die Errichtung einer kompletten Industrieanlage dar und bedeute den Verzicht auf einen erheblichen Valutaanteil für die DDR.
Auch die mit dem algerischen Partner vereinbarten Eigenleistungen im Bausektor werden zzt. noch nicht erbracht und führen zu einem Zeitverzug von mindestens einem Jahr.
Unter Beachtung bevorstehender Verhandlungen über weitere Anbahnungsobjekte wie Gießereierweiterung Berrouaghia (III), Kabelfabrik, zwei Werke zur Herstellung von Metallleichtbaukonstruktionen, Westalgerischer Hüttenkomplex und Zementanlagen müssten nach Auffassung des MfS für die Realisierung solcher umfangreicher Vorhaben im VEB INEX – dem Generallieferanten – und in den betreffenden Industriezweigen noch wesentliche Voraussetzungen geschaffen werden. So ergab beispielsweise allein eine Überprüfung der Sicherung des Vorhabens Gießereierweiterung Berrouaghia III im VEB INEX, dass insbesondere nichtmaterielle Leistungen wie Projektierung, Ausbildung, Montage, einführende Leitung nur teilweise oder gar nicht abgedeckt werden können.
Da auch die Verschiebung des Fertigstellungstermins der Harlaß-Gießerei (Beschluss des Präsidiums des Ministerrates vom 11.8.1977)1 etwa zeitlich mit dem Fertigstellungstermin des Objektes Grau- und Stahlgießerei Tiaret sowie mit der Realisierung des Vorhabens Gießereierweiterung Berrouaghia III zusammentreffen werde, äußern Experten, die mit diesen Problemen vertraut sind, dass die Realisierung des letztgenannten Vorhabens ernsthaft infrage gestellt sei. Trotzdem vertritt z. B. der Generaldirektor des VEB INEX, Pagel, eine diese Tatsachen negierende Haltung und äußert sich unbegründet optimistisch.
In diesem Zusammenhang werden einige beachtenswerte Mängel in der Leitung des VEB INEX genannt, deren Beseitigung unbedingt erforderlich wäre, um die Realisierung des als gefährdet eingeschätzten Anlagenexports in die DVR Algerien zu gewährleisten. Insbesondere werden die mangelnde Entscheidungsfähigkeit des Generaldirektors, die ungenügende Kaderarbeit im Zusammenhang mit der Reisekadervorbereitung und die unzureichende Abstimmung mit den DDR-Exportbetrieben hervorgehoben. Darüber hinaus haben aber auch häufige Strukturveränderungen im VEB INEX zu Komplikationen und Verzögerungen im Arbeitsablauf geführt. Auch die geäußerte Absicht des Generaldirektors des VEB INEX, leitende Kader des Betriebes (z. B. Direktor für Anlagenbau, Direktor für Ökonomie, Hauptbereichsleiter für SW-Export) langfristig auf die Baustellen der DDR in der DVR Algerien zu delegieren, könne sich nachteilig auf die Stabilisierung der Leitungstätigkeit innerhalb des VEB INEX auswirken.
In Anbetracht der dargelegten Situation wird empfohlen, umgehend Maßnahmen zur Verbesserung der Leitungstätigkeit im VEB INEX und im Kombinat GISAG einzuleiten, um vor allem die Vorbereitung und Realisierung der vertraglich vereinbarten und geplanten Anlagenexporte der DDR in die DVR Algerien umfassend zu sichern.